BGH Beschluss v. - 2 StR 417/18

Strafverfahren: Umfang der gerichtlichen Mitteilungspflicht bei Verständigungsgesprächen

Gesetze: § 202a StPO, § 212 StPO, § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c StPO, § 273 Abs 1a S 2 StPO

Instanzenzug: LG Gera Az: 440 Js 20838/17 - 2 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in - nach dem schriftlichen Urteilstenor - drei Fällen, Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen und Besitzes kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 StPO Erfolg.

2Der Generalbundesanwalt hat zutreffend in seiner Antragsschrift vom ausgeführt:

„Der gerügte Verfahrensverstoß liegt vor. Das Landgericht hat seine Informationspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt.

(1) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen sind (vgl. , BVerfGE 133, 168, 215 f.; Senatsbeschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Senatsurteil vom - 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; vom - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353). Dementsprechend hat der Vorsitzende zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle Verlauf und Inhalt der Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO), wobei die Dokumentationspflicht auch für erfolglos geführte Gespräche gilt, in deren Verlauf keine Verständigung zustande gekommen ist (vgl. Senatsurteil vom - 2 StR 381/13, Rn. 10, BGHSt 59, 252).

Diesen Anforderungen genügen die im vorliegenden Fall erfolgten Mitteilungen über während zweier Unterbrechungen der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführten Gespräche nicht, weil lediglich deren Ergebnisse mitgeteilt wurden (vgl. Senatsbeschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 532/17, Rn. 14, NStZ 2018, 363; vom - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353). Es blieb jeweils offen, welche Standpunkte von den Teilnehmern der Gespräche, insbesondere von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, vertreten wurden, und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind. Auch fehlt die Mitteilung, dass der Vorsitzende – bei beiden Erörterungen – auf (erhebliche) 'Beweisprobleme' in Bezug auf die angeklagten Taten zum Nachteil der Nebenklägerin, der Geschädigten       R.   , hingewiesen hatte.

(2) Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil darauf beruht (vgl. , NStZ 2015, 170, 172 m.w.N.; , NStZ 2018, 363), da sich – bis auf eng begrenzte Ausnahmefälle – nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei gesetzesmäßigem Vorgehen infolge eines anderen Prozessverlaufs zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat seiner Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich dessen geständige Einlassung zugrunde gelegt (UA S. 8), die der Angeklagte – über seinen Verteidiger und von ihm bestätigt – im unmittelbaren Anschluss an die Verständigung und seiner Belehrung nach § 257c StGB abgegeben hatte (RB S. 5). […] Wegen des Einlassungsverhaltens des Angeklagten hatte die Strafkammer auch ausdrücklich von einer Vernehmung der – teilweise noch kindlichen – Geschädigten abgesehen (UA S. 14/15).

Aus eigener Anschauung hatte der Angeklagte, der an den verständigungsbezogenen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht beteiligt war, keine Kenntnis vom wesentlichen Inhalt der Gespräche, insbesondere den unterschiedlichen Strafmaßvorstellungen der Verfahrensbeteiligten und der vom Gericht geäußerten vorläufigen Sachverhaltsbewertung.

In derartigen Fällen ist nicht von vornherein auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei einer ordnungsgemäßen Information zu einem anderen Verteidigungsverhalten entschlossen hätte und deshalb andere, für ihn günstigere Feststellungen, hätten getroffen werden können. Daran vermag auch der Umstand, dass der Angeklagte – wie die Revision selbst vorträgt (RB S. 4) – von seinem Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche unterrichtet wurde. Diese von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information vermag die erforderliche Unterrichtung durch das Gericht grundsätzlich nicht zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Senatsurteil vom - 2 StR 381/13, Rn. 20, BGHSt 59, 252).“

3Dem schließt sich der Senat an und bemerkt, dass der neue Tatrichter im Falle einer Verurteilung die Bildung einer Gesamtstrafe nicht dem Beschlussverfahren nach §§ 460 ff. StPO überlassen darf. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung vor, ist der Tatrichter hierzu grundsätzlich verpflichtet (, BGHSt 25, 382, 383).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:231018B2STR417.18.0

Fundstelle(n):
NAAAH-16086