BGH Beschluss v. - 2 StR 391/19

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Feststellung der nicht geringen Menge bei Anbau von Cannabispflanzen zwecks späterer Veräußerung der Ernte

Gesetze: § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 46 StGB

Instanzenzug: LG Aachen Az: 67 KLs 23/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten L.    wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.1 der Urteilsgründe), vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Unterschlagung (Fall II.2 der Urteilsgründe), Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter räuberischer Erpressung (Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat den Angeklagten H.    und den nicht revidierenden Mitangeklagten S.   unter Freispruch im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (jeweils Fall II.1 der Urteilsgründe) zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und acht Monaten bzw. zwei Jahren, letztere unter Strafaussetzung zur Bewährung, verurteilt. Es hat darüber hinaus unter Bezugnahme auf die Anklageschrift „Plantagenequipment“ eingezogen und weitere Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; die Entscheidung ist im Fall II.1 der Urteilsgründe auf den Mitangeklagten S.   zu erstrecken (§ 357 StPO). Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Das Landgericht hat, soweit für die Entscheidung von Bedeutung, in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

41. Anfang Juli 2018 betrieben die Angeklagten L.    und H.   gemeinsam mit Unterstützung des Mitangeklagten S.   eine Cannabis-Plantage. Anlässlich einer Durchsuchung am wurden in dem Objekt sechs Cannabis-Mutterpflanzen mit einer Größe von etwa 180 cm und 133 Setzlinge mit einer Größe von 7-15 cm sowie in einer Wertstofftüte insgesamt 115 unterschiedlich große Cannabispflanzen gefunden. Die Strafkammer hat – unter Hinweis auf Gutachten des Landeskriminalamts vom – den Umfang der Plantage „mit insgesamt etwa 254 Cannabispflanzen“ festgestellt und ist von einem erwarteten Mindestertrag bei 248 Pflanzen von etwa 6,2 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % THC ausgegangen.

52. Am drangen die Zeugen F.    , M.   sowie eine weitere Person in die Plantage ein, um dort zuvor geerntetes Cannabis zu entwenden. Nachdem sie zum Trocknen aufgehängtes Pflanzenmaterial in mitgebrachte Taschen gefüllt und einen weiteren Beutel mit 1 kg Cannabis an sich genommen hatten, fuhr der Angeklagte L.    , von S.   alarmiert, vor dem Objekt vor. Die drei Täter verließen unter Mitnahme der Beute in aller Eile das Haus, wobei der Zeuge M.   eine Tasche, in der sich unter anderem ein Mobiltelefon und sein Ausweis befanden, zurückließ. L.    verfolgte M.   , der einen Koffer des entwendeten Cannabis mit sich führte, holte diesen ein und schlug ihm mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Der Zeuge ging zu Boden. Dort trat L.    mindestens einmal gegen den Oberkörper des Zeugen. Dieser erlitt ein Hämatom im Bereich des rechten Auges sowie nicht unerhebliche Schmerzen im Bereich der Rippen und an der rechten Hand. Sodann begab sich L.    mit M.   zurück ins Haus, wo er sich entschied, das in der zurückgelassenen Tasche befindliche Mobiltelefon künftig für sich zu verwenden.

II.

6Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt – unter Erstreckung auf den Mitangeklagten S.   − zur Aufhebung des Strafausspruchs im Fall II.1 der Urteilsgründe, darüber hinaus hinsichtlich des Angeklagten L.    im Fall II.2 der Urteilsgründe zur Abänderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung dieser Einzel- sowie der Gesamtstrafe. Auch die Einziehungsentscheidung hat keinen Bestand, soweit die Strafkammer die Einziehung von „Plantagenequipment“ angeordnet hat. Im Übrigen haben die Revisionen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

71. Der Strafausspruch im Fall II.1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die von der Strafkammer festgestellte Ertragserwartung von 6,2 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % THC ist nicht tragfähig belegt.

8a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass bei einem auf spätere Veräußerung zielenden Anbau von Cannabispflanzen für die Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge die Menge maßgeblich ist, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (vgl. , juris Rn. 36; vom – 4 StR 360/16, juris Rn. 9; vom – 5 StR 302/13, juris Rn. 9; vom – 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101 f.). Dementsprechend ist auch für den Schuldumfang bei der Strafzumessung die Menge an Wirkstoff maßgeblich, die mit dem Anbau letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (, aaO). Stehen keine Referenzwerte aus einem früheren Anbau zur Verfügung, muss die zu erwartende Ertragsmenge – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – geschätzt werden (, aaO; (5) 161 SS 94/17 (54/17), juris Rn. 6; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29a Rn. 64 f.; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 3. Aufl., BtMG § 29a Rn. 70 f.; Patzak/Goldhausen, NStZ 2014, 384, 386).

9b) Die von der Strafkammer mit sachverständiger Hilfe ermittelte Ertragserwartung ist indes nicht hinreichend belegt. Das Urteil leidet insoweit an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

10(1) Folgt der Tatrichter dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist er, sofern es sich nicht um ein weithin standardisiertes Verfahren handelt, sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerung nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 27; Urteil vom – 3 StR 241/99, juris Rn. 2; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. § 267 Rn. 16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 267 Rn. 13, jeweils mwN). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (, juris Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 170/96, juris Rn. 12).

11(2) Diesen Maßstäben wird das Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer stützt die von ihr angenommene Ertragserwartung von 6,2 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC maßgeblich auf ein Gutachten des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, ohne dessen Inhalt darzustellen. Damit bleibt offen, auf welcher Grundlage die Strafkammer bzw. gegebenenfalls das Landeskriminalamt zu der Wertung gelangt ist, die vorgefundenen 248 Cannabispflanzen (133 Setzlinge mit einer Größe von 7-15 cm sowie die in einer Wertstofftüte gefundenen weiteren 115 Pflanzen in unterschiedlicher Größe) rechtfertigten die Schätzung, die Angeklagten seien von einer derartigen Ertragserwartung ausgegangen. Mangels jedweder Darlegung ist dem Senat die Prüfung verschlossen, ob die Wertung des Landeskriminalamtes auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die vom ihm gezogenen Schlussfolgerungen, denen sich die Kammer angeschlossen hat, nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft sowohl hinsichtlich der Ertragsmenge von 6,2 kg Marihuana wie auch des ebenfalls geschätzten Wirkstoffgehalts von 10 % THC möglich sind.

12(3) Die Überzeugung der Strafkammer kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die Angeklagten diese Ertragserwartung „auch zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt haben“. Denn der Angeklagte L.    hat sich dahingehend eingelassen, es seien im Juni 2018, mithin dem Anklagezeitraum vorgelagerten Anbauzyklus (vgl. zum Verhältnis der Anbauvorgänge Senat, Beschluss vom – 2 StR 212/18, juris Rn. 14), 3 kg Marihuana abgeerntet worden. Den Einlassungen der beiden anderen Angeklagten sind keine Angaben zu etwaigen Ernteerträgen zu entnehmen.

13b) Der Senat kann angesichts des Betriebs einer Großplantage mit 248 zur Aufzucht vorgesehenen Pflanzen (vgl. zur Einordnung der Plantagengröße Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 2 Rn. 7) sowie dem Geständnis des Angeklagten L.   , zumindest im vorangegangenen Anbauzyklus 3 kg Cannabispflanzen geerntet und zum Trocknen aufgehängt zu haben, ausschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler den Schuldspruch gefährdet (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 521/13, juris Rn. 4; vom – 4 StR 571/11, NStZ 2012, 339; vom – 3 StR 233/96, juris Rn. 4).

14c) Der aufgezeigte Darstellungsfehler betrifft den nicht revidierenden Mitangeklagten S.   in gleicher Weise wie die Beschwerdeführer. Die Aufhebung des Strafausspruchs im Fall II.1 der Urteilsgründe ist gemäß § 357 StPO auf ihn zu erstrecken.

152. Die Verurteilung des Angeklagten L.    im Fall II.2 der Urteilsgründe hat ebenfalls keinen Bestand. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen zwar den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Unterschlagung des Mobiltelefons. Einer – nach der Wertung der Strafkammer − tateinheitlichen Verurteilung wegen Unterschlagung steht jedoch die Subsidiaritätsklausel aus § 246 Abs. 1 StGB entgegen. Diese gilt innerhalb derselben prozessualen Tat für alle Delikte mit höherer Strafdrohung unabhängig von ihrer Schutzrichtung (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 527/17, NStZ-RR 2018, 118, 119; vom – 2 StR 137/12, NStZ 2012, 628; vom – 2 StR 234/04, juris Rn. 4; , StraFo 2014, 434; Urteil vom – 1 StR 513/01, BGHSt 47, 243, 244 f.). Die Verurteilung wegen tateinheitlicher Unterschlagung hat daher zu entfallen.

16Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafe, da die Strafkammer dem Umstand, „dass der Angeklagte tateinheitlich mehrere Tatbestände verwirklicht hat“, strafschärfende Bedeutung beigemessen hat. Zwar darf der Tatrichter bei der Strafzumessung auch die Verwirklichung solcher Straftatbestände, die aufgrund ihrer formellen Subsidiarität zurücktreten, strafschärfend berücksichtigen (vgl. , juris Rn. 2; Senat, Beschluss vom – 2 StR 477/02, juris Rn. 1). Der Senat kann jedoch trotz der an sich nicht unangemessenen Einzelstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender Beurteilung der Konkurrenz eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Die Aufhebung des Strafausspruchs wird dem neuen Tatrichter zudem Gelegenheit geben, genauer als bisher die von ihm festgesetzte Tagessatzhöhe zu belegen (vgl. zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners , juris Rn. 8; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 40 Rn. 11a).

173. Auch die Einziehung des „Plantagenequipments“ als Tatmittel (§ 74 Abs. 1 StGB) unterfällt der Aufhebung. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die einzuziehenden Gegenstände so genau bezeichnet sein, dass für alle Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 331/19, juris Rn. 17 mwN). Eine Bezugnahme auf eine Listung außerhalb der Urteilsurkunde genügt hierfür nicht (vgl. zur Bezugnahme auf eine Asservatenliste, Senat, Beschluss vom – 2 StR 331/19, aaO; , juris Rn. 2).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:060520B2STR391.19.0

Fundstelle(n):
TAAAH-55551