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Online-Nachricht - Donnerstag, 13.02.2020

Einkommensteuer | Behandlung von Kapitalabfindungen für Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen (BFH)

Die auf der Grundlage des § 93 Abs. 3 EStG förderunschädlich ausgezahlte Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente ist nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang einkommensteuerpflichtig. Die Anwendung des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG auf Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen setzt nicht voraus, dass der Vertrag im Zeitpunkt der Auszahlung der Leistung noch zertifiziert ist. Es genügt in diesem Zusammenhang vielmehr, wenn für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI des EStG - zu denen auch die Zertifizierung gehört - vorgelegen haben (; veröffentlicht am ).

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen kann in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung bejaht werden, der ursprüngliche Altersvorsorgevertrag habe eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit nicht vorgesehen.

Sachverhalt: Die Klägerin schloss am mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag. Entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AltZertG a.F. sah der Altersvorsorgevertrag vor, dass die Auszahlung ausschließlich in Form einer lebenslangen monatlichen Leibrente oder eines Auszahlungsplans mit monatlichen Teilraten und anschließender lebenslanger Teilkapitalverrentung möglich sein sollte.

Im Jahr 2014 vereinbarte die - zu diesem Zeitpunkt 64-jährige - Klägerin mit dem Anbieter, das vorhandene Altersvorsorgeguthaben zu Beginn des Jahres 2015 in Form einer Einmalleistung auszuzahlen. Dies war möglich geworden, weil - zeitlich nach dem Vertragsschluss - durch das AltEinkG vom mit Wirkung zum in § 93 Abs. 3 EStG eine Regelung geschaffen worden war, wonach die Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase als unschädliche Verwendung anzusehen ist.

Der Anbieter zahlte der Klägerin einen Betrag von 9.026,44 € aus, der sich wie folgt aufgliedert:

  • 8.877,97 €: Beträge (Eigenleistungen der Klägerin sowie Zinsen), die durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG gefördert worden sind;

  • 51,88 €: Zinsen, die nicht gefördert worden sind;

  • 96,59 €: Eigenleistungen der Klägerin, die nicht gefördert worden sind.

Das FA besteuerte die Kapitalabfindung im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2015 in Höhe von 8.877,97 € als "Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag" gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang und in Höhe von 51,88 € (nicht geförderte Zinsen) gemäß § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG ebenfalls in vollem Umfang. Der weitere Teilbetrag von 96,59 € blieb unbesteuert, da er nicht gefördert worden war. Einspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg ().

Der BFH hob das Urteil des FG Köln auf und verwies die Sache an das FG zurück:

  • Die Kapitalabfindung ist in dem Umfang, mit dem das FA sie im angefochtenen Bescheid angesetzt hat, einkommensteuerpflichtig.

    • Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Begriff des "Altersvorsorgevertrags" in § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG dahingehend definiert wird, dass es sich um einen Vertrag handeln muss, der nach § 5 AltZertG zertifiziert ist.

    • Denn die vorliegende Vertragsänderung im Jahr 2014 wird durch § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG von der Notwendigkeit einer Zertifizierung ausgenommen.

    • Außerdem kommt es nach der Systematik des § 22 Nr. 5 EStG nicht auf die (aktuelle) Zertifizierung des Vertrags im Ganzen an, sondern vielmehr darauf, ob für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI des EStG - zu denen die Zertifizierung gehört - vorgelegen haben (vgl. § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG).

    • Die Anwendung des Besteuerungstatbestands des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG entspricht auch dem Zweck dieser Norm, die das System der "nachgelagerten Besteuerung" in positives Recht umsetzt. Bei der Kapitalabfindung handelt es sich um die Auszahlung aus einem zweckgebundenen Altersvorsorgevermögen der Klägerin, das sie durch Beiträge aufgebaut hat, für die sie die steuerliche Förderung - Altersvorsorgezulage oder Sonderausgabenabzug - in Anspruch genommen hatte. Da ihre Aufwendungen mithin einkommensteuerlich entlastet waren und es aufgrund der Regelung des § 93 Abs. 3 EStG trotz der vorzeitigen Kapitalisierung der laufenden Rentenansprüche endgültig bei dieser Entlastung blieb, entspricht es der gesetzlichen Systematik, die Auszahlung des mit den Beiträgen und den gutgeschriebenen Zinsen aufgebauten Kapitals "nachgelagert" zu besteuern.

    • § 93 Abs. 1 EStG - mit der Folge der einkommensteuerlichen Erfassung der Kapitalabfindung nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG statt nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG - ist in den Fällen des § 93 Abs. 3 EStG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

    • Ob die unschädliche Verwendung - in Form der durch § 93 Abs. 3 EStG zugelassenen Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten - im Streitfall einkommensteuerlich stärker belastet wird als eine schädliche Verwendung, steht zum einen noch nicht fest, da dies von der - bisher nicht entscheidungsreifen - Frage der Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 EStG abhängig sein dürfte. Allerdings ist eine rein wirtschaftlich orientierte Vorteilsrechnung für die Auslegung des § 22 Nr. 5 EStG unerheblich.

    • Auf die der Klägerin im Streitjahr 2015 zugeflossene Abfindung sind die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften für das Streitjahr anzuwenden, nicht aber die Regelungen des im Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Altersvorsorgevertrags (2003) geltenden EStG.

  • Hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 1 EStG) auf die Kapitalabfindung vorliegen, ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG ist im Streitjahr noch nicht anwendbar und hat für die früheren Zeiträume keine entscheidende Bedeutung. Auch hat das FG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint. Es hat aber keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG getroffen, so dass der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden muss.

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Seit dem ist bei Kapitalabfindungen für Kleinbetragsrenten nach § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG der ermäßigte Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) zu gewähren.

Davor ist dies in der Regel nicht der Fall: es fehlt am Druck i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG; die Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) ist nicht „außerordentlich“ (, BStBl II 2019, 583).

Folglich führte die (seit 2015 unschädliche) Abfindung einer Kleinbetragsrente (§ 93 Abs. 2 EStG) entsprechend der Systematik der nachgelagerten Besteuerung nicht nur zur Besteuerung der Erträge, sondern auch der Eigenleistungen, da sie Teil des zweckgebundenen und durch Altersvorsorgezulage (§ 82 EStG) und/oder Sonderausgabenabzug (§ 10a EStG) geförderten Altersvorsorgevermögen sind.

Ohne ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG kann diese Verwendung wirtschaftlich unvorteilhafter sein als die schädliche Verfügung unter Zurückzahlung von Zulagen und Steuervorteilen aus § 10a EStG. Dies galt und gilt es im Rahmen der freien Entscheidung für eine Kapitalabfindung nicht zu vergessen ist.

Quelle: ; NWB Datenbank (ImA)

Fundstelle(n):
GAAAH-42114