BSG Beschluss v. - B 3 KR 32/12 B

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Anwendbarkeit einer bestimmten DRG - Auslegung einer Einzelvergütungsvorschrift (hier OPS) - Zulässigkeit der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 39 Abs 1 SGB 5, § 301 Abs 2 SGB 5, § 17b Abs 2 S 1 KHG, § 17b Abs 7 S 1 Nr 1 KHG, § 17b Abs 7 S 1 Nr 2 KHG, KFPVbg

Instanzenzug: SG Speyer Az: S 11 KR 444/08vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 5 KR 185/11 Urteil

Gründe

1I. Streitig ist die weitere Vergütung einer im Krankenhaus der Klägerin durchgeführten Versorgung eines Versicherten der beklagten Krankenkasse, der am wegen einer Dyspnoe mit hartnäckigem nichtlösendem Schleim aufgenommen und bis zum behandelt worden ist. Die Beklagte hat die hierfür auf der Grundlage der DRG E 65A beanspruchte Vergütung von 3116,51 Euro zunächst in voller Höhe bezahlt und unter dem nach Beratung durch den Medizinischen Dienst einen Teilbetrag von 933,28 Euro mit einer anderen Rechnung der Klägerin verrechnet, weil nur die Fallpauschale E 65B abzurechnen gewesen sei. Zu der von ihr vorgenommenen Kodierung der Nebendiagnose "Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung" (ICD R63.3) sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen. Das SG hat die Beklagte nach Einholung eines internistischen Gutachtens zur Zahlung von 933,28 Euro nebst Zinsen verurteilt, da nach dem Ergebnis des Gutachtens hinsichtlich der Ernährungsprobleme und der unsachgemäßen Ernährung eine von den übrigen Erkrankungen unabhängige weitere therapeutische Maßnahme erforderlich gewesen und ein erhöhter Betreuungs-, Pflege- und Überwachungsaufwand angefallen sei (Urteil vom ). Die Berufung hiergegen hat das LSG zurückgewiesen: Die Nebendiagnose ICD R63.3 sei zu Recht kodiert worden. Nach den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR), Version 2005 werde ein Symptom nicht kodiert, wenn es im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zu Grunde liegenden Krankheit vergesellschaftet sei. Stelle ein Symptom jedoch ein eigenständiges Problem für die medizinische Betreuung dar, werde es als Nebendiagnose kodiert. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, wie sich aus dem vom SG eingeholten internistischen Gutachten ergebe (Urteil vom ).

2Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, die sie mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und einer Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) begründet.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 S 3 SGG festgelegten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb nach § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

41. Zur formgerechten Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist es erforderlich, eine konkrete Rechtsfrage zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54), dass sie über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65). Klärungsbedürftigkeit ist grundsätzlich nicht mehr gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Um eine fortbestehende Klärungsbedürftigkeit darzutun, muss unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung des BSG substantiiert vorgetragen werden, dass neue, bisher noch nicht berücksichtigte Argumente bestehen oder gegen die Entscheidung des BSG von dritter Stelle, etwa im Schrifttum, in nicht unerheblichem Umfang Kritik vorgebracht worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). Klärungsbedürftigkeit ist auch dann zu verneinen, wenn sich eine Rechtsfrage unmittelbar und eindeutig anhand der gesetzlichen Vorschriften beantworten lässt. Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 S 1 SGG (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

6Inwieweit diese Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren zu klären und entscheidungserheblich sein könnten, ist nicht ausreichend dargelegt. Die Beklagte geht bei der ersteren Rechtsfrage von einer Prämisse aus, die sich den Urteilsgründen so nicht entnehmen lässt. Anders als von ihr vorausgesetzt kann den Entscheidungsgründen des LSG nicht entnommen werden, dass in Fällen, in denen ein kachektischer Patient Infusionsernährung erhält, die ICD-10 R64 und R63.3 "stets" nebeneinander kodiert werden dürfen. Das LSG hat vielmehr aus dem vom SG erhobenen Gutachten abgeleitet, dass im Fall des hier versorgten Versicherten Ernährungsprobleme und eine unsachgemäße Ernährung vorgelegen hätten, die nicht jeder kachektische Patient aufweise und die eine Kodierung der Nebendiagnose R63.3 gerechtfertigt hätten. Inwieweit es dennoch entscheidungserheblich auf die erstere Rechtsfrage ankommen könnte, kann dem Beschwerdevorbringen nicht entnommen werden; die ergänzend gestellte Frage zur Kodierung einer Appetitlosigkeit geht folglich ins Leere.

8Die Beklagte legt indes weder die grundsätzliche Bedeutung (dazu aa) noch die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage schlüssig dar (dazu bb).

9aa) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage erwächst daraus, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 7 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine Rechtsnorm, bei der es sich um ausgelaufenes Recht handelt, deshalb regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung (vgl - Juris RdNr 5; - Juris RdNr 9; BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; vgl auch - Juris RdNr 17, dort zu § 41 Abs 4 SGG). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht muss für eine grundsätzliche Bedeutung entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden sein, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung muss aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben (vgl - Juris RdNr 32; - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 7; KG 1/00 B - Juris RdNr 1; - Juris RdNr 8; BSG SozR 1500 § 160a Nr 19). Eine Fortwirkung kann insbesondere dann vorliegen, wenn an die Stelle der bisherigen Regelung eine inhaltsgleiche getreten ist (vgl - Juris RdNr 2) oder die bisherige Regelung im Wortlaut beibehalten und nur formal neu geschaffen wurde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist, wenn dies nicht offensichtlich ist, in der Beschwerdebegründung darzulegen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG; vgl - Juris RdNr 7).

10Im Falle des DRG-basierten Vergütungssystems kommt hinzu, dass es vom Gesetzgeber als ein jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz <KHG>; s ferner § 17 Abs 7 S 1 Nr 1 und 2 KHG) und damit als "lernendes" System angelegt ist und deswegen bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen sind, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl zum Ganzen BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18; SozR 4-5565 § 14 Nr 10 RdNr 14; SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 18; s ferner zuletzt - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27 mwN). Kommt eine Einigung nicht zustande oder besteht ein Fortentwicklungsbedarf, ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Regelungen zu treffen (§ 17 Abs 7 S 1 KHG).

11Dieser Anpassungsmechanismus betrifft auch die Begriffsbestimmungen im Operations- und Prozedurenschlüssel (OPS). Der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebene OPS wird erst durch die jährlich abgeschlossene Fallpauschalenvereinbarung (FPV) für das Vergütungssystem verbindlich (vgl dazu - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 23 f). Namentlich durch die in die FPV einbezogenen DKR ist es den Vertragsparteien möglich, die erlöswirksame Kodierung des OPS zu steuern und möglichen Fehlentwicklungen entgegen zu wirken (zur Einbeziehung der DKR in die FPV und ihrer normativen Wirkung vgl - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 17 f).

13An entsprechenden Darlegungen fehlt es im vorliegenden Fall. Die Beklagte verweist lediglich darauf, dass das BSG die bezeichnete Rechtsfrage noch nicht entschieden habe und die Auslegung für eine Vielzahl von Krankenhäusern von grundsätzlicher Bedeutung sei.

14bb) Die Beklagte legt auch den Klärungsbedarf ihrer Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Die gebotene substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit von im OPS verwendeten, streitigen Begriffen hätte erfordert, dass sie nachvollziehbar ausführt, warum ausnahmsweise noch ein über die Frage der zutreffenden Auslegung durch das Tatsachengericht hinausgehender Klärungsbedarf besteht, obwohl die Auslegung von Vergütungsvorschriften durch die Gerichte restriktiv und lediglich nach Wortlaut und - ergänzend - Systematik erfolgt. Die Auslegung einer der jährlichen Überprüfung und eventuellen Anpassung durch die beteiligten Vertragsparteien unterliegenden vertraglichen Einzelvergütungsvorschrift hat in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung, wenn sie keine wesentlichen Auslegungsprobleme aufwirft und die hierfür anzuwendenden Auslegungsmethoden einfach zu handhaben und höchstgerichtlich geklärt sind.

15So liegt es regelmäßig bei der Auslegung des OPS. Der vom DIMDI herausgegebene OPS ist dadurch charakterisiert, dass er Operationen und Prozeduren unter Verwendung medizinischer Begriffe definiert und strukturiert. Die Inkorporierung dieser Klassifikation in die Vergütungsvorschriften bedeutet - soweit die Vertragsparteien nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmen -, dass den medizinischen Begriffen des OPS der Sinngehalt zukommt, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird. Dieser den Regelungsgehalt determinierende Sprachgebrauch kann - wortlautorientiert - wie eine Tatsache als Vorfrage für die Auslegung im gerichtlichen Verfahren durch Beweiserhebung ermittelt werden. Insofern gilt hier nichts anderes als bei Fragen (rein) tatsächlicher Art, die nicht zur Überprüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden können ( - Juris RdNr 5 mwN). Inwieweit hiernach die Feststellung des Sinngehalts des Begriffs "Appetitlosigkeit" im medizinisch-wissenschaftlichen Fachjargon über die korrekte Ermittlung des Sprachgebrauchs hinaus durch das Revisionsgericht klärungsbedürftig ist, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

162. Die Beklagte legt auch den Zulassungsgrund der Divergenz nicht hinreichend dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss tragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in einer davon angeblich abweichenden Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB - Juris RdNr 4 mwN; - RdNr 4; - RdNr 4). Entscheidend ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatzes fehlt es hier. Die Beklagte bezieht sich auf den abstrakten Rechtssatz des BSG (BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21 RdNr 14 ff), dass sich Begleiterkrankungen im DRG-System auf den Vergütungsanspruch des Krankenhauses nur auswirken, wenn sie zusätzliche Leistungen erforderlich machen und im Fallpauschalenkatalog bei entsprechenden Nebendiagnosen eine höhere Bewertung der Krankenhausleistung vorgesehen ist. Hiervon ausgehend legt die Beklagte keine Divergenz dar. Denn sie stellt dem Rechtssatz des BSG ihre Einschätzung in tatsächlicher Hinsicht entgegen, dass vorliegend keine Maßnahmen notwendig gewesen wären, die in Bezug auf die Haupterkrankung nicht (ebenso) geboten waren. Davon ist das LSG indes gerade nicht ausgegangen, sodass nicht ersichtlich ist, inwieweit das LSG einen mit der Entscheidung des BSG unvereinbaren Rechtssatz aufgestellt hätte.

173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:120613BB3KR3212B0

Fundstelle(n):
FAAAH-25191