Online-Nachricht - Donnerstag, 05.03.2020

Körperschaftsteuer | BFH ruft BVerfG zur rückwirkenden Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG an

Der BFH hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 43 Abs. 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG), der die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom (sog. Korb II-Gesetz) auf alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen des Veranlagungszeitraums 2003 anordnet, aufgrund eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist. (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Im Streitfall hat der Kläger, ein Versicherungsverein a.G., im Mai 2003 Anteilscheine an Spezialfonds veräußert und hierbei sog. negative (Anleger-) Aktiengewinne realisiert. Das FA rechnete bei der Körperschaftsteuerveranlagung diese negativen Gewinne dem zu versteuernden Einkommen des Klägers hinzu, wodurch sich dessen Steuerlast erhöhte. Es zog hierbei § 43 Abs. 18 KAGG heran, der die rückwirkende Anwendung der im Dezember 2003 eingeführten Hinzurechnungsvorschrift (§ 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG) auf alle noch offenen Veranlagungen vorsieht. Das FG wies die Klage ab (). Es ging von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Rückwirkung aus.

Der BFH hingegen hielt die Rückwirkung für verfassungswidrig:

  • Er führte aus, dass das am im Bundesgesetzblatt verkündete sog. Korb II-Gesetz zu einer sog. unechten Rückwirkung führe, da seine belastenden Rechtsfolgen erst im Zeitpunkt des Entstehens der Körperschaftsteuer am eintreten.

  • Die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf den Veranlagungszeitraum 2003 verstoße gegen den Grundsatz rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen seien. Vor dem Gesetzeserlass getätigte verbindliche Dispositionen des Klägers verdienten dem Grundsatz nach Vertrauensschutz.

  • Das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage sei im Streitfall erst mit dem öffentlich bekannt gewordenen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom (BR-Drucks. 560/03) erschüttert worden.

  • Soweit § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG mit Wirkung für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 eingeführt wurde, hat bereits das diese gesetzgeberische Maßnahme als verfassungswidrig angesehen und § 43 Abs. 18 KAGG insoweit für nichtig erklärt.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung betrifft zwar altes Recht; sie ist aber für die aktuelle Rechtslage von großer Bedeutung. Denn es gibt an verschiedenen Stellen im Steuerrecht rückwirkende Steuerrechtsänderungen, die sich an den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts zur rückwirkenden Gesetzgebung messen lassen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu allgemein und auch speziell für das Steuerrecht Grundsätze entwickelt, die all zu oft vom Gesetzgeber nicht im erforderlichen Umfang beachtet worden sind. Auch im vorliegenden Besprechungsfall ist der XI. Senat der Ansicht, dass das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht beachtet worden ist.

Im Kern ist im Besprechungsfall problematisch, ab welchem Zeitpunkt bereits vor Verkündung einer Neuregelung nicht mehr auf den Bestand der noch geltenden Rechtslage vertraut werden kann. Dabei kann – so bereits eine Entscheidung des BVerfG aus 2018 - nicht nur die Einbringung eines Gesetzesvorhabens in den Bundestag, sondern bereits dessen Zuleitung zum Bundesrat vertrauenszerstörende Wirkung haben. Im Besprechungsfall datiert der neue Gesetzentwurf vom , so dass mit seiner Veröffentlichung ein Vertrauen auf die alte Rechtslage nicht mehr bestehen konnte. Für einen steuerrechtlich beratenen Marktteilnehmer bestand schon zu diesem Zeitpunkt ein erkennbares Risiko, dass der bislang "günstige" Rechtszustand keinen Bestand mehr haben könnte, so dass kein Vertrauensschutz mehr gegeben war. Vorherige Dispositionen – hier Veräußerungen von Investmentfondsanteilen im Mai 2003 – sind nach Auffassung des BFH daher vom Vertrauensschutz umfasst.

Für den Rechtsanwender bleibt m.E. zu beachten, dass immer dann, wenn ein Steuergesetz Rückwirkung hat, zu prüfen ist, ob der Steuerpflichtige bereits vor Erlass des betreffenden Gesetzes disponiert hat (z.B. durch Veräußerungen, Käufe, Vertragsabschlüsse, und auch Buchungen im Rahmen der Buchführung). Beruhten diese Dispositionen auf der alten Rechtslage, kommt es entscheidend darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt Vertrauensschutz bestand, oder ob bereits der Gesetzentwurf des neuen Steuergesetzes veröffentlicht war.

Wenn es sich um eine rechtsprechungsbrechende Gesetzgebung handelt, dürfte der Vertrauensschutz schon dann erschüttert sein, wenn das BMF einen Nichtanwendungserlass veröffentlicht, in dem bereits angekündigt wird, dass eine entsprechende Gesetzesinitiative beabsichtigt ist. Aktuell lässt sich dies am Beispiel der Entscheidung des ) zur Gewährung von Zusatzleistungen und der Zulässigkeit von Gehaltsumwandlungen deutlich machen. Im wird auf eine entsprechende Gesetzesänderung hingewiesen. Zwischen dem (Tag der Veröffentlichung des BFH-Urteils) und dem konnte m.E. jedenfalls an sich Vertrauen entstehen. Die Besonderheit in dieser Sache ist aber, dass es bereits am einen Referentenentwurf zum Grundrentengesetz gab, der eine entsprechende Änderung in § 8 Abs. 4 EStG vorsah, die jedoch dann im Gesetzentwurf der Bundesregierung wieder fallen gelassen wurde.

Quelle: BFH Pressemitteilung Nr. 12 vom sowie ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB DAAAH-43810