BGH Beschluss v. - 4 StR 348/19

Vorsatz muss bei Tathandlung vorliegen

Gesetze: § 16 Abs 1 S 1 StGB, § 212 Abs 1 StGB, § 267 Abs 1 S 1 StPO

Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II 2 Ks 36/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten zweifachen Mordes in Tateinheit mit zweifachem erpresserischen Menschenraub, mit zweifacher besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu „lebenslanger Freiheitsstrafe“ verurteilt und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 46.500 Euro angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

2Die Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung in jeweils zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsgründe unklare und teilweise widersprüchliche Angaben zum Zeitpunkt der Fassung des Tötungsvorsatzes enthalten, die zu einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung führen.

31. Nach den zu Fall II. 1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen drang der Angeklagte zusammen mit zwei bisher nicht ermittelten Mittätern am Abend des in das Einfamilienhaus der zu diesem Zeitpunkt jeweils 84 Jahre alten Eheleute R.   ein. Gegen 1.00 Uhr stürmten zwei der Täter in das Schlafzimmer der in ihrem Bett liegenden Geschädigten. Dort schlugen sie jeweils heftig auf die Eheleute ein, um diese einzuschüchtern und erwarteten Widerstand zu brechen. Dabei versetzten sie beiden Geschädigten mehrere wuchtige Schläge gegen den Kopf, insbesondere den Gesichtsbereich, und würgten sie. Etwas später kam der dritte Täter hinzu. Der Angeklagte und seine Mittäter fesselten nun beide Eheleute, indem sie ihnen mitgeführte Kabelbinder um die Hand- und Fußgelenke legten und diese so fest zusammenzogen, dass sie in das Gewebe eindrückten. Sodann forderte der Wortführer der drei Täter    R.   dazu auf, die Schlüssel zu einem im Keller des Hauses befindlichen Tresor auszuhändigen oder deren Aufbewahrungsort zu nennen.    R.   verweigerte sich diesem Ansinnen vehement, weil in dem Tresor Waffen und Munition lagerten. Der Angeklagte und seine Mittäter wandten daraufhin erneut erhebliche Gewalt gegen    R.    an, um seinen Willen zu brechen. Dazu versetzten sie ihm Schläge und Tritte gegen den Kopf, den Hals-, Schulter- und Brustbereich sowie die rechte Körperseite. Der verletzte    R.   gab unter dem Eindruck der Misshandlungen und aus Angst um sein Leben und das Leben seiner Ehefrau den Aufbewahrungsort der Schlüssel preis. Der Angeklagte und seine Mittäter „sicherten“ daraufhin die Fesselung, indem sie die Kabelbinder noch einmal so fest wie möglich nachzogen und um diese herum „großzügig“ und in mehreren Lagen Gewebeklebeband fest verklebten. Darüber hinaus verklebten sie beiden Geschädigten die Münder mit Gewebeklebeband, wobei sie den gesamten Kopf im Bereich des Mundes umwickelten. Sodann begaben sich der Angeklagte und seine Mittäter in den Keller, öffneten den Tresor mit den erlangten Schlüsseln und entnahmen daraus unter anderem 30.000 Euro Bargeld, verschiedene Wertsachen und die dort gelagerten Kurzwaffen nebst Munition.

4Anschließend ließen sie die Eheleute R.   in völlig hilfloser Lage zurück. Dabei war ihnen bewusst, dass die Geschädigten aufgrund der Misshandlungen „potentiell lebensgefährlich verletzt“ und psychisch angegriffen waren. Der Angeklagte und seine Mittäter nahmen zumindest billigend in Kauf, dass die Eheleute R.   nicht rechtzeitig gefunden werden könnten und infolge ihrer Verletzungen versterben würden. Ihnen war klar, dass die Geschädigten ohne Hilfe Dritter „erbärmlich aus dem Leben scheiden würden“. Dies war ihnen jedoch gleichgültig. Der Tod der Geschädigten kam dem Angeklagten und seinen Mittätern als mögliche Folge der Tat gelegen, um unmittelbare Tatzeugen der vorangegangenen Raubtat auszuschalten und die Entdeckung ihrer Täterschaft zu verhindern (UA 7).

5Die Strafkammer hat einen versuchten Mord in zwei tateinheitlichen Fällen (zur Verdeckung einer Straftat und grausam) durch ein aktives Tun angenommen. Zur Begründung hat sie in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass der Angeklagte „entschlossen“ gewesen sei, die Eheleute R.   zu töten, als er sie gemeinsam mit seinen Mittätern „knebelte und zurückließ“. Dabei habe sein „subjektives Vorstellungsbild“ aufgrund der geschaffenen Lage den „sicheren Todeseintritt" eingeschlossen (UA 28).

62. Diese Urteilsgründe bieten keine verlässliche Grundlage für die Verurteilung wegen eines durch ein aktives Tun begangenen versuchten Tötungsdeliktes.

7a) Bei einem Erfolgsdelikt muss der Täter im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung einen Vorsatz haben, der auf alle tatsächlichen Umstände bezogen ist, die die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erfüllen (§ 16 Abs. 1 StGB). Ein der erfolgsursächlichen Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos (vgl. , NStZ 2019, 468, 469; Urteil vom - 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621, 1622; Beschluss vom - 2 StR 18/17, NStZ 2018, 27; Beschluss vom - 4 StR 298/83, NStZ 1983, 452 mwN). Sowohl die dazu getroffenen Feststellungen und Wertungen (vgl. Rn. 2; Wenske in MünchKommStPO, 1. Aufl., § 267 Rn. 86 mwN) als auch die sie tragende Beweiswürdigung müssen dabei in sich widerspruchsfrei sein.

8b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Denn sie belegen nicht, dass der Angeklagte zu einem Zeitpunkt, in dem er aktiv auf den Geschädigten einwirkte, mit Tötungsvorsatz handelte. Insoweit bestehen Unklarheiten und nicht auflösbare Widersprüche.

9Nach den Ausführungen der Strafkammer in der rechtlichen Würdigung handelte der Angeklagte nicht erst beim Zurücklassen der Geschädigten mit Tötungsvorsatz. Vielmehr soll er auch schon bei deren Knebelung „entschlossen“ gewesen sein, „diese zu töten“ (Tötungsabsicht) und mit einem „sicheren Todeseintritt“ gerechnet haben (UA 28). Dies entspricht aber weder hinsichtlich der Vorsatzart noch in Bezug auf den Vorsatzzeitpunkt den zuvor hierzu getroffenen Feststellungen. Danach knebelten der Angeklagte und seine Mittäter die Eheleute R.   , noch bevor sie den Tresor mit dem abgepressten Schlüssel öffneten und dessen Inhalt an sich brachten. Erst als sie die Eheleute ohne weitere aktive Einwirkung in ihrer hilflosen Lage zurückließen, war ihnen bewusst, dass die Geschädigten „potentiell lebensgefährlich verletzt“ waren, wobei sie deren Versterben in Kauf nahmen (UA 7). Dies zugrunde gelegt, hätte der Angeklagte bei der letzten ihm zurechenbaren, gegen die körperliche Integrität der Geschädigten gerichteten aktiven Handlung (Knebelung) noch keinen Tötungsvorsatz gehabt. Erst bei dem Zurücklassen der hilflosen Geschädigten hätte ein lediglich bedingter Tötungsvorsatz vorgelegen. Von dieser Abfolge scheint die Strafkammer (zunächst) auch in der zugehörigen Beweiswürdigung ausgegangen zu sein, wenn sie hierzu anführt, dass der Angeklagte und seine Mittäter einen Tötungsvorsatz erst später fassten, nachdem sie „in Besitz des Schlüssels gelangt waren und den Tresor geöffnet hatten“ (UA 19). Soweit sie allerdings nachfolgend darauf abgehoben hat, dass der Angeklagte und seine Mittäter durch die zusätzliche Knebelung „eine weitere Gefahrenlage für das Leben ihrer Opfer“ geschaffen hätten und darin eine „Betätigung des entsprechenden Tatentschlusses im Sinne eines unmittelbaren Ansetzens“ zu sehen sei (UA 19 mit UA 28), steht auch dies in einem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis zu der zuvor festgestellten zeitlichen Abfolge (Knebelung vor der Tresoröffnung; [bedingter] Tötungsvorsatz erst danach gefasst). Denn dabei wird erneut vorausgesetzt, dass bereits zum Zeitpunkt der Knebelung ein Tötungsvorsatz vorlag.

10Angesichts dieser Widersprüche und Unklarheiten ist eine revisionsrechtliche Überprüfung des Schuldspruchs wegen eines versuchten Tötungsdeliktes durch aktives Tun nicht möglich. Die hierzu getroffenen Feststellungen tragen allenfalls die Annahme einer versuchten Tötung durch ein Unterlassen von Rettungsbemühungen (vgl. dazu , NStZ 2017, 342, 344 f. mwN).

113. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung betrifft auch die tateinheitlich erfolgte Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs, besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen. Der damit verbundene Wegfall der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Auch konnte die Einziehungsentscheidung, soweit sie sich auf diesen Fall bezieht, nicht bestehen bleiben. Hinsichtlich der Zurückverweisung macht der Senat von § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Fall StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht - Schwurgericht - Dortmund zurück.

12Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass die strafrechtliche Würdigung eines Unterlassens von Rettungsbemühungen seitens des Angeklagten im Anschluss an den verübten Überfall nicht unabhängig von der neu vorzunehmenden tatrichterlichen Bewertung des Überfalls selbst erfolgen kann. Sollte der neue Tatrichter zu der Feststellung eines bei der Vornahme der für die Wegnahme kausalen Verletzungshandlungen bestehenden Tötungsvorsatzes gelangen, wäre insoweit für eine Strafbarkeit wegen versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kein Raum mehr, denn in diesem Fall würde es dann an der Verdeckung einer anderen Tat fehlen (vgl. , NStZ 2017, 342, 344 f.; Urteil vom - 4 StR 563/15 mwN).

II.

13Die Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls im Fall II. 2 der Urteilsgründe und die dafür verhängte Einzelstrafe sowie der hierauf bezogene Teil der Einziehungsentscheidung weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:250919B4STR348.19.0

Fundstelle(n):
QAAAH-43703