Akteneinsichtsrecht nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss
Gesetze: § 147 StPO
Instanzenzug: Az: 9 St 7/17
Gründe
11. Das Oberlandesgericht München hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom wegen Werbens um Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung in zwei Fällen, versuchter Anstiftung zum Verbrechen des Totschlags sowie Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers sind die Strafakten dem Bundesgerichtshof am vorgelegt worden. Der Senat hat mit Beschluss vom (3 StR 11/19) die Revision und mit weiterem Beschluss vom eine Anhörungsrüge des Verurteilten verworfen.
2In dem Verfahren waren dem Verurteilten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet, denen in erster Instanz Akteneinsicht gewährt worden war. Einem ersten Gesuch des Beschwerdeführers vom , ihm persönlich "die komplette Akte" auf einem "Laptop" zur Verfügung zu stellen, hat der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München mit Verfügung vom nicht entsprochen. Die diesbezügliche Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom (StB 11/19) verworfen.
3Mit Schreiben vom hat der Beschwerdeführer erneut Akteneinsicht "egal in welcher Form" beim Oberlandesgericht beantragt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er benötige die Akte für eine effektive Verteidigung, um unter anderem die Richtigkeit der Übersetzungen zu kontrollieren. Der Vorsitzende des 9. Strafsenats hat mit Verfügung vom (9 St 7/17) dem Gesuch unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom und den Beschluss des Senats vom nicht entsprochen.
4Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit dem Rechtsmittel der Beschwerde. In seiner Beschwerdebegründung vom und der weiteren Stellungnahme vom legt er ausführlich die aus seiner Sicht bestehenden Gründe für ein eigenes Akteneinsichtsrecht dar. So müsse er mit Blick darauf, dass seine Verteidiger der arabischen Sprache nicht mächtig seien, persönlich falsche Übersetzungen überprüfen. Auch sei sein Verteidigungsrecht vor dem Hintergrund der Anordnungen nach § 148 Abs. 2 StPO beeinträchtigt. Überdies führten bereits Verfahrensfehler zum Erfolg seines Rechtsmittels. Denn mit Blick auf die Anhängigkeit des Revisionsverfahrens beim Bundesgerichtshof sei das Oberlandesgericht für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch nicht zuständig gewesen. Die Sache sei an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen. Auch seien die Akten entgegen § 306 Abs. 2 StPO nicht innerhalb von drei Tagen dem Beschwerdegericht vorgelegt worden.
5Der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München hat der Beschwerde mit Verfügung vom nicht abgeholfen.
6Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde für erledigt zu erklären, da sie mit Blick auf die mittlerweile eingetretene Rechtskraft des Urteils prozessual überholt sei. Er hat die Akten am dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
72. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Vorlage der Sache an die nunmehr für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zuständige Generalstaatsanwaltschaft München.
8a) Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 und 2 Nr. 4 StPO statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist der Beschwerdeführer weiterhin beschwert. Allein der Umstand, dass nach Beschwerdeeinlegung die Verurteilung des Beschwerdeführers rechtskräftig geworden ist, führt nicht zu einer prozessualen Überholung seines Rechtsschutzbegehrens. Denn auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens kann grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht nach § 147 StPO bestehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 147 Rn. 11; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 9; KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 22; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 147 Rn. 23). Ob die Akteneinsicht im konkreten Fall zu versagen ist, etwa weil sie nicht mehr den Zweck hat, der Verteidigung des Beschwerdeführers zu dienen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 147 Rn. 11; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 9; KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 22; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 147 Rn. 23), ist eine Frage der Begründetheit des Rechtsmittels.
9b) Der in der Unzuständigkeit des Oberlandesgerichts München liegende Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Vorlage der Sache an die nunmehr für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zuständige Generalstaatsanwaltschaft München.
10Der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München war für die angefochtene Verfügung nicht zuständig. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung lagen die Akten im Hinblick auf die durch den Beschwerdeführer eingelegte Revision bereits dem Senat vor. Das Akteneinsichtsgesuch hätte damit durch den Vorsitzenden des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs verbeschieden werden müssen (vgl. KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 27; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 42; LR/Lüdersen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 147 Rn. 150).
11Mit Blick auf die während des Beschwerdeverfahrens eingetretene Rechtskraft der Verurteilung des Beschwerdeführers liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bei der Generalstaatsanwaltschaft München (vgl. KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 24; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 42). Eine Entscheidung in der Sache (§ 309 Abs. 2 StPO) durch den Senat kann damit nicht (mehr) ergehen. Stellt sich die angefochtene Entscheidung nicht als Erkenntnis des dafür vorgesehenen Spruchkörpers dar, kommt eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache nur dann in Betracht, wenn dieses voll an die Stelle der an sich zur Entscheidung berufenen Stelle treten kann (vgl. , BGHSt 38, 312, 313 f.; MükoStPO/Neuheuser, § 309 Rn. 29 ff.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn eine Befassung des Bundesgerichtshofs im Instanzenzug gegen eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Schäfer Wimmer Berg
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:071119BSTB24.19.0
Fundstelle(n):
GAAAH-41784