BSG Beschluss v. - B 13 R 254/17 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Antrag auf Terminverlegung wegen Erkrankung - Einreichung eines unzureichenden ärztlichen Attestes

Gesetze: § 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Speyer Az: S 20 R 490/14 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 4 R 117/17 Urteil

Gründe

1I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten.

2Die Beklagte führte beim Kläger eine Kontenklärung im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens (§ 149 Abs 5 SGB VI) durch und stellte die bis zum zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten verbindlich fest (Bescheid vom ). Dabei merkte sie bezogen auf den streitigen Zeitraum Pflichtbeitragszeiten vom 1.3. bis zum vor. Dagegen hat der Kläger Klage auf durchgehende Vormerkung der Zeiten von "Januar 1979 bis Oktober 1994" als Pflichtbeitragszeiten erhoben. Nachdem die Beklagte den darin liegenden Widerspruch zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom ), hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Im Berufungsverfahren hat das LSG den Kläger am zur mündlichen Verhandlung am geladen. Mit Telefax vom , das am selben Tag um 18.26 Uhr beim LSG eingegangen ist, hat der seinerzeit nicht vertretene Kläger Terminverlegung beantragt. Er sei am am Fuß operiert worden und könne immer noch nicht laufen, wolle seine Argumente aber in der Verhandlung persönlich vortragen. Mit Schreiben vom hat das LSG ihn darauf hingewiesen, dass eine Terminsaufhebung derzeit nicht beabsichtigt sei, dies komme nur bei Vorlage eines ärztlichen Attestes über die Wegeunfähigkeit in Betracht. Daraufhin hat der Kläger mit Telefax vom , das am selben Tag um 17.42 Uhr beim LSG eingegangen ist, eine formlose Bescheinigung des niedergelassenen Chirurgen Dr. M. G. vom vorgelegt, wonach er aufgrund einer Außenknöchelfraktur nicht ausreichend mobil sei. Das LSG hat am von 11.25 bis 11.50 Uhr in Abwesenheit des weiterhin unvertretenen Klägers mündlich verhandelt und die Berufung aufgrund dieser Verhandlung zurückgewiesen (Urteil vom ). Im Berufungsurteil hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Verlegungsgrund glaubhaft gemacht. Dass er reise- und/oder verhandlungsfähig sei, lasse das vorgelegte Attest nicht erkennen. Darin würden insbesondere die konkreten Auswirkungen der Außenknöchelfraktur nicht dargelegt.

3Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Grundsatz der Mündlichkeit.

4II. 1. Die zulässige Beschwerde ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

5a) Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) in Verbindung mit dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) verletzt.

6aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen ( - SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN; - juris RdNr 8; - juris RdNr 13; - juris RdNr 15). Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG vor und wird dies ordnungsgemäß beantragt, besteht grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung ( - SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2 mwN; - juris RdNr 11; - juris RdNr 5; - juris RdNr 13), selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers - wie vorliegend - nicht angeordnet worden ist ( B 11a/11 AL 261/04 B - juris RdNr 11 mwN; - juris RdNr 15 mwN; - juris RdNr 8). Dabei hat die zeitliche wie inhaltliche Behandlung von Anträgen auf Terminverlegung der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen ( - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58 f mwN).

7bb) Diesen Anforderungen ist die Behandlung des klägerischen Terminverlegungsantrags durch das LSG nicht gerecht geworden. Der Kläger hat mittels Telefax vom deutlich gemacht, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen, und zugleich die Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung wirksam beantragt. Indem er vorgebracht hat, infolge einer Fußgelenksoperation nicht laufen zu können, hat er auch einen der Art nach beachtlichen Verlegungsgrund vorgetragen, denn die fehlende Reisefähigkeit stellt grundsätzlich einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG dar ( - juris RdNr 11). Zwar hat der Kläger die geltend gemachte Unfähigkeit, zum Termin anzureisen, nicht iS von § 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG glaubhaft gemacht. Wird ein Terminverlegungsantrag - wie vorliegend - erst kurz vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt und mit einer Erkrankung begründet, ist zur Glaubhaftmachung eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung angibt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Verhandlungs- bzw Reiseunfähigkeit des Beteiligten selbst beurteilen zu können ( - SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12 mwN; - juris RdNr 18). Der am ergänzend vorgelegten Bescheinigung des Chirurgen Dr. G. lassen sich aber keine Angaben zur Schwere und voraussichtlichen Dauer der krankheitsbedingten Einschränkungen entnehmen, die dem Kläger eine Teilnahme am Termin selbst unter Einsatz von Unterarmstützen oder anderen zumutbaren Hilfsmitteln unmöglich gemacht hätten. Gleichwohl durfte das LSG im Termin vom nicht in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Der zu diesem Zeitpunkt nicht vertretene Kläger hatte mit Überreichung des genannten Attestes aus seiner Sicht alles getan, um das LSG von der Notwendigkeit einer Terminverlegung zu überzeugen. Zwar hat das gerichtliche Schreiben vom den Hinweis enthalten, dass bei krankheitsbedingter Verhinderung ein ärztliches Attest über die Wegeunfähigkeit zu übersenden sei. Diesem Hinweis hat der Kläger indes Folge geleistet. Er hat ein ärztliches Attest vorgelegt, das er ausweislich des Datums offensichtlich zu diesem Zweck eingeholt hatte. Darin ist ihm eine nicht ausreichende Mobilität bescheinigt worden. Die damit in allgemeiner Form attestierte Unfähigkeit zu einem Ortswechsel entspricht aus Sicht eines juristischen und medizinischen Laien einer Wegeunfähigkeit. Dass die ärztliche Bescheinigung jedenfalls bei einem kurzfristig gestellten Antrag auf Terminverlegung wie dargelegt einen Inhalt aufweisen muss, der das Gericht in die Lage versetzt, die Reisefähigkeit der betreffenden Person selbst beurteilen zu können, ist dem gerichtlichen Schreiben vom nicht zu entnehmen. Das musste der zu diesem Zeitpunkt rechtskundig nicht vertretene Kläger auch nicht wissen. Auf Grund seiner Zweifel an einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit des Klägers hätte das LSG bzw der Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur weiteren Glaubhaftmachung seines Vortrags durch Vorlage eines aussagekräftigen Attestes auffordern oder selbst eine nähere Stellungnahme des Chirurgen Dr. G. über das Ausmaß der Erkrankung des Klägers einholen müssen (zu dieser Pflicht vgl - juris RdNr 17; - juris RdNr 5; - juris RdNr 12; - juris RdNr 11).

8b) Auf dem dargestellten Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen. Bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darin besteht, dass ein Verfahrensbeteiligter gehindert worden ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie für die Entscheidung ursächlich geworden ist ( - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7 f; - juris RdNr 10; - juris RdNr 17). Deshalb erübrigen sich Ausführungen dazu, inwieweit das angefochtene Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann ( - juris RdNr 14; - juris RdNr 17). Umstände, welche die Ursächlichkeit der gerügten Gehörsverletzung für das angefochtene Urteil ausnahmsweise ausschließen könnten (hierzu - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 56), sind nicht ersichtlich.

9c) Liegen - wie vorliegend - die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:200520BB13R25417B0

Fundstelle(n):
WAAAH-53126