Online-Nachricht - Donnerstag, 15.10.2020

Einkommensteuer | Steuerbarkeit einer als "Verdienstausfall" bezeichneten Versicherungsleistung (BFH)

Erhält ein im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses 12-jähriges Verkehrsunfallopfer von der Versicherung des Schädigers nach Schweizer Recht Ersatz für den verletzungsbedingt erlittenen, rein hypothetisch berechneten Erwerbs und Fortkommensschaden, kommt eine Anwendung von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht in Betracht, wenn die Vereinbarung der an der Schadensregulierung Beteiligten trotz der Bezeichnung der gewährten Versicherungsleistung als "Verdienstausfall" nicht dahin gedeutet werden kann, dass damit Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten, d.h. bestimmten oder jedenfalls hinreichend bestimmbaren Einkunftsquelle i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gezahlt werden sollte (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Die im Jahr 1991 geborene Klägerin wurde in 2003 Opfer eines schweren Autounfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen körperlichen und geistigen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 %); aufgrund ihrer Schädigung ist sie zeitlebens nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen oder Arbeitseinkommen zu erzielen.

Streitig ist die Steuerbarkeit einer der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr (2015) zugeflossenen Versicherungsleistung i. H. von 695.094 €. Die Versicherungsleistung wurde als „Verdienstausfall“ bezeichnet, welche das FA gem. § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterwarf. Die Klägerin führte aus, dass die Leistung mithin nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden oder auch nur geplanten Erwerbstätigkeit der seinerzeit 12-jährigen Klägerin sei, sondern als sog. "hypothetischer Erwerbsausfallschaden" im Rahmen der "Genugtuung" nach schweizerischem Zivilrecht gezahlt worden war und stelle damit eine nicht steuerbare Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Die 57.110 € Rechtsanwaltskosten aus dem Prozess gegen die Versicherung seien auch nicht als Werbungskosten abziehbar, sondern als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Der BFH entschied zugunsten der Klägerin und führte aus:

  • Der Einkommensteuerbescheid für 2015 wird dahin geändert, dass die der Klägerin gewährte Versicherungsleistung i. H. von 695.094 € nicht mehr als steuerbare Entschädigung für entgehende Einnahmen (§§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) angesetzt wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten i. H. von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

  • Steht einem im Kindesalter geschädigten Steuerpflichtigen nach dem insoweit einschlägigen (nationalen) Schadenersatzrecht auch der Ersatz eines solchen (abstrakten) Erwerbs- und Fortkommensschadens zu etwa weil ohne konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein junger Mensch auf Dauer seine Möglichkeiten, gewinnbringend tätig zu sein, nicht nutzen und ohne Einkünfte bleiben wird (vgl. ) und wird damit im Ergebnis lediglich eine dem Geschädigten entzogene Chance, sich ein Erwerbsleben aufzubauen, im Wege der Schadensregulierung entgolten, kann aus einem im Rahmen dieser Regulierung erforderlichen prognostizierten Verlauf eines rein hypothetischen Erwerbslebens grundsätzlich weder auf eine bestimmte Einkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) noch auf die Steuerbarkeit der hierbei lediglich abstrakt unterstellten Einkünfte geschlossen werden.

  • Es fehlt insoweit schon an einer bestimmten (d.h. möglichen) Einkunfts- bzw. Erwerbsquelle der Klägerin und mithin auch an der erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen. Diese Grundsätze sind auch auf die im Streitfall nach ausländischem Recht gewährte Entschädigung entsprechend anzuwenden.

Anmerkung von Dr. Nils Trossen, Richter im IX. Senat des BFH:

Die Entscheidung befasst sich mit der schwierigen Frage, wann Ersatz für entgehende steuerbare Einnahmen i.S. des § 24 Abs. 1 Nr. 1 EStG und wann ein nicht steuerbarer Vermögenszufluss vorliegt. Die Entschädigung muss sich hypothetisch, aber auch eindeutig einer bestimmten Einkunftsart zuordnen lassen. Die Frage ist bei Abfindungen im Rahmen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder Abstandszahlungen bei vorzeitiger Auflösung eines Mietverhältnisses in der Praxis einfach zu beantworten. Schwieriger ist es hingegen, wenn es sich um Leistungen nach einem schädigenden Ereignis wie im Streitfall einem Unfall geht und der Betroffene teilweise oder ganz erwerbsunfähig ist.

Hier können in der gezahlten Summe Beträge enthalten sein, die unmittelbar einen Erwerbs- und Fortkommensschaden nach § 842 BGB ausgleichen. Es können mit der Zahlung aber auch teilweise oder ganz nicht steuerbare Einnahmen ersetzt werden, z.B. medizinische Behandlungskosten, Schmerzensgeld oder verletzungsbedingter Mehraufwand. Selbst wenn die Beteiligten mit dem gezahlten Betrag ausdrücklich einen Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen wollen, bedeutet dies nicht automatisch die Steuerbarkeit der Zahlung, z.B. als Entschädigung für den Ersatz von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Voraussetzung ist auch hier, dass zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen eine nachvollziehbare kausale Verknüpfung besteht. Die bloße Bezeichnung im zivilrechtlichen Vergleich, wonach die Zahlung „Verdienstausfall“ abgelten soll, genügt nicht. Ebenso wenig reicht die bloße Vermutung, der Geschädigte erziele nach allgemeiner Lebenserfahrung zukünftig aufgrund einer zukünftigen Erwerbstätigkeit steuerbare Einnahmen in einer bestimmten Höhe (Annahme eines „hypothetischen Erwerbslebens“). Denn oftmals steht – wie im Streitfall – noch gar nicht fest, wie das zukünftige Erwerbsleben verlaufen wird. Vielmehr spricht einiges dafür, dass mit der Zahlung kein konkret einer Berufstätigkeit zugeordneter Erwerbsschaden abgegolten wird, sondern die allgemeine und durch die Schadenshandlung entzogene Chance, sich ein Erwerbsleben aufzubauen. Der dafür gezahlte Betrag kann aber keiner konkreten und hinreichend bestimmbaren Einkunftsart zugeordnet werden.

Für die Beratungspraxis weiter von Bedeutung sind die Ausführungen des BFH zum Ersatz des „Steuerschadens“. Denn ist die gezahlte Entschädigungsleistung steuerbar, entsteht dem Geschädigten in Gestalt der Steuerlast ein weiterer Nachteil, der im Rahmen der Abfindungsverhandlungen zu berücksichtigen ist. Wird ein solcher Steuernachteil im Rahmen der Schadensregulierung ausdrücklich berücksichtigt, stellt dies ein Indiz für die Zuordnung zu einer Einkunftsart und damit die Steuerbarkeit der Entschädigungszahlung dar.

Quelle: ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB BAAAH-61139