Online-Nachricht - Freitag, 21.08.2020

Einkommensteuer | Aufwendungen für eine Tomatis-Therapie keine agB (FG)

Aufwendungen für eine sog. Tomatis-Therapie sind nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig (; rkr.)

Hintergrund: Die Tomatis-Therapie ist eine "Horch-" und Hörtherapie, die von dem französischen Arzt Alfred A. Tomatis entwickelt wurde. Sie beschäftigt sich mit der Interaktion von auditiven, phonatorischen und psychischen Prozessen und dient der Behandlung eines weiten Spektrums des Funktions- und Gleichgewichtssystems. Rechtlich zählt die Tomatis-Therapie zu den komplemetärmedizinischen Behandlungsmethoden.

Sachverhalt: Der Sohn der Kläger litt an einer Hyperakusis (krankhaften Überempfindlichkeit gegen Schall). Auf Vorschlag des behandelnden HNO-Arztes ließen die Kläger zur Behandlung der Hyperakusis eine Hörtherapie nach Tomatis bei einem entsprechenden Institut durchführen. Nach der Behandlung bescheinigte der HNO-Arzt den Erfolg der Therapie.

Da weder Krankenkasse noch Beihilfestelle zur Kostenübernahme bereit waren, machten die Kläger die Kosten i.H.v. rund 4.000 € mit der Einkommensteuererklärung 2017 als außergewöhnliche Belastungen geltend. Da die Kläger jedoch weder ein vor Beginn der Therapie ausgestelltes amtsärztliches Gutachten noch eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegen konnten, lehnte das Finanzamt die steuerliche Berücksichtigung ab. Auch der dagegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage machten die Kläger geltend, dass die Tomatis-Therapie eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des Krankheitsbildes ihres Sohnes sei. Sie verwiesen auf eine Vielzahl von Fachstudien, die insbesondere auf der Internetseite www.tomatis.com veröffentlicht seien, eine veröffentlichte Studie mit insgesamt 12 hörbeeinträchtigten Kindern sowie die Befundberichte des behandelnden HNO-Arztes.

Die Klage hatte keinen Erfolg:

  • Bei der Tomatis-Therapie handelt es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode, bei der zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Heilbehandlungskosten ein qualifizierter Nachweis in Form eines vor Beginn der Therapie ausgestellten amtsärztlichen Gutachtens oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich ist (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f der EStDV).

  • Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung im Sinne des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert und die anfallenden Aufwendungen zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung der Krankheit entstanden sind (, BStBl II 2013, 783).

  • Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Tomatis-Therapie im Streitjahr 2017 hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

  • Das Gericht stützt sich hinsichtlich der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung der Tomatis-Therapie zur Behandlung einer Hyperakusis auf die Gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf und Halschirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen (D. Karch, V. Uttenweiler, G. Groß-Selbeck, E. Kruse, D. Rating, A. Ritz, H.G. Schlack, H. Edel; 1998), die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. (von Prof. Dr. E. Kruse) gegenüber dem Sozialgericht Würzburg im Verfahren Az. S 6 KR 131/09 vom , insbesondere die auf Anfrage des Berichterstatters hierzu erfolgte ergänzende Stellungnahme v. sowie die Urteile des Sozialgerichts Sachsen-Anhalt vom - L 8 SO 18/08, und v. - L 10 KR 31/09, Med 2013, 637.

  • Danach beruht bereits die Tomatis-Therapie allgemein auf theoretischen Vorstellungen die nicht nachvollziehbar und wissenschaftlich nicht haltbar sind. Die Bedeutung des Hörens und der Hörwahrnehmung werden in z.T. mystischer Weise überbetont und daraus Therapietechniken entwickelt, deren Wirksamkeit bisher nicht ausreichend evaluiert worden ist.

  • An dieser Sichtweise der vorgenannten Stellungnahme aus 1998 (sog. Konsenspapier) hat die DGPP bis heute festgehalten. In der Stellungnahme v. hat die DGPP ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es über das Streitjahr 2017 hinaus bis heute keine relevanten wissenschaftlichen Arbeiten dazu gibt, ob die Tomatis-Therapie zur Behandlung speziell einer Hyperakusis geeignet ist.

  • Auch die aktuelle seit 2018 erschienene Literatur ändere an dieser Beurteilung nichts. Zudem weist die DGPP auf das Europäische Lehrbuch für Phoniatrie hin. Hier gibt es ein Kapitel über die Behandlung der Hyperakusis, in dem aber eine Klangtherapie oder gar speziell die Tomatis-Methode nicht thematisiert wird. Inhalte dieses Lehrbuchs sind ausschließlich Erkenntnisse, die mit Kontrollgruppen und ausreichenden, in der Regel durch Fallzahlberechnungen ermittelten Probandenzahlen gewonnen wurden. Nach einer Literatursuche werden nach Auskunft der DGPP alle Arbeiten ausgeschlossen, die nicht diesem wissenschaftlichen Standard entsprechen.

  • Zudem ist darauf hinzuweisen, dass – soweit ersichtlich – alle Beihilfeverordnungen der Länder Aufwendungen für die Tomatis-Therapie nicht als beihilfefähig erachten (etwa § 5 Abs. 1 NBhVO, Anlage 1; BeihilfeVO NRW i.d.F. vom , unter Abschnitt I, A. 6.; BremBVO vom , Abschnitt 1, 1.1; LBhVO – Berlin – v. , Abschnitt 1, 1.1; e; vgl. auch Anlage 1 zu § 6 Abs. 2 der Bundesbeihilfeverordnung).

  • Daraus schließt das Gericht, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode gerade nicht befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie kein Konsens besteht. Zudem gibt es über Qualität und Wirksamkeit der Methode keine zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen. Der Erfolg lässt sich im Ergebnis nicht aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Hinweis: Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen.

Hinweise:

Das Urteil dürfte über den Streitfall hinaus eine gewisse Breitenwirkung haben. Die Tomatis® Methode ist weltweit in 75 Ländern vertreten. Mehr als 2.000 Lehrer und Therapeuten sind als Tomatis® Trainer/Consultants durch die einzige offizielle Organisation Tomatis Developpement S.A. zertifiziert. Auch in Deutschland gibt es eine Vielzahl von Instituten und Trainer, die sich auf die Tomatis-Therapie spezialisiert haben.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen veröffentlicht. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.

Quelle: FG Niedersachsen, u.a. Newsletter 8/ 2020 (il)

Fundstelle(n):
NWB HAAAH-56446