Online-Nachricht - Donnerstag, 28.11.2019

Umsatzsteuer | Fortgesetzte Tätigkeit in der Insolvenz (BFH)

Ist bei einer Tätigkeit ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters unklar, ob es sich umsatzsteuerrechtlich um eine solche des Insolvenzschuldners handelt, entsteht keine Masseverbindlichkeit (, veröffentlicht am ).

Hintergrund: Masseverbindlichkeiten sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem im Juli 2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des früheren Steuerberaters E.

Im Rahmen einer bei der E KG (KG) durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass die KG keinen Geschäftsbetrieb entfaltet habe und steuerpflichtige Umsätze dem E als Einzelunternehmer, nicht aber der KG, zuzurechnen seien. Das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung kam zu einem Abweichenden Ergebnis.

Da weder der Kläger als Insolvenzverwalter noch der Kanzleivertreter des Insolvenzschuldners im Streitjahr Umsätze ausführten, gab der Kläger keine Umsatzsteuererklärung 2012 ab. Eine Freigabe von Vermögen i.S. des § 35 Abs. 2 der InsO erklärte der Kläger gegenüber dem Insolvenzschuldner nicht.

Das FA schloss sich der Rechtsauffassung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung an, schätze die Umsatzsteuer 2012 für die KG und ging vom Vorliegen einer Masseverbindlichkeit aus. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage statt ().

Der BFH weist die Revision des FA als unbegründet zurück:

  • Wird eine zu steuerpflichtigen Einkünften führende Tätigkeit ohne Wissen und Zutun des Insolvenzverwalters ausgeübt und gelangen die Erträge nicht zur Masse, entsteht der Steueranspruch nicht als Masseverbindlichkeit ().

  • Im Streitfall wird keine Masseverbindlichkeit "in anderer Weise" nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, weil der Schuldner eine Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübte und die Entgelte nicht zur Masse gelangten.

  • Die durch die selbständige Tätigkeit begründeten Steuerforderungen sind nicht von vornherein bis zur Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Denn eine unterbliebene Erklärung des Insolvenzverwalters steht nicht einer "konkludenten Positiverklärung" gleich.

  • Im Streitfall hatte der Kläger als Insolvenzverwalter trotz seiner Aufklärungsmaßnahmen keine Kenntnis von umsatzsteuerrechtlich durch E erbrachten Leistungen und war daher auch nicht zu einer entsprechenden Erklärung verpflichtet.

  • Im Ergebnis liegen daher keine Masseverbindlichkeiten vor.

Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter am BFH:

Finanzämter schießen zuweilen bei ihrem verständlichen Bestreben, Erlöse aus Leistungen des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten zu behandeln, über das Ziel hinaus. Im Besprechungsfall hat der BFH der ausufernden Auslegung des Begriffs der Masseverbindlichkeit durch das FA einen Riegel vorgeschoben und geklärt, dass aus Tätigkeiten, die der Insolvenzschuldner ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters ausübt, keine Masseverbindlichkeiten entstehen. Eine Begründung von Verbindlichkeiten "in anderer Weise" i.S.V. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO setzt bei Untätigkeit des Insolvenzverwalters jedenfalls eine Amtspflicht des Insolvenzverwalters zum Tätigwerden voraus.

Auch aus der Erklärungspflicht des § 35 Abs. 2 InsO ergibt sich nicht, dass durch eine selbständige Tätigkeit begründete Steuerforderungen von vornherein bis zur Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO Masseverbindlichkeiten sind. Gleichfalls steht eine unterbliebene Erklärung des Insolvenzverwalters nicht einer konkludent positiven Erklärung gleich. Mit anderen Worten kann das FA die Masse nicht gewissermaßen in Haftung nehmen, wenn der Insolvenzverwalter aufgrund unverschuldeter Unkenntnis hinsichtlich einer Umsatztätigkeit des Insolvenzschuldners untätig bleibt.

Quelle: ; NWB Datenbank (ImA)

Fundstelle(n):
MAAAH-36193