BGH Urteil v. - 5 StR 543/19

Niedrige Beweggründe bei einem versuchten "Ehrenmord": Objektiver und subjektiver Bewertungsmaßstab bei einem afghanischen Angeklagten; Maßgeblichkeit inländischer Rechtsmaßstäbe

Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 211 Abs 2 Alt 4 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 21 Ks 2/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Nebenklägerin, die mit der Sachrüge die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes erstrebt, hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten erweist sich hingegen als unbegründet.

I.

21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

3Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 54-jährige Angeklagte wurde in Afghanistan geboren. Seine Ehefrau - die Nebenklägerin - war zur Zeit der von ihren Eltern arrangierten Eheschließung 13 Jahre alt. Aus der Ehe sind fünf Kinder hervorgegangen. Die Familie reiste 2015 nach Deutschland ein. Schon zuvor war es zwischen den Eheleuten zu Streitigkeiten gekommen, bei denen der Angeklagte sich gegenüber der Nebenklägerin und den Kindern dominant und autoritär verhalten und seine Stellung als Familienoberhaupt eingefordert hatte.

4In Deutschland häuften sich die Auseinandersetzungen sowohl zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin als auch zwischen ihm und den heranwachsenden Söhnen, die mehr Freiheiten für sich beanspruchten. Während sich die Nebenklägerin auf die geänderten Lebensverhältnisse in Deutschland einzustellen vermochte und ein selbstbestimmtes Leben erhoffte, war der seiner kulturellen Tradition verhaftete Angeklagte auch aufgrund seiner Wesensart nicht dazu bereit, sich mit den für ihn fremden Lebensgewohnheiten zu arrangieren. Das betraf besonders sein „unantastbares“ Verständnis von der Rollenverteilung in der Ehe. Zwar erfasste er intellektuell die kulturellen Unterschiede in der Lebensweise, war jedoch nicht gewillt, sich an diese anzupassen. In Konfliktsituationen wurde der Angeklagte aggressiv und lautstark sowie immer öfter gegenüber seiner Frau und den Kindern gewalttätig. Zudem drohte er seiner Frau damit, sie zu töten. Er machte sie darüber hinaus dafür verantwortlich, dass sich das Jugendamt in „seine privaten Angelegenheiten“ einmischte und er sich etwa sagen lassen musste, dass er seine Frau und die Kinder nicht schlagen dürfe. Dies empfand der Angeklagte als schwerwiegende Ehrverletzung und beschimpfte deswegen die Nebenklägerin. Zudem äußerte er den - unberechtigten - Verdacht, sie unterhalte ein außereheliches Verhältnis. Anfang August 2018 bedrohte der Angeklagte sie in diesem Zusammenhang mit einem Küchenmesser und äußerte erneut, sie töten zu wollen. In der Folge trennte sich die Nebenklägerin von ihm. Das Amtsgericht ordnete ein Kontaktverbot an.

5Der Angeklagte mobilisierte daraufhin in der Umgebung lebende Landsleute, um die Nebenklägerin zur Rückkehr zu bewegen. Daneben wandte er sich unter anderem mit täglichen Sprachnachrichten an seinen ältesten Sohn, passte ihn auf dem Weg zur Schule oder zum Sport ab und gab ihm zu verstehen, dass er dafür verantwortlich sei, die Mutter zurückzuholen. Ferner drohte der Angeklagte dem Sohn wiederholt damit, dass er die Nebenklägerin und die Kinder töten werde, wenn sie nicht zurückkämen; die Kinder sollten mit ihrer Mutter „die letzten Worte“ sprechen.

62. Die Trennung von seiner Frau und seinen fünf minderjährigen Kindern im August 2018, an der nach Überzeugung des Angeklagten „die Fremden“ schuld waren, bestimmte fortan sein Denken und Handeln. Dass seine Bemühungen, Ehefrau und Kinder zurückzuholen, erfolglos blieben, empfand er als große Ehrverletzung.

7Am Vormittag des Tattages forderte der Angeklagte seinen Sohn erneut auf, die Mutter zurückzubringen. Schließlich entschloss sich der Angeklagte, die Nebenklägerin selbst aufzusuchen. In Umsetzung dieses Plans begab er sich zu ihrem Wohnort und traf dort auf sie und die beiden jüngsten Kinder. Der Angeklagte forderte die Nebenklägerin auf, zu ihm zurückzukehren, was diese nachhaltig ablehnte. Erzürnt hierüber und über ihren beharrlichen Widerstand, verfolgte der körperlich weit überlegene Angeklagte mit einer leeren Wodkaflasche die Nebenklägerin, die sich aus Angst vor ihm unter Zurücklassen des Sohnes und der im Kinderwagen befindlichen Tochter schnell entfernte. Als sie einmal stehen blieb, um nach ihrem sie rufenden Sohn zu schauen, holte der Angeklagte die Nebenklägerin ein und schlug mit dem verstärkten Flaschenboden mehrmals auf ihren mit einer Kapuze geschützten Kopf. Insgesamt schlug der Angeklagte vier bis sechs Mal zu, auch nachdem die Flasche zerbrochen war. Dabei nahm er tödliche Verletzungen der Nebenklägerin zumindest billigend in Kauf. Der Angeklagte kniete sich nun über die zu Boden gegangene Nebenklägerin und setzte dazu an, ihr mit der abgebrochenen Flasche in den Hals zu stechen. Durch das Eingreifen zweier Passanten gelang es schließlich, den Angeklagten kampfunfähig zu machen.

II. Revision der Nebenklägerin

81. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin hat Erfolg. Denn das Landgericht hat rechtsfehlerhaft das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe nicht erörtert.

9a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe einer Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2006, 284, 285; Beschluss vom - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011; Urteil vom - 5 StR 379/18). Allein ein schweres Missverhältnis zwischen Anlass der Tat und Tötung genügt für sich genommen nicht. Maßgebend sind vielmehr die Gesamtumstände, zu denen auch Besonderheiten in der Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation zur Tatzeit gehören.

10b) Nach diesen Maßstäben hätte sich das Landgericht gedrängt sehen müssen, das Vorliegen des Mordmerkmals in den Urteilsgründen zu erörtern. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen und Wertungen versuchte der Angeklagte, seine Frau aus Wut und Ärger darüber zu töten, dass sie nicht zu ihm zurückkehren wollte. Derartige Beweggründe sind nach einhelliger Auffassung als niedrig einzustufen, wenn sie ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (; vom - 4 StR 375/00; Beschluss vom - 5 StR 341/05). Hierzu hat die Strafkammer ausgeführt, dass sich der Angeklagte von seinem Rollenverständnis und dem daraus resultierenden Herrschaftsanspruch über seine Familie leiten ließ, weswegen er sich berechtigt sah, auch „schwerwiegendere Maßnahmen“ gegen seine Frau zu ergreifen, die lediglich ihrem berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben Geltung verschaffen wollte. All dies empfand der Angeklagte als schwerwiegende Ehrverletzung. Das Tötungsmotiv der Wiederherstellung der Ehre ist grundsätzlich objektiv als niedrig anzusehen ().

11Dass sich das Landgericht mit der Frage, ob das Mordmerkmal vorliegt, im Urteil nicht befasst hat, erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Dies gilt umso mehr, als sich das insoweit sachverständig beratene Landgericht davon überzeugt hat, dass der Angeklagte die kulturellen Unterschiede zu seinem „traditionellen“ Vorstellungsbild von Ehe und Familie intellektuell erfasst hatte, nur unwillig war, sich darauf einzustellen und diese zu akzeptieren.

122. Die nach alledem erforderliche Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Totschlags - wobei die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs für sich genommen nicht zu beanstanden ist - nötigt auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung.

13Die Feststellungen bleiben aufrechterhalten, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie nicht zu den bisherigen in Widerspruch stehen.

III. Revision des Angeklagten

141. Die Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 247 StPO wegen einer unzureichenden Begründung des den Ausschluss des Angeklagten anordnenden Beschlusses gerügt wird, versagt. Der Rüge liegt zugrunde, dass das Landgericht für die Dauer der Vernehmung des minderjährigen Sohnes des Angeklagten und des Tatopfers die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer angeordnet hat. In dem Beschluss hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 247 Satz 2 StPO gegeben seien. Es liege nicht nur ein durch die familiäre Konstellation bedingter erheblicher Interessenkonflikt vor, der minderjährige Sohn habe auch Angst vor seinem Vater, der ihn schon mehrmals bedroht habe. Dies begründe die Gefahr eines erheblichen Nachteils für die weitere Entwicklung des Zeugen.

15Ungeachtet der vom Generalbundesanwalt aufgeführten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge erweist sich diese schon auf der Grundlage des Revisionsvortrags als unbegründet. Aufgrund der vom Landgericht angeführten Umstände durfte es im Rahmen seines Ermessens von einer Gefährdung des seelischen Wohls des Zeugen ausgehen. Diese Besorgnis hat es mit dem Hinweis auf die familiäre Konstellation und die vom Zeugen bekundete Angst vor dem Vater auch auf hinreichend konkrete Tatsachen gestützt. Einer weiteren Spezifizierung der zu befürchtenden Nachteile für den Zeugen - wie von der Revision gefordert - bedurfte es angesichts der angeführten Bedrohungssituation nicht.

162. Die Überprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:220720U5STR543.19.0

Fundstelle(n):
IAAAH-60010