BSG Beschluss v. - B 12 KR 32/18 B

Rentenversicherung - Beginn der Versicherungsfreiheit - Gewährleistung von Anwartschaften

Gesetze: § 5 Abs 1 S 4 SGB 6 vom

Instanzenzug: Az: S 2 KR 674/13 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 5 KR 544/14 Urteil

Gründe

1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die (rückwirkende) Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) infolge des Eintritts von Versicherungsfreiheit.

2Die Klägerin ist bei der zu 2. beigeladenen L. beschäftigt. Die Beigeladene stellte zum ihre frühere Praxis ein, langjährig Beschäftigten eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen anzubieten. Das BAG erklärte in Musterverfahren diese Vorgehensweise für rechtswidrig und sprach den betroffenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags nach beamtenrechtlichen Grundsätzen aufgrund betrieblicher Übung zu (Urteile vom - ua 3 AZR 610/11 - BAGE 141, 222). Das Arbeitsgericht München verurteilte die Beigeladene zu 2., der Klägerin mit Wirkung vom eine Versorgungszusage zu gewähren. Daraufhin vereinbarten diese am 2./ eine Versorgungszusage rückwirkend zum .

3Den Antrag der Klägerin auf Erstattung zu Unrecht zur GRV entrichteter Beiträge in Höhe des Arbeitnehmeranteils lehnte die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle für die Zeit vom bis zum ab, weil der Versorgungsvertrag erst im Juli 2012 geschlossen worden sei (Bescheid vom ). Den Widerspruch hiergegen wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom ).

4Das SG München hat die Beklagte zur Beitragserstattung verurteilt (Urteil vom ). Das Bayerische LSG hat auf die Berufungen der Beklagten und der zu 1. beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. § 5 Abs 1 S 4 SGB VI schließe eine Versicherungsfreiheit und damit eine Beitragserstattung für Zeiträume vor Abschluss eines Versorgungsvertrags aus (Urteil vom ). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

5II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) liegt nicht vor.

7Bereits der Wortlaut des § 5 Abs 1 S 4 SGB VI (idF des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom <BGBl I 1302>, als S 3 eingefügt) beantwortet die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach dem Beginn der Versicherungsfreiheit in der GRV. Danach begründet die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit von Beginn des Monats an, in dem die Zusicherung der Anwartschaften vertraglich erfolgt. Die Gesetzesfassung ist damit nicht offen, sondern knüpft an den Monat des Vertragsschlusses und nicht an den Monat an, ab dem Anwartschaften vertraglich eingeräumt werden.

8Diese Wortlautauslegung wird durch den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen gestützt und - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht verdrängt. § 5 Abs 1 S 4 SGB VI beseitigt vormals aufgetretene Auslegungsprobleme, die im Zusammenhang mit der Verleihung rückwirkender Anwartschaften auf eine beamtenähnliche Versorgung entstanden waren. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine solche Anwartschaft nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft rückwirkend für Zeiten verliehen wird, in denen die GRV das Risiko vorzeitiger Erwerbsminderung und vorzeitigen Todes tatsächlich getragen, eine Anwartschaft auf eine beamtenähnliche Versorgung aus einer "ex ante" Betrachtung aber nicht bestanden hat (BT-Drucks 14/8133 S 4 f). Damit wird deutlich, dass eine rückwirkende Versicherungsfreiheit durch mit Wirkung für die Vergangenheit begründete Versorgungsanwartschaften ausgeschlossen sein soll.

9Die weitere Frage nach der Bedeutung der arbeitsrechtlichen Rechtsfigur der "betrieblichen Übung" für die streitige Versicherungsfreiheit lässt sich anhand sozial(versicherungs)rechtlicher Grundsätze beantworten. Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts (§ 31 SGB I) dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Für eine Abweichung von der ausdrücklichen Regelung des § 5 Abs 1 S 4 SGB VI und dessen Regelungsgedanke ohne gesetzliche Grundlage allein nach Maßgabe der Rechtsfigur der "betrieblichen Übung" ist daher kein Raum. Ungeachtet dessen ist die Sozialversicherung durch den Grundsatz der Vorhersehbarkeit und Planbarkeit des Finanzierungsaufkommens gekennzeichnet. Mit diesem Grundsatz sind Verträge (privater) Dritter, durch die einem Sozialversicherungsträger ohne dessen Beteiligung langjährig rückwirkend Beiträge in erheblichem Umfang entzogen werden, nicht zu vereinbaren. Wegen der von der GRV geschützten Risiken der Erwerbsminderung und des Todes liefe die von der Klägerin begehrte Beitragsrückabwicklung auf die Anerkennung einer beitragsfreien öffentlich-rechtlichen Risikoabsicherung durch ein umlagefinanziertes Versicherungssystem einer Solidargemeinschaft hinaus. Eine nachträgliche Reduzierung des Beitragsaufkommens würde rückwirkend auf die Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme als ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (für die gesetzliche Krankenversicherung vgl - BVerfGE 114, 196, 248) Einfluss nehmen.

10Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

11Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:121218BB12KR3218B0

Fundstelle(n):
FAAAH-07332