Online-Nachricht - Freitag, 16.10.2020

Verfahrensrecht | Keine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist (FG)

Krankheit ist nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken wegen seines Zustandes nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch das Handeln eines Dritten zu wahren. Die Krankheit muss daher plötzlich und in einer Schwere auftreten, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen ().

Hintergrund: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 110 Abs. 2 AO).

Sachverhalt: Streitig ist im Klageverfahren, ob die Antragstellerin fristgerecht Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung erhoben hat.

Die Festsetzung des Kindergeldes wurde mit Bescheid im November 2017 aufgehoben. Im November erlitt die Antragstellerin einen Unfall und brach sich die Hand, weshalb sie die Einspruchsfrist verpasste. Im Januar 2020 wandte sich die Antragstellerin gegen den Bescheid und berief sich auf § 110 AO. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lag dem Schreiben bei. Des Weiteren begründete die Antragstellerin, dass ihre Tochter länger krank gewesen sei.

Das FG lehnte den Antrag als unbegründet ab:

  • Nach § 110 Abs. 1 AO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Schuldmaßstab ist nicht die im Rechtsverkehr erforderliche (§ 276 Abs. 2 BGB), sondern diejenige Sorgfalt, die den Betroffenen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles und seiner persönlichen Verhältnisse zugemutet werden kann. Bereits bei leichter Fahrlässigkeit ist ein Wiedereinsetzungsantrag regelmäßig abzulehnen.

  • Eine eigene Krankheit ist jedoch nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken wegen seines Zustandes nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch das Handeln eines Dritten zu wahren. Dies bedeutet, dass die Krankheit plötzlich und in einer Schwere auftreten muss, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen.

  • Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall offensichtlich nicht vor, da eine Fraktur der rechten Hand infolge eines Arbeitsunfalls nicht dazu führt, dass ihr die Einlegung des Einspruchs, ggf. unter Zuhilfenahme eines Dritten, nicht mehr zuzumuten war.

  • Zwar erscheint es glaubhaft, dass sie sich um die in ihrem Haushalt lebende Tochter kümmerte. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass sie die bereits 22-jährige und ein Universitätsstudium absolvierende Tochter so intensiv betreuen musste, dass es der Antragstellerin nicht mehr zuzumuten war, ihren sonstigen Verpflichtungen nachzukommen.

Quelle: (JT)

Fundstelle(n):
NWB EAAAH-61206