BAG Beschluss v. - 4 ABR 29/19

Zustimmungsersetzung - Umgruppierung - Zuordnung zu Gehalts- und Lohngruppen

Gesetze: § 99 Abs 1 BetrVG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 1 BV 22/17 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 8 TaBV 19/19 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung eines Arbeitnehmers.

2Die Arbeitgeberin, Mitglied im Handelsverband Niedersachsen-Bremen, betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit zahlreichen Standorten, darunter einem Betrieb in B.

3Mit Schreiben vom ersuchte die Arbeitgeberin den dort gebildeten Betriebsrat um Zustimmung zur „Einstellung“ des - bereits seit dem Jahr 2012 bei ihr beschäftigten und bis zum auf einer anderen Stelle tätigen - Arbeitnehmers L ab dem für den Bereich „Food“ sowie zur beabsichtigten „Eingruppierung“ in die Lohngruppe II Lohnstaffel b) des Gehalts- und Lohntarifvertrags für den Einzelhandel in Niedersachsen (GLTV).

4Der Betriebsrat stimmte mit Schreiben vom , welches der Arbeitgeberin am selben Tag zuging, der beabsichtigten „Einstellung“, nicht aber der „Eingruppierung“ zu. Einschlägig sei die Gehaltsgruppe II GLTV.

5Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, dem Arbeitnehmer seien ganz überwiegend schwere körperliche Arbeiten im Bereich „Food“, welcher das Bistro, den sog. Schwedenshop, das Kunden- und das Mitarbeiterrestaurant umfasst, sowie Tätigkeiten im Bereich der Warenverräumung übertragen.

6Die Antragstellerin hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt,

7Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit sei dem kaufmännischen Bereich zuzuordnen. Er werde im Bereich „Food“ überwiegend mit Kassiertätigkeiten einschließlich der dazu gehörenden Vor- und Nacharbeiten sowie im Verkauf beschäftigt. Die Tätigkeit in der Warenannahme erschöpfe sich nicht in schwerer körperlicher Arbeit, sondern umfasse auch das Ausfüllen von Bestellscheinen, den Umgang mit Lieferanten und die allgemeine Bestellabwicklung.

8Das Arbeitsgericht hat den ursprünglich als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag der Arbeitgeberin, dem Betriebsrat stehe hinsichtlich der hier streitigen personellen Einzelmaßnahme kein Zustimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu, abgewiesen und deren hilfsweise erhobenem Zustimmungsersetzungsantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Zustimmungsersetzungsantrags.

9B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte die Beschwerde des Betriebsrats nicht mit der gegebenen Begründung zurückweisen. Ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu Unrecht verweigert hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weil es hierfür an den erforderlichen Feststellungen fehlt. Das führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 563 Abs. 1 ZPO).

10I. Der Zustimmungsersetzungsantrag ist nach gebotener Auslegung zulässig.

111. Das Begehren der Arbeitgeberin ist entgegen dem Antragswortlaut auf die Zustimmungsersetzung zur Umgruppierung des Arbeitnehmers gerichtet. Bei der Zuordnung der Tätigkeit des Arbeitnehmers zur Lohngruppe II Lohnstaffel b) GLTV handelt es sich - entgegen der Annahme der Betriebsparteien - nicht um eine gem. § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Eingruppierung, sondern um eine Umgruppierung. Eine Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist die Einreihung eines Arbeitnehmers in eine betriebliche Vergütungsordnung. Eine Umgruppierung ist jede Änderung dieser Einreihung. Über eine solche muss der Arbeitgeber ua. - wie hier - beim Wechsel der einem Arbeitnehmer zugewiesenen Arbeitsaufgaben entscheiden ( - Rn. 17 mwN).

122. Dem im Antrag angegebenen Datum „ab dem “ kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Es drückt kein - in dem zukunftsbezogenen Zustimmungsersetzungsverfahren unzulässiges - Begehren aus, die Zustimmung des Betriebsrats mit Rückwirkung zu ersetzen (vgl.  - Rn. 15). Das im Antrag genannte Datum bezeichnet lediglich den Zeitpunkt, ab dem der Arbeitnehmer aus Sicht der Arbeitgeberin nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b) GLTV zu vergüten ist.

133. Der so verstandene Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er bezieht sich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht nur auf den zum Zeitpunkt des Zustimmungsersuchens und des Antragseingangs einschlägigen GLTV (Fassung vom ), sondern auf die jeweilige Fassung und damit auch auf diejenige vom . Ein solches Verständnis ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich - wie vorliegend - durch den Neuabschluss eines Tarifvertrags das maßgebliche tarifliche Vergütungsschema nicht geändert hat ( - Rn. 14).

14II. Die tarifliche Bewertung der dem Arbeitnehmer übertragenen Tätigkeit durch das Landesarbeitsgericht, die zugleich das Zustimmungsersetzungsbegehren bestimmt, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

151. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei der beabsichtigten Maßnahme handele es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Das steht aufgrund des insoweit rechtskräftigen erstinstanzlichen Beschlusses des Arbeitsgerichts Braunschweig vom - 1 BV 22/17 - fest (zur Rechtskraftwirkung einer negativen Feststellungsklage sh.  - Rn. 22 mwN). Die Entscheidung über die für den noch streitgegenständlichen Antrag entscheidungserhebliche Vorfrage der Mitbestimmungspflichtigkeit der personellen Einzelmaßnahme nach § 99 Abs. 1 BetrVG entfaltet für das weitere Beschlussverfahren der beiden Beteiligten präjudizielle Bindungswirkung (vgl.  - Rn. 15 mwN, BAGE 144, 340).

162. Ferner ist das Beschwerdegericht nach seinen Feststellungen zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit Schreiben vom ordnungsgemäß unterrichtet (§ 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG) und der Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten Eingruppierung mit Schreiben vom form- und fristgerecht verweigert hat (§ 99 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG).

173. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch das Entgeltschema des GLTV nicht rechtsfehlerfrei angewandt. Entgegen seiner Auffassung gebietet dieses vor der Eingruppierung eines Arbeitnehmers in eine bestimmte Gehalts- oder Lohngruppe nicht die Prüfung, ob jener der Gruppe der Angestellten oder der gewerblichen Arbeitnehmer zuzuordnen ist. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (zu den Maßstäben der Tarifauslegung sh. zB  - Rn. 19).

18a) Die für die Eingruppierung maßgebenden tariflichen Regelungen sind im Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Niedersachsen vom (MTV) und im GLTV vom enthalten.

19aa) Der MTV lautet auszugsweise:

20bb) Der GLTV regelt ua.:

21b) Der GLTV unterscheidet seinem Wortlaut nach zwischen Gehaltsgruppen (§ 3 GLTV) und Lohngruppen (§ 5 GLTV). Er sieht aber nicht ausdrücklich vor, dass der betreffende Arbeitnehmer vor der Einreihung in eine Gehalts- oder Lohngruppe zunächst - in einem eigenen Prüfungsschritt - der Gruppe der Angestellten oder der gewerblichen Arbeitnehmer zuzuordnen wäre. Insoweit unterscheidet sich der GLTV von dem ERTV DB Services, der Gegenstand der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war ( - Rn. 14 mwN). Dieser regelte ausdrücklich ein „Entgeltgruppenverzeichnis … für angestellte Arbeitnehmer“ und ein weiteres „Entgeltgruppenverzeichnis für gewerbliche Arbeitnehmer ...“.

22c) Aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmer in den Gehaltsgruppen (§ 3 GLTV) durchgehend als „Angestellte“ bezeichnet werden, ergibt sich entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, dass deshalb „zwischen Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern (= Arbeiter) zu unterscheiden ist“. Der GLTV sieht keine begriffliche Unterscheidung zwischen Angestellten auf der einen und gewerblichen Arbeitnehmern auf der anderen Seite vor. Während die Tarifvertragsparteien im Rahmen der Gehaltsgruppen (§ 3 GLTV) den Begriff der Angestellten verwendet haben, haben sie im Rahmen der Lohngruppen (§ 5 GLTV) nicht den der Arbeiter oder gewerblichen Arbeitnehmer gewählt, sondern die Beschäftigten dort - unspezifisch - als Arbeitnehmer (Lohngruppen I und III) oder Arbeitskräfte (Lohngruppe II) bezeichnet oder die konkrete Tätigkeit benannt (zB Kraftfahrer, Bedienungspersonal).

23d) Dieses Verständnis wird durch die Tarifsystematik bestätigt. Eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu den Gehaltsgruppen auf der einen oder den Lohngruppen auf der anderen Seite im Wege einer Vorabprüfung widerspräche der durch die Nennung von Tätigkeitsbeispielen getroffenen Wertung der Tarifvertragsparteien.

24aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Erfordernisse eines Tätigkeitsmerkmals regelmäßig dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine dem in der Entgeltgruppe genannten Tätigkeits-, Regel- oder Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit ausübt (zuletzt zB  - Rn. 5, 25 zum Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom ). Das beruht darauf, dass die Tarifvertragsparteien selbst im Rahmen ihrer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewisse häufig vorkommende und typische Aufgaben einer bestimmten Entgeltgruppe fest zuordnen können. Haben die Tarifvertragsparteien Tätigkeits-, Regel- oder Richtbeispiele festgelegt, ist ein Rückgriff auf die Obersätze nicht nur überflüssig, sondern unzulässig ( - Rn. 17).

25bb) Für den streitgegenständlichen Tarifvertrag bedeutet das, dass ein vom GLTV erfasster Arbeitnehmer, der beispielsweise überwiegend als „Auszeichner“ tätig ist, regelmäßig ohne weitere Prüfung des allgemeinen Tätigkeitsmerkmals nach Lohngruppe II Lohnstaffel a) GLTV zu vergüten ist (vgl.  - zu II b der Gründe, BAGE 84, 97). Eine gesonderte Prüfung, ob es sich bei dem Arbeitnehmer um einen Angestellten oder einen gewerblichen Arbeitnehmer handelt, ist nicht vorgesehen. Ebenso könnte ein Arbeitnehmer, der ua. eine Teiltätigkeit als „Kassierer … mit einfacher Tätigkeit“ ausübt, nicht mehr diesem Tätigkeitsbeispiel zugeordnet werden, wenn er im Rahmen einer vorgeschalteten Prüfung als gewerblicher Arbeitnehmer anzusehen wäre. Die sich aus der Festlegung von Tätigkeitsbeispielen ergebende Wertung der Tarifvertragsparteien würde umgangen, wenn nach außerhalb des Tarifvertrags liegenden Maßstäben vorab geprüft würde, ob ein Arbeitnehmer der Gruppe der Angestellten oder derjenigen der gewerblichen Arbeitnehmer zuzuordnen ist.

26cc) Auch bei der Prüfung der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale bedarf es keines Rückgriffs auf den Status des Arbeitnehmers als Angestellter oder gewerblicher Arbeitnehmer. Soweit diese unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, sind die Tätigkeitsbeispiele im Rahmen der Auslegung als Richtlinien für die Bewertung mit zu berücksichtigen (zuletzt  - Rn. 25; - 4 ABR 56/17 - Rn. 27 mwN). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem hinsichtlich der Tätigkeit nicht näher bestimmten allgemeinen Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe I GLTV. Dieses enthält zwar keine Tätigkeitsbeispiele. Die dieser Gehaltsgruppe zuzuordnenden Tätigkeiten können aber gleichwohl ohne Heranziehung des Angestelltenbegriffs und unter Berücksichtigung der in § 3 Gehaltsgruppe I Abs. 2 GLTV vorgesehenen Höhergruppierung im Wege der Auslegung ermittelt werden, indem auf eine mögliche kaufmännische Prägung abgestellt oder eine Abgrenzung zu den in Gehaltsgruppe II und Lohngruppe I GLTV genannten Tätigkeitsmerkmalen vorgenommen wird.

27e) Dass der GLTV keine „statusbezogene“ Unterscheidung von Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern vorsieht, sondern der Differenzierung zwischen Gehalts- und Lohngruppen lediglich eine - historisch bedingte - gliedernde oder typisierende Funktion zukommt, wird schließlich durch die Tarifgeschichte deutlich.

28aa) Bis zum Jahr 1979 wurden die Gehalts- und Lohntarifverträge für den Einzelhandel in Niedersachsen getrennt voneinander abgeschlossen. So wurde zuletzt mit Wirkung zum zwischen dem Einzelhandelsverband Niedersachsen e.V. auf der einen und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) bzw. der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) auf der anderen Seite ein Gehaltstarifvertrag abgeschlossen, der persönlich „für alle Angestellten …“ galt. Entsprechend sahen die Tätigkeitsmerkmale Tätigkeiten von „Angestellten“ vor. Zeitgleich wurde ein Lohntarifvertrag abgeschlossen. Er galt persönlich „für die in diesen Betrieben beschäftigten arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer einschließlich der Auszubildenden“. Hier wurden die Arbeitnehmer in den Tätigkeitsmerkmalen ganz überwiegend als „Arbeitskräfte“ bezeichnet. Mit Wirkung zum trat erstmals ein zwischen dem Einzelhandelsverband Niedersachsen e.V. auf der einen und den Gewerkschaften DAG und HBV auf der anderen Seite abgeschlossener gemeinsamer Gehalts- und Lohntarifvertrag in Kraft. Dieser galt nach seinem persönlichen Geltungsbereich „für alle Beschäftigten …“. Trotz der Vereinheitlichung des persönlichen Geltungsbereichs blieb die Aufteilung in Gehalts- und Lohngruppen aufrechterhalten. Im Rahmen der Gehaltsgruppen wurden die Beschäftigten weiterhin als „Angestellte“ bezeichnet, im Rahmen der Lohngruppen nunmehr überwiegend als „Arbeitnehmer“. Lediglich in der Lohngruppe II wurde der Begriff „Arbeitskräfte“ beibehalten.

29bb) Durch die Zusammenführung des Gehalts- und Lohntarifvertrags und die damit verbundene Vereinheitlichung des persönlichen Geltungsbereichs ohne Einführung weiterer Differenzierungskriterien für die Zuordnung zu den Gehalts- und Lohngruppen haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass künftig die bisherige über den jeweiligen Geltungsbereich vermittelte grundsätzlich notwendige Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern für die Eingruppierung nicht mehr erforderlich ist. Sie erfolgt lediglich anhand der von den Beschäftigten verrichteten Tätigkeit (§ 6 Abs. 2 MTV). Dem entspricht es auch, dass die Tarifvertragsparteien die Bezeichnung der „Arbeitskräfte“ im Rahmen der Lohngruppen überwiegend in den umfassenden Begriff der „Arbeitnehmer“, und nicht etwa in „gewerbliche Arbeitnehmer“, geändert haben. Nach dem ersatzlosen Entfall der spezifischen Geltungsbereichsregelung der vormaligen Tarifverträge handelt es sich bei dem im Rahmen der Gehaltsgruppen weiterhin verwendeten Begriff „Angestellte“ nur noch um einen historisch bedingten Rechtsbegriff, dem aber nicht mehr die Bedeutung als allgemeines Unterscheidungsmerkmal zukommt.

30III. Ob der Antrag der Arbeitgeberin begründet ist, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Es fehlt an den für die Bestimmung der tariflich zu bewertenden Tätigkeit erforderlichen Tatsachenfeststellungen durch das Landesarbeitsgericht. Die Sache ist deshalb zur neuen Anhörung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.

311. Im Rahmen der neuen Anhörung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht zunächst festzustellen haben, welche Tätigkeiten dem Arbeitnehmer mit jeweils welchen Zeitanteilen übertragen und wie diese von Seiten der Arbeitgeberin organisiert sind. Auf dieser Grundlage hat es dann zu bestimmen, ob es sich bei der verrichteten Tätigkeit um eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit oder um getrennt zu bewertende Teiltätigkeiten handelt.

32a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit nicht stets als einheitliche Gesamttätigkeit zu bewerten.

33aa) Gegenstand der tariflichen Bewertung ist gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 MTV die „tatsächlich verrichtete Tätigkeit“. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung, nach der eine überwiegende Tätigkeit für die Eingruppierung maßgebend sein soll. Jedoch handelt es sich um einen allgemein anerkannten Grundsatz des Eingruppierungsrechts, dass sich die auszuübende Tätigkeit eines Arbeitnehmers aus verschiedenen Teiltätigkeiten unterschiedlicher Entgeltgruppen zusammensetzen kann ( - Rn. 33 mwN).

34bb) Anhaltspunkte dafür, die Tarifvertragsparteien des MTV hätten von dieser Regel abweichen wollen, bestehen nicht. Insbesondere setzt eine „Tätigkeit“ iSd. tarifvertraglichen Regelung des § 6 Abs. 2 MTV schon begrifflich nicht voraus, dass der Arbeitnehmer nur eine in einer Gehalts- oder Lohngruppe aufgeführte Tätigkeit ausschließlich ausübt oder diese einheitlich einem tariflichen Tätigkeitsmerkmal entsprechen muss. Auch ein Arbeitnehmer, der nur teilweise etwa als Verkäufer und teilweise in anderer Funktion eingesetzt wird, wird als solcher „tätig“ (vgl.  - Rn. 43). Der tarifvertraglichen Regelung ist ebenso wenig zu entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien von einem anderen Maß als der überwiegend auszuübenden Tätigkeit ausgegangen wären (so etwa in  - Rn. 44).

35b) Für die Bestimmung, ob es sich im konkreten Fall um eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit oder mehrere getrennt zu bewertende Teiltätigkeiten handelt, gelten vergleichbare Regeln und Kriterien wie bei der Bestimmung des Arbeitsvorgangs nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (dazu im Einzelnen  - Rn. 17; - 4 AZR 816/16 - Rn. 24 f. mwN, BAGE 162, 81). Die anzuwendenden Maßstäbe sind lediglich weniger streng (st. Rspr., zB  - Rn. 15 mwN; - 4 ABR 104/08 - Rn. 15).

36c) Das Landesarbeitsgericht wird danach festzustellen haben, welche Einzeltätigkeiten der Arbeitnehmer in welchem zeitlichen Umfang auszuüben hat. Die bisherigen Feststellungen sind nicht ausreichend. Sie beschränken sich insoweit auf die ungefähre Beschreibung der Tätigkeit. Im Übrigen gibt das Landesarbeitsgericht lediglich umfangreich den streitigen Vortrag der Beteiligten wieder. Den Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, wie die Tätigkeit des Arbeitnehmers organisiert ist, insbesondere ob dessen Teilaufgaben im Schwedenshop, im Bistro, im Mitarbeiter- und im Kundenrestaurant sowie ggf. auch in der Warenverräumung von vornherein tatsächlich auseinander gehalten und auch organisatorisch voneinander getrennt sind oder etwa nach der eigenen bedarfsorientierten Einschätzung des Arbeitnehmers ineinander übergehen.

372. In einem nächsten Schritt wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die tariflich gesondert zu bewertenden Teiltätigkeiten oder die einheitliche Gesamttätigkeit einem oder mehreren Tätigkeitsbeispielen entsprechen. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Tätigkeit innerhalb der zu bewertenden Gesamt- oder Teiltätigkeit zeitlich überwiegend, also zu mehr als 50 vH der Arbeitszeit ausgeübt wird. Zwingend erforderlich ist das aber nicht. Die anfallenden Aufgaben können auch durch ihre qualitativen Anforderungen den Schwerpunkt der Tätigkeiten bilden und für die Gesamt- oder Teiltätigkeit so bedeutsam sein, dass diese insgesamt dem „Bild“ der durch das Tätigkeitsbeispiel beschriebenen Tätigkeit entspricht. Es muss sich um dem Tätigkeitsbeispiel typischerweise zuzuordnende Tätigkeiten handeln. Im Entscheidungsfall kommen insoweit aus den Gehaltsgruppen (§ 3 GLTV) - je nach genauem Zuschnitt der Tätigkeit - etwa die Beispiele Verkäufer oder Kassierer mit einfacher Tätigkeit (Gehaltsgruppe II GLTV) oder Büfettkräfte mit Kontrollaufgaben (Lohngruppe II Lohnstaffel b) GLTV) in Betracht.

383. Sollte die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit nicht überwiegend einem Tätigkeitsbeispiel entsprechen, ist die Erfüllung der in Betracht kommenden allgemeinen Tätigkeitsmerkmale zu prüfen. Bei deren Auslegung können die Tätigkeitsbeispiele als Richtlinien für die Bewertung mit herangezogen werden (sh. zuletzt  - Rn. 25; - 4 ABR 56/17 - Rn. 27 mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:130520.B.4ABR29.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 1779 Nr. 32
IAAAH-54292