Online-Nachricht - Donnerstag, 05.11.2020

Einkommensteuer | Prozesskosten als agB / Behinderten-Pauschbetrag (BFH)

Unter der Existenzgrundlage i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ist nur die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen zu verstehen (Bestätigung der Rechtsprechung, ). Die in § 33b EStG normierten (einschränkenden) Voraussetzungen für den Behinderten-Pauschbetrag sind mit dem Grundgesetz vereinbar (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG sind Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.

Sachverhalt: Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter ihrer Tochter C. Mit dem Vater der Tochter war sie nicht verheiratet. Die Klägerin machte in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2013 bis 2015) neben hier nicht im Streit stehenden Krankheitskosten Aufwendungen für folgende Rechtsstreitigkeiten als außergewöhnliche Belastungen geltend:

  • Bei der Klägerin führten zwei Implantate zu Entzündungen und zum Abbau des Kieferknochens. Die Klägerin strengte wegen (angeblicher) Behandlungsfehler einen Prozess gegen den Zahnarzt an und machte u.a. neben Behandlungskosten Schmerzensgeld geltend. Die Klage wurde in zweiter Instanz abgewiesen.

  • Der Vater von C, der zunächst keinen persönlichen Umgang mit seiner Tochter hatte, versuchte, einen solchen zunächst außergerichtlich, später auch gerichtlich durchzusetzen. Die Gerichtskosten legte das Amtsgericht der Klägerin und dem Kindesvater jeweils zur Hälfte auf, ihre außergerichtlichen Kosten hatten sie selbst zu tragen. Eine hiergegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.

  • Zur Feststellung der Höhe des Unterhaltsanspruchs von C gegenüber ihrem Vater begehrte die Klägerin Auskunft über dessen Einnahmen. Dies führte zu einem gerichtlichen Verfahren.

Das Versorgungsamt stellte bei der Klägerin durch Bescheid eine Behinderung i. S. von § 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest.

Das FA erkannte für die Streitjahre die geltend gemachten Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Außerdem berücksichtigte es den von der Klägerin geltend gemachten Behinderten-Pauschbetrag nicht. Das FG gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage teilweise statt (). Gegen das Urteil des FG haben sowohl die Klägerin als auch das FA Revision eingelegt.

Der BFH hat das FG Urteil aufgehoben:

  • Als Existenzgrundlage i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ist die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen zu verstehen ().

  • Es ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten, die Begriffe der Existenzgrundlage und der lebensnotwendigen Bedürfnisse in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG (auch) in einem immateriellen Sinne zu deuten.

  • Nach diesen Maßstäben kommt eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Prozesskosten nicht in Betracht.

  • Bezüglich der Aufwendungen in Zusammenhang mit dem Rechtsstreit über das Umgangsrecht ist das FG von unzutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Es hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin ohne die Aufwendungen für den Umgangsrechtsstreit Gefahr liefe, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.

  • Die Aufwendungen der Klägerin für den Unterhaltsrechtsstreit sind ebenfalls nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Die Klägerin lief nicht Gefahr, ohne den höheren Kindesunterhalt ihre (materielle) Existenzgrundlage zu verlieren.

  • Die Klägerin war schließlich auch nicht gezwungen, den Arzthaftungsprozess zu führen, um einer Gefährdung ihrer Existenzgrundlage zu begegnen.

  • Der Behinderten-Pauschbetrag gem. § 33b EStG steht der Klägerin nicht zu, wie das FG ebenfalls zutreffend entschieden hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die in § 33b EStG normierten (einschränkenden) Voraussetzungen für den Behinderten-Pauschbetrag mit dem Grundgesetz vereinbar (ebenso u.a. ; ).

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:

Zur Anpassung der seit 1975 nicht mehrgeänderten Behinderten-Pauschbeträge und Steuervereinfachung sind folgende gesetzliche Maßnahmen zu VZ 2021 vorgesehen:

  • Verdopplung der Behinderten-Pauschbeträge inkl. Aktualisierung der Systematik, § 33b Abs. 3 EStG-E,

  • Einführung eines behinderungsbedingten Fahrtkosten-Pauschbetrags, § 33 Abs. 2a (neu) EStG-E und

  • Verzicht auf die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Gewährung eines Behinderten-Pauschbetrags bei einem Grad der Behinderung kleiner 50, § 33b Abs. 2 EStG-E.

  • Geltendmachung des Pflege-Pauschbetrages unabhängig vom Vorliegen des Kriteriums "hilflos" bei der zu pflegenden Person, § 33b Abs. 6 EStG-E und

  • auch der Pflegepauschbetrag wird erhöht. Bei einem Grad der Behinderung von 50 % steigt der Pflegepauschbetrag auf 1.140 €, bei 100 % auf 2.840 € (§ 33b Abs. 6 EStG-E).

Das dahingehende Gesetzesvorhaben (Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen; BT-Drucks. 19/21985, 19/22816, 19/23054 Nr. 11 in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung, BT-Drucks. 19/23793) hat der Bundestag am in 2./3. Lesung angenommen.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB WAAAH-63008