BGH Beschluss v. - IV ZR 100/19

Verstoß gegen den Grundsatz auf rechtliches Gehör durch verspätete Erteilung eines richterlichen Hinweises

Gesetze: § 139 Abs 5 ZPO, § 544 Abs 7 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: 7 U 105/18vorgehend LG Baden-Baden Az: 2 O 351/15

Gründe

1I. Der Kläger verlangt als Alleinerbe seiner am verstorbenen Urgroßmutter von der Beklagten, deren Tochter, unter anderem Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Pflichten als Testamentsvollstreckerin, zu der sie bis zur Volljährigkeit des am geborenen Klägers bestimmt worden war. Zum Nachlass gehörte ein Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen. Die Wohnung im Erdgeschoss war von September 2008 bis Dezember 2010 nicht vermietet. Für eine weitere Wohnung wurden 2010 nur zwei Monate lang Mietzahlungen vereinnahmt. Der Kläger hat Schadensersatz in Höhe der Mietausfälle verlangt.

2Soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Interesse, hat das Landgericht die auf Schadensersatz wegen der Mietausfälle und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat insoweit auf die Berufung des Klägers der Klage auf Schadensersatz in Höhe von 20.830 € nebst Zinsen und auf vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen aus diesem Gegenstandswert stattgegeben und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe der Beklagten als Testamentsvollstreckerin oblegen, für eine möglichst gewinnbringende Verwertung des Wohnobjekts zu sorgen. Die Wohnung im Erdgeschoss sei zwischen September 2008 und Dezember 2010 nicht vermietet gewesen. Der allgemeine Verweis auf Renovierungsarbeiten in Eigenarbeit genüge in diesem Zusammenhang nicht. Insofern sei der Beklagten wegen der Renovierungsarbeiten ein dreimonatiger Leerstand zuzubilligen. Es ergebe sich so eine Forderung von 25 Monaten x 710 € = 17.750 €. Der Leerstand einer weiteren Wohnung von zehn Monaten im Jahr 2010 sei wiederum nicht hinreichend erklärt. Nach Zubilligung einer angemessenen Renovierungsdauer von drei Monaten ergebe sich eine weitere Forderung von sieben Monaten x 440 € = 3.080 €.

3Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt.

4II. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzt die Beklagte in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass das Berufungsgericht der Klage nicht im ausgeurteilten Umfang stattgeben durfte, ohne der Beklagten zuvor die von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatzfrist zu gewähren.

51. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (Senatsbeschluss vom - IV ZR 408/14, ErbR 2015, 197 Rn. 7). Ein rechtlicher Hinweis des Gerichts erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der Partei anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises zu ergänzen. Erteilt ein Gericht einen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben (vgl. Senatsbeschluss vom aaO). Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren (vgl. , NJW-RR 2007, 412 Rn. 4).

62. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Seine Ansicht, dass die Nichtvermietung der beiden Wohnungen eine Pflichtverletzung der Beklagten als Testamentsvollstreckerin gewesen sei, begründet es damit, der allgemeine Verweis der Beklagten auf Renovierungsarbeiten in Eigenarbeit genüge nicht und der Leerstand sei nicht hinreichend erklärt; insofern sei der Beklagten wegen der Renovierungsarbeiten (nur) ein dreimonatiger Leerstand zuzubilligen. Das Berufungsgericht hat der Beklagten jedoch keine Gelegenheit gegeben, zu den durchgeführten Renovierungsarbeiten weiter vorzutragen. Nachdem das Landgericht die Klage auf Schadensersatz abgewiesen hatte, bestand für die Beklagte zunächst kein Anlass, sich in der Berufungsinstanz genauer zu den Renovierungsarbeiten zu erklären. Erst in der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein Schadensersatzanspruch in Betracht komme, da die von der Beklagten behaupteten Renovierungsarbeiten keine Nichtvermietung über einen Zeitraum von zwei Jahren rechtfertigten. Den daraufhin von der Beklagten beantragten Schriftsatznachlass hätte das Berufungsgericht gewähren müssen, damit sie den laut Berufungsurteil fehlenden konkreten Vortrag zu den Renovierungsarbeiten hätte nachholen können.

73. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vortrags, den die Beklagte mit der Beschwerdebegründung gehalten hat, hinsichtlich des gerechtfertigten Zeitraums der Nichtvermietung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:041219BIVZR100.19.0

Fundstelle(n):
OAAAH-45704