BFH Beschluss v. - VII S 27/20 (AdV)

Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen gerichtliche Zwangsgeldandrohung

Leitsatz

1. NV: Ein beim BFH gestellter Eilrechtsantrag kann in die Zulässigkeit hineinwachsen.

2. NV: Für einen Antrag auf AdV einer gerichtlichen Zwangsgeldandrohung besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Androhung ihre Wirkung bereits in dem Augenblick entfaltet hat, in dem die gerichtliche Entscheidung bekanntgegeben worden ist.

Gesetze: FGO § 131 Abs. 1 Satz 2; FGO §§ 151 ff.; FGO § 154 Satz 1; ZPO § 570 Abs. 3;

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Der Antragsteller und Antragsgegner (Antragsteller) hat Einkommensteuerschulden aus den Jahren 2010 bis 2018. Sein Bankkonto wird als Pfändungsschutzkonto (P-Konto) gemäß § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt. Im Mai 2018 und im Juli 2019 wurden seiner Bank Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Antragsgegners und Antragstellers (Finanzamt —FA—) über insgesamt rund 80.000 € zugestellt. Anschließend wurde sein Bankguthaben nach seinen Angaben von weiteren Gläubigern gepfändet. Am beantragte der Antragsteller beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmer und Soloselbständige. Mit Bescheid vom selben Tag wurden ihm die beantragte Soforthilfe als einmalige Pauschale bewilligt und 9.000 € auf das P-Konto überwiesen. Nachdem das FA das Guthaben nicht freigab, stellte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) den Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 258 der Abgabenordnung (AO) durch Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom  - 10 V 1604/20 AO erließ das FG die begehrte einstweilige Anordnung und verpflichtete das FA gemäß § 258 AO, der Bank innerhalb eines Arbeitstages nach Zustellung des Beschlusses anzuzeigen, dass es Verfügungen des Antragstellers über einen Betrag in Höhe von 9.000 € bis zum freigebe. Für den Fall, dass die Bank aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Jahre 2018 und 2019 zwischenzeitlich diesen Betrag oder einen Teil davon an das FA ausgezahlt habe, werde dieses verpflichtet, diesen Betrag auf das Konto des Antragstellers zurückzuüberweisen.

2 Das FG hat gegen diesen Beschluss die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen, die vom FA mit Telefaxschreiben vom eingelegt wurde und unter dem Az. VII B 77/20 geführt wird. Außerdem hat das FA in diesem Schreiben gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Beschlusses vom  - 10 V 1604/20 AO beantragt, die das abgelehnt hat. Die Beschwerde des FA gegen den Beschluss vom  - 10 V 1604/20 AO wurde als unzulässig verworfen (Senatsbeschluss vom  - VII B 79/20 (AdV)). Der Antrag auf AdV des wurde mit Senatsbeschluss vom  - VII S 24/20 (AdV) abgelehnt.

3 Zuvor hat das FG auf Antrag des Antragstellers in dem Beschluss vom  - 10 V 1865/20 AO dem FA ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € angedroht für den Fall, dass es bis zum der im Beschluss vom  - 10 V 1604/20 AO ausgesprochenen Verpflichtung nicht nachkomme. Mit Beschluss vom  - 10 V 1865/20 AO hat das FG das Zwangsgeld festgesetzt.

4 Das FA hat gegen den Beschluss vom  - 10 V 1865/20 AO am gemäß § 128 Abs. 1 FGO Beschwerde eingelegt, die unter dem Az. VII B 85/20 geführt wird, und den streitgegenständlichen Antrag gestellt, den über die Androhung des Zwangsgeldes auszusetzen.

Gründe

II.

5 Der streitgegenständliche Antrag des FA hat keinen Erfolg.

6 1. Der Antrag ist unzulässig.

7 a) Der mit Schreiben vom an den BFH gerichtete Antrag, die Vollziehung des auszusetzen, ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO und § 570 Abs. 3 ZPO im Grundsatz statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom  - VII S 23/20 (AdV), Deutsches Steuerrecht —DStR— 2020, 1734, m.w.N.). Denn regelmäßig stellt bereits die Androhung eines Zwangsgeldes einen selbständig anfechtbaren Rechtsakt dar, auch wenn die Androhung des Zwangsgeldes in erster Linie eine Warnfunktion hat (vgl. etwa Senatsbeschluss vom  - VII B 10/19, BFH/NV 2019, 1121; , BFH/NV 2010, 1109; Senatsurteil vom  - VII R 38/99, BStBl II 2001, 463).

8 b) Der Antrag konnte auch in die Zulässigkeit hineinwachsen, nachdem das entschieden hat, der Beschwerde des FA gemäß § 128 Abs. 1 FGO gegen den Beschluss vom  - 10 V 1865/20 AO nicht abzuhelfen und die Sache dem BFH vorzulegen. Denn (erst) damit ist das Recht zur Entscheidung über den Eilantrag gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO auf den BFH übergegangen (vgl. Senatsbeschluss vom  - VII S 23/20 (AdV), DStR 2020, 1734, Rz 18, m.w.N.). Entscheidet der Senat —wie im Streitfall— in einem derartigen Fall erst nach Ergehen des Nichtabhilfebeschlusses, ist der Eilantrag nach dem Grundsatz, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen müssen, in die Zulässigkeit hineingewachsen (vgl. etwa , I R 96/90, BFH/NV 1992, 326; , Neue Juristische Wochenschrift 2019, 520; Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom  - 5 WF 96/99, OLGR Zweibrücken 2000, 422 zu § 570 ZPO). Umstände, die einem „Hineinwachsen“ in die Zulässigkeit entgegenstehen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich (vgl. etwa , BFH/NV 1996, 412, zu einem Fall der rechtsmissbräuchlichen vorzeitigen Antragstellung). Insbesondere lagen der Beschluss und die Beschwerde des FG, welche die Zuständigkeit des BFH für das Eilrechtsverfahren begründeten, am bereits vor; lediglich der Nichtabhilfebeschluss war im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht gefasst worden (vgl. hierzu die Überlegungen im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom  - 9 N 16.1228, Bayerische Verwaltungsblätter 2020, 24, wonach vor der Existenz des angegriffenen Akts der öffentlichen Gewalt eingelegte Rechtsmittel nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen).

9 c) Jedoch hat das FA schon deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis an einer Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom  - 10 V 1865/20 AO, weil die Androhung ihre Wirkung bereits in dem Augenblick entfaltet hat, in dem die gerichtliche Entscheidung bekanntgegeben worden ist. Eine Aufhebung der Vollziehung sieht § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO, anders als § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO (i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO), nicht vor. Es kann deshalb dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen in Bezug auf eine (Zwangsgeld-)Androhung einstweiliger Rechtsschutz überhaupt in Betracht kommt.

10 2. Der Antrag auf AdV des Beschlusses vom  - 10 V 1865/20 AO wäre bei summarischer Prüfung im Übrigen auch unbegründet.

11 a) Bei summarischer Prüfung ist die Androhung des Zwangsgeldes rechtmäßig.

12 aa) Gemäß § 154 Satz 1 FGO kann das FG als das Gericht des ersten Rechtszugs ein Zwangsgeld bis zu 1.000 € durch Beschluss androhen, wenn eine Finanzbehörde in einem Fall des § 114 FGO der ihr in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt.

13 bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das FA lehnt es ab, den ihm in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtungen nachzukommen. Zur Begründung trägt es lediglich (sinngemäß) vor, dass die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist, wobei es insbesondere die Güterabwägung zwischen dem Beitreibungsinteresse des Staats und dem Interesse des Antragstellers an einem zeitnahen Zugriff auf die „Corona-Soforthilfe“ kritisiert. Damit kann das FA jedoch im streitgegenständlichen Verfahren nicht gehört werden (vgl. § 767 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO).

14 Der vom Gesetz vorgegebene Rahmen von 1.000 € wurde nicht überschritten. Die diesbezüglichen Ermessenserwägungen des FG sind bei einer nur eingeschränkten Überprüfung von Ermessensentscheidungen nicht zu beanstanden.

15 b) Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der Antrag, die Vollziehung des einstweilen auszusetzen, abzulehnen. Das Gesetz sieht vor, dass gerichtliche Entscheidungen notfalls zwangsweise durchgesetzt werden können, auch wenn die unterlegene Partei sie für falsch hält, soweit kein Ausnahmetatbestand eingreift (wie z.B. § 767 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO). Dies gilt uneingeschränkt auch für Entscheidungen in Eilrechtsverfahren.

16 3. Bei der streitgegenständlichen Entscheidung handelt es sich um ein Nebenverfahren zum Beschwerdeverfahren VII B 85/20, in dem keine (zusätzliche) Kostenentscheidung zu treffen ist (BFH-Beschlüsse vom  - VI S 8/08, juris, und vom  - X S 24/12, BFH/NV 2012, 1638, jeweils m.w.N.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:BA.060820.VIIS27.20.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2020 S. 1294 Nr. 12
DAAAH-59194