BSG Beschluss v. - B 9 SB 23/11 B

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Terminsladung - Verlegungsantrag - erheblicher Grund

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 227 ZPO

Instanzenzug: SG Bayreuth Az: S 12 SB 261 /08 Gerichtsbescheidvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 16 SB 122 /09 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger beansprucht die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

2Den vom Kläger im Dezember 2007 gestellten Verschlimmerungsantrag lehnte der beklagte Freistaat durch Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ab. Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Bayreuth nach Einholung eines orthopädischen und eines psychiatrischen Gutachtens den Beklagten entsprechend dessen vom Kläger nicht angenommenen Vergleichsangebot durch Gerichtsbescheid vom verurteilt, den GdB ab Dezember 2007 mit 40 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen.

3Das vom Kläger angerufene Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat ein (weiteres) orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. L. vom eingeholt, der den GdB ebenfalls auf 40 einschätzte. Mit Verfügung vom hat das LSG Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Montag, , 10.00 Uhr. Der Kläger hat am unter Vorlage der ersten Seite eines vorläufigen Arztbriefes der Medizinischen Klinik 3 des Klinikums N. vom über die dortige Behandlung des Klägers vom 15.6. bis (Diagnose: Broncholith im Mittellappen, Poststenotische Pneumonie, Verdacht auf Pleuraempyem im mittleren Bereich der dorsalen Pleura rechts) die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Er sei am unabkömmlich, weil sein "Termin", den er vor ca drei Monaten bekommen habe, vom 16.2. bis sei. Der Senatsvorsitzende des LSG hat dem Kläger sodann unter dem mitgeteilt, "dass der Sitzungstermin nicht verlegt werden kann". Dieses Schreiben hat der Kläger dem LSG jeweils per Fax am 10. und mit unterschiedlichen Anmerkungen zurückgesandt. In der öffentlichen Sitzung des LSG am ist für den Kläger niemand erschienen. Das LSG hat aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom zurückgewiesen.

4Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde erhoben, die er mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels begründet. Das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es seinen Terminverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene ist unter Verstoß gegen das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) ergangen, weil das LSG den im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 227 ZPO verletzt hat. Das LSG war verpflichtet, den Termin zur mündlichen Verhandlung am wegen eines erheblichen Grundes, nämlich der krankheitsbedingten Verhinderung des Klägers, zu verlegen. Dieser vom Kläger schlüssig gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

6Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; - USK 99111 S 650; - juris RdNr 11; - juris RdNr 7). Bei einem unvertretenen Beteiligten reicht es aus, wenn dieser entsprechend verhindert ist und seinen Willen zum Ausdruck bringt, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen (vgl - juris RdNr 11). Ausnahmsweise kann allerdings ein Verlegungsantrag dann anders zu beurteilen sein, wenn offenkundig Verschleppungsabsicht besteht (vgl - USK 99111 S 651; BFH/NV 2000, 1353, 1354; - juris RdNr 12; - juris RdNr 9).

7Der Kläger hatte mit seinem unverzüglich nach Erhalt der Terminsladung gestellten Verlegungsantrag einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO, nämlich seine auch am Terminstag stattfindende Krankenhausbehandlung, geltend gemacht. Zwar hatte er lediglich einen ärztlichen Bericht über seine Behandlung im Juni 2010 nicht jedoch eine entsprechende Bestätigung zu der bevorstehenden stationären Behandlung vom 16.2. bis ("Termin") vorgelegt. Sofern das LSG hierzu Zweifel an den Angaben des Klägers gehabt haben sollte, hätte es indes gezielt nachfragen und den Kläger zur Vorlage von auf die bevorstehende Behandlung bezogenen Unterlagen auffordern müssen. Die an den Kläger ergangene Mitteilung des Senatsvorsitzenden vom , dass der Termin nicht verlegt werden könne, lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen diese Entscheidung getroffen worden ist; insbesondere nicht, ob das LSG den angegebenen Grund als glaubhaft angesehen hat oder nicht. Da eine Verschleppungsabsicht des Klägers nicht erkennbar ist, muss insgesamt davon ausgegangen werden, dass das LSG im Hinblick auf die beantragte Terminverlegung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat.

8Soweit sich der Kläger nach Erhalt der gerichtlichen Mitteilung vom am 10. und am per Fax erneut an das LSG gewandt hat, lassen diese Mitteilungen nicht erkennen, dass er sich mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung am abgefunden und seinen Terminverlegungsantrag nicht weiter verfolgt haben könnte. Der Kläger hatte als vor dem LSG nicht rechtskundig vertretener Beteiligter mit seinem Terminverlegungsantrag hinreichend deutlich gemacht, dass er an einer mündlichen Verhandlung in seiner Sache teilnehmen wolle. Den danach gegebenen Hinweisen auf eine Rücksprache mit dem VdK und einer "Info zum Nachdenken" ist demgegenüber nicht zu entnehmen, dass er diesen Wunsch zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung aufgegeben habe.

9Im wieder eröffneten Berufungsverfahren dürfte das LSG im Übrigen zu prüfen haben, ob angesichts des vom Kläger vorgelegten vorläufigen Arztbriefes des Klinikums N. vom eine Aufklärung des Sachverhalts in internistisch-lungenärztlicher Hinsicht geboten ist.

10Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:061011BB9SB2311B0

Fundstelle(n):
KAAAH-24939