BVerwG Urteil v. - 8 C 8/19

Ausschluss staatlich beherrschter Unternehmen von der Grundrechtsträgerschaft

Leitsatz

Ein Arbeitgeberverband, dessen Mitglieder überwiegend von der öffentlichen Hand beherrscht werden, kann sich nicht auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen.

Gesetze: Art 9 Abs 3 GG, Art 19 GG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 13 A 1328/15 Urteilvorgehend Az: 6 K 2894/13 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger wendet sich gegen eine Verordnung des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen, die bestimmte Tarifverträge für repräsentativ im Sinne der Tariftreueregelung des nordrhein-westfälischen Vergaberechts erklärt. Er ist ein bundesweit tätiger Arbeitgeberverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Seine Mitgliedsunternehmen werden mehrheitlich von der öffentlichen Hand getragen. In Nordrhein-Westfalen erbringen sie insbesondere Leistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs.

2Das Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen - TVgG NRW) vom (GV.NRW 2012, S. 17) sah vor, dass öffentliche Aufträge im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs nur an Unternehmen vergeben werden durften, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichteten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung mindestens das in Nordrhein-Westfalen für diese Leistungen in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen. Das für Arbeit zuständige Ministerium bestimmte durch Rechtsverordnung, welche Tarifverträge als repräsentativ im Sinne der gesetzlichen Tariftreueregelung anzusehen waren. Nach der gesetzlichen Verordnungsermächtigung war zur Feststellung der Repräsentativität auf die Bedeutung eines Tarifvertrages für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insbesondere auf die Zahl der von den jeweils tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten, unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Beschäftigten oder auf die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Mitglieder der Gewerkschaft abzustellen, die den Tarifvertrag geschlossen hatte. Auf dieser Grundlage erklärte die Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (Repräsentative TarifverträgeVO - RepTVVO 2012) vom (GV.NRW S. 552) einige Tarifverträge für repräsentativ. Vom Kläger abgeschlossene Tarifverträge waren nicht darunter.

3Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass ihn die RepTVVO 2012 in seiner durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit verletze und nichtig sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mangels feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses und mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seine Klage auf die am erlassene, an die Stelle der RepTVVO 2012 getretene Repräsentative Tarifverträge Verordnung - RepTVVO 2016 (GV.NRW S. 196) umgestellt, welche Tarifverträge des Klägers ebenfalls nicht für repräsentativ erklärt und auch nach den Änderungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen - TVgG NRW vom (GV.NRW S. 273) und vom (GV.NRW S. 172) fortgilt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Feststellungsklage sei statthaft, aber unzulässig, weil der Kläger nicht klagebefugt sei. Er könne sich als von der öffentlichen Hand getragener Verband nicht auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Von den 97 Mitgliedsunternehmen des Klägers stünden 68 und damit rund 70 % der Unternehmen ganz oder überwiegend im Eigentum inländischer öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Anstalten. Der Kläger könne sich daher ebenso wenig wie ein überwiegend staatlich beherrschtes gemischtwirtschaftliches Unternehmen auf Grundrechte berufen. Das folge aus der Grundrechtsbindung des Staates nach Art. 1 Abs. 3 GG und dem Sinn und Zweck der Grundrechte als Freiheitsrechte des Bürgers gegen die Staatsgewalt. Der Ausschluss der Grundrechtsberechtigung hänge weder von der Art der vom Kläger wahrgenommenen Aufgaben noch von seiner Organisationsform ab. Der Kläger könne auch nicht dem von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Lebensbereich zugeordnet werden. Er diene nicht der Verwirklichung individueller Freiheitsrechte und sei weder vom Staat unabhängig noch ihm gegenüber distanziert. Vielmehr habe die ihn tragende Mehrheit öffentlicher Arbeitgeber maßgeblichen Einfluss auf die verbandsinterne Willensbildung. Aus der einfachgesetzlichen Tariffähigkeit des Klägers könne ebenfalls nicht auf seine Grundrechtsberechtigung geschlossen werden.

4Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, das Berufungsgericht überspanne die Anforderungen an die Annahme einer Klagebefugnis. Er könne sich auf die kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Seine Tätigkeit sei dem von diesem Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen. Bezogen auf den Schutzbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit drohe keine Konfusion von Grundrechtsbindungen und Grundrechtsberechtigungen eines mehrheitlich staatlich getragenen Arbeitgeberverbandes. Jede Tarifvertragspartei sei ohnehin zugleich Adressat und Berechtigter von Grundrechten. Die kollektive Koalitionsfreiheit könne schon begrifflich nicht von Individuen wahrgenommen werden. Deshalb sei unerheblich, dass die Tätigkeit des Klägers nicht der individuellen Grundrechtsausübung diene. Als Adressat der Tariftreueregelung befinde sich der Kläger überdies in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage. Ihm müsse daher Rechtsschutz ermöglicht werden. Dafür spreche auch die gebotene Berücksichtigung des Grundrechts auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 EMRK. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könne sich auch eine im Staatsbesitz befindliche juristische Person auf Rechte der Konvention berufen, sofern sie - wie der Kläger - keine öffentlichen Aufgaben wahrnehme und von staatlichen Behörden unabhängig sei.

5Die Verordnung greife unverhältnismäßig in das Grundrecht des Klägers auf Koalitionsfreiheit ein, weil sie die von ihm abgeschlossenen Tarifverträge zugunsten der für repräsentativ erklärten Tarifverträge faktisch verdränge.

6Der Kläger beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom zu ändern und festzustellen, dass die Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs vom ihn in seinen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt.

7Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8Er verteidigt das Berufungsurteil.

Gründe

9Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsurteil hat die Klage im Einklang mit revisiblem Recht mangels Klagebefugnis für unzulässig gehalten (§ 137 Abs. 1 VwGO).

101. Das Berufungsgericht hat zutreffend die Statthaftigkeit der Feststellungsklage und ein Feststellungsinteresse des Klägers bejaht. Es musste auch keine Subsidiarität im Sinne des § 43 Abs. 2 VwGO annehmen.

11Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass er lediglich die Feststellung begehrt, die angegriffene Verordnung verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG. Bei diesem Verständnis seines Begehrens droht keine Umgehung der Voraussetzungen für einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO (vgl. 7 C 13.06 - NVwZ 2007, 1311 <1312> und vom - 3 C 3.18 - juris Rn. 20 ff., 24).

12Zwischen dem Kläger und dem Beklagten besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Es ist streitig, ob ein Grundrecht des Klägers aus Art. 9 Abs. 3 GG durch die Anwendung der Repräsentative Tarifverträge Verordnung 2016 auf Mitgliedsunternehmen des Klägers bei der Vergabe und Ausführung öffentlicher Aufträge und durch die damit einhergehende Verdrängung seiner Tarifverträge verletzt ist. Gegenstand der Klage ist damit die Anwendung bestimmter Rechtsnormen auf einen konkreten Sachverhalt, nicht lediglich die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage (vgl. 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54 Rn. 24). Der Kläger kann sein Feststellungsbegehren auch gegen den Beklagten als Normgeber richten. Die von ihm geltend gemachte Rechtsbeeinträchtigung der Verdrängung eigener Tarifverträge wird ohne Konkretisierung oder Individualisierung im Wege des Verwaltungsvollzuges unmittelbar durch die angegriffene Verordnung bewirkt (vgl. 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54 Rn. 28 ff.). Die Verordnung begründet in Verbindung mit der gesetzlichen Tariftreueregelung in § 2 Abs. 2 TVgG NRW 2018 die Pflicht der Mitgliedsunternehmen des Klägers, bei öffentlichen Aufträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs wenigstens das in einem für repräsentativ erklärten Tarifvertrag vorgesehene Entgelt zu zahlen und Änderungen der tarifvertraglichen Modalitäten während der Ausführungszeit nachzuvollziehen. Gegen einen damit verbundenen mittelbaren Eingriff in die von ihm in Anspruch genommene Koalitionsfreiheit kann der Kläger nur mit einer Feststellungsklage gegen den Normgeber vorgehen.

13An dieser Feststellung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Die angegriffene Verordnung schränkt ihn in dem schutzwürdigen Interesse an der Verfolgung seiner tarif- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele ein.

14Er kann das mit der Feststellungsklage erstrebte Ziel auch nicht gleichermaßen oder besser mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen (§ 43 Abs. 2 VwGO). Insbesondere entspräche eine Leistungsklage mit dem Begehren, die Tarifverträge des Klägers in der angegriffenen Verordnung ebenfalls für repräsentativ zu erklären, nicht dem von ihm verfolgten Rechtsschutzziel. Der Kläger hält die angegriffene Verordnung für verfassungswidrig und macht nicht geltend, ihre Kriterien für die Erklärung von Tarifverträgen für repräsentativ würden durch von ihm abgeschlossene Tarifverträge erfüllt.

152. Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Einklang mit revisiblem Recht davon abhängig gemacht, dass der Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 42 Abs. 2 VwGO eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten geltend machen kann (vgl. 10 C 18.14 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 56 Rn. 17). Daran fehlt es nur dann, wenn die vom Kläger geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen kann (stRspr, vgl. nur 2 A 6.13 - BVerwGE 153, 246 Rn. 15).

16Der Kläger macht geltend, durch die angegriffene Tariftreueregelung in seinem Grundrecht auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt zu sein. Dessen sachlicher Schutzbereich ist zwar berührt (a)). Der Kläger kann sich als von der öffentlichen Hand getragener Verband jedoch auf dieses Grundrecht nicht berufen (b)).

17a) Die angegriffene Verordnung greift mittelbar in das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit einer grundrechtsfähigen Tarifvertragspartei ein, deren Tarifverträge nicht für repräsentativ erklärt worden sind.

18Art. 9 Abs. 3 GG schützt unter anderem das Recht von Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die in diesem Grundrecht genannten Zwecke zu verfolgen und dabei die Mittel zu deren Erreichung selbst zu wählen. Das Grundrecht umfasst insbesondere die Tarifautonomie und damit das Aushandeln, den Abschluss, den Bestand und die Anwendung von Tarifverträgen sowie die Koalition in ihrem Bestand (stRspr, vgl. u.a. - BVerfGE 146, 71 Rn. 130 ff. m.w.N.; 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54 Rn. 48 und - 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 38). Zu den der Regelungsbefugnis der Koalitionen überlassenen Materien gehören insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen. Art. 9 Abs. 3 GG schützt einen Arbeitgeberverband zwar nicht gegen ein tarifpolitisches Konkurrenzverhältnis, wohl aber vor staatlicher Einflussnahme auf das Konkurrenzverhältnis. Das Grundrecht kann auch faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen der koalitionsgemäßen Betätigung etwa in Gestalt einer Verdrängung ausgehandelter Tarifverträge durch eine staatliche Regelung entgegengehalten werden, soweit diese eingriffsgleiche Wirkung haben. Daran fehlt es, wenn sie bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten gesetzlichen Regelung sind (vgl. 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54 Rn. 47 ff. und - 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 38 f.).

19Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Tarifverträge des Klägers im Hinblick auf den zentralen Bereich der Entgeltregelungen weitgehend an Bedeutung verlieren, weil die vom Beklagten verlangte Tariftreue zugunsten eines für repräsentativ erklärten Tarifvertrages vor dem Hintergrund einer dominierenden Nachfragemacht öffentlicher Auftraggeber im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs das Konkurrenz- und Kräfteverhältnis zwischen den in Nordrhein-Westfalen tätigen Koalitionen zulasten des Klägers verändert. Hiervon ausgehend ließe sich eine Verdrängungswirkung der Tariftreueregelung zulasten der nicht für repräsentativ erklärten Tarifverträge und damit ein mittelbarer Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit grundrechtsfähiger Arbeitgeberverbände bejahen (anders noch zum Berliner Vergabegesetz vgl. - BVerfGE 116, 202 <219 f.>.

20b) Das Berufungsurteil geht jedoch zutreffend davon aus, dass eine Grundrechtsfähigkeit des Klägers und damit ein Eingriff in den persönlichen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG offensichtlich und eindeutig ausscheidet.

21aa) Juristische Personen des Privatrechts, deren Anteile sich ausschließlich in den Händen des Staates befinden, und gemischtwirtschaftliche privatrechtliche Unternehmen, an denen der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hält, sind im Hinblick auf materielle Grundrechte ebenso wenig nach Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig wie juristische Personen des öffentlichen Rechts. Da sie als staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind, können sie nicht Träger von Grundrechten sein. Ihre Organisationsform ist dafür unerheblich. Der Ausschluss der Grundrechtsberechtigung folgt allein aus dem formalen Kriterium der staatlichen Beherrschung des privatrechtlichen Unternehmens. Damit wird auf die Gesamtverantwortung des Staates für das Unternehmen abgestellt und nicht auf seine konkreten Einwirkungsbefugnisse auf die Geschäftsführung (stRspr, vgl. - BVerfGE 147, 50 Rn. 241 f. und vom - 1 BvR 2821/11 u.a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 187 ff.; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 470/08 - NJW 2016, 3153 <3156 Rn. 46 f.>; Beschluss vom - 1 BvR 2871/13 - juris Rn. 5; - BVerfGE 128, 226 <245 f.>; Beschluss vom - 1 BvR 1731/05 - NVwZ 2009, 1282 <1283 Rn. 17>; 9 C 2.18 - NVwZ 2019, 1522 Rn. 34; Beschluss vom - 4 B 27.16 - juris Rn. 8). Nach diesen Maßstäben ist der Kläger eine staatlich beherrschte, nicht grundrechtsfähige juristische Person des Privatrechts, da die Mehrheit seiner Mitglieder ausschließlich oder überwiegend von der öffentlichen Hand getragen wird.

22bb) Aus keinem der vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte ergibt sich, dass dieser sich dennoch ausnahmsweise auf die kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen könnte:

23(1) Eine Grundrechtsberechtigung des Klägers kann nicht damit begründet werden, dass er keine öffentlichen Aufgaben, sondern lediglich Rechte seiner Mitgliedsunternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber wahrnimmt. Der Kläger wird nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen ganz überwiegend von Gebietskörperschaften getragen, die selbst nicht grundrechtsfähig sind. Aus deren Zusammenschluss kann keine ihrerseits grundrechtsfähige juristische Person entstehen (vgl. - BVerfGE 68, 193 <214>; 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 59). Gemeinden und andere Gebietskörperschaften können sich auch außerhalb des öffentlichen Aufgabenbereichs nicht auf Grundrechte berufen (vgl. zu Gemeinden - BVerfGE 61, 82 <103 f., 105 f.>). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob juristische Personen des öffentlichen Rechts nach der neueren bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausnahmslos oder lediglich jedenfalls für ihre Betätigung in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben von einer Grundrechtsberechtigung ausgeschlossen sind (vgl. dazu - BVerfGE 128, 226 <244 f.> und darauf ausdrücklich verweisend Beschluss vom - 1 BvR 2871/13 - juris Rn. 5; - BVerfGE 147, 50 Rn. 241 f. und vom - 1 BvR 2821/11 - BVerfGE 143, 246 Rn. 187 ff.; 4 B 27.16 - juris Rn. 8).

24(2) Der Kläger ist als privatrechtlicher Arbeitgeberverband dem verfassungsrechtlich geschützten Lebensbereich des Grundrechts auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht mit Blick auf eine ihm durch die Rechtsordnung übertragene Aufgabe unmittelbar zugeordnet und deshalb Träger dieses Grundrechts. Eine derartige Grundrechtsberechtigung ist bei solchen Personen des öffentlichen Rechts anerkannt, die wie eine Rundfunkanstalt, Hochschule oder öffentlich-rechtliche Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft der Grundrechtsverwirklichung anderer, natürlicher Personen dienen (vgl. - BVerfGE 147, 50 Rn. 240 m.w.N.). Dem Kläger als freiwillig errichteter juristischer Person des Privatrechts ist weder vom Staat eine dem Grundrechtsschutz dienende Aufgabe zugewiesen worden, noch dient seine Tätigkeit der Grundrechtsverwirklichung anderer Personen. Hinter seinen Mitgliedern stehen vielmehr mehrheitlich ihrerseits nicht grundrechtsfähige, staatlich beherrschte juristische Personen. Deshalb kommt es nicht auf den Einwand des Klägers an, die Grundrechtsberechtigung in Bezug auf ein Kollektivgrundrecht könne nicht davon abhängen, dass sie der Ausübung individueller Grundrechte diene. Zudem setzt eine Grundrechtsträgerschaft kraft Zuordnung zu einem verfassungsrechtlich geschützten Lebensbereich voraus, dass der Berechtigte vom Staat unabhängig oder jedenfalls von ihm distanziert ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1949/05 - NVwZ 2007, 1420 und vom - 1 BvR 775/84 - BVerfGE 75, 192 <196 f.>). Auch dies trifft auf den von der öffentlichen Hand beherrschten Kläger nicht zu. Die von ihm geschlossenen Tarifverträge kommen nicht unbeeinflusst von staatlichen Aufgabenträgern, sondern in deren maßgeblichem Interesse zustande.

25(3) Der persönliche Schutzbereich der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG umfasst entgegen der Auffassung des Klägers staatlich beherrschte juristische Personen nicht schon wegen des kollektivrechtlichen Gehalts dieses Grundrechts. Dies gilt unabhängig davon, ob seine kollektivrechtliche Dimension unmittelbar aus dem Grundrecht selbst als sogenanntem Doppelgrundrecht (vgl. etwa - BVerfGE 94, 268 <282 f.>) oder aus seiner entsprechenden Anwendbarkeit auf juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG abgeleitet wird. Staatliche Arbeitgeber können sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen (vgl. Berlit, Koalitionsfreiheit und öffentlicher Dienst, ZTR 1994, 143 <146>; Linsenmaier, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, Art. 9 GG Rn. 29). Das gilt selbst für die - im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtsfähigen - Rundfunkanstalten ( u.a. - BVerfGE 59, 231 <255>). In der vom Kläger hervorgehobenen Entscheidung über den Einsatz von Beamten beim Streik Beschäftigter der damaligen Bundespost hat das Bundesverfassungsgericht öffentliche Arbeitgeber ebenfalls nicht als Träger des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG anerkannt, sondern lediglich aus der Doppelrolle des Staates als Träger öffentlicher Verwaltung und tariffähiger Arbeitgeber einen gesetzlichen Regelungsbedarf für den Einsatz bestimmter Mittel des Arbeitskampfes abgeleitet, ohne die durch einfaches Gesetz verliehene Tariffähigkeit staatlicher Arbeitgeber mit deren Grundrechtsfähigkeit gleichzusetzen (vgl. - BVerfGE 88, 103 <115 f.>).

26(4) Auch der Einwand des Klägers, das den Ausschluss der Grundrechtsberechtigung staatlich beherrschter juristischer Personen tragende Konfusionsargument könne für ihn als Verband grundrechtsgebundener Arbeitgeber nicht gelten, geht fehl. Dass private Arbeitgeber als Tarifvertragsparteien Grundrechte wie den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten haben (vgl. - NZA-RR 2006, 253 <256> und vom - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8 <13 f.>), aber dennoch Träger von Grundrechten bleiben, ist kennzeichnend für die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht. Staatlich getragene Arbeitgeber sind dagegen bereits unmittelbar an Grundrechte gebunden. Sie können als Teil des grundrechtsgebundenen Staats nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter von Grundrechten sein (vgl. - BVerfGE 147, 50 Rn. 239 m.w.N.). Ihre Grundrechtsfähigkeit ist deshalb grundsätzlich für alle Grundrechte und in allen Rechtsbeziehungen ausgeschlossen, sofern sie nicht dem geschützten Lebensbereich eines bestimmten Grundrechts zugeordnet sind (s.o. (2)).

27(5) Der Kläger ist auch nicht wegen einer ihm sonst drohenden Rechtsschutzlosigkeit ausnahmsweise als grundrechtsberechtigt anzusehen. Eine derartige spezifische Gefährdungssituation ist zwar bei einem vollständig von einem ausländischen Staat gehaltenen inländischen Unternehmen in Privatrechtsform insofern anzunehmen, als es - bliebe ihm die Berufung auf die Grundrechte völlig versagt - gegenüber staatlichen Eingriffen und wirtschaftslenkenden Maßnahmen, die unmittelbar durch Gesetz erfolgen, rechtsschutzlos wäre ( u.a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 191 ff., 196). Juristische Personen des Privatrechts, die vom Bund, vom Land oder von einer Kommune beherrscht werden, befinden sich jedoch trotz ihrer fehlenden Grundrechtsfähigkeit nicht in einer derartigen Gefährdungssituation, weil sich die hinter ihnen stehenden Hoheitsträger mittels der zur Wahrung innerstaatlicher Kompetenzen vorgesehenen Schutzmechanismen gegen vermeintlich verfassungswidrige Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung zur Wehr setzen können (vgl. u.a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 194). Da diese Einflussmöglichkeiten auch den inländischen Hoheitsträgern eröffnet sind, die hinter der Mehrheit der Mitglieder des Klägers stehen, droht diesem ebenfalls keine Rechtsschutzlosigkeit.

28(6) Dem Kläger ist ein Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht unter Berücksichtigung von Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention im Rahmen des dafür grundsätzlich offenen und konventionsgerecht auszulegenden Art. 19 Abs. 3 GG zuzuerkennen (vgl. dazu u.a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 202 und vom - 2 BvR 1738/12 u.a. - BVerfGE 148, 296 Rn. 126 ff.). Um sich auf die Koalitionsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 EMRK berufen zu können, müsste er nach Art. 34 EMRK als nichtstaatliche Organisation beschwerdefähig sein. Für die Abgrenzung staatlicher von nichtstaatlichen Organisationen im Sinne von Art. 34 EMRK sind im Wesentlichen der rechtliche Status und die mit ihm verliehenen Befugnisse, die Natur der Betätigung der Organisation, deren Kontext und der Grad ihrer Unabhängigkeit von den politischen Behörden maßgeblich (vgl. EGMR, Urteil vom - Nr. 8895/10 Ärztekammer für Wien und Dorner v. Austria - Rn. 35 f.; Entscheidung vom - Nr. 28502/08 TRANSPETROL v. Slovakia - Rn. 60 ff.; Urteil vom - 40998/98 Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey - Rn. 79 ff.). Nach diesen Kriterien genügen der privatrechtliche Status des Klägers und seine Betätigung als Arbeitgeberverband eindeutig nicht, seine fehlende Unabhängigkeit von den ihn beherrschenden staatlichen Hoheitsträgern aufzuwiegen. Eine Einordnung als nichtstaatliche Organisation im Sinne des Art. 34 EMRK kommt danach offensichtlich nicht in Betracht.

29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:121219U8C8.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 11
NJW 2020 S. 1084 Nr. 15
NJW 2020 S. 211 Nr. 7
ZIP 2019 S. 100 Nr. 51
OAAAH-43183