BAG Urteil v. - 10 AZR 476/18

Klage auf Sozialkassenbeiträge - Streitgegenstand

Leitsatz

1. Eine Klage auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft, der ein Mahnverfahren vorausgegangen ist, ist auch ohne Anspruchsbegründung nach § 46a Abs. 4 Satz 3 ArbGG hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn bereits der Mahnantrag im Weg einer vorweggenommenen Anspruchsbegründung die für eine bestimmte Klage erforderlichen Angaben enthält.

2. In einem Mahnantrag, mit dem Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft geltend gemacht werden, müssen die verfolgten Ansprüche unter Berücksichtigung der Beitragsart hinreichend individualisiert sein, um den Anforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu genügen.

3. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft ist berechtigt, Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft für gewerbliche Arbeitnehmer mit einer sog. Durchschnittsbeitragsklage auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne geltend zu machen.

Gesetze: § 46a Abs 4 S 3 ArbGG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 690 Abs 1 Nr 3 ZPO, § 5 TVG, § 7 Abs 1 SokaSiG, Anl 26 SokaSiG, Anl 32 SokaSiG, Art 9 Abs 3 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 20 Abs 2 GG, Art 2 Abs 1 GG

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 4 Ca 157/16 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 1545/17 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.

2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Er nimmt den Beklagten auf der Grundlage der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweils maßgeblichen Fassung (VTV) auf Durchschnittsbeiträge für mindestens zwei gewerbliche Arbeitnehmer in der Zeit von Dezember 2010 bis Mai 2016 sowie für mindestens eine Angestellte in der Zeit von November 2013 bis Juni 2016 und August 2016 iHv. insgesamt noch 87.070,00 Euro in Anspruch.

3Der nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält im bayerischen A einen Gewerbebetrieb, in dem arbeitszeitlich überwiegend Bautätigkeiten iSd. VTV ausgeführt werden.

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte schulde die geltend gemachten Beiträge, weil er mit seinem Baubetrieb den Verfahrenstarifverträgen unterfalle. An sie sei er aufgrund des SokaSiG gebunden, das verfassungsgemäß sei.

5Der Kläger hat nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der Beiträge für eine Angestellte für Juli 2016 beantragt,

6Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Klage für unzulässig gehalten, weil der Kläger nicht berechtigt sei, die Klageforderung auf der Grundlage von Durchschnittsbeiträgen zu berechnen. Für eine solche auch als Mindestbeitragsklage bezeichnete Klage bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Verteilung der Darlegungslast führe zu einer unzulässigen Ausforschung. Indem sich der Kläger erst im Verlauf des Rechtsstreits auf das SokaSiG gestützt habe, habe er die Klage in unzulässiger Weise geändert. Das SokaSiG scheide als Geltungsgrund für die Verfahrenstarifverträge ohnehin aus, weil es verfassungswidrig sei.

7Nach Verbindung der ursprünglich sieben Rechtsstreitigkeiten, denen jeweils ein Mahnverfahren vorausging, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin sein Ziel, dass die Klage abgewiesen wird.

Gründe

8Die Revision hat iHv. 5,08 Euro Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Beiträge iHv. 87.064,92 Euro.

9I. Die Klage ist zulässig.

101. Sie ist aufgrund der Mahnanträge hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

11a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben einem bestimmten Antrag auch eine bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Dazu hat er den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat (für die st. Rspr.  - Rn. 15; - 7 AZR 206/17 - Rn. 20 mwN). Der Kläger muss die begehrte Rechtsfolge aus einem konkreten Lebensvorgang ableiten. Vorzutragen sind die Tatsachen, die den Streit unverwechselbar festlegen. Hierzu gehören nicht etwa alle Tatsachen, die notwendig sind, damit die Klage als begründet erscheint. Der zugrunde liegende Sachverhalt darf jedoch nicht beliebig sein ( - Rn. 21). Zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt es deshalb nicht darauf an, ob der maßgebliche Sachverhalt bereits vollständig beschrieben oder ob der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist. Vielmehr reicht es im Allgemeinen aus, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist. Damit wird der Zweck der Klageerhebung erreicht, gegenüber dem Schuldner den Willen des Gläubigers zu verdeutlichen, seine Forderungen durchzusetzen. Es genügt also, dass das Klagebegehren - unterhalb der Stufe der Substantiierung - individualisiert und damit der Streitgegenstand bestimmt ist ( - Rn. 24). Bei mehreren im Weg einer objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamtklage“ zusammensetzt ( - aaO; - 3 AZR 215/18 - Rn. 16, BAGE 165, 357; - 7 AZR 206/17 - Rn. 20).

12b) Diesen Anforderungen werden bereits die Mahnanträge des Klägers gerecht. Dem steht nicht entgegen, dass das Arbeitsgericht den Kläger, nachdem der Beklagte Widerspruch gegen die Mahnbescheide eingelegt hatte, nicht dazu aufgefordert hat, die Ansprüche zu begründen, und der Kläger keine gesonderten Anspruchsbegründungen eingereicht hat. Die Mahnträge erfüllen die Voraussetzungen vorweggenommener Anspruchsbegründungen (vgl.  - zu 2 a der Gründe; Schwab/Weth/Tiedemann ArbGG 5. Aufl. § 46a Rn. 36). Die Angaben auf den Mahnanträgen genügen den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

13aa) Wird gegen einen Mahnbescheid Widerspruch eingelegt und die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt, hat der Antragsteller nach § 46a Abs. 4 Satz 3 ArbGG den im Mahnverfahren geltend gemachten Anspruch nach Aufforderung durch die Geschäftsstelle zu begründen. Nach dem entsprechend anzuwendenden § 697 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Anspruchsbegründung den Anforderungen, die an eine Klageschrift zu stellen sind, genügen (§§ 253130131 ZPO; GMP/Germelmann/Künzl 9. Aufl. § 46a Rn. 25a; Schwab/Weth/Tiedemann ArbGG 5. Aufl. § 46a Rn. 36; Zöller/Seibel ZPO 33. Aufl. § 697 Rn. 2). Die Anspruchsbegründung soll den Mahnbescheid zu einer vollwertigen Klage ergänzen ( - Rn. 18, BGHZ 179, 329).

14bb) Die Angaben in den Mahnanträgen des Klägers erfüllen diese Voraussetzungen.

15(1) Nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO muss der Mahnantrag die Bezeichnung des Anspruchs unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung enthalten. Um den Umfang der Rechtskraft klarzustellen, muss der Streitgegenstand bestimmt sein. Der geltend gemachte Anspruch muss individualisiert werden können ( - zu II 2 e bb der Gründe;  - Rn. 11). Dazu ist erforderlich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diese Anforderungen erfüllt sind, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden. Vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab ( - Rn. 24; - VII ZR 155/11 - Rn. 14).

16(a) Die Bestimmung des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verlangt lediglich eine knappe Kennzeichnung des geltend gemachten Anspruchs und der verlangten Leistung. Umfangreiche Erläuterungen wären mit der auf eine schnelle Erledigung ausgerichteten Zielsetzung des Massenverfahrens nach § 46a ArbGG, §§ 688 ff. ZPO nicht vereinbar (vgl.  - Rn. 12 mwN).

17(b) Daher kann im Mahnantrag auf Rechnungen oder andere Unterlagen Bezug genommen werden, um den geltend gemachten Anspruch zu bezeichnen. Wenn dem Antragsgegner ein solches Schriftstück bereits bekannt ist, braucht es dem Mahnantrag nicht in Abschrift beigefügt zu werden. Den in § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestellten Anforderungen an eine Individualisierung des im Mahnantrag bezeichneten Anspruchs kann aber unter bestimmten Umständen auch dann genügt sein, wenn eine im Mahnantrag in Bezug genommene Anlage weder ihm beigefügt noch dem Schuldner zuvor zugänglich gemacht worden ist. Es reicht aus, wenn es die übrigen Angaben im Mahnantrag ermöglichen, den Anspruch zu kennzeichnen ( - Rn. 25; - VIII ZR 211/09 - Rn. 11).

18(c) Soll ein einheitlicher Antrag auf unterschiedliche Lebenssachverhalte und damit verschiedene Streitgegenstände gestützt werden, muss dies im Mahnantrag hinreichend zum Ausdruck kommen ( - Rn. 26 mwN). Bei einer Mehrzahl von Einzelforderungen müssen sie im Mahnantrag bezeichnet werden. Dem Beklagten ist zu ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten Gesamtbetrags aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen (vgl.  - Rn. 4 mwN). Nicht erforderlich ist eine solche Aufschlüsselung, wenn es sich um mehrere Rechnungsposten einer einheitlichen Forderung handelt ( - Rn. 15). Gleiches gilt für eine abschließende Gesamtforderung, mit der der Anspruchsteller die ihm für einen bestimmten Zeitraum zustehenden Ansprüche final klären und durchsetzen will. Ein solcher Anspruch ist hinreichend bestimmt (vgl.  - Rn. 10; - 10 AZR 562/18 - Rn. 16;  - Rn. 14;  - zu B II 2 b der Gründe).

19(d) Bei einer Teilforderung muss dem Mahnantrag zu entnehmen sein, dass es sich um eine Teilforderung handelt und welche Teile Gegenstand der Forderung sein sollen ( - Rn. 4).

20(2) Werden mit einem Mahnantrag Sozialkassenbeiträge für gewerbliche Arbeitnehmer geltend gemacht, sind die Vorgaben des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO demnach grundsätzlich erfüllt, wenn die die Ansprüche stellende Sozialkasse darlegt, von welchem Arbeitgeber sie für welche Kalendermonate Beiträge in welcher Höhe begehrt.

21(a) Der prozessuale Anspruch einer Klage der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft auf Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer ist jeweils der auf der Grundlage des VTV in einem Kalendermonat für die gewerblichen Arbeitnehmer anfallende Sozialkassenbeitrag. Verlangt die Sozialkasse Beiträge für einen längeren Zeitraum als einen Kalendermonat, handelt es sich um eine „Gesamtklage“. Die Sozialkasse hat dann darzulegen, wie sich die Ansprüche auf die einzelnen Monate verteilen ( - Rn. 15, 17). Macht die Sozialkasse für mehrere Monate sog. Durchschnittsbeiträge auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne geltend, sind die auf die einzelnen Monate entfallenden Beiträge hinreichend individualisiert, wenn sich dem Mahnantrag entnehmen lässt, welche Beiträge auf die einzelnen Monate entfallen. Dazu können weitere Erläuterungen herangezogen werden, etwa auf der Rückseite des Antragsformulars oder in einer in Bezug genommenen Anlage.

22(b) Demgegenüber muss die Sozialkasse die Arbeitnehmer, für die sie Beiträge erstrebt, nicht namentlich benennen oder in anderer Weise individualisieren, um den Streitgegenstand zu bestimmen. Da sie für die einzelnen Monate jeweils einen einheitlichen Beitragsanspruch für gewerbliche Arbeitnehmer geltend macht, der sich aus der jeweiligen Bruttolohnsumme ergibt, kann die Bruttolohnsumme den Bruttolohn mehrerer gewerblicher Arbeitnehmer zusammenfassen. Die Bruttomonatslöhne einzelner gewerblicher Arbeitnehmer stellen keine gesonderten Streitgegenstände dar, sondern allenfalls unselbständige Rechnungsposten (vgl.  - Rn. 16 ff.).

23(c) Grundsätzlich ist es ebenfalls nicht erforderlich anzugeben, dass es sich um eine Teilforderung handelt und welcher Teil Gegenstand der Forderung ist. Bei der Geltendmachung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft handelt es sich regelmäßig um - offene oder verdeckte - Teilforderungen, die sich auf das der einziehenden Sozialkasse bekannte Beitragsvolumen beziehen. Die Sozialkasse behält sich regelmäßig vor, weitere Beiträge zu fordern, wenn sie Kenntnis davon erlangt, dass die tatsächlichen Beitragsansprüche höher sind als ursprünglich angenommen (vgl.  - Rn. 25).

24(3) Macht die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft Beiträge für Angestellte geltend, sind die Vorgaben des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich erfüllt, wenn sie darlegt, von welchem Arbeitgeber sie für welche Zahl von Angestellten in welchem Kalendermonat Beiträge in welcher Höhe begehrt.

25(a) Der prozessuale Anspruch einer Klage der Sozialkasse auf Beiträge für Angestellte ist jeweils der auf der Grundlage des VTV für jeden einzelnen beschäftigten Angestellten in einem Kalendermonat anfallende Beitrag. Dabei handelt es sich um einen festen Betrag, der grundsätzlich monatlich für jeden Angestellten anfällt. Nur wenn das Arbeitsverhältnis eines Angestellten im Lauf des Monats beginnt oder endet, schuldet der Arbeitgeber einen der Beschäftigungszeit entsprechenden anteiligen Beitrag (vgl. § 19 Satz 2 des VTV vom [VTV 2009], des VTV vom idF vom [VTV 2011] und des VTV vom idF vom [VTV 2012]; § 16 Satz 2 des VTV vom [VTV 2013 I] und des VTV vom idF vom [VTV 2013 II]; § 16 Abs. 1 Satz 2 des VTV vom idF vom [VTV 2014]; § 16 Abs. 3 Satz 1 des VTV vom idF vom [VTV 2015]). Im Unterschied zu den Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer macht die Sozialkasse bei Beiträgen für Angestellte für die einzelnen Monate keinen einheitlichen Beitragsanspruch, sondern im Weg der objektiven Klagehäufung zusammengefasste Einzelansprüche für die jeweilige Zahl der beschäftigten Angestellten geltend. Erforderlich ist es daher, die Zahl der beschäftigten Angestellten unter Angabe des jeweiligen Monats zu benennen. Nur im Fall einer nicht den ganzen Kalendermonat umfassenden Beschäftigung ist zusätzlich die Zahl der davon betroffenen Angestellten unter Angabe der jeweiligen Arbeitstage im maßgeblichen Monat zu bezeichnen.

26(b) Demgegenüber muss die Sozialkasse die Angestellten, für die sie Beiträge erstrebt, nicht namentlich benennen oder in anderer Weise individualisieren, um den Streitgegenstand zu bestimmen. Die Beiträge für Angestellte bestimmen sich allein nach der Zahl der beschäftigten Angestellten und der Beschäftigungstage im Kalendermonat, wobei im Regelfall von einem vollen Kalendermonat auszugehen ist. Auf darüber hinausgehende individuelle Eigenschaften kommt es nicht an.

27(c) Wie bei der Geltendmachung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer ist es nicht erforderlich anzugeben, dass es sich um eine Teilforderung handelt und welcher Teil Gegenstand der Forderung ist. Auch hier handelt es sich regelmäßig um - offene oder verdeckte - Teilforderungen, die sich auf das der einziehenden Sozialkasse bekannte Beitragsvolumen beziehen. Die Sozialkasse behält sich daher regelmäßig vor, weitere Beiträge zu fordern, wenn sie Kenntnis davon erlangt, dass die tatsächlichen Beitragsansprüche höher sind als ursprünglich angenommen (vgl. zu der Klage auf Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer  - Rn. 25).

28(4) Unter Berücksichtigung dessen sind die mit den Mahnanträgen verfolgten Ansprüche in einer § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise individualisiert. Sowohl bei den gewerblichen Arbeitnehmern als auch bei den Angestellten sind der jeweilige Monat, die Zahl der Arbeitnehmer und die Beitragssumme genannt. Die Aufteilung auf die einzelnen Monate ergibt sich für die gewerblichen Arbeitnehmer mithilfe der auf der Rückseite der Antragsformulare genannten „Mindestbeiträge“, die auf der Basis der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne errechnet wurden. Bei den Beiträgen für eine Angestellte kann aufgrund der für jeden Kalendermonat anzusetzenden Festbeträge der Betrag, der auf jeden einzelnen im Anspruchszeitraum liegenden Monat entfällt, ermittelt werden. Soweit der Kläger für Juni 2016 einen Betrag von 37,92 Euro geltend macht, liegt eine abschließende Gesamtgeltendmachung vor. Indem er den Anspruch für diesen Monat mit „Rest“ bezeichnet, bringt er zum Ausdruck, dass es sich um eine abschließende Klärung der im Juni 2016 angefallenen Angestelltenbeiträge handelt. Darüber hinaus musste der Anspruch nicht individualisiert werden.

29(5) Auch den gegenüber einem Mahnantrag strengeren Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den konkreten Lebensvorgang durch Tatsachen zu umschreiben, werden die Angaben in den Mahnanträgen des Klägers gerecht. Neben dem auf der Vorderseite genannten Beitragszeitraum und der Beitragsart finden sich auf der Rückseite - formularmäßig - Ausführungen, die in Anspruch genommene Partei unterhalte einen baugewerblichen Betrieb iSd. VTV. Dass insoweit differenzierter Sachvortrag und ggf. erforderliche Beweisangebote fehlen, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage.

302. Entgegen der Ansicht des Beklagten fehlt der sog. Durchschnittsbeitragsklage nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger sein Zahlungsbegehren mittels einer Stufenklage hätte verfolgen können, die ihn nach der Auskunftserteilung in die Lage versetzt hätte, die Beitragsansprüche exakt zu beziffern.

31a) Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen (vgl.  - Rn. 15). Es verlangt als Sachentscheidungsvoraussetzung, dass ein berechtigtes Interesse daran besteht, die Gerichte in Anspruch zu nehmen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt allgemein, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann. Bei Leistungsklagen ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig daraus, dass der behauptete materielle Anspruch nicht erfüllt ist. Für die Prüfung des Interesses an seiner gerichtlichen Durchsetzung ist zu unterstellen, dass der Anspruch besteht ( - Rn. 19, BAGE 164, 307). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn ein einfacherer oder billigerer Weg zur Verfügung steht oder wenn der Kläger offensichtlich keine gerichtliche Hilfe (mehr) braucht, um sein Ziel zu erreichen ( - Rn. 18).

32b) Danach besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger verfolgt sein Begehren im Weg einer Leistungsklage. Der vom Beklagten genannte Weg der Stufenklage ist weder einfacher noch billiger, sondern kann langwieriger und kostenintensiver sein. Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger mehrfach den Instanzenzug beschreiten muss, um sein Begehren auf der jeweiligen Stufe gerichtlich durchsetzen zu können.

33c) Der Einwand der Revision, mit der sog. Durchschnittsbeitragsklage werde das Ausforschungsverbot umgangen, verfängt nicht. Das Ausforschungsverbot ist ein Grundsatz des Beweisrechts. Ob der Kläger seinen Anspruch auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft geltend machen kann, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Das Rechtsschutzbedürfnis wird dadurch nicht berührt.

343. Der Kläger hat die Klage nicht geändert, indem er sich bereits erstinstanzlich auch auf das SokaSiG als Geltungsgrund für die Verfahrenstarifverträge berufen hat. Beitragsansprüche nach den Verfahrenstarifverträgen, für deren Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst ( - Rn. 9; - 10 AZR 177/18 - Rn. 26; - 10 AZR 549/18 - Rn. 14; - 10 AZR 498/17 - Rn. 27; - 10 AZR 559/17 - Rn. 12; - 10 AZR 318/17 - Rn. 15; - 10 AZR 121/18 - Rn. 18 ff., BAGE 164, 201).

35II. Die Klage ist iHv. 87.064,92 Euro begründet.

36Der Kläger hat für die Zeit vom bis Beitragsansprüche für zwei gewerbliche Arbeitnehmer aus § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 iVm. den Anlagen 28 bis 32 SokaSiG. Die Ansprüche auf Beiträge für eine Angestellte in der Zeit vom bis beruhen auf § 7 Abs. 3 und Abs. 4 iVm. den Anlagen 28 und 29 SokaSiG. Für die Zeit vom 1. Januar bis stützen sich die Beitragsansprüche für zwei gewerbliche Arbeitnehmer und eine Angestellte auf den VTV 2014, an den der Beklagte sowohl nach § 7 Abs. 2 iVm. der Anlage 27 SokaSiG als auch nach § 5 Abs. 4 TVG iVm. der Allgemeinverbindlicherklärung vom gebunden ist (BAnz. AT B3; AVE VTV 2015). Die Ansprüche auf Beiträge für zwei gewerbliche Arbeitnehmer in der Zeit vom 1. Januar bis und für eine Angestellte in der Zeit vom 1. Januar bis sowie für August 2016 ergeben sich aus dem VTV 2015, an den der Beklagte sowohl nach § 7 Abs. 1 iVm. der Anlage 26 SokaSiG als auch nach § 5 Abs. 4 TVG iVm. der Allgemeinverbindlicherklärung vom gebunden ist (BAnz. AT B4; AVE VTV 2016). Die Anlagen 26 bis 32 enthalten den vollständigen Text der Verfahrenstarifverträge in den im Streitzeitraum geltenden Fassungen (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom S. 255 bis 350).

371. Die Beitragspflicht des Beklagten folgt für die Zeit vom bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009, für die Zeit vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2011, für die Zeit vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2012, für die Zeit vom 1. Juli bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 I, für die Zeit vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 II, für die Zeit vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2014 und für die Zeit vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2015. Die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht nach den Verfahrenstarifverträgen sind erfüllt.

382. Der im Freistaat Bayern gelegene Betrieb des Beklagten unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge (§ 1 Abs. 1 VTV). Die bei dem Beklagten beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer sowie die Angestellte werden vom persönlichen Geltungsbereich erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VTV). Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 VTV eröffnet. Die Revision hat die Feststellungen der Tatsacheninstanzen, dass im Betrieb des Beklagten arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 VTV ausgeführt wurden, nicht angegriffen.

393. Der Höhe nach bestehen Beitragsansprüche nur im Umfang von 87.064,92 Euro. Soweit der Kläger darüber hinaus 5,08 Euro geltend gemacht hat, ist die Klage unbegründet.

40a) Der Kläger war entgegen der Auffassung der Revision nicht gehindert, die Beitragsansprüche für die gewerblichen Arbeitnehmer im Weg einer sog. Durchschnittsbeitragsklage zu verfolgen.

41aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft berechtigt, die geschuldeten Beiträge mit einer Durchschnittsbeitragsklage geltend zu machen und dafür die vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft heranzuziehen ( - Rn. 14; - 10 AZR 318/17 - Rn. 45; - 10 AZR 842/12 - Rn. 27 mwN). Die klagende Sozialkasse muss dazu ein in sich widerspruchsfreies, nachvollziehbares und überprüfbares Rechenwerk vorlegen, das mit ihren tatsächlichen Angaben im Einklang steht ( - aaO). Greift die Sozialkasse für die Berechnung der Beiträge in nachvollziehbarer Weise auf die vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne zurück, bezieht sie sich auf eine öffentliche Statistik. Damit stellt sie keine Behauptung ins Blaue hinein ohne jeglichen Anhaltspunkt auf. Die darlegungspflichtige Sozialkasse steht außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber kennt jedoch alle wesentlichen Tatsachen und ist nach den Verfahrenstarifverträgen verpflichtet, die für die Beitragsbemessung erforderlichen Daten zu melden. Sein einfaches Bestreiten genügt deshalb nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind. In diesen Fällen kann von ihm im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (vgl.  - Rn. 16). Die von der Revision hiergegen pauschal unter Bezug auf die Bindung an Recht und Gesetz sowie das Gebot fairen Verfahrens erhobenen Einwände tragen nicht. Die Pflicht der Parteien, ihre Tatsachenerklärungen wahrheitsgemäß und vollständig abzugeben, dient gerade der redlichen und fairen Prozessführung (MüKoZPO/Fritsche 5. Aufl. § 138 Rn. 1).

42bb) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen zu der Berechnung der Durchschnittsbeiträge auf der Rückseite der Mahnanträge gerecht. Sie legen die Quelle der verwendeten Daten offen und zeigen den Rechenweg auf, der zugrunde gelegt wurde, um die Durchschnittsbeiträge zu ermitteln. Widersprüche sind darin nicht zu erkennen.

43b) Der Beklagte hat die Feststellungen der Tatsacheninstanzen, dass in seinem Betrieb im Streitzeitraum mindestens zwei gewerbliche Arbeitnehmer und eine Angestellte beschäftigt wurden, nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Für die Berechnung der Beiträge hat der Senat von dieser Zahl von Arbeitnehmern auszugehen.

44c) Der Kläger kann von dem Beklagten daher Beiträge iHv. 87.064,92 Euro verlangen. In den sieben ursprünglich selbständigen Rechtsstreitigkeiten hat der Kläger Zahlungsansprüche von insgesamt 87.144,42 Euro verfolgt. Er hat im Verfahren - 4 Ca 2087/16 - neben Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer Beiträge iHv. 276,42 Euro für mindestens eine Angestellte für die Monate Mai, Juli und August 2016 sowie eine Restforderung für Juni 2016 geltend gemacht. Da sich der Rest nur auf den Monat Juni 2016 bezog, ist für die übrigen Monate von einem vollen Monatsfestbeitrag nach § 16 Abs. 2 Buchst. a VTV 2015 iHv. 79,50 Euro auszugehen. Der Kläger hat seine Klage bezogen auf den Beitragsanspruch für Juli 2016 ohne Einschränkungen und damit iHv. 79,50 Euro zurückgenommen. Nach Abzug dieses Betrags von der ursprünglichen Gesamtforderung verbleibt ein Betrag iHv. 87.064,92 Euro.

454. Ungeachtet der fehlenden Tarifbindung ist der Beklagte an den VTV 2014 sowie den VTV 2015 nach § 5 Abs. 4 TVG gebunden. Der Senat hat sowohl die AVE VTV 2015 als auch die AVE VTV 2016 für wirksam befunden ( - Rn. 51 ff., 55 ff., BAGE 162, 166; - 10 ABR 12/18 - Rn. 27 ff., 30 ff.). Die Beschlüsse wirken nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für und gegen jedermann und damit auch für und gegen den Beklagten. Das SokaSiG lässt die Allgemeinverbindlicherklärungen nach § 13 SokaSiG unberührt.

465. Gegen die Geltungserstreckung des VTV 2009, des VTV 2011, des VTV 2012, des VTV 2013 I, des VTV 2013 II, des VTV 2014 und des VTV 2015 auf den nicht tarifgebundenen Beklagten durch § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 iVm. den Anlagen 26 bis 32 bestehen aus Sicht des Senats keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ( - Rn. 49 ff.; - 10 AZR 38/18 - Rn. 15 ff.; - 10 AZR 177/18 - Rn. 55; - 10 AZR 562/18 - Rn. 20 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 84 ff.; - 10 AZR 550/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 39 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 81 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 29 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 47 ff.; - 10 AZR 512/17 - Rn. 32 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201).

47a) § 7 SokaSiG ist aus Sicht des Senats entgegen der Auffassung des Beklagten formell verfassungsgemäß.

48aa) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Der Kompetenztitel „Arbeitsrecht“ begründet eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis ( ua. - Rn. 36, BVerfGE 149, 126). Er umfasst neben dem Recht der Individualarbeitsverträge auch das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen ( ua. - Rn. 126, BVerfGE 146, 71;  - Rn. 17; - 10 AZR 121/18 - Rn. 44, BAGE 164, 201).

49bb) Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien in § 5 TVG die Möglichkeit eingeräumt hat, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu beantragen, ergibt sich keine wie auch immer geartete „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Insbesondere war er nicht wegen § 5 TVG daran gehindert, das SokaSiG zu erlassen ( - Rn. 18 ff.). Mit der Einführung eines weiteren Geltungsgrundes nimmt der Gesetzgeber keine „Generalkassation“ des § 5 TVG in „systemwidriger Weise“ vor.

50(1) Die Geltungserstreckung von Tarifverträgen auf nicht originär Tarifgebundene war allein mit Blick auf § 7 AEntG schon vor Inkrafttreten des SokaSiG nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG beschränkt.

51(2) Der Gesetzgeber ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen (vgl.  ua. - Rn. 144, 147, BVerfGE 146, 71). Daher ist es ihm unbenommen, sich für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung zu entscheiden ( - zu II 2 der Gründe).

52cc) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Gesetzgeber auch für den Erlass solcher Gesetze zuständig, die den Schutzbereich der Tarifautonomie betreffen. Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen zugänglichen Bereich zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln ( ua. - zu C II 3 b aa der Gründe).

53dd) Der von der Revision vorgebrachte Einwand, der Gesetzgeber habe die für die Gesetzgebung relevanten Fakten nicht hinreichend ermittelt, trägt nicht. Eine selbständige, von den Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unabhängige Sachaufklärungspflicht folgt aus dem Grundgesetz nicht ( ua. - Rn. 127, BVerfGE 146, 71;  - Rn. 44, BAGE 164, 201).

54b) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG ( - Rn. 50 ff.; - 10 AZR 38/18 - Rn. 21 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 85 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 41; - 10 AZR 559/17 - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 45 ff., BAGE 164, 201).

55aa) Nach Auffassung des Senats verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung des VTV einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde ( - Rn. 51; - 10 AZR 38/18 - Rn. 22; - 10 AZR 562/18 - Rn. 21; - 10 AZR 559/17 - Rn. 34; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48; - 10 AZR 121/18 - Rn. 52, BAGE 164, 201). Das gilt auch mit Blick auf die Vorschriften im Zusammenhang mit der Bürgenhaftung (§ 7 Abs. 11 und § 12 SokaSiG) sowie auf § 11 SokaSiG, die die Revision ausdrücklich anführt. Soweit sie auf Art. 80 Abs. 1 GG verweist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Das SokaSiG sieht keine Ermächtigung der Exekutive vor, normsetzend tätig zu werden. Es überträgt den Tarifvertragsparteien keine weiter gehenden als die schon bestehenden Befugnisse.

56bb) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt.

57(1) Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll ( - Rn. 37; - 10 AZR 318/17 - Rn. 51; - 10 AZR 121/18 - Rn. 48 ff., BAGE 164, 201). Dazu gehört auch die Abschöpfung eingetretener Vorteile durch Beitragseinzug für zurückliegende Zeiträume. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den noch nicht erfolgten Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden.

58(2) Das SokaSiG ist erforderlich.

59(a) Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam ( - Rn. 55; - 10 AZR 38/18 - Rn. 24; - 10 AZR 559/17 - Rn. 39 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48 ff.).

60(b) Der Erforderlichkeit des SokaSiG steht nicht entgegen, dass es Zeiträume umfasst, hinsichtlich derer die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits rechtskräftig festgestellt war bzw. in der Folgezeit festgestellt worden ist. Dem Gesetzgeber war und ist es unbenommen, aus rein vorsorglichen Gründen die Geltung eines Tarifvertrags für nicht tarifgebundene Arbeitgeber anzuordnen. Wie etwa im Fall des SokaSiG2 ist keine vorherige Entscheidung nach § 98 ArbGG erforderlich, die feststellt, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung unwirksam ist. Selbst wenn die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung bereits rechtskräftig festgestellt war, ist es vom Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers gedeckt, die Erstreckung des erfassten Tarifvertrags auf sog. Außenseiter zusätzlich kraft Gesetzes anzuordnen. Das war bei der am ergangenen Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom idF vom der Fall (BAnz. Nr. 71 vom S. 2729). Es war nicht auszuschließen, dass es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 578 ff. ZPO, § 98 Abs. 5 ArbGG und zu einer anderen Entscheidung kommen würde.

61(3) Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält der Senat angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar ( - Rn. 56; - 10 AZR 38/18 - Rn. 24; - 10 AZR 549/18 - Rn. 87; - 10 AZR 559/17 - Rn. 43 mwN).

62c) Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) sind nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht verletzt.

63aa) Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung im Baugewerbe greift nicht in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Sie betrifft lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene (vgl.  ua. - zu B II 4 b der Gründe, BVerfGE 55, 7;  - Rn. 53 ff., BAGE 164, 201).

64bb) Der Senat hat bereits entschieden, dass die aufgrund des SokaSiG bestehende Beitragspflicht den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit unberührt lässt und ein etwaiger Eingriff jedenfalls gerechtfertigt wäre ( - Rn. 59; - 10 AZR 498/17 - Rn. 42; - 10 AZR 318/17 - Rn. 54 ff. mwN). Argumente, die zu einer anderen Beurteilung führen, hat der Beklagte nicht aufgezeigt.

65d) § 7 SokaSiG „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung der Verfahrenstarifverträge durch eine wirksame - gesetzliche - Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Senats vom (- 10 ABR 33/15 - BAGE 156, 213; - 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) und (- 10 ABR 34/15 -; - 10 ABR 43/15 -) entgegenzuwirken ( - Rn. 65; - 10 AZR 38/18 - Rn. 25; - 10 AZR 549/18 - Rn. 89; - 10 AZR 499/17 - Rn. 95; - 10 AZR 121/18 - Rn. 92 ff., BAGE 164, 201).

66e) § 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ( - Rn. 60 ff.; - 10 AZR 38/18 - Rn. 26 ff.; - 10 AZR 562/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 43 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 46 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 58 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 68 ff., BAGE 164, 201). Der gegenteiligen Auffassung des Beklagten stimmt der Senat nicht zu.

67aa) Der Beklagte musste wie alle Betroffenen mit der nachträglichen - gesetzlichen - Bestätigung der Beitragspflicht aufgrund der Verfahrenstarifverträge rechnen. Sein Einwand, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Fallgruppen, nach denen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig ist, seien nicht einschlägig, trägt nicht. Ob der Sachverhalt einer dieser Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist unerheblich, weil sie nicht abschließend sind. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl.  - Rn. 64, BVerfGE 135, 1;  - Rn. 61; - 10 AZR 498/17 - Rn. 44; - 10 AZR 499/17 - Rn. 91; - 10 AZR 559/17 - Rn. 47).

68bb) Mit dem SokaSiG hat der Gesetzgeber die ua. in der Entscheidung vom (- 10 ABR 33/15 - BAGE 156, 213) festgestellten formellen Mängel geheilt ( - Rn. 62; - 10 AZR 498/17 - Rn. 45; - 10 AZR 499/17 - Rn. 92; - 10 AZR 559/17 - Rn. 48; - 10 AZR 121/18 - Rn. 94 ff., BAGE 164, 201). Die Ausführungen der Revision veranlassen zu keiner anderen Bewertung.

69cc) Bis zum bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV idF der Anlagen 26 bis 32 des SokaSiG, auf die die Absätze 1 bis 7 des § 7 SokaSiG verweisen (vgl.  - Rn. 77 ff., BAGE 164, 201). Es entsprach der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassungen des VTV wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Die von den in Anspruch genommenen Arbeitgebern gehegten Zweifel waren keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung der Verfahrenstarifverträge beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde ( - Rn. 63; - 10 AZR 562/18 - Rn. 25; - 10 AZR 549/18 - Rn. 92; - 10 AZR 498/17 - Rn. 46; - 10 AZR 559/17 - Rn. 49; - 10 AZR 121/18 - Rn. 79 ff., aaO).

70dd) Der Beklagte beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ( - Rn. 47; - 10 AZR 559/17 - Rn. 50; - 10 AZR 121/18 - Rn. 51, BAGE 164, 201).

71ee) Mit Blick auf die von § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG erfassten Zeiträume konnte sich bei dem Beklagten aufgrund der Entscheidungen des Senats vom (- 10 ABR 33/15 - BAGE 156, 213; - 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) sowie vom (- 10 ABR 34/15 -; - 10 ABR 43/15 -) kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste er nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen ( - Rn. 27; vgl. - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff., BAGE 164, 201). Das von der Revision in diesem Zusammenhang reklamierte Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechtswegs trägt nicht. Ein Vertrauen darauf, der Gesetzgeber werde eine gerichtliche Entscheidung nicht zum Anlass nehmen, die sich daraus ergebenden Folgen zu bewältigen, ist nicht schutzwürdig (vgl.  - zu B II der Gründe, BVerfGE 7, 89).

72ff) Soweit die Revision anführt, der Beklagte und seine Bevollmächtigte hätten seit jeher an der Wirksamkeit der im Streitfall einschlägigen Allgemeinverbindlicherklärungen gezweifelt, war ein - etwa - dadurch bei ihnen entstandenes Vertrauen auf die letztlich höchstrichterlich bestätigte Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärungen jedenfalls nicht schützenswert. Entscheidend ist eine objektive Betrachtung ( - Rn. 64, BVerfGE 135, 1). Objektiv durfte niemand auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen vertrauen, weil die weit überwiegende Rechtsansicht sie jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Senats vom für wirksam gehalten hatte ( - Rn. 28; - 10 AZR 562/18 - Rn. 26; - 10 AZR 549/18 - Rn. 92; - 10 AZR 498/17 - Rn. 46; - 10 AZR 559/17 - Rn. 49; - 10 AZR 121/18 - Rn. 76 ff., BAGE 164, 201).

73gg) Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er aufgrund der Entscheidungen des Senats vom trotz der in der Folgezeit zu beobachtenden gesetzgeberischen Aktivitäten auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut habe. Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtslage steht entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesanzeiger absehbar war ( - Rn. 29; - 10 AZR 562/18 - Rn. 27; - 10 AZR 318/17 - Rn. 62; - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff. mwN, BAGE 164, 201). Nach der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag war ein - etwa - entstandenes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage jedenfalls wieder zerstört ( - Rn. 151, BVerfGE 148, 217;  - Rn. 90, aaO).

74f) Das SokaSiG verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Rechtssicherheit (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

75aa) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können ( - Rn. 6).

76bb) Entgegen der Auffassung der Revision verstößt das SokaSiG nicht aufgrund „unbestimmter Befristung“ gegen diesen Grundsatz.

77(1) In § 7 Abs. 2 bis Abs. 10 SokaSiG hat der Gesetzgeber jeweils den Beginn und das Ende des Zeitraums bestimmt, in denen der VTV in seiner jeweiligen Fassung zur Geltung kommt. Der Einwand der Revision kann sich damit nur gegen solche Geltungsanordnungen wie in § 7 Abs. 1 SokaSiG richten, für die der Gesetzgeber nur einen konkreten Beginn, aber kein durch Datum bestimmtes Ende festgelegt hat. Indem das Gesetz für den Ablauf der Geltungsanordnung auf die Beendigung des Tarifvertrags abstellt, benennt es trotz der in § 9 Abs. 1 SokaSiG vorgenommenen Definition keinen im Voraus bestimmbaren Zeitpunkt.

78(2) Gleichwohl können sich die betroffenen Rechtskreise verlässlich Kenntnis von der Beendigung der fraglichen Tarifregelungen verschaffen. Die Tarifvertragsparteien sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 TVG verpflichtet, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales innerhalb eines Monats das Außerkrafttreten jedes Tarifvertrags mitzuteilen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales macht die Beendigung nach § 9 Abs. 2 SokaSiG im Bundesanzeiger bekannt. Dem Grundsatz der Normenklarheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips wird im Hinblick auf den Bestand der fraglichen Regelungen genügt (vgl.  - zu B II 2 d der Gründe, BVerfGE 44, 322).

79(3) Aus Sicht des Senats begegnet es keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber die Beendigung der in Bezug genommenen Tarifverträge in die Hände der Tarifvertragsparteien gelegt hat.

80(a) Indem der Gesetzgeber das Ende der Geltungsanordnung an die Beendigung des Tarifvertrags knüpft, folgt er dem für Allgemeinverbindlicherklärungen geltenden Regelungsprinzip nach § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat ( - zu B II 2 d der Gründe, BVerfGE 44, 322).

81(b) Entgegen der Auffassung der Revision hat sich der Gesetzgeber damit nicht seiner Rechtsetzungsbefugnisse entäußert. Das SokaSiG nimmt eine statische, keine dynamische Verweisung auf Tarifverträge vor. Den Tarifvertragsparteien wird damit keine inhaltliche Gestaltungsbefugnis übertragen. Da die gesetzliche Geltungsanordnung zeitlich an die zwingende Geltung der Tarifnormen nach § 4 Abs. 1 TVG gebunden ist, beachtet der Gesetzgeber mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG die Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien und räumt ihr weitestgehend den Vorrang ein. Er beschränkt die allgemeine Geltung der benannten Tarifverträge kraft Gesetzes auf das Notwendige.

82g) Die Verweisung des SokaSiG auf Anlagen ist entgegen der Auffassung des Beklagten mit dem aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Bestimmtheitsgebot vereinbar (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

83aa) Die Gebote der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit sollen die Betroffenen befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Die Bestimmtheitsanforderungen dienen auch dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen sowie, soweit sie zum Schutz anderer tätig wird, den Schutzauftrag näher zu konkretisieren. Schließlich dienen die Normenbestimmtheit und die Normenklarheit dazu, die Gerichte in die Lage zu versetzen, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren ( ua. - zu C I 3 a der Gründe, BVerfGE 114, 1).

84bb) Die gesetzestechnische Methode, dass ein Gesetz den Tatbestand nicht selbst festlegt, sondern auf andere Normen verweist, ist als vielfach üblich und notwendig anerkannt. Die Verweisungsnorm muss hinreichend klar erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen. Zudem müssen die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sein. Dabei ist der zuständige Gesetzgeber auch nicht gehindert, auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines anderen Kompetenzbereichs zu verweisen. Eine solche Verweisung bedeutet rechtlich lediglich den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen. Diese gesetzestechnische Vereinfachung ist vor allem dann tragbar, wenn lediglich die bei Verabschiedung der Verweisungsnorm geltende Fassung des in Bezug genommenen Rechts in Geltung gesetzt wird. Bei einer solchen statischen Verweisung weiß der zuständige Gesetzgeber, welchen Inhalt das in Bezug genommene Recht hat, und er kann prüfen, ob er es sich mit diesem Inhalt zu eigen machen will. Ändert sich das in Bezug genommene Recht des anderen Kompetenzbereichs, hat dies bei einer statischen Verweisung keinen Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm ( ua. - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 47, 285).

85cc) Diesen Anforderungen wird die im SokaSiG vorgenommene Verweisung auf Anlagen gerecht. Aus den Verweisungsnormen ist klar erkennbar, welche Regelungen gelten sollen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der vollständigen Verweisung auf Tarifverträge, sondern auch, soweit das SokaSiG - wie etwa in §§ 1, 3 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG - nur auf Teile von Tarifverträgen verweist. Bei den Verweisungen handelt es sich um statische Bezugnahmen. Inhaltliche Änderungen können durch die Verweisung nicht eintreten. Die in Bezug genommenen Vorschriften sind den Normunterworfenen dadurch zugänglich, dass sie zusammen mit dem Gesetzestext im Bundesgesetzblatt verkündet wurden (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom ). Den Betroffenen ist es unter objektiv zumutbaren Anforderungen möglich, sich ein Bild von der geltenden Rechtslage zu verschaffen. Allein der Umfang der Regelungsmaterie rechtfertigt nicht die Annahme inhaltlicher Unklarheit.

86h) Das SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG ( - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 63 ff., BAGE 164, 201).

87aa) § 7 SokaSiG führt nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Bauunternehmen, die mit ihren Betrieben in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft. Die tarifgebundenen Unternehmen müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien ( - Rn. 31; - 10 AZR 318/17 - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 65, BAGE 164, 201).

88bb) Ob die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann dahinstehen. Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ( - Rn. 45; - 10 AZR 121/18 - Rn. 67, BAGE 164, 201).

89i) Bei dem SokaSiG handelt es sich nicht um ein nach Art. 19 Abs. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus ( - Rn. 34; - 10 AZR 318/17 - Rn. 64; - 10 AZR 121/18 - Rn. 105 ff., BAGE 164, 201).

90j) Die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Ein möglicher Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt, weil § 7 SokaSiG eine formell und materiell verfassungsgemäße Regelung ist und damit zu der verfassungsmäßigen Ordnung iSv. Art. 2 Abs. 1 GG gehört.

91III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:271119.U.10AZR476.18.0

Fundstelle(n):
DB 2020 S. 6 Nr. 14
NJW 2020 S. 11 Nr. 18
RAAAH-45191