BGH Urteil v. - VII ZR 69/19

Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers: Bewertung des geschaffenen Kundenstamms; Anspruch gegenüber dem Hersteller auf Auskunft über den von diesem mit dem Produkt erzielten Rohertrag

Leitsatz

1. Der Vorteil des Unternehmers oder Herstellers im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB besteht darin, die vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Geschäftsverbindungen nach Beendigung des Vertrags weiterhin nutzen zu können. Es geht damit um eine Bewertung dieses vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamms ("goodwill").

2. Ein Anspruch des Vertragshändlers gegenüber dem Hersteller auf Auskunft über den von diesem mit dem Produkt insgesamt erzielten Rohertrag zur Durchsetzung eines Ausgleichsanspruchs besteht nicht.

Gesetze: § 89b Abs 1 S 1 Nr 1 HGB, § 242 BGB

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 12 U 37/18 Urteilvorgehend LG Darmstadt Az: 12 O 247/15

Tatbestand

1Die Parteien streiten nach Beendigung eines Vertragshändlervertrags - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - über Ansprüche der Klägerin auf Auskunftserteilung über von der Beklagten für die Zeit des letzten Vertragsjahres realisierte Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für näher bezeichnete Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen sowie von Ersatzteilen, die die Klägerin nach ihrer Darstellung zur Bezifferung ihres Ausgleichsanspruchs entsprechend § 89b HGB benötigt.

2Die Beklagte ist Generalimporteurin für Fahrzeuge der Marke M.      für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Sie schloss mit der Klägerin im Juni/Juli 2003 einen "M.      -Händlervertrag Pkw" sowie einen "M.      -Servicevertrag Pkw". Durch den M.      -Händlervertrag wurde der Klägerin ein nicht exklusives Marktverantwortungsgebiet zugewiesen, es wurden Jahreszielvereinbarungen geschlossen, die Klägerin hatte die Verkaufsstandards der Beklagten einzuhalten sowie unentgeltliche Serviceleistungen unter den im Vertrag genannten Voraussetzungen zu erbringen, sie unterlag Verkaufsförderungspflichten und war außerdem verpflichtet, der Beklagten sämtliche Kundendaten zu liefern.

3Die Klägerin vertrieb neben den Produkten der Beklagten auch Fahrzeuge der Marke S.     und schloss in der Folgezeit auch einen Vertragshändlervertrag mit dem Hersteller N.    . Mit Schreiben vom beklagte die Klägerin gegenüber der Beklagten, diese erfülle die ihr obliegenden Vertragspflichten nur mangelhaft, was zu einem erheblichen Umsatzrückgang geführt habe, und schlug vor, den Vertriebsvertrag aufzuheben. Nach weiterem Schriftwechsel kündigte die Beklagte mit zwei Schreiben vom sowohl den Händlervertrag als auch den Servicevertrag fristgemäß zum .

4Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung einer Vergütung in Höhe von 50.659,95 € für die in einer Anlage A aufgeführten Ersatzteile Zug um Zug gegen Rückgabe dieser Ersatzteile verbunden mit der Feststellung verlangt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der Ersatzteile in Annahmeverzug befindet. Weiter hat sie im Wege der Stufenklage auf der ersten Stufe Auskunft über die von der Beklagten für die Zeit des letzten Vertragsjahres erzielten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) aus dem Verkauf von Neufahrzeugen an die in einer Anlage K 10 aufgeführten Mehrfachkunden sowie über die in einer Anlage B aufgeführten Verkäufe von Ersatzteilen unter Vorlage sämtlicher Unterlagen verlangt. Auf der letzten Stufe hat sie die Zahlung eines noch zu beziffernden Ausgleichs entsprechend § 89b HGB begehrt; hilfsweise hat sie die Zahlung eines Ausgleichs auf der Basis ihrer Provisionsverluste in Höhe von 105.897,06 € geltend gemacht.

5Das Landgericht hat durch Teilurteil dem Zahlungsantrag über 50.659,95 € Zug um Zug gegen Rückgabe der in der dem Urteil beigefügten Anlage A aufgeführten Ersatzteile stattgegeben und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der näher bezeichneten Ersatzteile in Annahmeverzug befindet. Es hat die Beklagte ferner unter Abweisung des weitergehenden Klageantrags zu Ziffer 3.a (Auskunft) auf der ersten Stufe zur Auskunft für den Zeitraum des letzten Vertragsjahrs vom bis zum über von ihr realisierte Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für näher bezeichnete Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen und Ersatzteilen verurteilt.

6Das Berufungsgericht hat die wechselseitigen Berufungen der Parteien zurückgewiesen. Im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung des , ZVertriebsR 2017, 111) hat es die Revision zugelassen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin für die Zeit des letzten Vertragsjahrs vom bis zum Auskunft zu erteilen über die von ihr realisierten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für näher bezeichnete Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen sowie von Ersatzteilen.

7Die Beklagte hat Revision eingelegt, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und hat zuletzt beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit ihre Berufung gegen die Verurteilung zur Auskunft über die von ihr im letzten Vertragsjahr vom bis zum realisierten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für näher bezeichnete Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen und Ersatzteilen zurückgewiesen worden ist. Die von der Beklagten vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung von 50.659,95 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe näher bezeichneter Ersatzteile und der Feststellung von Annahmeverzug hat der Senat mit gesondertem Beschluss zurückgewiesen.

Gründe

8Die Revision der Beklagten, die sich gegen die Zurückweisung ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Auskunft über die von ihr im letzten Vertragsjahr vom bis zum realisierten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für die in den Anlagen K 10 und B näher bezeichneten Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen und Ersatzteilen wendet, ist begründet.

I.

9Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in IHR 2019, 248 veröffentlicht ist, hat - soweit für die Revision von Interesse - zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Klägerin stehe ein Auskunftsanspruch zur Konkretisierung der Höhe des Ausgleichsanspruchs entsprechend § 89b HGB zu. Ein Auskunftsanspruch scheitere nicht schon daran, dass eine analoge Anwendung von § 89b HGB nach Änderung der Kfz-GVO 2002 (Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor) nicht mehr in Betracht komme. Dass die Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen sei, folge aus der Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms, der Zuordnung eines Marktverantwortungsgebiets, den Jahreszielvereinbarungen, den Verkaufsförderungspflichten, der Verpflichtung zur Einhaltung von Verkaufsstandards sowie der Serviceleistungspflicht. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, die Vertragsbeendigung sei von der Klägerin ausgegangen. Es fehle auch nicht an konkretem Vortrag der Klägerin zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 89b HGB.

10Die Klägerin sei für den Ausgleichsanspruch auf die von ihr begehrte Auskunft angewiesen. Maßgeblich seien gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB die Unternehmervorteile, die nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr durch die Höhe der Provisionsverluste des Handelsvertreters beschränkt seien. Da die Klägerin nicht über eine entsprechende Kenntnis der Unternehmervorteile verfüge, stehe ihr der Auskunftsanspruch zu. Der Verweis auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs anhand der Provisionsverluste, wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände dafür sprächen, dass die Unternehmervorteile die Provisionsverluste überstiegen (so , ZVertriebs 2017, 111), widerspreche Sinn und Zweck der mit der Neufassung des § 89b HGB vorgenommenen Gesetzesänderung als Reaktion auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (, IHR 2009, 212 - Semen). Da es dem Handelsvertreter in der Praxis kaum möglich sein werde darzulegen, dass die Unternehmervorteile die Provisionsverluste überstiegen, da dafür gerade Kenntnisse der internen Kalkulation und der internen Unternehmenssteuerung notwendig seien, würde so die europarechtskonforme Neufassung der Vorschrift ausgehöhlt. Die Erteilung der Auskunft sei für die Beklagte auch nicht unmöglich oder unzumutbar.

II.

111. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Auskunft über die von ihr im letzten Vertragsjahr vom bis zum realisierten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) für die in den Anlagen K 10 und B näher bezeichneten Verkäufe von M.      -Neufahrzeugen und Ersatzteilen zurückgewiesen hat.

12Es kann offen bleiben, ob die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Klägerin als Vertragshändlerin einen Ausgleich in entsprechender Anwendung des § 89b HGB dem Grunde nach mit Erfolg geltend machen kann, und ob die insoweit von der Revision erhobenen Rügen durchgreifen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch hinsichtlich der von der Beklagten im letzten Vertragsjahr realisierten Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) aus näher bezeichneten Verkäufen von M.      -Neufahrzeugen sowie von Ersatzteilen jedenfalls deshalb nicht zu, weil die mit der Auskunft begehrten Informationen zur Bemessung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 89b HGB nicht hinreichend aussagekräftig und daher nicht erforderlich sind.

13a) Nach § 89b Abs. 1 HGB in der seit dem geltenden Fassung kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch ist danach, dass der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit vom Handelsvertreter neu geworbenen Kunden oder einer von diesem geschaffenen, der Werbung von Neukunden entsprechenden wesentlichen Erweiterung der Geschäftsverbindung mit Bestandskunden nach Beendigung des Handelsvertretervertrags erhebliche Vorteile hat.

14aa) Der Vorteil für den Unternehmer besteht danach in der Möglichkeit, die vom Handelsvertreter aufgebaute Geschäftsverbindung zu Neukunden oder einer dieser gleichstehenden wesentlichen Erweiterung einer bestehenden Geschäftsverbindung zu einem Kunden nach Beendigung des Handelsvertretervertrags zu weiteren Geschäftsabschlüssen zu nutzen. Erforderlich ist eine Prognose im Zeitpunkt der Beendigung des Vertrags. Dass oder in welchem Umfang der Unternehmer tatsächlich nach Beendigung des Handelsvertretervertrags Geschäfte mit diesen Kunden schließt, ist dagegen für das Vorliegen eines erheblichen Vorteils ohne Bedeutung (vgl. Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl., § 89b Rn. 15; Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 89b HGB Rn. 100 ff.; Thume, IHR 2011, 7, 12 f.; , BGHZ 42, 244; vgl. auch Urteil vom - I ZR 2/89, NJW 1990, 2889, juris Rn. 26). Der Ausgleichsanspruch dient dazu, die Schaffung eines Kundenstamms durch den Handelsvertreter abzugelten, den der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags weiter nutzen kann (vgl. Rn. 29, NJW-RR 2011, 389; Urteil vom - VIII ZR 25/08 Rn. 19, NJW-RR 2010, 1263; Urteil vom - VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66, juris Rn. 41).

15Diese Grundsätze gelten entsprechend für den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers. Da dem Vertragshändler ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 89b Abs. 1 HGB nur dann zusteht, wenn er verpflichtet ist, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (vgl. Rn. 11, 19, ZVertriebsR 2016, 120; Urteil vom - VII ZR 315/13 Rn. 11, ZVertriebsR 2015, 122; Urteil vom - VIII ZR 209/07 Rn. 17 m.w.N., NJW 2011, 848), kommt es auch für den vom Vertragshändler zu beanspruchenden Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 89b Abs. 1 HGB für den Umfang der Unternehmervorteile darauf an, welchen Wert der vom Vertragshändler geschaffene Kundenstamm für den Hersteller oder Lieferanten hat.

16Die Vorteile des Unternehmers bestehen regelmäßig mindestens in dem Umfang, in dem der Handelsvertreter durch die Vertragsbeendigung Provisionen aus Geschäften mit ausgleichsfähigen Kunden verliert oder der Vertragshändler Einkaufsrabatte mit solchen Kunden nicht mehr in Anspruch nehmen kann (vgl. Rn. 20, NJW-RR 2011, 389; Urteil vom - VIII ZR 25/08 Rn. 17, NJW-RR 2010, 1263; Urteil vom - I ZR 2/89, NJW 1990, 2889, juris Rn. 29). Der Vorteil des Herstellers oder Lieferanten besteht dementsprechend in den dem Vertragshändler im Vertrag gewährten Einkaufsrabatten, die infolge der Vertragsbeendigung entfallen. Denn es entspricht einer Wirtschaftlichkeitsvermutung, dass der Unternehmer in dem Umfang, in dem er sich dem Handelsvertreter zur Zahlung von Provision verpflichtet hat, tatsächlich Vorteile aus den Geschäften mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden zieht. Entsprechendes gilt im Verhältnis Vertragshändler zum Hersteller, wenn sich dieser dem Vertragshändler zur Gewährung von Einkaufsrabatten verpflichtet hat (vgl. Rn. 55, ZVertriebsR 2017, 111; Korte, DB 2011, 2761, 2763).

17bb) Dieses Verständnis des Begriffs der Unternehmervorteile ist auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom - C-348/07, IHR 2009, 212) weiter maßgeblich (vgl. Rn. 15, IHR 2010, 154; Urteil vom - VIII ZR 171/08 Rn. 15, NJW-RR 2010, 43; Emde, WRP 2010, 844, 847; Westphal, DB 2010, 1333, 1336; Christoph, NJW 2010, 647, 649). Der Gerichtshof hat den Begriff des Unternehmervorteils nicht neu definiert, sondern ausgesprochen, dass die Unternehmervorteile nicht von vornherein durch die Provisionsverluste des Handelsvertreters begrenzt sind (vgl. Rn. 24 f., IHR 2009, 212).

18Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zudem auf den Bericht der Kommission über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter vom (KOM [96] 364 endg) hingewiesen ( Rn. 22, IHR 2009, 212), der detaillierte Angaben über die tatsächliche Berechnung des Ausgleichs enthält und eine einheitliche Auslegung der Vorschrift erleichtern soll (vgl. auch Rn. 35, EuZW 2006, 341). In dem Bericht wird ausgeführt, dass der Ausgleich die fortwährenden Vorteile darstelle, die der Unternehmer aus der Arbeit des Handelsvertreters zieht. Der Handelsvertreter erhalte nur während der Dauer des Vertragsverhältnisses eine Provision, die den Wert des für den Unternehmer erwachsenen "goodwill" nicht typischerweise wiedergebe. Aus diesem Grund sei die Zahlung eines "goodwill-Ausgleichs" kommerziell gerechtfertigt. Danach betreffen die Unternehmervorteile, die durch den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ausgeglichen werden sollen, den "goodwill", also den durch die vom Handelsvertreter durch die geworbenen Neukunden geschaffene oder die Erweiterung der Geschäftsbeziehung zu bestehenden Kunden herbeigeführte Steigerung des Geschäfts- oder Firmenwerts des Geschäftsbetriebs des Unternehmers. Aus dem Bericht der Kommission (KOM [96] 364 endg, S. 2) geht außerdem hervor, dass das Ausgleichssystem in Art. 17 der Richtlinie in Anlehnung an § 89b HGB gestaltet wurde.

19cc) Der vom Unternehmer mit dem betreffenden Produkt insgesamt erzielte Rohertrag, der diesem von seinen Erlösen nach Abzug der variablen Kosten verbleibt, ist jedenfalls keine taugliche Grundlage für die Berechnung der Vorteile des Unternehmers im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB, weshalb ein darauf gerichteter Auskunftsanspruch des Handelsvertreters nicht besteht. Für die Berechnung der Vorteile des Herstellers bei einer analogen Anwendung von § 89b HGB gilt Entsprechendes.

20Denn der Vorteil des Unternehmers besteht darin, die vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffene Geschäftsverbindung nach Beendigung des Vertrags weiterhin nutzen zu können. Es geht damit um eine Bewertung des vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamms. Dieser Wert ist von der Gewinnmarge zu unterscheiden, die der Unternehmer insgesamt mit dem Vertrieb des Produkts erzielen kann. Der Beitrag des Handelsvertreters zu dem vom Unternehmer erzielten Gewinn besteht in der Vermittlung von Geschäften für den Unternehmer, für die er die vertraglich vereinbarte Provision erhält; der Handelsvertreter ist dagegen nicht für die Herstellung und die Qualität des vertriebenen Produkts verantwortlich. Der Vertragshändler, dem in entsprechender Anwendung des § 89b HGB nach Beendigung des Vertrags ein Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer zusteht, ist vergleichbar einem Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert und in gleicher Weise zur Förderung des Vertriebs des vom Unternehmer hergestellten Produkts und nach Beendigung des Vertrags zur Übertragung des Kundenstamms verpflichtet. Für ihn gelten diese Erwägungen deshalb entsprechend.

21dd) Es kann dahinstehen, ob in anderen Fällen ein Auskunftsanspruch des Handelsvertreters oder Vertragshändlers gegen den Unternehmer oder Hersteller als (nach)vertragliche Nebenpflicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht zu ziehen ist, beispielsweise wenn der Handelsvertreter oder Vertragshändler weitergehende Unternehmervorteile als Grundlage seines Ausgleichsanspruchs auf einen von ihm behaupteten höheren Wert des von ihm geschaffenen Kundenstamms stützt (vgl. Emde, WRP 2010, 844, 848; Semler BB 2009, 2327, 2328), der Unternehmer oder Hersteller bei Veräußerung seines Unternehmens im Hinblick auf den vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geworbenen Kundenstamm einen entsprechend höheren Übernahmepreis erzielt (vgl. , NJW 1996, 1752, juris Rn. 10 ff.) oder wenn kein Provisionsverlust oder Wegfall von Einkaufsrabatten in Rede steht - wie etwa bei Einmalprovisionen oder dem Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter -, der Unternehmer aus dem vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamm nach Vertragsbeendigung jedoch weiter Vorteile zieht (vgl. , juris Rn. 33; Emde, WRP 2010, 844, 849; Westphal, DB 2010, 1333, 1334 ff.).

22b) Die von der Klägerin begehrte Auskunft betrifft den von der Beklagten mit den von der Klägerin im letzten Vertragsjahr an Neukunden vertriebenen Neufahrzeugen und Ersatzteilen erzielten bilanzrechtlichen Deckungsbeitrag I, der ein Synonym für den Rohertrag eines Produkts oder einer Produktgruppe darstellt. Er wird definiert durch die Formel: Deckungsbeitrag I = Erlöse abzüglich variable Kosten (vgl. Gabler, Wirtschaftslexikon, C-F, 18. Aufl., S. 698). Dieser Parameter ist mit den Vorteilen, die Grundlage des Ausgleichsanspruchs entsprechend § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB sind, nicht identisch. Es ist auch kein Erfahrungssatz dahingehend ersichtlich, dass dem vom Vertragshändler geschaffenen Kundenstamm, den der Hersteller nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nutzen kann, ein objektiv zu ermittelnder, bestimmter prozentualer Bruchteil des vom Hersteller mit dem vom Vertragshändler vertriebenen Produkt insgesamt erzielten Rohertrags zugeordnet werden kann. Auch die Klägerin zeigt die Relevanz der von ihr begehrten Information für die Berechnung der Vorteile nicht auf.

232. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben, soweit dieses die Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Auskunft über den von ihr mit den von der Klägerin im letzten Vertragsjahr an Neukunden vertriebenen Neufahrzeugen und Ersatzteilen erzielten Deckungsbeitrag (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) zurückgewiesen hat. Insoweit ist das Berufungsurteil auf die Rechtsmittel der Beklagten aufzuheben und die Klage in Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen. Der Senat kann gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das gestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. Über den von der Klägerin auf der letzten Stufe geltend gemachten, beim Landgericht rechtshängigen Ausgleichsanspruch wird bei Fortführung des Verfahrens beim Landgericht zu befinden sein.

III.

24Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:240920UVIIZR69.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2433 Nr. 44
BB 2020 S. 2770 Nr. 49
DB 2020 S. 2460 Nr. 46
DStR 2020 S. 12 Nr. 44
NJW 2020 S. 9 Nr. 45
NJW 2021 S. 69 Nr. 1
WM 2021 S. 2010 Nr. 41
ZIP 2021 S. 86 Nr. 2
YAAAH-61221