Online-Nachricht - Donnerstag, 03.09.2020

Verfahrensrecht | Umfang und Grund der Vorläufigkeit in Änderungsbescheiden (BFH)

Ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle des bereits im Vorgängerbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist, wenn für den Steuerpflichtigen nach seinem objektiven Verständnishorizont nicht erkennbar ist, dass der ursprüngliche Vorläufigkeitsvermerk trotz der Änderung wirksam bleiben soll (Anschluss an : ; veröffentlicht am ).

Hintergrund: § 165 Abs. 1 Satz 3 AO verlangt in formeller Hinsicht für die Begründung des Vorläufigkeitsvermerks, dass dessen Umfang und Grund anzugeben sind.

Sachverhalt: Die Klägerin machte in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2001) einen Verlust aus selbständiger Arbeit geltend. Das FA lehnte die Berücksichtigung dieses Verlustes bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr ab. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO.

In dem Änderungsbescheid für 2001 aus dem Jahr 2003 legte das FA erstmals die Verluste der Klägerin aus selbständiger Arbeit der Steuerfestsetzung zugrunde und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig. In den Erläuterungen führte das FA aus, dass der Bescheid vorläufig sei hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie anhängiger Verfassungsbeschwerden bzw. anderer gerichtlicher Verfahren. Aus den Erläuterungen ging nicht hervor, welcher der mitgeteilten Vorläufigkeitsgründe sich auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO und welcher sich auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO bezog.

Drei Jahre später wurde der Bescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geändert. Der Änderungsbescheid erging ebenfalls vorläufig nach § 165 Abs. 1 S. 1 und 2 AO. Der Bescheid enthielt in den Erläuterungen keinen Hinweis darauf, dass sich die Vorläufigkeit weiterhin auf die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit beziehen sollte.

Mit Einkommensteuerbescheid vom änderte das FA die Festsetzung für das Streitjahr erneut und erkannte die Verluste der Klägerin aus selbständiger Arbeit nicht mehr an.

Hiergegen legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt (). (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 13.11.2017)

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:

  • Die Angaben von Umfang und Grund des Vorläufigkeitsvermerks zeigen die Grenzen für die endgültige Festsetzung bzw. Feststellung auf.

  • Sind die Formulierung des Vorläufigkeitsvermerks und die Erläuterungen in dem Bescheid nicht hinreichend klar, so kann sich die Wirksamkeit des Vermerks auch durch Würdigung der Umstände des Einzelfalls ergeben. Zu prüfen ist dabei, ob der Umfang des Vorläufigkeitsvermerks aus Sicht eines objektiven Empfängers hinreichend erkennbar war (vgl. ).

  • Für den Regelungsinhalt der Nebenbestimmung ist danach entscheidend, wie der Adressat ihren materiellen Gehalt nach den ihm bekannten Umständen - seinem "objektiven Verständnishorizont" - unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 BGB) verstehen konnte. Dies gilt auch für die Änderung eines Vorläufigkeitsvermerks in einem Änderungsbescheid.

  • Da Umfang und Grund der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO anzugeben sind, muss der Steuerpflichtige den in einem Änderungsbescheid enthaltenen - geänderten - Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Es wäre mit dem Grundsatz des § 124 Abs. 1 Satz 2 AO nicht zu vereinbaren, dem Steuerpflichtigen die Spekulation darüber zuzumuten, ob die Beschränkung des Vorläufigkeitsvermerks auf erneuter Prüfung oder auf einem Versehen der Finanzverwaltung beruht ().

  • Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht entschieden, dass der Einkommensteuerbescheid für 2001 aus dem Jahr 2006 in Bezug auf die negativen Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit nicht vorläufig und somit nicht nach § 165 AO änderbar war.

  • Ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle des bereits im Vorgängerbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB KAAAH-57388