BSG Beschluss v. - B 4 AS 54/20 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Verwerfung der Berufung wegen Unzulässigkeit durch Beschluss des LSG - Wert des Beschwerdegegenstands - Berücksichtigung von beanstandeten Erstattungsansprüchen - fehlendes Sachurteil

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG

Instanzenzug: Az: S 44 AS 6905/11vorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 4 AS 57/16 Beschluss

Gründe

1I. Im Streit ist die Höhe des Anspruchs des Klägers und seiner verstorbenen Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom bis .

2Der Beklagte bewilligte Leistungen zunächst vorläufig (Bescheid vom ; Änderungsbescheid vom ). Der dagegen erhobene Wiederspruch blieb nach Änderungen noch im Widerspruchsverfahren erfolglos (Änderungsbescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Im Verlauf des Klageverfahrens hat der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid erteilt (Bescheid vom ) und sodann die Leistungen endgültig festgesetzt, verbunden mit Erstattungsansprüchen in Höhe von 842,52 Euro bzw 842,58 Euro für den Kläger und seine Ehefrau (Bescheide vom ).

3Aus der Niederschrift über die letzte mündliche Verhandlung im Klageverfahren vom ergibt sich, dass der Kläger und seine Ehefrau - nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass die Bescheide vom nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden seien - beantragt haben, "den Bescheid vom in der Gestalt der Änderungsbescheide vom und , des Widerspruchsbescheides vom , des Änderungsbescheides vom und der Erstattungsbescheide vom zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von weiteren 216,49 Euro für die Zeit vom bis zu zahlen". Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ; zur Geschäftsstelle gelangt am und dem Kläger zugestellt am ). Das LSG hat im Berufungsverfahren zunächst den Antrag des Klägers auf PKH abgelehnt (Beschluss vom ). Die Berufung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie bereits unzulässig sei, denn es seien nach dem Hergang der mündlichen Verhandlung nur Leistungen in Höhe von weiteren 216,49 Euro im Streit gewesen. Nach Anhörung des Klägers hat das LSG sodann die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen (Beschluss vom ). Zur Begründung hat es auf den Beschluss über die Ablehnung von PKH Bezug genommen.

4Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Außerdem rügt er als Verfahrensmangel, dass das LSG unter Verletzung von § 144 Abs 1 Satz 1 SGG nicht in der Sache entschieden und zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.

5II. Die jedenfalls bezogen auf die Rüge eines Verfahrensmangels zulässige Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Der Entscheidung liegt ein formgerecht gerügter (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) zugrunde. Das LSG hätte die Berufung nicht als unzulässig ansehen, sondern in der Sache entscheiden müssen. Dies ist ein Verfahrensmangel, denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr; vgl nur - RdNr 5; - RdNr 5, jeweils mwN).

6Entgegen der Auffassung des LSG ist die Berufung auch ohne Zulassung zulässig gewesen, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 Euro (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Auslegung des Klageantrags durch das LSG, wonach allein weitere Leistungen in Höhe von nur 216,46 Euro begehrt wurden, ist vom Senat als Auslegung einer Prozesserklärung vollständig zu überprüfen (vgl - RdNr 7; - RdNr 15). Diese Auslegung ist nicht nachvollziehbar. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes bzw Teilklagerücknahme muss klar und eindeutig ( - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 S 7, juris RdNr 15 mwN) sowie unmissverständlich und unzweifelhaft ( - BSGE 53, 44, 46 = SozR 2200 § 1397 Nr 2 S 4, juris RdNr 27) erfolgen. Daran fehlt es hier. Wenn sich jemand noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gegen Bescheide wendet, die für den streitbefangenen Zeitraum Erstattungen von mehr als 800 Euro für jeden der beiden Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft verfügen (Bescheide vom ), und sodann noch weitere Leistungen für diesen Zeitraum beantragt, kann nicht von einer Beschränkung des Klagebegehrens nur auf die weitere Leistungen ausgegangen werden. Denn ein Anspruch auf weitere Leistungen im Falle der hier streitbefangenen endgültigen Festsetzung von Grundsicherungsleistungen für einen bestimmten Zeitraum kommt nur in Betracht, wenn kein Erstattungsanspruch für diesen Zeitraum besteht.

7Vor diesem Hintergrund ist trotz der vom LSG gewürdigten Erklärungen des Klägers, die sich im Wesentlichen nur auf Berechnungselemente des Anspruchs beziehen, auch der Erstattungsanspruch als von der Klage umfasst anzusehen. Deshalb ist von einem Streitwert von mehr als 750 Euro und somit von einer Zulässigkeit der Berufung auch ohne Zulassung auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sein Begehren im Zeitpunkt der Berufungseinlegung (vgl - SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 13) beschränkt haben könnte, bestehen nicht, denn er wiederholt ausdrücklich seinen im Klageverfahren zuletzt gestellten Antrag und macht zudem deutlich, dass er sich auch gegen die Erstattung von Leistungen wendet.

8Die Entscheidung des LSG beruht auch auf diesem Verfahrensfehler, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Sachentscheidung, die dann auch nur unter den Voraussetzungen des § 153 Abs 4 SGG im Beschlusswege ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter erfolgen dürfte, zu einem anderen Ergebnis führt.

9Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

10Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob weitere Zulassungsgründe vorliegen, denn auch in diesem Fall müsste voraussichtlich eine Zurückverweisung erfolgen (vgl nur - RdNr 18; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 19d mwN).

11Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:190320BB4AS5420B2

Fundstelle(n):
AAAAH-48438