Kartellschadensersatz für Abnehmer im sog. Schienenkartell: Grundsätze zum Schadensersatz bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell
Gesetze: Art 101 Abs 1 AEUV, § 1 GWB, § 33 S 1 GWB vom , § 33 Abs 1 S 1 GWB vom , § 33 Abs 3 S 1 GWB vom , § 33 Abs 5 GWB vom , § 286 Abs 1 ZPO, § 287 Abs 1 S 2 ZPO, § 304 Abs 1 ZPO, § 199 Abs 3 S 1 Nr 1 BGB, § 204 Abs 2 BGB
Instanzenzug: Az: 6 U 133/15 (Kart)vorgehend LG Mannheim Az: 7 O 145/14 Kart
Tatbestand
1Die Klägerinnen nehmen die Beklagte auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch.
2Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Weichen und Schienen; sie ist Gesamtrechtsnachfolgerin der SHW-Weichenbau GmbH (im Folgenden einheitlich: die Beklagte).
3Die Klägerin zu 1, ein regionales Nahverkehrsunternehmen, und die Klägerin zu 2, ein Eisenbahnunternehmen, erwarben bis 2010 von der Beklagten, überwiegend aufgrund von Preisanfragen, zum Teil auch auf Grundlage von Ausschreibungen, in 32 Fällen Gleisoberbaumaterialien, insbesondere Schienen, Weichen und Schwellen.
4Mit Bescheid vom verhängte das Bundeskartellamt gegen die Beklagte wegen Beteiligung an dem Kartell der "Schienenfreunde" ein Bußgeld. Nach den Feststellungen des rechtskräftigen Bußgeldbescheids verstieß die Beklagte jedenfalls zwischen Mai 2001 und Mai 2011 gemeinschaftlich handelnd u.a. mit den Streithelferinnen gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen.
5Die Klägerinnen behaupten, einem Teil der Verträge lägen Bedingungen zu Grunde, nach denen der Auftragnehmer verpflichtet sei, vorbehaltlich des Nachweises eines Schadens in anderer Höhe, 15 von Hundert der Auftragssumme als Schadensersatz zu zahlen, wenn er aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Die Klägerinnen machen geltend, sie hätten aufgrund des Kartells überhöhte Preise zahlen müssen. Sie haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1 5.124,30 € (Klageantrag zu 1a) und an die Klägerin zu 2 11.565,78 € (Klageantrag zu 2a), jeweils zuzüglich Zinsen, zu bezahlen, sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen den Schaden nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu ersetzen, der ihnen jeweils aus näher bezeichneten Aufträgen entstanden ist oder entstehen wird, auch über die mit den Klageanträgen zu 1a und 2a geltend gemachten Beträge hinaus, soweit die Aufträge bereits von diesen erfasst werden (Klageanträge zu 1b, 2b). Für den Fall der Abweisung der Klageanträge zu 1 und 2 haben sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen jeweils sämtliche Schäden nebst Zinsen zu ersetzen, die ihnen aufgrund von Kartellabsprachen aus näher bezeichneten Aufträgen oder wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen im Sinne von § 298 StGB entstanden sind oder entstehen werden (Klageanträge zu 1c, 2c).
6Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil die Klage hinsichtlich der Zahlungsanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz weitergehender Schäden verpflichtet ist. Die geltend gemachten Zinsen hat es nur in beschränktem Umfang zugesprochen.
7Die Berufung der Beklagten hat zur Klageabweisung geführt, soweit die Klägerin zu 1 Ersatz der aus drei in den Jahren 2002 und 2004 beauftragten Beschaffungsvorgängen resultierenden Schäden begehrt und soweit die Klägerin zu 2 Ersatz der Schäden aus zwei in den Jahren 2002 und 2004 beauftragten Beschaffungen verlangt. Im Übrigen haben die Berufungen beider Parteien jeweils nur hinsichtlich eines Teils des geforderten Zinsschadens Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz weitergehender Schäden nebst Zinsen ab Entstehung des Schadens in Höhe von jährlich vier Prozent für vor dem erteilte Aufträge und von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für nach diesem Zeitpunkt erteilte Aufträge verpflichtet ist.
8Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagte - unterstützt von den Streithelferinnen zu 1 und 4 - sowie die Klägerinnen mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen.
Gründe
9A. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
10Das Grundurteil in Bezug auf den pauschalierten Schadensersatz sei zulässig. Soweit mit der Klage die Verurteilung zur Zahlung eines bestimmen Betrags begehrt werde, sei der Anspruch nach Grund und Höhe streitig. Der Feststellungsausspruch des Landgerichts sei nicht zu beanstanden. Das angefochtene Urteil sei durch die Benennung der einzelnen Beschaffungsvorgänge hinreichend bestimmt. Der Vorrang der Leistungsklage stehe hier nicht entgegen. Die Erhebung einer Feststellungsklage sei aus prozessökonomischen Gründen geboten, weil die Bezifferung des Schadens nur unter Heranziehung eines Sachverständigen erfolgen könne.
11Zu Recht habe das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerinnen dem Grunde nach bejaht. Die Klägerinnen seien als unmittelbare Abnehmer anspruchsberechtigt. Die Beteiligung der Beklagten an wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen im Zeitraum von 2001 bis 2011 sei unstreitig. Zudem seien die Feststellungen des Bußgeldbescheids gemäß § 33 Abs. 4 GWB bindend. Angesichts der danach feststehenden Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen spreche der erste Anschein dafür, dass sich die Absprachen allgemein preissteigernd ausgewirkt haben. Ebenso wie beim reinen Preiskartell werde auch beim Kundenschutzkartell der Preiswettbewerb ausgeschaltet. Dies gehe typischerweise mit einer Erhöhung des Preisniveaus einher und gelte insbesondere, wenn mit den Absprachen der Sinn und Zweck einer Ausschreibung konterkariert werde. Bestätigt werde dieser Erfahrungssatz hier durch die etwa zehnjährige Dauer des Kartells. Die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises werde auch nicht durch die Pauschalierungsklausel in Frage gestellt. Die Beklagte habe den Anschein nicht zu erschüttern vermocht.
12Ein Anscheinsbeweis spreche zudem dafür, dass die Beschaffungstätigkeit der Klägerinnen von dem Kartell betroffen gewesen sei. Sei den Absprachen allgemein preissteigernde Wirkung zugekommen, bestehe ein Erfahrungssatz dahin, dass auch die konkret streitigen Beschaffungen auf dem kartellbefangenen Markt von dieser Wirkung betroffen gewesen seien. Zudem gehe es hier nur um Beschaffungsvorgänge, bei denen die Klägerinnen die am Kartell beteiligte Beklagte beauftragt hätten. Werde ein Auftrag an einen Bieter erteilt, der an kundenschützenden Absprachen mit generell preissteigernder Wirkung beteiligt sei, spreche ein Erfahrungssatz dafür, dass die Beschaffung von dem kartellbedingt überhöhten Preisniveau betroffen sei. Nach aller Erfahrung werde sich das Preisniveau bei Aufträgen ohne Ausschreibung an dem Preisniveau orientieren, das sich im Rahmen manipulierter Ausschreibungen gebildet habe. Diesen Anschein habe die Beklagte nicht zu erschüttern vermocht.
13Die sich daraus ergebenden Ansprüche auf Schadensersatz seien jedoch zum Teil verjährt. Dies betreffe die Aufträge der Klägerin zu 1 vom und vom und die Aufträge der Klägerin zu 2 vom und vom . Bei diesen sei die kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen gewesen, bevor die Klägerinnen jeweils verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hätten. Das laufende Bußgeldverfahren beim Bundeskartellamt habe keine Hemmung der Verjährung nach § 33 Abs. 5 Nr. 1 GWB in der ab dem geltenden Fassung (GWB 2005) bewirkt, da diese Vorschrift nicht für sogenannte Altfälle gelte, die vor Inkrafttreten der Vorschrift entstanden seien.
14Da eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass den Klägerinnen jeweils ein Schaden entstanden sei, der über die bezifferte Forderung hinausgehe, sei auch die Feststellungsklage begründet. Es sei keineswegs auszuschließen, dass der Schaden 15 Prozent der Auftragssumme übersteige. Für den Erlass des Grundurteils komme es nicht darauf an, ob die Klausel über die Schadenspauschalierung wirksam sei, da diese nur die Anspruchshöhe betreffe.
15Den Klägerinnen sei kein Mitverschulden anzulasten. Ein solches ergebe sich nicht daraus, dass die Klägerinnen bei kleineren Aufträgen nur die Angebote einiger weniger Unternehmen und bisweilen auch allein der Beklagten eingeholt hätten und die Ausschreibungen nach Vorbringen der Beklagten auf diese zugeschnitten gewesen seien. Aus dem Umstand, dass immer nur die Beklagte das jeweils günstigste Angebot unterbreitet habe, hätten die Klägerinnen nicht auf kartellbedingte Manipulationen schließen müssen.
16Hinsichtlich der Zinsen sei der Feststellungsantrag nur zum Teil begründet. Die Schadensersatzforderung sei - anders als das Landgericht angenommen habe - nur in Höhe von vier Prozent für Aufträge vor dem und in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz einheitlich bereits ab dem Zeitpunkt der Schadensentstehung zu verzinsen.
17B. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit zu ihren Lasten entschieden worden ist (dazu I.). Die Revision der Klägerinnen hat Erfolg, soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche aus Beschaffungsvorgängen aus den Jahren 2002 bis 2004 als verjährt angesehen und die Klage insoweit abgewiesen hat; im Übrigen hat sie keinen Erfolg (dazu II.).
18I. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Schadensersatzansprüche der Klägerinnen dem Grunde nach nicht zuerkannt und kann eine Ersatzpflicht der Beklagten für weitergehende Schäden nicht festgestellt werden.
191. Das Berufungsgericht ist allerdings mit Recht davon ausgegangen, dass die Erhebung der Feststellungsklagen neben den geltend gemachten Zahlungsansprüchen zulässig ist.
20a) Der Senat hat bereits entschieden, dass die gewählte Kombination aus Zahlungsantrag und Feststellungsantrag in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht zur Unzulässigkeit der Klage führt, weil es dem Kläger nicht verwehrt ist, einen Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines entsprechend der Pauschalierungsklausel bezifferten Betrags mit einem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weitergehenden Schadens zu verbinden (, NZKart 2019, 101 = WuW 2019, 474 Rn. 22 f - Schienenkartell).
21b) Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht die Feststellungsklagen als zulässig angesehen.
22aa) Ein hinreichendes Feststellungsinteresse der Klägerinnen ist gegeben. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Befugnis zur Erhebung einer Feststellungsklage nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass die Klägerinnen zur Bezifferung ihres Schadens auf sachverständige Hilfe angewiesen sind und die Bezifferung des Anspruchs daher mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist (, WRP 2018, 941 Rn. 18 - Grauzementkartell II, NZKart 2019, 101 Rn. 27 - Schienenkartell). Jedoch weist der Streitfall wegen der in der Vergangenheit unklaren Rechtslage in Bezug auf die zeitliche Anwendbarkeit des § 33 Abs. 5 GWB 2005 Besonderheiten auf, die - wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat (vgl. BGH, WRP 2018, 941 Rn. 19 ff. - Grauzementkartell II, NZKart 2019, 101 Rn. 32 - Schienenkartell) - hier eine andere Beurteilung rechtfertigen.
23bb) Die Feststellungsanträge sind auch hinreichend bestimmt. Die Klägerinnen haben in der Klageschrift vorgetragen, dass die Beschaffungsvorgänge, auf die sie ihre Klage stützen, zum Teil durch Zuwendungen öffentlicher Stellen gefördert wurden, und erklärt, sie machten auch Schäden geltend, die den Zuwendungsgebern möglicherweise zustünden. Wie sich aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt, haben die Klägerinnen jedoch später klargestellt, dass sie mit den Feststellungsanträgen zu 1b und 2b nur die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz solcher Schäden begehren, die ihnen selbst entstanden sind oder in der Zukunft noch entstehen werden. Dies ergibt sich aus der Fassung ihrer Klageanträge sowie daraus, dass sie nur hilfsweise Anträge gestellt haben, wonach sie die Erstattung solcher Schäden verfolgen, die ihnen und dem Land Baden-Württemberg als ihrem Zuwendungsgeber entstanden sind. Nachdem das Berufungsgericht den Klageanträgen zu 1b und 2b entsprochen hat, sind mögliche Schadensersatzansprüche des Zuwendungsgebers nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung. Auch im Übrigen fehlt es nicht an einer hinreichenden Bestimmtheit der in den Anträgen genannten Vertragsbeziehungen.
242. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Klagen mit dem Zahlungsantrag zu 1 dem Grunde nach gerechtfertigt sind, hält jedoch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
25a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Erlass eines Grundurteils nach § 304 Abs. 1 ZPO auch dann in Betracht kommt, wenn über die Frage der Wirksamkeit der Pauschalierungsklausel nicht entschieden wird (vgl. dazu BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 41 ff. - Schienenkartell). Das Berufungsgericht hat den Tenor zu den Klageanträgen zu 1a, 2a zwar dahin gefasst, dass die Klagen betreffend den mit diesen Anträgen geltend gemachten pauschalierten Schadensersatz dem Grunde nach gerechtfertigt sind. Wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, die zur Auslegung des Tenors heranzuziehen sind, hat das Berufungsgericht damit jedoch keine Aussage über die Wirksamkeit der Pauschalierungsklausel getroffen.
26b) Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften des Kartellrechts sei dem Grunde nach zu bejahen, weil jeweils ein Beweis des ersten Anscheins dafürspreche, dass den Klägerinnen aus den Beschaffungsvorgängen, auf die sie ihre Schadensersatzforderung stützen, ein Schaden entstanden ist und dass diese Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren, hält den Angriffen der Revision in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
27aa) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass auf die bis zum erteilten Aufträge als Anspruchsgrundlage § 33 Satz 1 GWB in der seit dem geltenden Fassung (GWB 1999), für später erteilte Aufträge § 33 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 GWB 2005 in Betracht kommt (vgl. , BGHZ 190, 145 Rn. 13 - ORWI; NZKart 2019, 101 Rn. 44 - Schienenkartell).
28bb) Mit Recht hat das Berufungsgericht einen schuldhaften Verstoß der Beklagten gegen § 1 GWB festgestellt und dabei angenommen, dass nach den gemäß § 33 Abs. 4 GWB 2005 für den nachfolgenden Schadensersatzprozess bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid die Beklagte über einen längeren Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt war. Dies wird von der Revision auch nicht beanstandet. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamts hat die Beklagte auch gegen Art. 81 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) verstoßen.
29Danach praktizierten Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 auf dem Privatmarkt in Deutschland Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen. Die Streithelferinnen zu 2 und 4 bzw. deren Vorgängergesellschaften waren in allen Regionen und über den gesamten Zeitraum beteiligt. Die Beklagte nahm in diesem Zeitraum im Bereich Schienen und Schwellen regional bei Ausschreibungen an Absprachen teil. Die genannten Absprachen beruhten maßgeblich darauf, dass den einzelnen Unternehmen bestimmte "Altkunden" oder "Stammkunden" zugeordnet waren und diese Zuordnung von den Kartellteilnehmern grundsätzlich respektiert wurde. Hierzu verzichteten die anderen Kartellteilnehmer auf die Abgabe von Angeboten oder reichten diese erst nach Ablauf der Angebotsfrist oder zu überhöhten Preisen ein, so dass der Auftrag dem vorbestimmten Unternehmen zufallen konnte. Die Absprachen wurden vorwiegend über telefonische Kontakte und persönliche Treffen sowie E-Mails umgesetzt. Aufgrund der über Jahre praktizierten Absprachen und gewachsenen Kundenbeziehungen war allen Beteiligten klar, wer jeweils den ausgeschriebenen Auftrag erhalten sollte. Dem betreffenden, als "Spielführer“ bezeichneten Unternehmen kam eine organisatorische und koordinierende Funktion für den Auftrag zu. Diese beinhaltete u.a., den anderen Unternehmen, überwiegend in getarnter Form, die Preise der Schutzangebote oder den vom "Spielführer" angestrebten Zuschlagspreis mitzuteilen. Zum Ausgleich für die Abgabe von Schutzangeboten wurden die Kartellteilnehmer meist durch Unteraufträge oder sonstige Kompensationsgeschäfte entschädigt. Der Ausgleich erfolgte aber nicht nur projektbezogen, vielmehr basierte das System auf einem projektübergreifenden Verständnis und Vertrauensverhältnis der Kartellteilnehmer untereinander. Als Gegenleistung für die Abgabe eines Schutzangebots konnte der Schützende grundsätzlich davon ausgehen, dass er bei einem anderen Projekt von den Kartellteilnehmern geschützt würde. Der Ablauf war insgesamt so etabliert, dass es häufig keiner ausdrücklichen Absprache bezogen auf ein konkretes Projekt bedurfte. Im Bereich Weichen war die Beklagte an Absprachen beteiligt, die bis Ende 2008 vor allem bei Sitzungen des Arbeitskreises Marketing des Fachverbands Weichenbau beziehungsweise innerhalb des Verbands der Bahnindustrie getroffen wurden.
30cc) Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann jedoch nicht angenommen werden, den Klägerinnen sei aufgrund der Kartellabsprache zwischen den beteiligten Unternehmen - mit der für ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 38 - Schienenkartell) - überhaupt ein Schaden entstanden. Die Annahme, der Beweis des ersten Anscheins streite dafür, dass sich die Kartellabsprache allgemein sowie im Hinblick auf die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge preissteigernd ausgewirkt habe, und die Beklagte habe die daraus folgende Vermutung eines kartellbedingten Schadens nicht erschüttert, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang.
31Für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises fehlt es - wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat - bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell, wie es hier in Rede steht, an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 57 - Schienenkartell). Die Annahme des Berufungsgerichts, der Anscheinsbeweis sei durch das Vorbringen der Beklagten nicht erschüttert, trägt deshalb die Feststellung einer dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzpflicht der Beklagten nicht. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls zu der Überzeugung gelangt wäre, dass den Klägerinnen ein Schaden entstanden ist.
32c) Fehlt es damit an verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die den Schluss tragen, dass den Klägerinnen ein Schaden entstanden ist, hat auch der Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts keinen Bestand.
33II. Die Revision der Klägerinnen hat nur insoweit Erfolg, als sie sich dagegen richtet, dass das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich der Beschaffungsvorgänge mit den Auftragsnummern 021706335, 021706334, 9/2004 (040701215), 11/2002/Bm und 70/2003/Bm abgewiesen hat.
341. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, die geltend gemachten Ansprüche aus den betreffenden Beschaffungsvorgängen zwischen dem und dem seien verjährt.
35a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche nach §§ 195, 199 BGB in der seit dem geltenden Fassung richtet.
36b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Verjährung der genannten Ansprüche während der Dauer des kartellbehördlichen Bußgeldverfahrens nach § 33 Abs. 5 GWB 2005, § 204 Abs. 2 BGB gehemmt. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist die Vorschrift des § 33 Abs. 5 GWB 2005 auch auf vor dem Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle entstandene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährte Ansprüche anwendbar (NZKart 2018, 315 Rn. 62 ff. - Grauzementkartell II).
37Nach diesen Grundsätzen war, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, die kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB der in den Jahren 2002 und 2004 entstandenen Ansprüche durch die Einleitung des Bußgeldverfahrens im Mai 2011 bis mindestens sechs Monate nach dem Erlass des Bußgeldbescheids am , mithin bis zum (§ 33 Abs. 5 Satz 2 GWB 2005, § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB), gehemmt, so dass die Ansprüche bei Klageerhebung noch nicht verjährt waren.
382. Die Revision der Klägerinnen im Hinblick auf die vom Berufungsgericht ausgesprochene Höhe der Zinsen bleibt erfolglos. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass Schadensersatzansprüche ab Schadensentstehung nur mit vier Prozent jährlich für vor dem erteilte Aufträge und mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für nach diesem Zeitpunkt erteilte Aufträge zu verzinsen sind (vgl. BGH, WRP 2018, 941 Rn. 49 - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 70 - Schienenkartell).
39C. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), ist es auf die Revision der Beklagten insoweit aufzuheben, als zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, und auf die Revision der Klägerinnen, soweit das Berufungsgericht die Klage wegen Verjährung abgewiesen hat (§ 562 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil er der vom Tatrichter vorzunehmenden Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nicht vorgreifen kann. Die Sache ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
40I. Bei der erneuten Beurteilung der Frage, ob den Klägerinnen Schadensersatzansprüche nach § 33 Satz 1 GWB 1999 und § 33 Abs. 3 GWB 2005 in Verbindung mit § 1 GWB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB und § 33 Abs. 3 GWB 2005 in Verbindung mit Art. 81 Abs. 1 EGV (jetzt 101 Abs. 1 AEUV) zustehen, wird das Berufungsgericht, das im Ergebnis zurecht davon ausgegangen ist, die Klägerinnen seien anspruchsberechtigt, im Hinblick auf die Prüfung des haftungsbegründenden Tatbestands Folgendes zu berücksichtigen haben:
411. Der Kreis derjenigen, die berechtigt sind, einen Schadensersatzanspruch wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften des § 1 GWB sowie des Art. 101 AEUV geltend zu machen, bestimmt sich im Ausgangspunkt nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Allerdings sind - wenn wie hier ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV in Rede steht - die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen, denen sowohl der Kreis der Anspruchsberechtigten (, EuZW 2006, 529 Rn. 61, 91 - Manfredi) und die Person des Ersatzpflichtigen (, WuW 2019, 253 = NZKart 2019, 217 Rn. 28 - Skanska) als auch der Begriff des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Verhalten und dem geltend gemachten Schaden (, WuW 2020, 83 = NZKart 2020, 30 Rn. 23 - Otis u.a./Land Oberösterreich) zu entnehmen sind.
42Um die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union zu erhöhen und Unternehmen von - oft verschleierten - wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union jedermann Ersatz des Schadens verlangen, soweit nur zwischen dem Schaden und dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (, EuZW 2006, 529 Rn. 61, 91 - Manfredi; Urteil vom - C-724/17, NZKart 2019, 217 Rn. 26 - Skanska; Urteil vom - C-435/18, NZKart 2020, 30 Rn. 27 ff. - Otis u.a./Land Oberösterreich). Eine weitergehende Einschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten ergibt sich aus dem Unionsrecht nicht (näher dazu Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom - C-435/18 Rn. 50 ff. - Otis u.a./Land Oberösterreich). Damit sind nicht nur die Marktteilnehmer auf den von der Kartellabsprache betroffenen oder benachbarten Märkten - insbesondere die unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer oder Lieferanten der Kartellbeteiligten (vgl. BGHZ 190, 145 Rn. 25 ff. - ORWI) - sowie der Kartellaußenseiter (, WuW 2014, 783 = NZKart 2014, 263 Rn. 30 ff. - Kone) berechtigt, Schadensersatzansprüche gegen die Kartellbeteiligten geltend zu machen. Vielmehr kann sich der Kreis der Anspruchsberechtigten auch auf sonstige Dritte erstrecken, auf deren Vermögensposition sich die Kartellabsprache wirtschaftlich nachteilig in Form eines verursachten Schadens ausgewirkt hat (vgl. EuGH, NZKart 2020, 30 Rn. 30 ff. - Otis u.a./Land Oberösterreich). Dies entspricht der Weite des Schutzbereichs des Art. 101 AEUV.
432. Bei der Prüfung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs kommt dem Merkmal der Betroffenheit im Sinne des hier anwendbaren § 33 Abs. 1 Satz 1 GWB 2005 - ähnlich wie bei sonstigen Schadensersatzansprüchen, die eine Rechtsgutsverletzung nicht voraussetzen (vgl. zu Amtspflichtverletzungen , NJW-RR 1996, 781; zu Vertragspflichtverletzungen , NJW 1993, 3073, 3076 mwN) - Bedeutung nur für die Frage zu, ob dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen (in diesem Sinn BGHZ 211, 146 Rn. 47 - Lottoblock II; vgl. auch Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Bd. 2, § 33 GWB Rn. 15; Lahme/Ruster, NZKart 2019, 196, 198 f.; Stock, Der Schadensnachweis bei Hardcore-Kartellen, 2016, S. 272; weitergehend W.-H. Roth in Frankfurter Kommentar, Stand [94. Lieferung] August 2019, § 33a GWB Rn. 24, 87 ff.; Otto, ZWeR 2019, 354, 374 f., 380 f.). Für die Feststellung dieser Voraussetzungen gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Im Streitfall sind sie ohne Weiteres erfüllt, weil die Klägerinnen nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts von der am Kartell beteiligten Beklagten Waren erworben haben, welche Gegenstand der Kartellabsprache waren.
44Zur Ermittlung der haftungsbegründenden Kausalität muss entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht festgestellt werden, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn "kartellbefangen" oder auch "kartellbetroffen" war (so aber außer dem Berufungsgericht auch VI-U (Kart) 18/17, juris Rn. 59 f.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl., S. 123; Wagner, JZ 2019, 470 f.; Ohlhoff in Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, § 26 Rn. 121). Auf eine solche "Kartellbefangenheit" des Erwerbsvorgangs kommt es im Rahmen der Prüfung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs damit nicht an. Soweit dem Urteil des Senats vom (NZKart 2019, 101 Rn. 59 - Schienenkartell) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.
45Die Frage nach der im vorstehenden Sinn verstandenen Kartellbefangenheit einzelner Erwerbsvorgänge ist gleichbedeutend mit der für den unionsrechtlich determinierten Schadensersatz maßgeblichen Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kartellabsprache und dem Vorliegen eines individuellen Schadens. Erweist sich, dass dem Anspruchsteller ein der Kartellabsprache zurechenbarer Schaden entstanden ist, steht zugleich fest, dass sich die verbotene Absprache nachteilig auf das Geschäft, insbesondere auf den gezahlten Preis, ausgewirkt hat. Diese Gesichtspunkte sind im Rahmen der Schadensfeststellung Gegenstand der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. Otto, ZWeR 2019, 354, 383 und 388; Lahme/Ruster, NZKart 2019, 196, 200; Hutschneider/Stieglitz, NZKart 2019, 363, 367; Stock, Der Schadensnachweis bei Hardcore-Kartellen, S. 266, 271 ff.). Dem entspricht es, dass eine normative Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten nach dem Inhalt des Unionsrechts in erster Linie dem Begriff des verursachten Schadens vorbehalten bleibt, damit nicht nur die auf den betroffenen, vor- oder nachgelagerten oder sonstigen benachbarten Märkten tätigen Akteure, sondern auch nur mittelbar betroffene Dritte den durch die Kartellabsprache ursächlich hervorgerufenen Schaden ersetzt verlangen können (vgl. Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom - C-435/18 Rn. 50 ff., 80 ff. - Otis u.a./Land Oberösterreich; vgl. zu § 33a GWB W.-H. Roth in Frankfurter Kommentar, Stand [94. Lieferung] August 2019, § 33 GWB Rn. 25 ff.).
463. Die vorstehenden Grundsätze gelten aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auch, soweit § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 101 AEUV und - nach § 22 Abs. 1 GWB parallel - § 33 Satz 1 GWB 1999 in Verbindung mit § 1 GWB anwendbar sind. Ebenso sind sie außerhalb des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu beachten, um eine einheitliche Auslegung der Vorschriften über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche unabhängig von der Frage zu gewährleisten, ob es sich um einen allein unter § 1 GWB fallenden Inlandssachverhalt oder einen den zwischenstaatlichen Handel gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV beeinträchtigenden Fall handelt. Dies hat insbesondere Bedeutung für Sachverhalte vor Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle, weil das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen die schadensersatzrechtlichen Folgen von Verstößen gegen Vorschriften des GWB und gegen solche des Unionsrechts erst mit Geltung der Regelungen des § 33 Abs. 3, Abs. 1 GWB 2005 (jetzt § 33a Abs. 1, § 33 Abs. 1 GWB) ausdrücklich unterschiedslos behandelt.
47II. Bei der erneuten Prüfung, ob den Klägerinnen durch das Quoten- und Kundenschutzkartell, an dem sich die Beklagte und ihre Streithelferinnen beteiligt haben, ein Schaden entstanden ist, und der sich daran gegebenenfalls anschließenden Prüfung der Höhe des Schadens wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:
481. Der aus einem Verstoß gegen kartellrechtliche Verhaltensnormen folgende Schadensersatzanspruch entsteht unabhängig von der Verletzung eines bestimmten Rechtsguts. Aus diesem Grund ist - im Gegensatz zu deliktischen oder vertraglichen Schadensersatzansprüchen, die die Verletzung eines Rechtsguts voraussetzen - bereits der erste Schaden der haftungsausfüllenden und nicht der haftungsbegründenden Kausalität zuzuordnen (BGHZ 211, 146 Rn. 42 f. - Lottoblock II mwN).
492. Die an den Nachweis dieses Schadens zu stellenden Anforderungen richten sich nach dem deutschen Zivilprozessrecht. Auch wenn der Begriff der haftungsausfüllenden Kausalität im Ausgangspunkt unionsrechtlich determiniert ist, obliegt es - da es an einer näheren Ausgestaltung dieses Begriffs im Unionsrecht fehlt - dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, die Modalitäten der Ausübung und Durchsetzung des unionsrechtlich begründeten Schadensersatzanspruchs unter Einschluss des Kausalitätsbegriffs zu regeln (EuGH, NZKart 2014, 263 Rn. 24 f. - Kone). Dabei sind die Mitgliedstaaten nach den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz verpflichtet, die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln und des sich aus ihnen ergebenden Schadensersatzanspruchs sicherzustellen (BGHZ 211, 146 Rn. 37 - Lottoblock II mwN). Zu diesen Modalitäten zählen jedenfalls die Vorschriften über die zivilprozessrechtlichen Anforderungen an die richterliche Tatsachenfeststellung (vgl. Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom - C-435/18 Rn. 44 - Otis u.a./Land Oberösterreich).
503. Die Feststellung, dass der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist, als er ohne die Kartellabsprache wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt einstellt, über demjenigen Preisniveau liegt, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann regelmäßig nur aufgrund von Indizien getroffen werden. Denn nur die tatsächlich vereinbarten Preise und das tatsächliche Preisniveau auf dem betroffenen Markt sind beobachtbar und damit unmittelbar feststellbar, Preise und Preisniveau unter nicht manipulierten Marktbedingungen sind hingegen notwendigerweise hypothetisch. Der Tatrichter kann daher nur unter Heranziehung derjenigen Umstände, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne die Kartellabsprache wahrscheinlich entwickelt hätte, zu Feststellungen zum hypothetischen Marktpreis gelangen; dies gilt auch dann, wenn der Tatrichter zur Ermittlung des hypothetischen Marktpreises auf Vergleichsmärkte zurückgreift (vgl. , WuW 2019, 146 Rn. 65 - Flüssiggas I mwN).
514. Die danach erforderlichen Feststellungen hat der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu treffen, wobei ihm die Befugnis zur Schadensschätzung nach den Maßstäben des § 287 Abs. 1 ZPO zusteht. Für die richterliche Überzeugungsbildung reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus, dass ein Schaden entstanden ist (vgl. , NJW 2004, 1521, 1522; BGHZ 211, 146 Rn. 41 - Lottoblock II). Im Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO ist der Tatrichter besonders freigestellt. Seine Einschätzung ist mit der Revision nur daraufhin überprüfbar, ob er Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt hat (vgl. , NJW 2013, 1870 Rn. 14; BGHZ 211, 146 Rn. 49 - Lottoblock II).
52a) Die nach § 287 ZPO vorzunehmende Würdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die festgestellt sind oder für die diejenige Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft, Beweis angeboten hat. Der Tatrichter ist jedoch nicht gezwungen, jeden angebotenen Beweis zu erheben. Weil er bei der Behandlung von Anträgen zum Beweis von Indizien freier gestellt ist als bei sonstigen Beweisanträgen, darf und muss er bei einem Indizienbeweis vor der Beweiserhebung prüfen, ob die vorgetragenen Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - ihn von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugten (, NJW-RR 1993, 443, 444; Urteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 45; Urteil vom - I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743 Rn. 26; Urteil vom - X ZR 32/17, GRUR 2019, 713 Rn. 71 - Cer-Zirkonium-Mischoxid I). Führt diese Prüfung zu dem Ergebnis, dass auch der Nachweis der in Rede stehenden Hilfstatsachen die richterliche Überzeugung von der Haupttatsache nicht begründen könnte, dürfen Beweisanträge, die diese Hilfstatsachen betreffen, abgelehnt werden. Dies gilt entsprechend für diejenigen Indizien, die der Gegner der beweisbelasteten Partei vorbringt. Kann der Tatrichter die Überzeugung von der Haupttatsache auch dann gewinnen, wenn er die behaupteten gegenläufigen Indiztatsachen - mit dem vollen Gewicht, das ihnen zukommen kann - als wahr unterstellt, bedarf es auch in diesem Fall keiner Beweiserhebung.
53b) Zwar ist stets zu beachten, dass der (Gegen-)Beweisantritt zu einer Haupttatsache nicht auf Grund der Würdigung von Indiztatsachen übergangen werden darf (vgl. , NJW-RR 2007, 500 Rn. 10; Urteil vom - IX ZR 204/12, NJW 2013, 2345 Rn. 17); dies gilt auch bei Anwendung der Maßstäbe des § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. , NJW-RR 2015, 829 Rn. 9). Ein unmittelbarer Beweis der Haupttatsache oder ihres Gegenteils wird aber im vorliegenden Zusammenhang kaum in Betracht kommen (vgl. oben Rn. 50). Insbesondere wird ein solcher Beweis nicht dadurch angetreten, dass für die Entstehung oder das Fehlen eines Schadens Sachverständigenbeweis angeboten wird. Denn auch der Sachverständige wird die Frage, ob der von der Beklagten geforderte Preis einem hypothetischen Marktpreis entsprach, der sich ohne die Kartellabsprache eingestellt hätte, nur aufgrund einer sachverständigen Bewertung der gegebenen Anknüpfungstatsachen und einem darauf beruhenden Schluss von den vorliegenden Indizien auf die unter Beweis gestellte Haupttatsache beantworten können.
54c) Umstände, die nach der Rechtsprechung des Senats der Annahme eines Anscheinsbeweises entgegenstehen, wie etwa eine möglicherweise mangelnde Kartelldisziplin (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 57 - Schienenkartell), sind im Rahmen der vom Tatrichter im konkreten Einzelfall vorzunehmenden Gesamtwürdigung nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Sachvortrag der Parteien oder in den bindenden Feststellungen der kartellbehördlichen Entscheidung eine zureichende Stütze finden.
555. Bei der danach vorzunehmenden Würdigung muss der Tatrichter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Erfahrungssätze berücksichtigen.
56a) Insbesondere hat er zu beachten, dass zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür streitet, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (, BGHSt 38, 186, 194; Beschluss vom - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; Beschluss vom - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 76 - Grauzementkartell I; BGH, WRP 2018, 941 Rn. 35 - Grauzementkartell II). Diese Vermutung gewinnt an Gewicht, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde und je höher daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass es Auswirkungen auf das Preisniveau gehabt hat, das sich infolge der Ausschaltung oder zumindest starken Dämpfung des Wettbewerbs eingestellt hat (BGH, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell). Diesen anerkannten Erfahrungssatz hat der Bundesgerichtshof in seinem letztgenannten Urteil vom bestätigt.
57b) Anders als bei Geltung eines Anscheinsbeweises kommt dem Erfahrungssatz kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu. Mit dem Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung wäre dies unvereinbar. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt vielmehr entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen.
586. Bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell, wie es das Berufungsgericht festgestellt hat, kommt dem Erfahrungssatz eine starke Indizwirkung für ein von der Kartellabsprache beeinflusstes Preisniveau zu (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 56 - Schienenkartell).
59a) Etablieren die Kartellanten im Rahmen von Ausschreibungen ein System, bei dem von dem "Spielführer" die Preise der "Schutzangebote" oder der angestrebte Zuschlagspreis untereinander mitgeteilt werden, entfällt die Notwendigkeit, mit einem für den Nachfrager möglichst günstigen Angebot um den Zuschlag zu kämpfen. Dies lässt nicht nur erwarten, dass der Preis, den der Nachfrager erhalten kann, bei demjenigen Umsatzgeschäft, bei dem ein solches System praktiziert wird, über demjenigen liegt, den er unter dem disziplinierenden Einfluss eines funktionierenden Wettbewerbs hätte erhalten können. Vielmehr ist es wegen der bestehenden Preistransparenz auch wahrscheinlich, dass von einem solchen System ein allgemeiner Effekt auf die Angebotspreise der Kartellanten ausgeht. Diese Wahrscheinlichkeit ist umso höher, je umfassender die Quoten- oder Kunden-"Zuteilung" auf dem Markt praktiziert wird und je mehr die an der Kartellabsprache beteiligten Unternehmen aufgrund wechselseitiger Rücksichtnahme der Notwendigkeit enthoben sind, um einen einzelnen Auftrag zu kämpfen und hierzu gegebenenfalls Preiszugeständnisse zu machen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die bei Bieterkartellen typischerweise gegebene hohe Markttransparenz die Funktionsfähigkeit des Kartells begünstigt (vgl. Thomas/Inderst, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl., S. 29). Demgemäß ergibt sich im Streitfall aus den bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts, dass der beschriebene, jahrelang praktizierte Ablauf insgesamt so etabliert war, dass es häufig keiner auf ein konkretes Projekt bezogenen ausdrücklichen Absprache mehr bedurfte, um das Quoten- und Kundenschutzkartell zu praktizieren.
60b) Daraus folgt zugleich, dass der Unterscheidung zwischen der Frage, ob ein konkretes Umsatzgeschäft "kartellbefangen" oder "kartellbetroffen" war, und der Frage, ob einem Abnehmer ein Schaden entstanden ist, für die Ermittlung des Schadens nicht notwendigerweise Bedeutung zukommt. Gelangt der Tatrichter zu der Überzeugung, dass auf dem betroffenen Markt nicht nur einzelne Umsatzgeschäfte zu höheren Preisen abgeschlossen wurden, als dies ohne die Kartellabsprache der Fall gewesen wäre, sondern sich die Kartellabsprache allgemein auf die von den beteiligten Unternehmen durchsetzbaren Preise ausgewirkt hat, bedarf es grundsätzlich keiner weiteren Feststellungen zur "Kartellbefangenheit" eines bestimmten Auftrags. Es muss auch nicht zwingend festgestellt werden, ob der Auftrag an den jeweiligen "Spielführer" des Kartells oder einen Stammlieferanten im Wege einer Ausschreibung erteilt wurde und sich die Auftragsvergabe damit in das typische Muster oder Gesamtbild der Kartellabsprache einfügte.
61Insofern wird im Streitfall zu berücksichtigen sein, dass die Kartellanten nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid jedenfalls im Bereich der Weichen zur Verminderung des Entdeckungsrisikos vom Stammkundenprinzip abgewichen sind und Aufträge auch Unternehmen zugeteilt haben, die nicht Stammlieferanten waren. Für sämtliche von der Kartellabsprache betroffenen Produkte steht nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid zudem fest, dass sich die Wirkungen der Absprache, insbesondere die Kompensation derjenigen Unternehmen, die bei Ausschreibungen Schutzangebote abgaben, nicht auf einzelne Projekte beschränkten. Vielmehr waren die Beziehungen der an dem Kartell beteiligten Unternehmen von einem wechselseitigen und "projektübergreifenden Verständnis und Vertrauensverhältnis" geprägt, wonach das schützende Unternehmen grundsätzlich davon ausgehen konnte, seinerseits bei einem anderen Projekt von den Mitkartellanten geschützt zu werden. Dies kann in Zusammenhang mit der hohen Preistransparenz, die sich zwangsläufig aus den vom jeweiligen Spielführer den übrigen Kartellanten mitgeteilten eigenen Preisvorstellungen ergab, den Schluss auf eine umfassende Schwächung des Wettbewerbs zwischen den Kartellanten, wenn nicht sogar auf dessen völlige Ausschaltung, rechtfertigen. Daraus kann sich ergeben, dass die Kartellabsprache auch Preiseffekte bei Aufträgen hatte, die ohne Ausschreibung an einen Kartellanten vergeben wurden, der seinerseits nicht Stammlieferant des jeweiligen Auftraggebers war.
62c) Das Berufungsgericht wird auch das Vorbringen der Beklagten zu würdigen haben, die Kartellabsprache habe lediglich eine bessere Auslastung der Kapazitäten der beteiligten Unternehmen bezweckt. Ein gegen einen Preiseffekt sprechendes Indiz wird damit jedoch nicht vorgetragen. Dieses Vorbringen kann vielmehr auf Ineffizienzen hinweisen, die infolge der Kartellabsprache aufrechterhalten werden konnten, während die Anbieter ohne die Kartellabsprache gezwungen gewesen sein könnten, Preiszugeständnisse zu machen, um die eigenen Kapazitäten besser auszulasten.
637. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung können gutachterliche Stellungnahmen zu berücksichtigen sein.
64a) Der Tatrichter ist nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch bei der Frage, ob er ein Sachverständigengutachten einholt, freier gestellt als im Rahmen der Tatsachenfeststellung nach § 286 ZPO. Die Vorschrift des § 287 ZPO schränkt das Gebot der Erschöpfung von Beweisanträgen mit der Folge ein, dass das Gericht an Beweisanträge nicht gebunden ist (, NJW 1991, 1412, 1413). Im Unterschied zu den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO kann der Tatrichter von einer weiteren Beweisaufnahme absehen, wenn ihm bereits hinreichende Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung stehen (, NJW 1996, 2501, 2502). Das Gericht kann sich auch zur Bewertung der vorgebrachten Anknüpfungstatsachen - nach pflichtgemäßem Ermessen im Sinne des § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO - von Amts wegen sachverständiger Hilfe bedienen. Dies bedeutet nicht, dass der Sachverständige in jedem Fall nach § 404a Abs. 4 ZPO zur Ermittlung weiterer Anknüpfungstatsachen beauftragt werden müsste. Sein Rat kann sich, je nach den Umständen des Einzelfalls, auch darauf beschränken, aus den festgestellten oder als wahr unterstellten Indizien ökonomische Schlussfolgerungen über die Wahrscheinlichkeit der Entstehung oder die Höhe eines konkreten Schadens zu ziehen. Zudem muss sich der Tatrichter mit einem von einer Partei vorgelegten Gutachten auseinandersetzen.
65b) Unabhängig davon, ob ein solches Gutachten von einer Partei in Auftrag gegeben wird oder ob das Gericht das Gutachten eines von ihm bestellten Sachverständigen eingeholt hat, kann sich auch der Gutachter mit ökonometrischen Methoden regelmäßig dem kontrafaktischen Szenario eines hypothetischen Wettbewerbspreises nur annähern (vgl. oben Rn. 50). Die Plausibilität dieser Annäherung hängt dabei typischerweise zum einen von der Genauigkeit und Validität der tatsächlichen Beobachtungen auf dem kartellierten und einem - zeitlichen, räumlichen oder sachlichen - Vergleichsmarkt und zum anderen davon ab, ob sich die Unterschiede zwischen den verglichenen Märkten mit hinreichender Zuverlässigkeit erfassen lassen. Daraus ergibt sich, dass ein Sachverständigengutachten weder die richterliche Gesamtwürdigung ersetzen kann, noch die Vorlage eines solchen Gutachtens durch eine der Parteien diese Würdigung in der einen oder anderen Richtung präjudiziert. Die Vorlage eines Privatgutachtens verpflichtet den Tatrichter nach den vorstehenden Grundsätzen nicht in jedem Fall zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens.
66c) Insoweit wird das Berufungsgericht die auf ein vorgelegtes Privatgutachten gestützte Behauptung zu bewerten haben, die den Klägerinnen jeweils in Rechnung gestellten Preise hätten überwiegend niedriger als die jeweiligen produktspezifischen Durchschnittspreise außerhalb des Kartellzeitraums gelegen. In diesem Zusammenhang wird - wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist - zum einen zu berücksichtigen sein, wie aussagekräftig und verlässlich die in Bezug genommenen produktspezifischen Durchschnittspreise sind. Zum anderen wird - was das Verhältnis der von der Beklagten geforderten Preise zu den durchschnittlichen Preisen im Nachkartellzeitraum anbelangt - gegebenenfalls zu erwägen sein, ob Anhaltspunkte für einen Einfluss anderer Marktfaktoren bestehen, insbesondere dafür, dass die Preise im Nachkartellzeitraum aufgrund der durch die lange Kartelldauer beeinträchtigten Marktstrukturen weiterhin nachteilig beeinflusst wurden (vgl. BGHZ 190, 145 Rn. 84 - ORWI; dazu auch Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2. Aufl., S. 47, 168, 457 ff.).
678. Sollte das Berufungsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass den Klägerinnen durch die der Beklagten erteilten Aufträge ein Schaden entstanden ist, wäre seine weitere Annahme, den Klägerinnen sei kein Mitverschulden anzulasten, aus den schon im Urteil "Schienenkartell" (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 77 ff.) ausgeführten Gründen nicht zu beanstanden.
689. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls schließlich zu erwägen haben, ob es unter Beachtung des Gesichtspunkts der Prozessökonomie geboten ist, erneut ein Grundurteil zu erlassen.
69a) Zwar kann - wenn Grund und Höhe des Anspruchs streitig und alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind - nach § 304 ZPO ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs ergehen. Dies setzt die Feststellung voraus, dass mit Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 38 - Schienenkartell). Die sich aus einem Erfahrungssatz ergebende allgemeine Wahrscheinlichkeit eines solchen Schadens reicht hierfür aber nicht aus. Um die erforderliche Überzeugung von der (wahrscheinlichen) Schadensentstehung auch im jeweiligen Streitfall verfahrensfehlerfrei zu gewinnen, muss sich das Gericht - auch für die Zwecke eines Grundurteils - im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der einschlägigen Erfahrungssätze grundsätzlich umfassend mit den Umständen des Einzelfalls, einschließlich der vorgebrachten Indizien und etwaiger vorgelegter Parteigutachten, auseinandersetzen. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Grad der für die Annahme eines Schadens erforderlichen Überzeugung in diesem Verfahrensstadium geringer ist als derjenige, den § 287 Abs. 1 ZPO für den Ausspruch über die Höhe des Schadens im Endurteil voraussetzt.
70Der bloße Verweis auf die vertragliche Schadenspauschalierungsklausel - ihre Wirksamkeit unterstellt - genügt für die Annahme, ein Schaden sei in irgendeiner Höhe entstanden, nicht. Die Anwendung einer solchen Klausel, die lediglich zu einer Modifikation der Beweislast hinsichtlich der Frage führt, in welcher Höhe den Klägerinnen ein Schaden entstanden ist (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 42 - Schienenkartell), setzt die Feststellung voraus, dass dem Anspruchsteller ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zusteht, also überhaupt ein Schaden entstanden ist (vgl. , NJW-RR 1988, 1403, 1404; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 309 Rn. 24; MünchKomm.BGB/Wurmnest, § 309 Nr. 5 Rn. 10).
71b) Bei Anwendung und Auslegung der Regelung des § 304 ZPO ist darüber hinaus den Erfordernissen der Prozessökonomie Rechnung zu tragen. Der Erlass eines Grundurteils ist daher immer dann unzulässig, wenn dies zu einer ungerechtfertigten Verzögerung und Verteuerung des Prozesses führt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Tatsachen für Grund und Höhe annähernd dieselben sind oder in einem so engen Zusammenhang stehen, dass die Herausnahme einer Grundentscheidung unzweckmäßig und verwirrend wäre (, VersR 1979, 25; vom - VI ZR 559/14, NJW 2016, 3244 Rn. 36). Vor diesem Hintergrund kann es bei einem Streit über einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch aus Gründen der Prozessökonomie geboten sein, einheitlich über Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs zu entscheiden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:031219UKZR27.17.0
Fundstelle(n):
EAAAH-54211