Widerspruch gegen Versicherungsvertrag: Berechnung der herauszugebenden Nutzungen
Leitsatz
Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. kann der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Herausgabe von Nutzungen aus Verwaltungskostenanteilen nicht anhand der Eigenkapitalrendite des Versicherers berechnet werden.
Gesetze: § 5a Abs 2 S 4 VVG vom , § 818 Abs 1 Alt 1 BGB
Instanzenzug: Az: I-20 U 76/18vorgehend Az: 26 O 269/17
Tatbestand
1Der Kläger fordert von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen.
2Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahr 1997 einen Vertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) ab.
3Nachdem der Kläger den Vertrag zunächst gekündigt hatte, erklärte er mit Schreiben vom den Widerspruch.
4Mit der Klage verlangt er von der Beklagten die Rückerstattung der geleisteten Prämien abzüglich der Risikokosten sowie ausgekehrter Beträge zuzüglich Nutzungen, insgesamt 76.079,01 €, ferner Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zahlung von Verzugszinsen.
5Der Kläger meint, die Widerspruchsbelehrung sei unzureichend und die Verbraucherinformationen seien unvollständig gewesen, sodass er noch im Jahr 2016 zum Widerspruch berechtigt gewesen sei.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung in Höhe von 3.294,90 € nebst Zinsen stattgegeben. Es hat die Revision zugelassen, soweit die Klage in Höhe eines Betrages von 66.240,52 €, der auf vom Kläger geltend gemachte "Nutzungen im Eigenkapital" entfällt, abgewiesen worden ist. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in diesem Umfang weiter.
Gründe
7Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
8I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
9Der Vertrag sei nach den §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln. Der Kläger habe dem Vertragsschluss mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung noch im Jahr 2016 widersprechen können. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar. Ferner sei das Widerspruchsrecht nicht verwirkt und seine Ausübung verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben.
10Dahinstehen könne, ob der Kläger ausreichend dargelegt habe, dass die Beklagte aus den Prämienanteilen, die auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfielen, Nutzungen gezogen habe. Jedenfalls seien sie mit einer Forderung von 66.240,52 € nicht schlüssig dargelegt. Der Prämienanteil, der auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfallen sei, mache auch nach der Darstellung des Klägers nur einen Bruchteil der Gesamtprämie aus. Wie es der Beklagten möglich gewesen sein solle, aus einem Betrag von 4.300,68 € oder einem Teilbetrag hiervon in knapp 20 Jahren Nutzungen in Höhe von 66.240,52 € zu ziehen, sei schlechterdings nicht nachzuvollziehen. Zur Berechnung der Höhe gezogener Nutzungen aus dem Abschluss- bzw. Verwaltungskostenanteil der Prämie könne insbesondere nicht auf die Eigenkapitalrendite abgehoben werden. Notwendig sei ein Vortrag zur Höhe der Nutzungen, der sich auf die Ertragslage des Unternehmens beziehe. Dazu sei der Verweis auf die Eigenkapitalrendite ersichtlich ungeeignet. Diese gebe alleine das Verhältnis von Gewinn zum Eigenkapital an und möge betriebswirtschaftlich einen Indikator für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens darstellen. Aus der Höhe der Eigenkapitalrendite lasse sich indes nicht - auch nicht im Wege einer Schätzung - darauf schließen, welche Erträge ein Unternehmen mit von ihm vereinnahmten Geldern konkret habe erzielen können. Schon die vorliegend jährlich stark schwankende Eigenkapitalrendite (von -1,73 % bis 90,29 % vor Steuern) belege anschaulich, dass ein Rückgriff auf diese rein betriebswirtschaftliche Kennzahl zur Ermittlung tatsächlich gezogener Nutzungen im Sinne von § 818 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommen könne.
11II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
121. Der Kläger hat den im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Nutzungsherausgabeanspruch berechnet, indem er den von ihm vorgetragenen Verwaltungskostenanteil der Versicherungsprämie sowie vermeintliche Kostengewinne, die sich aus einer behaupteten Differenz zwischen kalkulierten und tatsächlich angefallenen Abschluss- und Risikokosten ergeben sollen, nach der Eigenkapitalrendite der Beklagten verzinst hat. Letztere hat der Kläger für die jeweiligen Geschäftsjahre der Beklagten nach dem Verhältnis ihres Ergebnisses der "gewöhnlichen" Geschäftstätigkeit (Jahresüberschuss ohne außerordentliche Erträge und Aufwendungen sowie Steuern) zum Eigenkapital ermittelt.
132. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger damit den in Rede stehenden Anspruch aus § 818 Abs. 1 BGB nicht schlüssig dargelegt hat.
14a) Dies gilt im Hinblick auf die vermeintlichen Kostengewinne der Beklagten aus dem Risikoanteil der vom Kläger gezahlten Prämien bereits deswegen, weil dieser Prämienanteil bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen keine Berücksichtigung finden kann. Nach der gefestigten Senatsrechtsprechung stehen dem Versicherungsnehmer Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den vom Versicherungsnehmer faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, nicht zu (vgl. , VersR 2018, 1367 Rn. 31; vom - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 30; vom - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 42). Der zur Bestreitung von Verwaltungskosten aufgewandte Prämienanteil kann hingegen zur Berechnung von Nutzungszinsen herangezogen werden, soweit der Versicherer auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel ersparte, die er zur Ziehung von Nutzungen verwenden konnte ( aaO; vom aaO Rn. 47 m.w.N.). Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt indes für Nutzungsersatzansprüche regelmäßig außer Betracht; mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. aaO; vom aaO; vom aaO Rn. 44 f.). Hinsichtlich der beiden zuletzt genannten Prämienanteile konnte das Berufungsgericht offenlassen, ob der Kläger hier - wie er geltend macht - zum Grund ausreichend vorgetragen hat.
15b) Jedenfalls hat er seiner Darlegungslast hinsichtlich der Höhe der von der Beklagten aus den Beitragszahlungen tatsächlich gezogenen Nutzungen nicht genügt. Die von ihm herangezogene Eigenkapitalrendite gibt hierüber keine Auskunft.
16aa) Ein Versicherungsnehmer, der vom beklagten Versicherer die Herausgabe von Nutzungen aus rechtsgrundlos geleisteten Beitragszahlungen verlangt, ist für Anfall und Höhe tatsächlich gezogener Nutzungen darlegungs- und beweisbelastet. Dies verlangt ihm, wie der Senat wiederholt entschieden hat, einen Tatsachenvortrag ab, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe gestützt werden kann (Senatsurteil vom - IV ZR 255/17, BGHZ 220, 297 Rn. 20 m.w.N.). Da sich die Herausgabepflicht nach § 818 Abs. 1 BGB auf die Nutzungen beschränkt, die der Bereicherte aus dem ohne Rechtsgrund erlangten Gegenstand oder aus einem Surrogat im Sinne des § 818 Abs. 1 BGB gezogen hat (, BGHZ 158, 63 unter 4 [juris Rn. 14]), muss die Ertragslage des Versicherers, auf die sich der Versicherungsnehmer zur Darlegung des Nutzungsherausgabeanspruchs bezieht, die Verwendung der rechtsgrundlos erbrachten Beitragszahlungen abbilden.
17bb) Das ist bei der vom Kläger angeführten Eigenkapitalrendite nicht der Fall (vgl. , juris Rn. 61 f.; VuR 2019, 342 unter C III 5 [juris Rn. 110]; unter II 3 b (n.v.); , juris Rn. 78; VersR 2019, 803 unter 3 b bb (2) [juris Rn. 69]; a.A. , juris Rn. 103; OLG Dresden, Urteil vom - 4 U 1624/16, juris Rn. 15; unter II 3 b bb (n.v.)).
18(1) Indem sie auf das Ergebnis der normalen - in der Terminologie des Klägers "gewöhnlichen" - Geschäftstätigkeit der Beklagten im Sinne von Abschnitt II Nr. 3 des Formblatts 3 der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV) vom (BGBl. I S. 3378) abstellt, berücksichtigt sie Erträge, die sich unter keinen Umständen als das Resultat der Verwendung der vom Kläger rechtsgrundlos erbrachten Beitragszahlungen verstehen lassen. Das gilt im Hinblick auf die Beitragszahlungen des Klägers selbst sowie diejenigen der übrigen Versicherungsnehmer der Beklagten. Die Beiträge fließen ohne Differenzierung nach Prämienbestandteilen insgesamt nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. a) des Formblatts 3 RechVersV als "Gebuchte Bruttobeiträge" (vgl. § 36 RechVersV) in das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit der Beklagten ein.
19(2) Ferner liegt der Berechnung des Klägers die Vorstellung zugrunde, er habe aufgrund der Zahlung des Verwaltungskostenanteils der Versicherungsprämie sowie aufgrund des behaupteten Anfalls von Kostengewinnen bei der Beklagten eine Investition in das in ihrer Bilanz ausgewiesene Eigenkapital getätigt. Diese Vorstellung ist unzutreffend. Zwar mögen die genannten Vorgänge die Höhe des bilanzierten Eigenkapitals etwa dadurch beeinflusst haben, dass sie einen Jahresüberschuss vergrößert oder einen Jahresfehlbetrag verringert haben (vgl. Formblatt 1 Passivseite Buchst. A Ziffer V. RechVersV). Aber dies führt nicht dazu, dass der Kläger einem Aktionär der Beklagten gleichzustellen wäre, dem die Eigenkapitalrendite, die als betriebswirtschaftliche Kennzahl den Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital kennzeichnet, Aufschluss über die Verzinsung seiner Investition geben mag (vgl. Gabler, Versicherungslexikon 2. Aufl. S. 253).
20cc) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der bisherigen Senatsrechtsprechung nichts anderes. Dass der Senat ausgeführt hat, aus der durchschnittlich von deutschen Lebensversicherern in einem bestimmten Zeitraum erzielten Verzinsung könne kein auf die Ertragslage des Versicherers bezogener Gewinn abgeleitet werden (vgl. , VersR 2018, 1367 Rn. 34; vom - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 50), bedeutet nicht, dass zur Berechnung des Nutzungsherausgabeanspruchs auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit des Versicherers abzustellen wäre. Das folgt bereits daraus, dass es in den genannten Entscheidungen jeweils nur um die Frage erzielter Zinsgewinne ging (Senatsurteile aaO).
213. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht hätte den Kläger darauf hinweisen müssen, dass die Anspruchsberechnung anhand der jeweiligen jährlichen Eigenkapitalrendite der Beklagten unzulässig ist, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:290420UIVZR5.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 2030 Nr. 28
NJW 2020 S. 9 Nr. 23
WM 2020 S. 966 Nr. 21
ZIP 2020 S. 1304 Nr. 27
TAAAH-48488