BGH Beschluss v. - V ZB 138/19

Wiedereinsetzungsantrag nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Irrtümliche Telefaxübersendung einer nicht unterschriebenen Berufungsbegründung durch eine Kanzleimitarbeiterin; Hinweispflicht des Gerichts bei ergänzungsbedürftigem Vortrag

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 139 Abs 1 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 7 U 1373/19vorgehend LG München I Az: 29 O 7932/18

Gründe

I.

1Die Klägerin hat gegen ein Urteil des Landgerichts, mit dem ihre Klage abgewiesen worden ist, am fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde bis zum verlängert. An diesem Tag ging bei dem Oberlandesgericht eine nicht unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift per Telefax ein. Das unterzeichnete Original ging auf dem Postweg am ein.

2Nachdem der Vorsitzende des Berufungssenats die Klägerin mit Verfügung vom auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, hat diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, die Versendung der nicht unterzeichneten Berufungsbegründung beruhe auf einem Versehen der Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten. Die Ausfertigung und das Absenden von Schriftsätzen in seiner Kanzlei erfolge in der Weise, dass ihm die Unterschriftenmappe mit dem Originalschriftsatz sowie mit sämtlichen Abschriften vorgelegt werde, er den Originalschriftsatz und die beglaubigten Abschriften unterzeichne und die Unterschriftenmappe der zuständigen Mitarbeiterin mit der Anweisung übergebe, den unterzeichneten Schriftsatz per Telefax zu übersenden. Auch hier sei die Anweisung erteilt worden, die unterzeichnete Berufungsbegründung zu faxen. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Klägerin auf die eidesstattlichen Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten und der Rechtsanwaltsangestellten A.       berufen.

3Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

4Das Berufungsgericht meint, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO lägen nicht vor, da die Klägerin ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht ausgeräumt habe. Die Schilderung der zur Fristversäumung führenden Umstände sei nicht schlüssig, weil nicht erläutert werde, wie es zur Übersendung der nicht unterzeichneten Berufungsbegründung habe kommen können. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mache nur Angaben zum üblichen Verfahren. Eine Schilderung des konkreten Sachverhalts unterbleibe. Der Vortrag sei auch nicht nachvollziehbar. Der per Fax übermittelte Schriftsatz hätte, wenn das Verfahren so wie geschildert abgelaufen wäre, einen Ausfertigungsstempel tragen müssen. Auch die Mitarbeiterin A.        spreche in ihrer eidesstattlichen Versicherung von der Versendung einer nicht unterzeichneten „Ausfertigung“. In Widerspruch dazu enthalte der an das Berufungsgericht per Fax übermittelte Schriftsatz, anders als die danach per Post übermittelten Schriftsätze, keinen Ausfertigungsstempel. Die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin A.       sei zudem nicht zur Glaubhaftmachung geeignet. Sie enthalte überwiegend keine eigenen Angaben, sondern beziehe sich pauschal auf den Wiedereinsetzungsantrag und die eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigen der Klägerin. In diesen werde die Mitarbeiterin nicht namentlich als diejenige genannt, die die Übersendung der Berufungsbegründung veranlasst habe und der die Anweisung erteilt worden sei.

III.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat der Klägerin den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368 mwN).

72. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Sie war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233 Abs. 1 ZPO). Die Fristversäumung beruht auf einem der Klägerin nicht zurechenbaren Fehler der Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten bei der Versendung der Berufungsbegründung per Telefax.

8a) Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Schilderung der konkreten Umstände, die zur Übersendung einer nicht unterzeichneten Berufungsbegründung per Fax geführt haben, nicht schlüssig und nachvollziehbar sei. Die Klägerin hat dargelegt und durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigen glaubhaft gemacht, dass er seiner Mitarbeiterin die Unterschriftenmappe mit der ausdrücklichen Anweisung übergeben habe, die unterzeichnete Berufungsbegründung per Telefax zu übersenden. Sie hat weiter dargelegt, die Kanzleimitarbeiterin habe versehentlich stattdessen ein nicht unterzeichnetes Exemplar des Schriftsatzes per Telefax abgesandt. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass die Kanzleimitarbeiterin bei dem Versenden des Faxes gegen die ihr erteilte Einzelanweisung verstoßen hat.

9b) Richtig ist zwar, dass die Darlegung und Glaubhaftmachung der Klägerin Lücken enthielt. So wird in dem Wiedereinsetzungsantrag die Mitarbeiterin A.       nicht namentlich als diejenige Kanzleimitarbeiterin genannt, der die Anweisung erteilt worden sei und die die Übersendung vorgenommen habe. Auch fehlt eine Erklärung dafür, warum der bei dem Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz keinen Ausfertigungsstempel aufweist, obwohl die Kanzleimitarbeiterin in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt hat, versehentlich eine nicht unterzeichnete „Ausfertigung“ der Berufungsbegründungsschritt übersandt zu haben. Der Kern des Vortrags der Klägerin in dem Wiedereinsetzungsantrag war aber ohne weiteres nachvollziehbar, nämlich dass es zur einer Verwechslung des Originals der Berufungsbegründung mit einer Abschrift durch die Mitarbeiterin A.       gekommen war. Das Berufungsgericht hätte die Klägerin deshalb gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf die Notwendigkeit ergänzenden Vortrags hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens geben müssen (vgl. , NJW-RR 2019, 500 Rn. 14 ff.). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung geboten ist, dürfen nach Fristablauf - auch mit der Rechtsbeschwerde - erläutert oder vervollständigt werden (vgl. , NJW-RR 2019, 502 Rn. 7 mwN).

10c) Die Klägerin hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach Erteilung des gebotenen Hinweises gegenüber dem Berufungsgericht vorgetragen hätte. Daraus ergibt sich, dass die Berufungsbegründungsfrist infolge eines Fehlers der Mitarbeiterin A.        bei der Ausführung der ihr erteilten Anweisung versäumt wurde.

11aa) Die Klägerin hat erläutert, dass sich in der der Kanzleimitarbeiterin übergebenen Unterschriftenmappe nicht nur das für das Berufungsgericht bestimmte Original der Berufungsbegründung nebst beglaubigter und einfacher Abschrift, sondern auch die nicht als solche gekennzeichnete, für die Klägerin als Mandantin bestimmte einfache Abschrift befunden habe. Infolge einer Verwechslung habe die Kanzleimitarbeiterin diese für die Klägerin bestimmte Abschrift gefaxt. Der so geschilderte Sachverhalt erklärt, warum das bei dem Berufungsgericht eingegangene Exemplar der Berufungsbegründung keinen Ausfertigungsstempel trägt. Dass es sich bei der Mitarbeiterin A.        um diejenige Kanzleikraft handelt, der die Anweisung erteilt worden ist und die das Telefax versendet hat, ergibt sich nachvollziehbar daraus, dass die Klägerin deren eidesstattliche Versicherung vorgelegt hat. Sie ist zudem in dem Briefkopf der Berufungsbegründung als zuständige Sekretärin benannt.

12bb) Dieser Geschehensablauf ist durch die mit der Rechtsbeschwerde vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Mitarbeiterin A.       - was der Senat eigenständig prüfen kann (vgl. , WRP 2008, 1112, 1113) - glaubhaft gemacht. Dem steht nicht entgegen, dass die Kanzleimitarbeiterin erklärt hat, eine nicht unterzeichnete „Ausfertigung“ per Fax versendet zu haben. Der Begriff der „Ausfertigung“, den die Kanzleimitarbeiterin auch in der zweiten eidesstattlichen Versicherung verwendet, ist erkennbar untechnisch gemeint und soll in diesem Zusammenhang ein „Exemplar“ der Berufungsbegründung bedeuten. Das kann auch eine einfache, nicht mit einem Stempelaufdruck versehene Abschrift sein. Dass die Klägerin den Sendebericht des Faxes nicht vorgelegt hat, ist unerheblich, denn das Telefax ist innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen.

13d) Hätte die Kanzleimitarbeiterin die Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin befolgt, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden. Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Angestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, derartige Weisungen befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend zu vergewissern, ob eine erteilte Weisung auch ausgeführt worden ist (vgl. , NJW 2020, 1809 Rn. 11 mwN). Anders ist es, wenn Umstände vorliegen, die dem Rechtsanwalt Anlass geben, an der Umsetzung seiner Arbeitsanweisung durch die Büroangestellte zu zweifeln (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 161/14, NJW 2016, 718 Rn. 14). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.

IV.

141. Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben. Die Sache ist zur Durchführung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

152. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos. Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 18/16, NJW 2017, 3002 Rn. 17 mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150720BVZB138.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 3041 Nr. 41
IAAAH-59927