BFH Beschluss v. - V B 9/19

Versagung des Vorsteuerabzugs bei fehlender Identität von Leistendem und Leistungsempfänger; Divergenz

Leitsatz

1.NV: Divergenz liegt nur dann vor, wenn das FG bei einem gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalt in einer bestimmten entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abweicht.

2. NV: Stützt das FG die Versagung des Vorsteuerabzugs auf die fehlende Identität von Leistendem und Rechnungsausteller, liegt darin keine Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH in der Sache PPUH Stehcemp (, EU:C:2015:719).

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet. Die Revision ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.

2 1. Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz des angefochtenen Urteils des Finanzgerichts (FG) zum Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) PPUH Stehcemp vom  - C-277/14 (EU:C:2015:719, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2015, 1182) liegt nicht vor.

3 a) Eine Divergenz, die eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO rechtfertigt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (Senatsbeschluss vom  - V B 43/14, BFH/NV 2015, 68, sowie , BFH/NV 2013, 1816). Eine Divergenz liegt allerdings nur dann vor, wenn das FG bei einem gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalt in einer bestimmten entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der —dieselbe Rechtsfrage betreffenden— Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abweicht (Senatsbeschluss vom  - V B 20/08 , BFH/NV 2010, 1616; , BFH/NV 2010, 443, m.w.N.).

4 b) Die Klägerin macht ohne Erfolg geltend, das Urteil des FG weiche von dem EuGH-Urteil PPUH Stehcemp (EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182) ab. Danach dürfe das Recht auf Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des UmsatzsteuergesetzesUStG—) nicht mit der Begründung versagt werden, dass „die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der (.) als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen“ (EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182, 2. Leitsatz, sowie Rz 24). Das Kriterium der Existenz des Lieferers der Gegenstände oder seine Berechtigung zur Ausstellung von Rechnungen gehörten nicht zu den Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug (EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182, Rz 33).

5 c) Der Senat kann offen lassen, ob das FG tatsächlich abstrakte Rechtssätze aufgestellt hat, die den Rechtssätzen des EuGH in der Entscheidung PPUH Stehcemp (EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182) widersprechen. Denn den Rechtssätzen der EuGH-Entscheidung und des FG-Urteils liegen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde:

6 aa) Im Verfahren PPUH Stehcemp (EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182) ging es um den Vorsteuerabzug der Klägerin aus der Lieferung von Dieselkraftstoff durch eine Firma „finnet“. Die Rechnungen über die Kraftstoffeinkäufe wiesen „finnet“ auch als Leistenden aus. Gleichwohl versagte der polnische Fiskus den Vorsteuerabzug, da „finnet“ aus mehreren Gründen nicht existent sei (Gesellschaft sei nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert, sie gebe keine Steuererklärung ab, entrichte keine Steuern, veröffentliche ihre Jahresabschlüsse nicht, verfüge nicht über eine Konzession zum Verkauf von Flüssigkraftstoffen und ihr Geschäftsgebäude sei in einem heruntergekommenen Zustand), sodass von ihr auch keine Lieferung von Dieselkraftstoff erfolgt sein könne (vgl. EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182, Rz 31 und 32). In dieser Fallgestaltung entschied der EuGH, dass die festgestellten „Unregelmäßigkeiten“ den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, da die Behandlung eines Steuerpflichtigen als „nicht existent“ wegen Nichteinhaltung von formalen Vorgaben nichts darüber aussagt, ob er wirtschaftlich tätig ist und tatsächlich trotz dieser Gegebenheiten nicht doch Leistungen erbringt. Die formalen Feststellungen der polnischen Steuerverwaltung schlossen somit weder die Eigenschaft als Steuerpflichtiger noch eine Lieferung aus.

7 bb) Der Sachverhalt des FG-Urteils unterscheidet sich davon jedoch in entscheidungserheblicher Weise. Anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall gab es nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) keine Anhaltspunkte dafür, dass die jeweiligen Rechnungsaussteller (Firmen „A“, „B“, „C“) überhaupt Lieferungen an die Klägerin erbracht hatten. Denn alle drei Firmen hatten bestritten, Geschäftskontakte zu der Klägerin bzw. zu deren Geschäftsführern unterhalten zu haben; ferner hatte es die Klägerin als naheliegend eingeräumt, dass Herr B die Rechnungen bestehender Firmen fingiert und seine eigene Ware verkauft habe (S. 7 des FG-Urteils). Die Versagung des Vorsteuerabzugs beruht somit darauf, dass es an der —nach ständiger Rechtsprechung für den Vorsteuerabzug erforderlichen— Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller fehlt (, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2020, 298; vom  - V R 47/16, BFHE 264, 76, sowie vom  - V R 17/14, BFH/NV 2016, 80; s.a. , BFH/NV 2010, 259).

8 cc) Das Erfordernis der Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer entspricht nach der Senatsrechtsprechung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 264, 76) auch der Rechtsprechung des EuGH, der zufolge die Angabe der Anschrift, des Namens und der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Rechnungsausstellers es ermöglichen soll, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und dem Rechnungsaussteller herzustellen. Wie der Senat in dem o.g. Urteil bereits entschieden hat, weicht er mit dieser Auffassung auch nicht von dem EuGH-Urteil PPUH Stehcemp (EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182) ab, wenn feststeht, dass die Rechnungsaussteller die Lieferungen, aus denen der Vorsteuerabzug begehrt wird, nicht ausgeführt haben. In diesem Falle vermögen die Rechnungen nicht die erforderliche Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion (hier: Lieferungen von Textilien) und den Rechnungsausstellern (hier: „A“, „B“ und „C“) herzustellen.

9 2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO (Fortbildung des Rechts) im Hinblick auf die Rechtsfrage zuzulassen, „ob es mit der Vorsteuerabzugsregelung der Sechsten Richtlinie vereinbar ist, einem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung zu versagen, die falsche Angaben zur Identität des als Lieferer bezeichneten Unternehmers enthält“.

10 a) Die Zulassung zur Fortbildung des Rechts ist ein Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung (Senatsbeschluss vom  - V B 53/18, BFH/NV 2019, 1062; , BFH/NV 2018, 705, Rz 5); beide Zulassungsgründe setzen daher eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus.

11 b) Vorliegend ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Denn nach den o.g. Ausführungen (unter 1.c cc) ist durch die ständige Rechtsprechung des BFH bereits geklärt, dass bei fehlender Identität von Aussteller und tatsächlich Leistendem der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.

12 3. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

13 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.150720.VB9.19.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2020 S. 1293 Nr. 12
UStB 2020 S. 347 Nr. 11
HAAAH-61056