BAG Urteil v. - 5 AZR 258/19

Berechnung eines tariflichen Krankengeldzuschusses

Gesetze: § 1 TVG, § 7 Abs 1 AGG, § 1 AGG, § 2 Abs 1 Nr 2 AGG, § 3 Abs 1 S 1 AGG, § 3 Abs 2 Halbs 1 AGG, § 47 Abs 1 SGB 5, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 16 Ca 8297/17 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 11 Sa 870/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Berechnung eines tariflichen Krankengeldzuschusses.

2Die Klägerin ist seit Juni 1988 bei der Beklagten, die eine Fluggesellschaft betreibt, als Flugbegleiterin auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom beschäftigt. Kraft individualvertraglicher Bezugnahme findet auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag Nr. 2 für das Kabinenpersonal idF vom (iF MTV Nr. 2 Kabine) Anwendung. Dieser regelt ua.:

3Aufgrund der Höhe ihres regelmäßigen Arbeitsentgelts ist die Klägerin nicht krankenversicherungspflichtig. Sie ist freiwillig versichertes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse. Die Klägerin war vom bis zum arbeitsunfähig erkrankt. Der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit war der . Von der Krankenkasse erhielt sie ab dem ein kalendertägliches Bruttokrankengeld iHv. 87,60 Euro, das Nettokrankengeld betrug 76,84 Euro pro Kalendertag.

4Die Beklagte zahlte ab dem einen Krankengeldzuschuss nach § 13 Abs. 3 Buchst. a und Buchst. b MTV Nr. 2 Kabine iHv. 19,05 Euro netto pro Kalendertag an die Klägerin. Dabei legte sie ihrer Berechnung das Grundgehalt von 4.624,64 Euro brutto und die Schichtzulage von 753,82 Euro brutto zugrunde, die im Fall der Lohnfortzahlung im Dezember 2014 insgesamt zu zahlen gewesen wären. Davon zog sie gesetzliche Abzüge bezogen auf den gesamten Monat Dezember 2014 ab und errechnete ein kalendertägliches Nettoentgelt iHv. 113,55 Euro. Hiervon zog sie den Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse, der im Abrechnungszeitpunkt bei kalendertäglich iHv. 94,50 Euro brutto lag, ab.

5Mit ihrer Klage hat die Klägerin von der Beklagten einen höheren Krankengeldzuschuss für die Zeit vom bis zum begehrt.

6Die Klägerin ist der Auffassung, der Krankengeldzuschuss sei falsch berechnet. Auszugehen sei von der Vergütung, die sie von der Beklagten am für den Monat Dezember 2014 erhalten habe. Daher sei auch eine geringere Lohnsteuer anzusetzen. Zu Unrecht habe die Beklagte das Bruttokrankengeld in Abzug gebracht, abzuziehen sei das Nettokrankengeld. Es sei auf das tatsächlich gewährte Nettokrankengeld abzustellen, nicht auf den Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse. Die Regelung des § 13 Abs. 3 Buchst. b MTV Nr. 2 Kabine sei wegen Diskriminierung älterer Arbeitnehmer unwirksam.

7Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.

Gründe

10Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Krankengeldzuschüsse. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Regelung des § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine in Bezug auf den Basisbetrag der Berechnung unzutreffend ausgelegt. Die Entscheidung stellt sich jedoch im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar, sodass die Revision zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).

11I. Die Klage ist zulässig, insbesondere streitgegenständlich hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich für den streitbefangenen Zeitraum um eine abschließende Gesamtklage (vgl.  - Rn. 14).

12II. Die Klage ist unbegründet.

131. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Krankengeldzuschuss iHv. kalendertäglich 19,05 Euro netto. Diesen Anspruch, der aus § 13 Abs. 3 Buchst. a und Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine folgt, hat die Beklagte erfüllt. Ein weitergehender Anspruch ergibt sich aus der tariflichen Regelung nicht.

14a) Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts finden die Regelungen des MTV Nr. 2 Kabine aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung.

15b) Gemäß § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine erhalten arbeitsunfähige Mitarbeiter zu den Leistungen aus der Kranken- oder Unfallversicherung als Krankenbezug einen Krankengeldzuschuss. Dazu ist die am 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit gemäß § 13 Abs. 2 MTV Nr. 2 Kabine abgerechnete monatliche Vergütung um die gesetzlichen Abzüge und um das von der gesetzlichen Pflichtkrankenkasse zu gewährende Krankengeld oder die entsprechenden Leistungen anderer Sozialversicherungsträger, einschließlich der Berufsgenossenschaft, zu vermindern. Der sich aus dieser Berechnung ergebende Betrag ist um die darauf anfallenden Steuern zu erhöhen. Ist ein Mitarbeiter wegen der Höhe seines Einkommens nicht krankenversicherungspflichtig, erfolgt die Berechnung des Krankengeldzuschusses nach § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine unter Abzug des Krankengeld-Höchstsatzes der gesetzlichen Pflichtkrankenkasse.

16c) Die Auslegung des § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine durch das Landesarbeitsgericht entspricht in Bezug auf den Basisbetrag der Berechnung nicht dem im Wortlaut niedergelegten Regelungswillen der Tarifvertragsparteien (zu den nach st. Rspr. anzuwendenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, vgl.  - Rn. 25 mwN). Hierin liegt der Rechtsfehler des Berufungsurteils. Die Auslegung der Tarifnorm durch das Landesarbeitsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar ( - Rn. 35, BAGE 164, 326).

17aa) Das vom Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis bzgl. des § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine, wonach im Wege einer fiktiven Hochrechnung des am 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltfortzahlungsbetrags eine Vergütung für den gesamten Kalendermonat zu errechnen sei, widerspricht dem Wortlaut der Tarifregelung. Die Tarifvertragsparteien haben als Berechnungsgrundlage des Krankengeldzuschusses die an einem bestimmten Tag „abgerechnete“ monatliche Vergütung bestimmt. Die Basis der Berechnung muss danach ein tatsächlich abgerechneter Betrag sein, der einen Auszahlungsbetrag widerspiegelt, und nicht ein fiktiv ermittelter Betrag (so bereits  - Rn. 21).

18bb) Gleichermaßen lässt sich die Auffassung der Klägerin, wonach die für den 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit abgerechnete Vergütung die maßgebliche Berechnungsgrundlage sei, nicht mit dem Wortlaut der Tarifnorm in Einklang bringen. Denn in Satz 1 des § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine liegt mit der Erwähnung der „monatlichen“ Vergütung ein deutlicher Bezug auf den vollen Monat als Bezugsgröße vor. Entgegen der Revision sind dem Tarifvertrag auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass mit dem Krankengeldzuschuss (auch) der Verlust der Mehrflugstundenvergütung, etwaiger Verkaufsprovisionen und Steuernachteile betreffend die Schichtzulage ausgeglichen werden soll. Die im Rahmen der Berechnung des Krankengeldzuschusses zu berücksichtigenden Entgeltbestandteile sind durch die Verweisung in § 13 Abs. 3 auf § 13 Abs. 2 MTV Nr. 2 Kabine vielmehr eindeutig und abschließend bestimmt (vgl.  - Rn. 22).

19d) In einem Parallelverfahren hat der Senat bereits entschieden, dass für die Berechnung des Krankengeldzuschusses im Ausgangspunkt von der abgerechneten Vergütung des Monats auszugehen ist, in den der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit fällt (vgl.  - Rn. 23). Dem ist der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts gefolgt (vgl.  - Rn. 26). Im Streitfall ist dies der Monat Dezember 2014, denn der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin fiel auf den . Diese Auslegung berücksichtigt den vermeintlichen Widerspruch im Tarifvertrag, der sich einerseits aus der taggenauen Berechnung (42. Tag) und andererseits aus der monatsbezogenen Berechnung (abgerechnete monatliche Vergütung) ergibt. Dieser Widerspruch lässt sich ohne fiktive Berechnung lösen, indem man der Berechnung diejenige Vergütung zugrunde legt, die in dem betreffenden Monat am 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber abgerechnet wird. Eine solche Auslegung berücksichtigt auch den Sinn und Zweck eines (tariflichen) Krankengeldzuschusses. Dieser liegt darin, die Lücke zwischen dem nach § 47 SGB V zu berechnenden Krankengeld und dem Nettoverdienst zu schließen (vgl.  - Rn. 23 mwN).

20e) Dieses Auslegungsergebnis bedarf jedoch zur Vermeidung unterschiedlicher Berechnungsergebnisse je nach Lage des 42. Tages der Arbeitsunfähigkeit einer am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG orientierten Korrektur (vgl. hierzu  - Rn. 24; - 7 AZR 350/18 - Rn. 26).

21aa) In Fällen, in denen der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit zufällig am Monatsanfang liegt, kann sich aufgrund des bis zu diesem Zeitpunkt für den Monat nur geringen Entgeltfortzahlungsanspruchs und der geringen Steuerlast ein wesentlich höherer Zuschuss ergeben, als wenn der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit am Ende eines Kalendermonats liegt und der Arbeitnehmer einer höheren Steuerpflicht unterliegt. Eine solche, auf Zufälligkeiten beruhende Verzerrung in Bezug auf die Steuerlast folgt aus § 39b Abs. 2 Satz 1 EStG. Ein solches Verständnis der Tarifnorm ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. im Einzelnen  - Rn. 25 - 27).

22bb) § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine ist einer an Art. 3 Abs. 1 GG orientierten Auslegung zugänglich. Danach ist als Berechnungsbasis für den Krankengeldzuschuss nach § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine die auf den Monat bezogene Vergütung des Kalendermonats zugrunde zu legen, in den der 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit fällt, im Streitfall der Dezember 2014. Ein solches Normverständnis schafft eine einheitliche Berechnungsbasis für alle anspruchsberechtigten Arbeitnehmer und beseitigt die lohnsteuerrechtlich durch § 39b Abs. 2 EStG bedingten Verzerrungen bei der Berechnung des Krankengeldzuschusses und damit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigende unterschiedliche Zuschussbeträge (vgl.  - Rn. 28).

23f) Für die Berechnung des Krankengeldzuschusses ist damit das Grundgehalt von 4.624,64 Euro brutto und die Schichtzulage von 753,82 Euro brutto zugrunde zu legen. Denn nach § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine ist die Entgeltfortzahlung nach § 13 Abs. 2 MTV Nr. 2 Kabine die Grundlage der Krankengeldzuschussberechnung. Danach wird als Krankenbezug die aktuelle Vergütung (§ 5 Abs. 1 Buchst. a, b, c und e MTV Nr. 2 Kabine) weitergezahlt. Für die Höhe der in Bezug auf die Klägerin unstreitig allein zu berücksichtigenden Grundvergütung und Schichtzulage verweist § 7 Abs. 4 MTV Nr. 2 Kabine auf die Vorschriften des Vergütungstarifvertrags. Dies war in dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des MTV Nr. 2 Kabine der Vergütungstarifvertrag Nr. 38 für das Kabinenpersonal idF vom . Dieser regelt in § 3 die Grundvergütung und die Schichtzulage.

24g) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei Berechnung des Krankengeldzuschusses das Bruttokrankengeld von der errechneten Nettovergütung in Abzug zu bringen ist (vgl. hierzu  - Rn. 30; - 7 AZR 350/18 - Rn. 28). Des Weiteren hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass der Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse abzuziehen ist. Hierin liegt keine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters.

25aa) Beim Krankengeld handelt es sich um einen sozialversicherungsrechtlichen Begriff mit einer bestimmten Bedeutung in der Rechtsterminologie. Verwenden die Tarifvertragsparteien einen solchen Begriff im Tarifvertrag, ist davon auszugehen, dass er ebenfalls diese Bedeutung haben soll, soweit sich nicht aus dem Tarifvertrag selbst etwas anderes ergibt (vgl.  - Rn. 31 mwN; - 7 AZR 350/18 - Rn. 28). Die tarifliche Leistung ergänzt das gesetzliche Krankengeld. Dieses beträgt 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Es darf 90 vH des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB V). Ohne ausdrückliche Regelung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers um die Differenz von Brutto- und Nettokrankengeld erhöhen und damit die laut Gesetz vom Arbeitnehmer zu tragenden Beitragsanteile zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung dem Arbeitgeber auferlegen wollten (im Einzelnen  - Rn. 31 f. mwN).

26bb) Das Landesarbeitsgericht ist unter Zugrundelegung dieser Grundsätze zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass es weder eine ausdrückliche Regelung im MTV Nr. 2 Kabine gibt noch Anhaltspunkte für den Willen der Tarifvertragsparteien ersichtlich sind, dass in § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine das Nettokrankengeld gemeint ist (vgl.  - Rn. 34). Die Folge der Berücksichtigung des Bruttokrankengelds ist entgegen der Revision nicht ein doppelter Abzug von Steuern, denn Krankengeld ist nicht zu versteuern, § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG (vgl.  - Rn. 34). Eine doppelte Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen findet ebenfalls nicht statt (hierzu schon  - Rn. 35).

27cc) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht beim Abzug des Bruttokrankengelds auf den Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse abgestellt. Dies folgt aus § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine, der für die Berechnung des Krankengeldzuschusses nach § 13 Abs. 3 Buchst. a MTV Nr. 2 Kabine für die Mitarbeiter, die - wie die Klägerin - wegen der Höhe ihres Einkommens nicht krankenversicherungspflichtig sind, einen Abzug des Krankengeld-Höchstsatzes der gesetzlichen Pflichtkrankenkasse bestimmt. Bereits der eindeutige Wortlaut der Tarifregelung lässt den von der Revision zugrunde gelegten Abzug der rein tatsächlichen Leistungen der Krankenkasse nicht zu.

28dd) Die Regelung des § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine ist nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

29(1) Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam. Die Vorschrift gilt nicht nur für Individualvereinbarungen, sondern auch für Tarifverträge (vgl.  - Rn. 51; - 4 AZR 684/12 - Rn. 26, BAGE 153, 348). Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters. Dabei verbietet § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (vgl.  - Rn. 51; - 8 AZR 492/16 - Rn. 17).

30(2) Der Anwendungsbereich des AGG ist im Streitfall eröffnet. Beim Krankengeldzuschuss handelt es sich um Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Der Begriff der Arbeitsbedingungen umfasst nicht nur die vertraglichen Vereinbarungen derjenigen Bedingungen, zu denen die Arbeit zu leisten ist. Zu den Arbeitsbedingungen gehören auch solche Leistungen, die notwendig mit einem Arbeitsverhältnis verknüpft sind, wie etwa das Entgelt. Art. 157 Abs. 2 AEUV definiert als Entgelt auch alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Erfasst sind damit alle Vergütungen, die wenigstens mittelbar aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig (vgl.  - [Hay] Rn. 28; vgl. auch Hey in Hey/Forst AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 19).

31(3) § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine bewirkt keine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Die Regelung knüpft nicht unmittelbar an das Kriterium des Alters an (vgl.  - [Kleinsteuber] Rn. 51;  - Rn. 24, BAGE 161, 56). Sie gilt für Arbeitnehmer jeden Alters, soweit sie einen tariflichen Anspruch auf Krankengeldzuschuss haben und aufgrund der Höhe ihres Einkommens nicht krankenversicherungspflichtig sind. Damit beruht sie auch nicht auf einem untrennbar mit dem Alter verbundenen Kriterium (vgl.  - [Ruiz Conejero] Rn. 37;  - Rn. 30).

32(4) § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine benachteiligt auch nicht Personen, die ein bestimmtes Alter haben, in besonderer Weise gegenüber anderen Personen (§ 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG).

33(a) Der Ausdruck „in besonderer Weise benachteiligen“, der in § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG verwendet wird, ist in dem Sinne zu verstehen, dass es insbesondere Personen eines bestimmten Alters sind, die durch die fragliche Maßnahme benachteiligt werden können (vgl.  - [Horgan und Keegan] Rn. 19;  - Rn. 37, BAGE 165, 116). Eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG kann dann vorliegen, wenn eine Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Inhaber der geschützten persönlichen Eigenschaft benachteiligt als Personen, die diese Eigenschaft nicht besitzen (vgl.  - [Jyske Finans] Rn. 30). Das Vorliegen einer ungünstigeren Behandlung kann dabei nicht allgemein und abstrakt festgestellt werden, sondern nur spezifisch und konkret im Hinblick auf die begünstigende Behandlung (vgl.  - [Maniero] Rn. 48;  - Rn. 56).

34(b) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine in seinem Anwendungsbereich typischerweise Arbeitnehmer eines bestimmten, höheren Lebensalters betrifft. Es ist weder festgestellt, dass die Arbeitsverhältnisse von wesentlich mehr Mitarbeitern der Beklagten höheren Lebensalters von dem Umstand der Zahlung eines tariflichen Krankengeldzuschusses erfasst werden, noch dass entsprechend hohe Einkommen typischerweise bei erheblich mehr Arbeitnehmern höheren Lebensalters gezahlt werden.

35(c) Doch selbst wenn aus der Vergütungsstruktur der Beklagten im Bereich Kabine folgen würde, dass ältere Arbeitnehmer typischerweise aufgrund der Höhe des Einkommens nicht krankenversicherungspflichtig sind, folgt aus § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine keine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters. Die tarifliche Regelung bewirkt, dass nicht pflichtversicherte Arbeitnehmer solchen Arbeitnehmern gleichgestellt werden, die gesetzlich pflichtversichert sind. Bei beiden Arbeitnehmergruppen wird der tarifliche Krankengeldzuschuss um den Betrag des Krankengelds, der nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 SGB V zu zahlen wäre, gemindert. Ausgehend von der Höhe des Einkommens beläuft sich dieser Betrag sodann - maximal - auf den Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse. Die Behandlung nicht krankenversicherungspflichtiger Arbeitnehmer und pflichtversicherter Arbeitnehmer erfolgt nach dem gleichen Maßstab.

36ee) Die Regelung des § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine ist nicht wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam.

37(1) Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar, jedoch mittelbar grundrechtsgebunden (vgl. ausführlich  - Rn. 19 ff.). Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Sie müssen insoweit praktische Konkordanz herstellen (vgl.  - Rn. 21 ff.). Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte auch dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Der Gleichheitssatz bildet als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie ( - Rn. 25; - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 31, BAGE 131, 113). Tarifnormen sind deshalb im Ausgangspunkt uneingeschränkt auch am Gleichheitssatz zu messen ( - Rn. 25 mwN zu Rechtsprechung und Meinungsstand im Schrifttum).

38(2) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine besondere Form der Grundrechtskollision bewältigt und die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden muss ( - Rn. 26). Auch die Tarifvertragsparteien haben bei der tariflichen Normsetzung ua. den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG zu beachten (vgl.  - Rn. 35, BAGE 163, 144; - 5 AZR 378/09 - Rn. 19). Doch steht ihnen als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maß verfügen. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Sie verfügen über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung und sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (vgl.  - Rn. 26; - 2 AZR 158/18 - Rn. 34; - 10 AZR 290/17 - Rn. 36, aaO).

39(3) Gemessen daran verstößt § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 MTV Nr. 2 Kabine nicht gegen den Gleichheitssatz. Die Regelung bewirkt, dass nicht pflichtversicherte Arbeitnehmer mit Arbeitnehmern, die gesetzlich pflichtversichert sind, gleichgestellt werden. Die Behandlung nicht krankenversicherungspflichtiger Arbeitnehmer und pflichtversicherter Arbeitnehmer in Bezug auf die Berechnung des Krankengeldzuschusses erfolgt nach dem gleichen Maßstab (vgl. Rn. 35). Hierbei ist auch die Regelung in § 13 Abs. 3 Buchst. b Satz 2 MTV Nr. 2 Kabine in den Blick zu nehmen, wonach nicht krankenversicherungspflichtige Mitarbeiter verpflichtet sind, für die Zeit vom Beginn der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an eine angemessene Krankentagegeldversicherung abzuschließen, die der Höhe nach mindestens dem Höchstsatz der AOK entspricht. Dies spiegelt ebenfalls die Behandlung von pflicht- und freiwillig versicherten Mitarbeitern nach gleichen Maßstäben wider. Mangels Kontrollmöglichkeit der Beklagten, ob die Mitarbeiter diese Pflicht zum Versicherungsabschluss tatsächlich und in welchem Umfang einhalten, sollen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die finanziellen Folgen in Bezug auf die Höhe des Krankengeldzuschusses für die Beklagte planbar bleiben. Unabhängig vom Abschluss einer solchen Krankentagegeldversicherung sowie von dem vom Mitarbeiter gewählten Versicherungstarif soll der Abzug, den die Beklagte bei der Berechnung des Krankengeldzuschusses vornehmen darf, bei nicht krankenversicherungspflichtigen Mitarbeitern beim Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenkasse liegen. Auf diesem Weg stellen die Tarifvertragsparteien sicher, dass der tarifliche Krankengeldzuschuss auch bei nicht krankenversicherungspflichtigen Mitarbeitern seinen Zweck erfüllt, der darin liegt, das Krankengeld zu ergänzen, nicht jedoch dem Arbeitnehmer eine Begünstigung zu verschaffen (vgl.  - Rn. 23).

402. Die Beklagte hat die Ansprüche der Klägerin auf Krankengeldzuschuss für den streitgegenständlichen Zeitraum iHv. 19,05 Euro kalendertäglich erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz zwischen dem kalendertäglichen Nettoentgelt der Klägerin im Streitzeitraum iHv. 113,55 Euro und dem Krankengeld-Höchstsatz der gesetzlichen Krankenversicherung iHv. 94,50 Euro brutto. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte in der streitgegenständlichen Zeit vom bis zum kalendertäglich einen Krankengeldzuschuss iHv. 19,05 Euro netto an die Klägerin gezahlt hat.

41III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:270520.U.5AZR258.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 1715 Nr. 31
EAAAH-53508