Online-Nachricht - Donnerstag, 09.01.2020

Umsatzsteuer | Organschaft: Wirtschaftliche Eingliederung im Umsatzsteuerrecht (BFH)

Zu einer wirtschaftlichen Eingliederung durch Darlehen kann es nur kommen, wenn diese im Rahmen eines Unternehmens gewährt werden. Darlehen durch entgeltliches Stehenlassen von Ansprüchen reichen nicht. Hat der Mehrheitsgesellschafter die Umsätze der Tochtergesellschaft für das FA erkennbar in seiner Steueranmeldung erfasst, obwohl die Voraussetzungen für eine Organschaft nicht gegeben sind, beginnt die Festsetzungsfrist bei der Tochtergesellschaft gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Mehrheitsgesellschafter die Steueranmeldung abgegeben hat (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: wirtschaftliche Eingliederung

Für die wirtschaftliche Eingliederung kommt es darauf an, dass zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung – auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen – besteht. Die Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft müssen aufeinander abgestimmt sein und sich fördern und ergänzen. Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie bei Ebber im infoCenter.

Sachverhalt: Die M-GmbH (Organmutter) betrieb u. a. einen Handel mit elektronischen und elektrotechnischen Geräten. Die M-GmbH hielt zunächst 80 % und später dann 100 % der Gesellschaftsanteile an der Klägerin (vermeintliche Organgesellschaft). Gleichzeitig war zwischen den Gesellschaften ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vereinbart.

Mit Vereinbarung zwischen der M-GmbH und der Klägerin verpflichteten sich die Gesellschaften, sich untereinander Darlehen zu gewähren. Diese wurden eine Zeitlang unentgeltlich und zeitweise verzinst gewährt. Zudem übernahmen die M-GmbH sowie ihre Geschäftsführer selbstschuldnerische Bürgschaften für Bankdarlehen und Dispokredite der Klägerin. Hierfür wurde kein Entgelt vereinbart.

Die Klägerin veräußerte ferner Vermögensgegenstände an zwei andere Gesellschaften. Die beiden Unternehmen veräußerten diese Gegenstände an die A-GmbH, die sie anschließend an einen Dritten weiterveräußerte. Dieser leaste wiederrum die Gegenstände an die Klägerin zurück (Sale-and-Lease-Back-Geschäft).

Die Gesellschaften gingen von einer Organschaft aus. Mit Beschluss des Amtsgerichts wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet. Im Anschluss an eine vom FA durchgeführte Außenprüfung wurde die Umsatzsteuer für die Streitjahre erstmalig bei der Klägerin festgesetzt. Als Begründung wurde ausgeführt, dass zwischen der M-GmbH und der Klägerin mangels wirtschaftlicher Eingliederung keine Organschaft bestehe. Die Klage vor dem FG hatte keinen Erfolg (). Weitere Informationen zur Vorinstanz finden Sie bei .

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück:

  • Die Organschaft erfordert nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine wirtschaftliche Eingliederung.

  • Zu einer wirtschaftlichen Eingliederung durch Darlehen kann es nur kommen, wenn diese im Rahmen eines Unternehmens gewährt werden, woran es im Streitfall fehlt.

  • Im Streitfall vermochte die Darlehensgewährung durch das entgeltliche Stehenlassen von Ansprüchen keine wirtschaftliche Eingliederung durch eine Verflechtung der Unternehmensbereiche von Mutter- und Tochtergesellschaften zu begründen. Es handelte sich um eine Darlehensgewährung zwischen zwei Personen ohne Leistungsangebot am allgemeinen Markt. Es lag auch kein anderweitiger Zusammenhang zu einer unternehmerischen Tätigkeit im Sinne einer unmittelbaren, dauerhaften und notwendigen Erweiterung einer steuerbaren Tätigkeit vor. Die Kreditgewährung spielte sich lediglich im Verhältnis von Gesellschafter und Gesellschaft ab.

  • Auch die Übernahme der Bürgschaften begründet nicht die für die wirtschaftliche Eingliederung erforderliche Verflechtung der Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft. Hiergegen spricht insbesondere die Unentgeltlichkeit dieser Leistungen. Ein über die bloße Gesellschafterstellung hinausgehendes Unternehmensinteresse an dem Eingehen von Bürgschaften zugunsten der Klägerin ist nicht ersichtlich.

  • Weiter ergab sich eine Verflechtung der Unternehmensbereiche von M GmbH und Klägerin auch nicht aus den Sale-and-lease-back-Geschäften. Gegen eine hieraus folgende Verflechtung spricht bereits, dass das Fehlen unmittelbarer Vertragsbeziehungen zeigt, dass diese Geschäfte mit beliebigen Dritten abgeschlossen werden konnten und anders als z.B. eine Grundstücksvermietung weder besondere Bedeutung für die M GmbH noch für die Klägerin hatten.

  • Eine wirtschaftliche Eingliederung bestand auch nicht auf anderer Grundlage. Insbesondere lagen zwischen den Unternehmensgegenständen von Klägerin und M GmbH keinerlei Überschneidungen vor.

  • Im Ergebnis ist die Organschaft mangels wirtschaftlicher Eingliederung zu verneinen.

  • Die angefochtenen Steuerbescheide sind auch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen.

  • Denn im Streitfall hat die M-GmbH die Umsätze der Klägerin für das FA erkennbar in ihrer Steueranmeldung erfasst. Daher liegt für deren Umsätze insoweit eine - materiell-rechtlich fehlerhafte - Steueranmeldung vor. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist bei der Klägerin im Hinblick auf die von der M-GmbH abgegebene Steueranmeldung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem diese Steueranmeldung abgegeben wurde.

Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter am BFH:

Es handelt sich um einen Beschluss nach § 126a FGO, bei dem der Senat die Revision einstimmig für unbegründet hielt. Die wirtschaftliche Eingliederung ist sicher das schwächste Eingliederungsmerkmal der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Die Verflechtung von Unternehmensbereichen, die durch zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft erbrachte Leistungen begründet werden soll, setzt aber wenigstens voraus, dass diese Leistungen im Rahmen eines Unternehmens erbracht werden. Bei privaten Darlehens- und Bürgschaftsgewährungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaft ist das offensichtlich nicht der Fall.

Quelle: ; NWB Datenbank (ImA)

Fundstelle(n):
NWB MAAAH-39404