EuGH Urteil v. - C-214/16

Gründe

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

31Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dahin auszulegen sind, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

32Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass jeder Arbeitnehmer, wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ergibt – einer Bestimmung, von der diese Richtlinie keine Abweichung zulässt –, Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Dieser Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, dessen Umsetzung durch die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen erfolgen kann, die in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich vorgesehen sind (Urteil vom , Sobczyszyn, C-178/15, EU:C:2016:502, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33Zweitens ist festzustellen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in Art. 31 Abs. 2 der Charta, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zuerkannt wird, ausdrücklich verankert ist (Urteil vom , KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 37).

34Drittens ergibt sich aus dem Wortlaut der Richtlinie 2003/88 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen, sie dabei aber nicht bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 28).

35Viertens geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenfalls hervor, dass die Richtlinie 2003/88 den Anspruch auf Jahresurlaub und den auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt. Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (vgl. Urteil vom , Lock, C-539/12, EU:C:2014:351, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Arbeitnehmer, wenn er seinen Jahresurlaub nimmt, das Entgelt erhalten können muss, auf das er gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 Anspruch hat.

37Der Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub liegt nämlich darin, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. u. a. Urteile vom , Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 25, und vom , Sobczyszyn, C-178/15, EU:C:2016:502, Rn. 25).

38Jedoch wäre, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darlegt, ein Arbeitnehmer, der mit Umständen konfrontiert ist, die geeignet sind, während seines Jahresurlaubs Unsicherheit in Bezug auf das ihm geschuldete Entgelt auszulösen, nicht in der Lage, diesen Urlaub voll und ganz als Zeitraum für Entspannung und Freizeit gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zu genießen.

39Solche Umstände können den Arbeitnehmer außerdem davon abhalten, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Insoweit ist festzustellen, dass auch jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Lock, C-539/12, EU:C:2014:351, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40In diesem Zusammenhang kann die Wahrung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs in seinen schriftlichen Erklärungen nicht von einer Tatsachenwürdigung der finanziellen Lage abhängen, in der sich der betreffende Arbeitnehmer zu dem Zeitpunkt befindet, zu dem er den Urlaub nimmt.

41Was die Rechtswege betrifft, die dem Arbeitnehmer im Fall einer Streitigkeit mit dem Arbeitgeber offenstehen müssen, um seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der Richtlinie 2003/88 geltend machen zu können, so enthält diese Richtlinie zwar hierzu keinerlei Bestimmungen. Es steht jedoch fest, dass die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang die Beachtung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten müssen (vgl. entsprechend Urteil vom , Star Storage u. a., C-439/14 und C-488/14, EU:C:2016:688, Rn. 46).

42Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vorgesehene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub im Vereinigten Königreich durch zwei verschiedene Regulations der Verordnung von 1998 umgesetzt wird, nämlich zum einen Regulation 13 der Verordnung, die einen Anspruch auf Jahresurlaub vorsieht, und zum anderen Regulation 16 der Verordnung, die den Anspruch auf Bezahlung dieses Urlaubs begründet. Derselben Logik folgend erkennt Regulation 30(1) dieser Verordnung dem Arbeitnehmer das Recht auf zwei gerichtliche Rechtsbehelfe („claims“) zu. Dieser kann ein Gericht anrufen, um entweder die Weigerung seines Arbeitgebers, ihm den ihm nach Regulation 13 zustehenden Anspruch auf Jahresurlaub zu gewähren, anzufechten oder geltend zu machen, dass sein Arbeitgeber ihm seinen Urlaub entgegen Regulation 16 nicht oder teilweise nicht bezahlt hat.

43In Bezug auf den Ausgangsrechtsstreit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das Employment Appeal Tribunal (Berufungsgericht in Arbeitssachen) diese Bestimmungen dahin ausgelegt hat, dass ein Arbeitnehmer erstens einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Jahresurlaub gemäß Regulation 13 der Verordnung von 1998 nur geltend machen könne, soweit sein Arbeitgeber ihn überhaupt keinen Urlaub – bezahlt oder unbezahlt – nehmen lasse, und zweitens auf der Grundlage von Regulation 16 der Verordnung die Bezahlung nur für tatsächlich genommenen Urlaub beanspruchen könne.

44Diese Auslegung der einschlägigen nationalen Rechtsbehelfe führt aber in dem Fall, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur unbezahlten Urlaub gewährt, zu dem Ergebnis, dass sich der Arbeitnehmer vor Gericht nicht auf seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub als solchen berufen kann. Er wäre zunächst gezwungen, unbezahlten Urlaub zu nehmen und dann dessen Bezahlung einzuklagen.

45Ein solches Ergebnis ist mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 aus den in den Rn. 36 bis 40 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen nicht vereinbar.

46Erst recht macht eine Auslegung der nationalen Rechtsbehelfe in dem in Rn. 43 des vorliegenden Urteils beschriebenen Sinne es einem Arbeitnehmer in der Lage von Herrn King unmöglich, sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einen Verstoß gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88 wegen geschuldeten, aber nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs zu berufen, um die in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie genannte Vergütung zu erhalten. Einem Arbeitnehmer wie dem Kläger des Ausgangsverfahrens wird damit ein wirksamer Rechtsbehelf vorenthalten.

47Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dahin auszulegen sind, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

Zu den Fragen zwei bis fünf

48Mit seinen Fragen zwei bis fünf, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

49Zur Beantwortung der gestellten Fragen ist insoweit darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, insbesondere in seinem Urteil vom , Schultz-Hoff u. a. (C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18), bereits über Fragen zu entscheiden hatte, die den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers betrafen, der seinen Urlaubsanspruch aus von seinem Willen unabhängigen Gründen, nämlich wegen Krankheit, bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht ausüben konnte.

50Im vorliegenden Fall hat Herr King seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub aber gerade aus von seinem Willen unabhängigen Gründen vor seinem Eintritt in den Ruhestand nicht ausgeübt. Insoweit ist klarzustellen, dass es für die Beantwortung der vorliegenden Vorabentscheidungsfragen unerheblich ist, ob der Betroffene zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Vertragsverhältnisses mit seinem Arbeitgeber einen anderen Vertrag hätte annehmen können, der einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vorsah. Der Gerichtshof hat nämlich das Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen, wie es bestand und – aus welchem Grund auch immer – bis zum Eintritt von Herrn King in den Ruhestand fortdauerte, ohne dass dieser seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ausüben konnte.

51Somit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2003/88 es den Mitgliedstaaten weder erlaubt, die Entstehung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub auszuschließen, noch vorzusehen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines an der Ausübung dieses Anspruchs gehinderten Arbeitnehmers nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums erlischt (Urteil vom , Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

52Darüber hinaus geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass ein Arbeitnehmer, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 hat. Diese Vergütung ist in der Weise zu berechnen, dass der Arbeitnehmer so gestellt wird, als hätte er den Urlaubsanspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt (Urteil vom , Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 61).

53Zweitens ist festzustellen, dass in den Rechtssachen, in denen die Urteile des Gerichtshofs zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ergangen sind, die betreffenden Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten an der Ausübung ihres Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gehindert waren.

54In diesem besonderen Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass es nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen würde, wenn ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt wäre, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 29 und 30).

55Unter den besonderen Umständen, dass ein Arbeitnehmer während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, hat der Gerichtshof also mit Blick nicht nur auf den Schutz des Arbeitnehmers, den die Richtlinie 2003/88 bezweckt, sondern auch auf den des Arbeitgebers, der sich der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können, ausgesetzt sieht, entschieden, dass Art. 7 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 38, 39 und 44).

56Hieraus folgt, dass drittens zu prüfen ist, ob Umstände wie die im Ausgangsrechtsstreit gegebenen „besondere“ Umstände im Sinne der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung sind, so dass sie – ebenso wie eine längere Abwesenheit des Arbeitnehmers wegen Krankschreibung – eine Ausnahme von dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und in Art. 31 Abs. 2 der Charta aufgestellten Grundsatz rechtfertigen, wonach ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen.

57In diesem Zusammenhang ist auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen.

58Erstens darf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht restriktiv ausgelegt werden (vgl. Urteil vom , Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, C-486/08, EU:C:2010:215, Rn. 29). Abweichungen von der Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung müssen daher so ausgelegt werden, dass ihr Anwendungsbereich auf das zur Wahrung der Interessen, deren Schutz sie ermöglichen, unbedingt Erforderliche begrenzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Union syndicale Solidaires Isère, C-428/09, EU:C:2010:612, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59Unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erscheint aber ein Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht zwingend notwendig und vermag daher ein Abweichen vom Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht zu rechtfertigen.

60Es ist nämlich festzustellen, dass die Beurteilung des Anspruchs eines Arbeitnehmers wie Herr King auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit einer Situation in Zusammenhang steht, in der sein Arbeitgeber mit Abwesenheitszeiten von Herrn King konfrontiert gewesen wäre, aus denen sich – wie bei einer Krankschreibung von langer Dauer – Schwierigkeiten für die Arbeitsorganisation ergeben hätten. Der Arbeitgeber konnte vielmehr bis zum Eintritt seines Arbeitnehmers in den Ruhestand davon profitieren, dass dieser seine berufliche Tätigkeit bei ihm nicht unterbrochen hat, um bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

61Zweitens ist der Umstand, dass Sash WW irrtümlich davon ausging, dass Herr King keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub habe, selbst dann unerheblich, wenn er erwiesen wäre. Es obliegt nämlich dem Arbeitgeber, sich umfassend m über seine Verpflichtungen in diesem Bereich zu informieren.

62Wie sich aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils ergibt, darf nicht bereits die Entstehung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub von irgendeiner Voraussetzung abhängig gemacht werden, da dieser Anspruch dem Arbeitnehmer unmittelbar durch die Richtlinie 2003/88 verliehen wird. Somit ist es, was das Ausgangsverfahren betrifft, irrelevant, ob Herr King im Laufe der Jahre bezahlten Jahresurlaub beantragt hat oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 27 und 28).

63Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass anders als im Fall des Ansammelns von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub durch einen Arbeitnehmer, der aus Krankheitsgründen daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen, der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen hat.

64Drittens darf unter solchen Umständen, wenn es keine nationale gesetzliche oder vertragliche Vorschrift gibt, die eine Begrenzung der Übertragung von Urlaubsansprüchen im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , KHS, C-214/10, EU:C:2011:761 und vom , Neidel, C-337/10, EU:C:2012:263), die in der Richtlinie 2003/88 vorgesehene Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung nicht restriktiv ausgelegt werden. Ließe man unter diesen Umständen ein Erlöschen der vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu, würde man damit nämlich im Ergebnis ein Verhalten bestätigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem eigentlichen Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderläuft.

65Nach alledem ist auf die Fragen zwei bis fünf zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

Kosten

66Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sind dahin auszulegen, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

2. Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

Fundstelle(n):
ZAAAH-06806