BAG Urteil v. - 1 AZR 384/17

Instanzenzug: Az: 4 Ca 18005/15 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 26 Sa 1932/16 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über Weihnachtsgeld und Entgelterhöhungen.

2Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Hamburg. In ihrer Berliner Vertriebsfiliale ist die Klägerin als Verkäuferin teilzeitbeschäftigt. Die Parteien haben unter dem einen schriftlichen Arbeitsvertrag niedergelegt, dessen letzter Satz lautet:

3Bis April 2008 war die Beklagte tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V., welcher mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (bzw. vor deren Gründung mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBV -) Tarifverträge mit einem Geltungsbereich für Einzelhandelsbetriebe auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen hat. Sie ist - und war - nicht Mitglied des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V. bzw. seines Rechtsvorgängers, der mit ver.di neben dem Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel (MTV Berlin) ua. den Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel (TV-GLA Berlin) vereinbart hat. Nach § 1 A. und B. MTV Berlin und dem gleich lautenden § 1 A. und B. TV-GLA Berlin (in ihren jeweils ab gültigen Fassungen) umfassen die Geltungsbereiche dieser Tarifverträge räumlich das Land Berlin und fachlich „alle Betriebe des Einzelhandels aller Branchen und Betriebsformen einschließlich Dach- bzw. Holdinggesellschaften von Einzelhandelsunternehmen sowie Hilfs- und Nebenbetriebe.“

4Die Vergütung der in der Filiale Berlin beschäftigten Arbeitnehmer - so auch die der Klägerin - richtete sich nach der von der Beklagten mit dem dort errichteten Betriebsrat mit Wirkung zum geschlossenen „G Betriebsvereinbarung“ (BV 97). Diese lautet auszugsweise:

5Des Weiteren sind in § 15 BV 97 mehrere Gehaltsgruppen festgelegt, denen allgemeine Tätigkeitsmerkmale und die Aufzählung bestimmter beruflicher Funktionen vorangestellt sind. Jede Gehaltsgruppe enthält eine Tabelle, in der ausgehend vom „Tarif … laut HBV“ Nominalbeträge als Entgelte angeführt sind. Die tabellarischen Auflistungen enthalten Gehaltssteigerungen nach Berufsjahren. Die Tätigkeit der Klägerin war entsprechend der Gehaltsgruppe G 1 vergütet, welche nach der BV 97 Entgelte in aufsteigender Höhe in Abhängigkeit von ein, zwei, drei, vier, fünf und sechs Berufsjahren vorsieht.

6Die Beklagte kündigte die BV 97 gegenüber dem Betriebsrat zum und stellte die an die Erhöhung der Tarifentgelte des Hamburger Einzelhandels anknüpfenden Entgeltsteigerungen ebenso wie die Weihnachtsgeldzahlung ein. Mit ihrer Klage hat die Klägerin - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Zahlung des Weihnachtsgeldes 2015 sowie für die Zeit vom bis einer auf der Anerkennung von sechs Berufsjahren beruhenden Differenzvergütung verlangt und dies auf kollektivrechtliche sowie individualvertragliche Erwägungen gestützt.

7Sie hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - sinngemäß beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9Das Arbeitsgericht hat der - ursprünglich noch weiter gehenden - Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert, die Klage in Bezug auf ursprünglich noch geltend gemachte Entgelterhöhungen im Hinblick auf Steigerungen der Tarifentgelte abgewiesen und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte die vollständige Klageabweisung weiter.

Gründe

10Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in die Revision gelangt ist - zu Unrecht entsprochen.

11I. Das gilt zunächst für das zuerkannte Weihnachtsgeld 2015.

121. Ein Anspruch hierauf folgt nicht aus § 8 Unterabs. 2 der gekündigten BV 97. Diese Regelung entfaltet nach Beendigung der BV 97 keine Nachwirkung. Sie ist unwirksam. Das folgt daraus, dass sie sich auf die Gehaltstarifregelung in § 15 BV 97 bezieht, die ihrerseits wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam ist.

13a) Das Landesarbeitsgericht ist - im Zusammenhang mit den dem Senat nicht mehr zur Entscheidung anfallenden monatlichen Differenzvergütungen wegen der Tarifentgelterhöhungen für den Hamburger Einzelhandel - zutreffend davon ausgegangen, dass § 15 BV 97 gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt. Das hat der Senat in mehreren parallel gelagerten Revisionsverfahren ausführlich begründet (zB  - Rn. 12 bis 17). Im vorliegenden Streitfall gilt nichts Anderes.

14b) Rechtsfolge des Verstoßes von § 15 BV 97 gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist seine Unwirksamkeit. Diese erstreckt sich - und das hat das Landesarbeitsgericht verkannt - auch auf die Weihnachtsgeldfestlegungen des § 8 Unterabs. 2 BV 97. Ohne die Gehaltstarifregelung in § 15 BV 97 stellen diese keine sinnvollen und in sich geschlossenen, praktikablen Bestimmungen mehr dar. Das Weihnachtsgeld ist mit einem auf das Gehalt bezogenen prozentualen Anteil definiert („62,5 % des Gehaltes“). Mit „Gehalt“ haben die Betriebsparteien nicht an die individuelle Vergütung, sondern an das von ihnen in § 15 BV 97 ausgestaltete Gehalt angeknüpft. Für einen anderen Regelungswillen fehlt es an Anhaltspunkten. Ist aber § 15 BV 97 als Bezugspunkt der Urlaubs- und Weihnachtsgeldregelung unwirksam, betrifft dies zwangsläufig auch die Bezug nehmende Regelung. Damit kommt es nicht darauf an, ob § 8 BV 97 seinerseits gegen die Regelungssperre verstößt oder - wie vom Landesarbeitsgericht für das Weihnachtsgeld angenommen - im Hinblick auf eine „Sonderzuwendungen“ betreffende Öffnungsklausel im MTV Berlin wirksam ist (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).

152. Vertragliche Ansprüche auf das Weihnachtsgeld scheiden gleichfalls aus.

16a) Der Arbeitsvertrag vom vermittelt - iVm. § 8 Unterabs. 2 BV 97 - keinen Anspruch. Das ergibt dessen Auslegung.

17aa) Der letzte Satz des Arbeitsvertrags ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB. Darauf lässt schon das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung schließen. Jedenfalls handelt es sich um eine sog. Einmalbedingung iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Sowohl Allgemeine Geschäftsbedingungen als auch Einmalbedingungen können vom Senat als typische Erklärungen selbst ausgelegt werden (vgl.  - Rn. 12; zu den Maßstäben der Auslegung vgl. zB  - Rn. 59; - 4 AZR 796/08 - Rn. 15, BAGE 134, 283).

18bb) Mit der Klausel, dass der Arbeitsvertrag „nur in Verbindung mit der nachfolgenden G-Betriebsvereinbarung gültig“ ist, haben die Parteien - anders als es der bloße Wortlaut nahe legt - keine Bedingung für die Wirksamkeit ihres Vertragsschlusses formuliert. In ihr drückt sich vielmehr der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner unter Berücksichtigung ihrer Interessenlagen aus, dass sämtliche im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbarten Abreden der (kollektivrechtlichen) Abänderbarkeit durch die für den Berliner Betrieb geschlossene BV 97 unterliegen.

19b) Das Zahlungsbegehren ist nicht wegen einer im Zusammenhang mit der BV 97 einschließlich ihrer Regelungen des § 8 Unterabs. 2 - ggf. im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB - anzunehmenden Gesamtzusage begründet. Dafür geben die Festlegungen der Präambel der BV 97 ebenso wenig her (vgl. ausf.  - Rn. 25 ff., BAGE 161, 305) wie andere von der Klägerin angeführte Umstände. Es handelt sich nicht um außerhalb der Betriebsvereinbarung liegende Umstände, die auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten losgelöst von der normativen Geltung der BV 97 schließen lassen könnten.

20c) Die Klägerin vermag die in der Revision noch streitbefangene Weihnachtsgeldforderung nicht auf eine betriebliche Übung zu stützen, nach der die Beklagte ein jährliches Weihnachtsgeld gewährt hat. Das erfolgte - für die Klägerin erkennbar - in Erfüllung einer vermeintlichen Verpflichtung aus der BV 97. Die Klägerin konnte nicht berechtigterweise annehmen, dass sich die Beklagte zu einem entsprechenden Verhalten unabhängig vom Schicksal der BV 97 auf unbegrenzte Zeit verpflichten wollte.

21d) Schließlich besteht kein Anspruch nach § 611 BGB iVm. den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Zwar kann ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Senats in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Denn die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (zB  - Rn. 13). Vorliegend ist aber der Anwendungsbereich der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung nicht eröffnet. Ebenso wenig, wie diese Theorie Ansprüche auf der Grundlage eines mitbestimmungswidrig eingeführten Entgeltsystems vermittelt (dazu  - Rn. 46 mwN, BAGE 158, 44), vermag sie Ansprüche auf ein vom Betriebsrat kompetenzwidrig (mit-)gestaltetes Entgelt zu begründen.

22II. Die Klägerin hat des Weiteren keinen Anspruch auf Zahlung des streitgegenständlichen - an das sechste Berufsjahr der Gehaltsgruppe G 1 nach der BV 97 anknüpfende - Differenzentgelt.

231. Der insoweit geltend gemachte Zahlungsanspruch kann nicht auf § 15 BV 97 gestützt werden. Diese Vorschrift ist wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Betriebsparteien mit der Festlegung von Berufsjahres„anstiegen“ einen (bloßen) Entgeltgrundsatz festgelegt haben, was nicht gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoße, weil dies als mitbestimmungspflichtige Angelegenheit des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht der Regelungssperre unterliege und - mangels Bindung der Beklagten an die Berliner Einzelhandelstarife - auch nicht dem Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG unterfiele. Hierfür fehlt es ersichtlich an einer irgendwie gearteten systematischen Vergütungsrelation. Mit den - in numerischer Höhe ausgedrückten - berufsjahresabhängigen Entgelten haben die Betriebsparteien vielmehr absolute Entgelthöhen geregelt; zudem ließen sich ihre Festlegungen hierzu nicht von den absoluten Entgeltbeträgen losgelöst aufrechterhalten.

242. Für einen auf vertragliche Gesichtspunkte gestützten Anspruch gilt das zu I 2 Ausgeführte entsprechend.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:160719.U.1AZR384.17.0

Fundstelle(n):
IAAAH-28975