BGH Beschluss v. - 1 StR 109/20

Körperverletzung mit Todesfolge: Zurechnung des Todeserfolgs bei Dazwischentreten Dritter

Gesetze: § 18 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 4 StGB, § 227 StGB

Instanzenzug: LG Memmingen Az: 113 Js 16187/18 - 1 Ks

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten K.    wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Weiter wurde die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sowie ein Vorwegvollzug der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren angeordnet. Die beiden Mitangeklagten A.     und G.       hat das Landgericht sowohl vom Vorwurf der Beteiligung an dem Körperverletzungsdelikt als auch vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten K.    . Sein - derart beschränktes - Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2Soweit der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt worden ist, hält der Schuldspruch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, da die Feststellungen des Landgerichts unzureichend sind.

31. Für eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) genügt es nicht, dass zwischen der Körperverletzungshandlung und dem Todeserfolg ein ursächlicher Zusammenhang besteht, die Körperverletzung also nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass damit zugleich der Tod des Verletzten entfiele. § 227 StGB soll der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken. Die Vorschrift erfasst deshalb nur solche Körperverletzungshandlungen und -erfolge, denen das spezifische Risiko anhaftet, zum Tod des Opfers zu führen. Gerade diese Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben (st. Rspr.; Rn. 37, BGHSt 48, 34; Urteile vom - 1 StR 14/60, BGHSt 14, 110, 111 f.; vom - 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 99; vom - 4 StR 536/05 Rn. 10, BGHSt 51, 18, 21 f. und vom - 4 StR 226/19 Rn. 11). Diese - auch auf Grund der erhöhten Mindeststrafandrohung gebotene - restriktive Auslegung erfordert einen Wertungsakt ( Rn. 9).

4Nach diesen Grundsätzen unterbricht das vorsätzliche Handeln eines Dritten regelmäßig den Zurechnungszusammenhang (vgl. Rn. 9, BGHSt 32, 25, 27 f.; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 227 Rn. 5b). Jedoch ist einem Mittäter des Grunddelikts der vorsätzlichen (§ 223 Abs. 1 StGB) oder gefährlichen (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) Körperverletzung über die Vorschrift des § 227 StGB die Todesfolge zuzurechnen, die der andere Mittäter - allein von diesem vorsätzlich erfasst - herbeigeführt hat: Anders als bei (reinen) Fahrlässigkeitsdelikten bedarf es bei der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge nicht des Nachweises, dass ein jeder von mehreren Beteiligten einen für den Erfolg kausalen Beitrag erbracht hat. Es macht sich nach § 227 StGB auch derjenige strafbar, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat; Voraussetzung ist allerdings, dass die Handlung des anderen grundsätzlich im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 42/02 Rn. 41, BGHSt 48, 34, 39; vom - 2 StR 242/12 Rn. 14; vom - 1 StR 191/19 Rn. 10; vom - 2 StR 198/06 Rn. 8; vom - 4 StR 164/09 Rn. 5 und vom - 1 StR 424/15 Rn. 16 f. und 1 StR 344/15 Rn. 16 f.; Urteil vom - 4 StR 502/10 Rn. 55).

5Zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs kommt es auch dann nicht, wenn den beendeten Gewaltanwendungen eines von mehreren Mittätern bereits die tatbestandsspezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftete, weil das Tatopfer schon dadurch in eine Lage geriet, in der es weiteren Angriffen keine wirksame Gegenwehr mehr entgegenzubringen vermochte und nachfolgenden Einwirkungen der übrigen Beteiligten, die für den (Mit-)Täter vorhersehbar seinen Tod verursachten, schutzlos ausgeliefert war (vgl. Rn. 6; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 227 Rn. 5).

62. Eine diesen Anforderungen entsprechende Zurechnung des Todeserfolgs gegenüber dem Angeklagten K.    nach § 227 StGB ist den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht zu entnehmen.

7a) Danach befanden sich am zwischen 0:21 Uhr und 0:54 Uhr insgesamt vier Personen im Zimmer des Geschädigten F.   , die gemeinsam erhebliche Mengen an Wodka und Bier konsumierten. Neben dem Geschädigten waren dies der Angeklagte K.    und die Mitangeklagten A.     und G.      , die alle erheblich alkoholisiert waren. Dabei kam es zwischen dem auf dem Bett sitzenden Geschädigten und dem neben ihm stehenden Angeklagten K.    aus nicht näher feststellbaren Gründen zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich beide zunächst gegenseitig beleidigten. Der Angeklagte K.    schlug dem Geschädigten unvermittelt mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser nach hinten kippte. Als der Geschädigte nach einiger Zeit wieder aufstand, ging der verbale Streit zwischen beiden weiter. Danach schlug der Angeklagte K.    dem Geschädigten erneut mit der Faust ins Gesicht, wobei dieser versuchte, sich mit den Händen zu schützen, was ihm aber nicht gelang, so dass er erneut nach hinten auf das Bett fiel. In dieser Situation, als der zwischenzeitlich erheblich blutende Geschädigte wehr- und schutzlos auf dem Bett lag, versetzte ihm der Angeklagte K.    noch mindestens zwei Faustschläge und trat noch mindestens zwei Mal mit seinem beschuhten Fuß auf den Körper des wehrlosen Geschädigten ein, wobei es dem Angeklagten K.    darauf ankam, den Geschädigten zu verletzen und für ihn vorhersehbar war, dass sein massives Vorgehen auch zum Tod des Opfers führen könnte.

8Der Geschädigte erlitt im Tatzeitraum neben Rippenbrüchen beidseits ein Schädelhirntrauma mit Nasenbeinfraktur, infolge dessen es zu massiven Einblutungen im Rachenraum und Blutaspiration kam, so dass der Geschädigte nach wenigen Minuten durch Ersticken verstarb. Die Leiche des Geschädigten wies über die genannten Schläge und Tritte des Angeklagten K.    hinaus eine Vielzahl von stumpfen Gewalteinwirkungen auf. Diese wurden am Hals mindestens durch einen Schlag oder Tritt, an der Rumpfrückseite durch mindestens vier, am Kopf durch mindestens zehn, an der Brustkorbvorderseite durch mindestens zwanzig, am Bauch durch mindestens vier, an den unteren Extremitäten durch mindestens fünf und an den oberen Extremitäten durch mindestens zwanzig Schläge und/oder Tritte verursacht.

9b) Gemessen an den dargestellten Maßgaben (oben 1.) genügen die bisherigen Feststellungen des Landgerichts für eine Verurteilung des Angeklagten K.    wegen Körperverletzung mit Todesfolge nicht. Durch die dem Angeklagten K.    vom Landgericht allein zugerechneten Handlungen wird die für § 227 StGB notwendige, sich verwirklichende spezifische Gefahr des tödlichen Ausgangs nicht getragen.

10Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte K.    allein für die Vielzahl der an der Leiche aufgefundenen Verletzungen und damit für die todesursächliche Nasenbeinfraktur mit den massiven Einblutungen in den Rachenraum und die Blutaspiration bei dem Geschädigten angesichts von mindestens zehn Schlägen oder Tritten gegen den Kopf verantwortlich war. Davon führte der Angeklagte K.    nur zwei sicher aus. Vielmehr bleibt nach den Feststellungen des Landgerichts offen, wer letztlich die zum Tod des Geschädigten führenden Verletzungen verursacht hat. Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass sich in den von ihm allein festgestellten Körperverletzungshandlungen des Angeklagten K.    gleichwohl deren Gefahr eines tödlichen Ausgangs verwirklicht habe, ist dies rechtsfehlerhaft. Die hierfür angestellte Erwägung, dass er als Folge seiner körperlichen Übergriffe auf den Geschädigten zumindest damit rechnen musste, dass ggf. auch die (jeweils nach dem Zweifelssatz freigesprochenen) alkoholisierten Mitangeklagten auf diesen einwirken würden (UA S. 75), zielt zunächst auf die Vorhersehbarkeit eines solchen Ursachenzusammenhangs, belegt aber nicht schon den gefahrspezifischen Zusammenhang im Sinne von § 227 StGB.

11Ein solcher Zusammenhang wäre zwar zu bejahen, wenn anstelle einer Alleintäterschaft des Angeklagten für die Strafkammer nur eine zusammen mit den Mitangeklagten A.     und/oder G.       mittäterschaftlich begangene (gefährliche) Körperverletzung in Betracht gekommen wäre. Denn bei einer Mittäterschaft wären die in deren Rahmen verübten Körperverletzungshandlungen dem Angeklagten K.    gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen, woran eine Verurteilung nach § 227 StGB anknüpfen kann. Letzteres ist bei Mittäterschaft selbst für den Fall in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte K.    aus einem noch fortdauernden Tatgeschehen ausgeschieden sein sollte (vgl. hierzu näher oben 1. a.E.; Rn. 6); insoweit kann der einmal gefasste gemeinsame Tatplan eine erweiterte Zurechnung rechtfertigen.

12Die Strafkammer hat es für möglich gehalten (vgl. UA S. 75, 105), dass die oder einer der Mitangeklagten „nachfolgend“ den Geschädigten attackiert haben. Mangels eines für diesen Fall festgestellten gemeinsamen Tatplans mit dem Angeklagten K.    (vgl. UA S. 21) wäre hierin keine sukzessive Mittäterschaft zu sehen, sondern nur ein Ausnutzen der durch dessen Vortat geschaffenen Lage (vgl. hierzu Fischer, StGB, 67. Aufl., § 25 Rn. 40a). Die bloße innere Zustimmung zu den Schlägen des jeweils anderen genügt nicht; vielmehr bedarf es einer zumindest stillschweigenden Übereinkunft über ein arbeitsteiliges Vorgehen. Derartiges ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die Strafkammer hat daher einen von ihr für möglich gehaltenen Geschehensablauf nicht ausgeschlossen, der sich als ein vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten darstellen würde, dessen Körperverletzungshandlungen todesursächlich gewesen sein und damit den Unmittelbarkeitszusammenhang im Sinne von § 227 StGB unterbrochen haben könnten. Mit Blick auf den Zweifelssatz fehlt dem angefochtenen Schuldspruch daher eine ausreichende tatsächliche Grundlage.

133. Die Feststellungen des Landgerichts zur Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge waren deshalb insgesamt aufzuheben, um dem neuen Tatrichter umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Ebenso können auch der Gesamtstrafenausspruch und die Anordnung über die Dauer des Vorwegvollzugs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) keinen Bestand haben.

144. Da der Angeklagte K.    aber wegen einer weiteren, mit der Revision nicht angegriffenen Tat in der Nacht vom 28. auf (Ziffer II. Fall 2 der Urteilsgründe) wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) rechtskräftig zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, kann die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bestehen bleiben (§ 337 StPO). Allein durch diese unter Alkoholeinfluss und nicht ausschließbar im Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) begangene Tat und den Hang zum Alkoholkonsum sind - unabhängig von der Aufhebung der Tat zu Ziffer II. Fall 1 der Urteilsgründe - bereits die Voraussetzungen für die Anordnung einer solchen Unterbringung gegeben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:140520B1STR109.20.0

Fundstelle(n):
QAAAH-59262