Online-Nachricht - Donnerstag, 13.08.2020

Umsatzsteuer | Kein Vertrauensschutz bei sorgfaltswidriger USt-ID-Nichtabfrage (BFH)

Hat das FA nicht dargetan, dass ein Steuerbetrug begangen worden ist, kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nicht in Betracht. Die Nichtabfrage der USt-IdNr. des Empfängers zeitnah zur ersten innergemeinschaftlichen Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, die Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG ausschließt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG nicht vorliegen, so ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (§ 6a Abs. 4 Satz 1 UStG).

Sachverhalt: Die Revisionsklägerin, eine GmbH, betrieb in den Streitjahren einen Groß- und Einzelhandel im In- und Ausland mit alkoholischen und alkoholfreien Getränken. Die GmbH kaufte bei der R GmbH und P GmbH Waren ein. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde das FA von der Steuerfahndung informiert und versagte den Vorsteuerabzug für die Eingangsleistung der R GmbH mit der Begründung, dass die GmbH in einer sog. Umsatzsteuerkarussellkette eingebunden gewesen sei.

Die GmbH lieferte laut Papieren Getränke außerdem an die J-S.A.R.L. mit Sitz in Luxemburg. Tatsächlich wurden die Lieferungen im Inland bewirkt. Die Klägerin richtete ein Schreiben an das FA mit der Bitte, um umsatzsteuerliche Beurteilung, da der wirtschaftliche Hintergrund der Bestellungen und die Abholung nicht nachvollziehbar sei.

Das FA stellte fest, dass die USt-IdNr. der J-S.A.R.L. nicht mehr gültig war und leitete gegen die GmbH ein Ermittlungsverfahren ein. Die luxemburgischen Behörden teilten mit, dass die J-S.A.R.L. unter der angegebenen Adresse nicht aufzufinden ist. Diese wurde sodann aus der Liste der Mehrwertsteuerpflichtigen gelöscht.

Die Klägerin beruft sich gegen die versagte innergemeinschaftliche Lieferung auf Vertrauensschutz. Das versagte den Vertrauensschutz. Die hiergegen gerichtete Revision der GmbH hatte vor dem BFH keinen Erfolg. Die Revision des FA hinsichtlich des Vorsteuerabzugs aus den Eingangsleistungen hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Der BFH führte aus:

  • Wird die Abfragemöglichkeit nach § 18e UStG sorgfaltspflichtwidrig nicht wahrgenommen, ergibt sich aus sachlichen Billigkeitsgründen kein über § 6a Abs. 4 UStG hinausgehender Vertrauensschutz.

  • Die Klägerin kann den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG nicht in Anspruch nehmen, da die Unrichtigkeit der Angaben der J S.A.R.L. (Angabe einer ungültigen USt-IdNr.) bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte erkannt werden können.

  • Der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen der R GmbH ist zu gewähren (so urteilte auch das FG). Der Vorsteuerabzug kann nur versagt werden, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.

  • Dies ist nicht nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch dann, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. „PPUH Stehcemp“).

  • Im Streitfall ist aber bereits vom FA nicht dargetan, worin der ungerechtfertigte Steuervorteil der Klägerin bestehen soll. Das bloße Vorliegen einer Kette von Umsätzen und die bloße Vermutung des FA, dass die Klägerin die Verfügungsmacht über die Ware tatsächlich nicht von der B GmbH, sondern von der P GmbH erhalten hat, was das FG indes nicht festgestellt hat, rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass deshalb kein Umsatz zwischen den Beteiligten bewirkt wurde.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung beschäftigt sich mit mehreren unterschiedlichen Sachverhaltskomplexen. Dabei betreffen zwei Komplexe einen Vorsteuerabzug und der dritte Komplex die Umsatzsteuerpflicht einer Lieferung, die die Klägerin als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hatte.

Im ersten Komplex, in der es sich um eine Warenbewegung im Kreislauf handelt, hat der BFH entschieden, dass auch in diesen Fällen die einzelne Lieferung die Voraussetzungen einer steuerpflichtigen Lieferung erfüllen kann. Das FA kann in diesen Fällen sich nicht allein darauf berufen, dass die Lieferungen im Kreis erfolgten. Es ist vielmehr erforderlich, einen Rechtsmissbrauch als eigenständigen Vorsteuerversagungsgrund festzustellen. Hier fehlten im Besprechungsfall bereits Feststellungen zu einem steuerlichen Schaden. So wurde ein sog. missing trader nicht konkret festgestellt.

Im zweiten Komplex ging es um die Frage, wer eine Ware geliefert hatte. Die Klägerin hatte eine Bestellung bei der P-GmbH aufgegeben. Die Lieferung erfolgte aber durch die B-GmbH, die auch die Rechnung ausstellte. Unstreitig war, dass beide Unternehmen – die P-GmbH und die B-GmbH -miteinander über identische für sie handelnde Personen verwoben waren. Der BFH ist der Ansicht, dass die Verfügungsmacht maßgeblich ist, so dass der Rechnungsaussteller – die B-GmbH – auch die Lieferung ausführte. Auf die zivilrechtlichen Beurteilung der Leistungsbeziehungen – so das FA - kam es insoweit nicht an.

Im dritten Komplex wurde vom FG eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung abgelehnt. Auch diese Entscheidung des FG wurde vom BFH gehalten. Vor allem konnte der Vorwurf, das FA hätte die Klägerin informieren müssen, dass der ausländische Abnehmer keine USt-ID mehr hat, nicht überzeugen. Der Einwand mag zwar an sich gerechtfertigt sein; er ändert aber nichts daran, dass die Klägerin , die u.a. aufgrund der Anfrage beim FA – zu Recht - dokumentierte Zweifel an der Seriosität des Abnehmers zeigte, von sich aus die USt-ID hätte abfragen müssen. In Zeiten, in denen softwarebedingt teilweise schon automatisch die USt-ID abgefragt wird, kann dies verlangt werden. Die Entscheidung ist für die Praxis von besonderer Bedeutung, denn der BFH hat entschieden, dass in regelmäßigen Abständen eine Anfrage gefordert werden kann.

Hinweis

Für ein anderes Streitjahr hat das FG Berlin-Brandenburg dem EuGH Fragen zur Vorlage gegeben. Lesen Sie hierzu unsere Online-Nachricht v. 24.7.2020.

Quelle: , NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB MAAAH-55844