BGH Urteil v. - KZR 103/19

Nutzung von Personenbahnhöfen: Eisenbahnrechtliche Regulierung und kartellrechtliche Überprüfung von Eisenbahninfrastrukturnutzungsentgelten auf Grundlage eines Stationspreissystems - Stationspreis im Gelegenheitsverkehr

Gesetze: § 14e AEG vom , § 14f AEG vom , Art 102 AEUV, § 315 Abs 3 BGB, Art 4 Abs 5 EGRL 14/2001, Art 30 Abs 1 EGRL 14/2001, Art 30 Abs 3 EGRL 14/2001, Art 30 Abs 5 EGRL 14/2001, Art 30 Abs 6 EGRL 14/2001

Instanzenzug: Az: 16 S 35/18 Kartvorgehend AG Berlin-Mitte Az: 14 C 163/16

Tatbestand

1Die Klägerin, ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, verlangt von der Beklagten, einem Eisenbahnverkehrsunternehmen, Zahlung von Stationsentgelten.

2Die Beklagte nutzt für die Erbringung von Gelegenheitsverkehren Bahnhöfe (Stationen) der Klägerin. Ein zwischen den Parteien geschlossener Rahmenvertrag endete mit Ablauf des Jahres 2008. In der Folge kam es - auch aufgrund von Differenzen über die Angemessenheit der von der Klägerin geforderten Nutzungsentgelte - nicht zum Abschluss eines weiteren Rahmenvertrages.

3Die Beklagte meldete bei der Klägerin für den Zeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2013 die Nutzung von Stationen an. Die Klägerin übersandte der Beklagten daraufhin Angebote zum Abschluss von Stationsnutzungsverträgen. Die Beklagte, die auf diese schriftlichen Vertragsangebote nicht einging, nutzte die Stationen der Klägerin entsprechend den von ihr angemeldeten Verkehrsleistungen.

4Die Klägerin berechnete die für die Nutzung der Stationen anfallenden Entgelte auf der Grundlage ihres Stationspreissystems 2011 (SPS 2011), welches sie zuvor der Bundesnetzagentur mitgeteilt und im Verlauf des regulierungsrechtlichen Überprüfungsverfahrens entsprechend den Vorgaben der Bundesnetzagentur angepasst hatte. Auf Grundlage ihres Stationspreissystems veröffentlichte die Klägerin nach Nr. 5.2 Besonderer Teil der Infrastrukturnutzungsbedingungen Personenbahnhöfe 2011 (INBP 2011) Stationspreislisten, welche sie ebenfalls der Bundesnetzagentur mitgeteilt hatte. Für die Berechnung der in Rede stehenden Entgelte legte die Klägerin die Stationspreislisten 2012 und 2013 zugrunde, gegen die die Bundesnetzagentur nach Anhörung keinen Widerspruch erhoben hatte. Die Klägerin stellte der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2013 Stationsentgelte in Höhe von 5.732,56 € in Rechnung. Davon beglich die Beklagte einen Teilbetrag in Höhe von 3.999,40 €.

5Die Klägerin macht mit der Klage den ausstehenden Teil der von ihr berechneten Stationsentgelte zuzüglich Verzugszinsen geltend, welche sie nach Nr. 5.3. Allgemeiner Teil INPB 2011 berechnet.

6Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 1.733,15 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

Gründe

7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Belang - im Wesentlichen wie folgt begründet: Zwischen den Parteien sei ein Stationsnutzungsvertrag abgeschlossen worden. Die Beklagte habe mit der tatsächlichen Nutzung der Stationen die Realofferte der Klägerin, die in der Bereitstellung der Bahnhöfe zu erblicken sei, konkludent angenommen. Der Widerspruch, den die Beklagte gegen die Höhe der Nutzungsentgelte in der Vergangenheit erhoben habe, sei unerheblich. Die Verträge seien zu den Bedingungen zustande gekommen, wie sie in den der Beklagten übersandten Vertragsangeboten wiedergegeben gewesen seien. Eine Überprüfung der Entgelte unter dem Gesichtspunkt einer unbilligen Preisbestimmung nach § 315 Abs. 3 BGB sei nach den Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG ausgeschlossen. Die Festlegung der Stationsentgelte könne allein im Rahmen des Regulierungsverfahrens überprüft werden, weil nur dann gewährleistet sei, dass die Festlegung gegenüber allen Nutzern gleichermaßen gelte und die Regulierungsstelle beteiligt sei.

8Dem Anspruch der Klägerin stehe auch die Vorschrift des Art. 102 AEUV nicht entgegen. Zum einen habe die Beklagte zu den Voraussetzungen des Missbrauchseinwands lediglich pauschal darauf hingewiesen, dass die kartellrechtliche Einordnung der Klageforderung noch nicht geklärt sei. Zum anderen gewährleisteten bereits die Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG die Schutzzwecke des Art. 102 AEUV. Diese Ziele zu wahren, sei allein Aufgabe der Regulierungsstelle. Eine Durchsetzung kartellrechtlicher Einwände gegen die von der Klägerin erhobenen Entgelte auf dem Zivilrechtsweg sei ausgeschlossen. Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sei im Übrigen deshalb nicht gegeben, weil die Festlegung der Nutzungsentgelte für alle Beteiligten rechtlich bindend sei. Dies gelte auch für die Höhe der Entgelte, weil die Richtlinie 2001/14/EG den Infrastrukturunternehmen gestatte, Entgelte zu erheben, die nicht nur zur Kostendeckung erforderlich seien.

9II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

101. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass zwischen den Parteien Stationsnutzungsverträge durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen sind. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus. Die Beklagte hat die Schieneninfrastruktur der Beklagten nach Anmeldung ihrer Gelegenheitsverkehre und anschließender Übersendung eines schriftlichen Vertragsangebots seitens der Klägerin genutzt.

11Zwar ist nach der Vorschrift des § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Vertrag über eine entgeltliche Leistung im Zweifel nicht geschlossen, solange sich die Parteien nicht über das Entgelt oder die Art und Weise seiner Bestimmung geeinigt haben (, WuW/E DE-R 1730 Rn. 12 - Stromnetznutzungsentgelt II). Ebenso wie bei energierechtlichen Netznutzungsverträgen entspricht es jedoch vertraglicher Übung, die Nutzung der Schieneninfrastruktur durch ein einseitig bestimmtes Entgelt seitens des Betreibers der Schieneninfrastruktur abzugelten, das dieser nach Art eines Tarifs im Wege der Stationspreislisten zu bestimmten Zeitpunkten festlegt, der Regulierungsbehörde zur Prüfung nach §§ 14e, 14f AEG aF vorlegt und das für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen zugrunde liegen soll. Ein Preisbestimmungsrecht der Klägerin nach § 315 BGB entspricht dem beiderseitigen Parteiinteresse und mutmaßlichen Willen und kann daher als das hierzu am besten geeignete gesetzliche Regelungsmodell zur Ausfüllung der Lücke dienen, die der Vertrag hinsichtlich der Regelung des Netznutzungsentgelts aufweist (vgl. , BGHZ 41, 271, 276 - Werkmilchabzug; Urteil vom - VIII ZR 81/82, NJW 1983, 1777; WuW/E DE-R 1730, Rn. 12 - Stromnutzungsentgelt II). Die Beklagte war im Streitfall - wie sich aus dem unstreitigen Parteivorbringen ergibt - mit einem solchen einseitigen Preisbestimmungsrecht der Klägerin einverstanden. Die Klägerin hat dieses Preisbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 2 BGB ausgeübt und die für die Nutzung ihrer Stationen fälligen Entgelte auf Grundlage der jeweils geltenden, von ihr veröffentlichten Stationspreislisten berechnet.

122. Das von der Klägerin bestimmte Entgelt kann nicht am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB überprüft werden. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Vorschriften der Richtlinie 2001/14/EG, insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, der Anwendung der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB entgegenstehen (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 70 ff. - CTL Logistics; zur Regulierung von Flughafenentgelten vgl. , NVwZ 2020, 48 Rn. 67 ff. - Deutsche Lufthansa AG/Land Berlin; , WuW 2020, 209 Rn. 34 - Trassenentgelte; Urteil vom - KZR 12/15, juris Rn. 13 f. - Stationspreissystem II).

133. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht einen Anspruch der Beklagten wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verneint, den sie dem Zahlungsanspruch der Klägerin entgegenhalten könnte.

14a) Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte könne aus Rechtsgründen der Klageforderung den Einwand nicht entgegenhalten, die Geltendmachung der ausstehenden, auf Grundlage der Stationspreislisten 2012 und 2013 berechneten Stationsentgelte stelle einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin im Sinne des Art. 102 Abs. 1 AEUV dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schließen weder das Unionsrecht noch das nationale Recht die Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AUEV aus (, WuW 2020, 209 Rn. 18 ff. - Trassenentgelte). Der Senat hat ausführlich begründet, weshalb es im Hinblick auf die aus dem Primärrecht abgeleiteten subjektiven Rechte der Eisenbahnverkehrsunternehmen, des komplementären Regelungszusammenhangs von eisenbahnrechtlicher Regulierung und kartell(zivil)rechtlicher Durchsetzung des Missbrauchsverbots sowie unter Berücksichtigung der Kompetenzordnung der Union keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl. 282/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 = NJW 1983, 1257, 1258 - C.I.L.F.I.T.), dass Art. 102 AEUV sowie die Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts, die zur Verwirklichung der aus dem Missbrauchsverbot abgeleiteten Rechte erforderlich sind, unabhängig davon Anwendung finden, ob die Richtlinie 2001/14/EG und in deren Umsetzung § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF die Klägerin auf die Erhebung nichtdiskriminierender Entgelte verpflichten und die von ihr geforderten Entgelte einer Kontrolle durch die Bundesnetzagentur unterwerfen (BGH, WuW 2020, Rn. 29 ff., 48 f. - Trassenentgelte; Urteil vom - KZR 12/15, juris Rn. 18 ff. - Stationspreissystem II, jeweils mwN). Darauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wieder-holungen Bezug.

15b) Soweit das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Verletzung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots für unzureichend gehalten hat, vermag die Revision diese das Urteil selbständig tragende Begründung jedoch nicht mit Erfolg anzugreifen.

16Zwar hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung geltend gemacht, sie werde von der Klägerin diskriminiert, indem diese das für den Regelverkehr konzipierte Stationspreissystem, unterschiedslos für die Berechnung der von ihr angebotenen Gelegenheitsverkehre heranziehe, obwohl sie die Stationen nur in geringerem Umfang als Anbieter von Regelverkehren nutze. Es braucht aber im Streitfall nicht entschieden zu werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gleichbehandlung unterschiedlicher Abnehmer den Tatbestand der Diskriminierung im Sinne des Art. 102 AEUV oder - soweit überhaupt anwendbar - nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB erfüllt. Die Beklagte hat schon nicht dazu vorgetragen, inwieweit die Handhabung des Stationspreissystems geeignet ist, ihre Position im Wettbewerb mit anderen Anbietern von vergleichbaren Gelegenheitsverkehren zu benachteiligen (vgl. zu Art. 102 AEUV: , WuW 2018, 320 Rn. 24 f. - Meo mwN; zu § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB: , WuW 2012, 72 Rn. 32 - Grossistenkündigung).

17Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe das Vorbringen der Beklagten zur Unbilligkeit der erhobenen Entgelte nach § 315 BGB als Vorbringen zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB auffassen müssen, vermag sie damit ebenfalls nicht durchzudringen. Die Beklagte hat im Hinblick auf die Unbilligkeit der geforderten Entgelte lediglich pauschal und in unzureichender Weise auf Entscheidungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth, des Kammergerichts und des Landgerichts Berlin Bezug genommen, ohne näher vorzutragen, welche dort erörterten tatsächlichen Gesichtspunkte im Hinblick auf das im Streitfall anwendbare Stationspreissystem die Missbräuchlichkeit des Verhaltens der Beklagten begründen sollen. Im Übrigen beziehen sich die Ausführungen in dem als Anlage B 1 vorgelegten Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ebenso wie diejenigen in dem nicht zu den Akten gereichten Urteil des Kammergerichts (2 U 19/09, beim Senat anhängig unter dem Az. KZR 71/15) auf das Stationspreissystem 2005. Der Berechnung der Stationsentgelte liegt im Streitfall jedoch das Stationspreissystem 2011 zugrunde. Inwieweit sich aus diesem vergleichbare und als missbräuchlich zu beurteilende Wirkungen ergeben, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen. Eines solchen Vorbringens hätte es jedoch schon deswegen bedurft, weil die Klägerin das Stationspreissystem 2005 mit Einführung des im Streitfall anwendbaren Preissystems einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen hat, um den von der Bundesnetzagentur dagegen erhobenen Bedenken Rechnung zu tragen (vgl. Bundesnetzagentur, Bescheid vom - 10.040-F-10-332, S. 20). Entsprechendes gilt, soweit die Revision auf die Ausführungen des Bezug nimmt. Auch den dort in Streit stehenden Stationsentgelten lag das Stationspreissystem 2005 zugrunde.

18c) Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe es unter Verletzung des Verfahrensrechts unterlassen, der Beklagten einen entsprechenden Hinweis nach § 139 ZPO auf ergänzungsbedürftigen Vortrag zu erteilen, vermag sie damit nicht durchzudringen. Ein Rechtsmittelführer, der die Verletzung einer gerichtlichen Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO geltend macht, muss darlegen, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert, insbesondere was er hierauf im Einzelnen vorgetragen hätte und wie er weiter vorgegangen wäre; nur hierdurch wird das Rechtsmittelgericht in die Lage versetzt zu beurteilen, ob die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verstoß gegen die Hinweispflicht beruht (, NJW-RR 2016, 952 Rn. 14 mwN).

19Die Revision zeigt kein Vorbringen auf, welches die Beklagte auf einen solchen Hinweis gehalten und aus dem sich zugleich die Eignung der Entgeltberechnung ergeben hätte, die Marktposition der Beklagten zu benachteiligen. Soweit die Revision im Übrigen unter Verweis auf die Ausführungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth geltend macht, die von der Klägerin erhobenen Entgelte seien missbräuchlich überhöht gewesen, beziehen sich die Ausführungen des Landgerichts auf das Stationspreissystem 2005. Auch die Revision zeigt nicht auf, inwieweit sich diesem, vergleichbare Wirkungen aus dem im Streitfall anwendbaren Stationspreissystem 2011 ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:081220UKZR103.19.0

Fundstelle(n):
GAAAH-76754