BSG Beschluss v. - B 5 R 192/18 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - Terminverlegung

Gesetze: § 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 97 R 5003/15 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 2 R 1012/16 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

2Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren waren erfolglos (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom , ). Mit der gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

3Mit Schreiben vom hat das LSG den Kläger darüber informiert, dass Termin zur mündlichen Verhandlung auf den bestimmt sowie sein persönliches Erscheinen angeordnet sei und ihn zu diesem Termin geladen. Ferner enthält das Schreiben folgenden Hinweis: "Falls Sie aus zwingenden Gründen nicht erscheinen können, müssen Sie das Gericht unter Angabe des obigen Aktenzeichens unverzüglich benachrichtigen, die Hinderungsgründe mitteilen und bei Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung übersenden." Im Anschluss hieran erfolgt der weitere Hinweis an den Kläger, dass auch im Fall seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

4Mit Fax vom - beim LSG eingegangen am selben Tag - hat der Kläger mitgeteilt, den Termin vom krankheitsbedingt nicht wahrnehmen zu können; er sei termin- und transportunfähig erkrankt. Er beantrage die Aufhebung des Termins und die Festsetzung eines neuen Termins. Zur Glaubhaftmachung seines Antrags füge er den aktuellen Krankenhausentlassungsbericht sowie ein Attest seines Hausarztes bei. Die angekündigten medizinischen Unterlagen (vorläufiger Arztbrief des V. H.-Klinikums B. vom und das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom ) sind nicht mit dem Faxschreiben übermittelt worden, sondern erst am zusammen mit dem Originalschreiben vom beim LSG eingegangen. Mit Urteil vom hat das LSG die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und im Übrigen ausgeführt: Das Gericht habe trotz Nichterscheinens des Klägers zur mündlichen Verhandlung am entscheiden können, weil er mit der Ladung vom darauf hingewiesen worden sei, dass auch bei seinem Ausbleiben entschieden werden könne. Die vom Kläger überreichten medizinischen Unterlagen reichten für eine Terminverlegung nicht aus. Aus dem ausführlichen Arztbrief des V. H.-Klinikums vom ergäben sich keinerlei Einschränkungen, die eine Transport- und Terminunfähigkeit des Klägers auch nur im Ansatz nahelegen würden. Das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom lasse überhaupt keine medizinischen Befunde erkennen.

5Gegen das ihm am zugestellte Urteil hat der Kläger am Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG).

6II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.

7Der Kläger hat die Verletzung des § 62 SGG und des Art 103 Abs 1 GG hinreichend bezeichnet. Der Verfahrensmangel liegt auch vor.

8Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5; - Juris RdNr 13; - Juris RdNr 5). Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies grundsätzlich nach § 202 S 1 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 ZPO eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 5). Wird der Antrag auf Terminverlegung erst kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt und mit einer Erkrankung begründet, ist eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung angibt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit des Beteiligten selbst beurteilen zu können (vgl BSG SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12; - Juris RdNr 4 und 5; - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 2).

9Der Kläger hat in seinem Verlegungsantrag vom darauf hingewiesen, dass er krankheitsbedingt an dem Termin vom nicht teilnehmen könne; zum Nachweis hierfür hat er den vorläufigen Arztbrief des V. H.-Klinikums vom und das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom überreicht. Zwar lassen sich diesen Unterlagen keine Angaben über eine Erkrankung entnehmen, die dem Kläger eine Teilnahme am Termin vom unmöglich gemacht hätte. Der vorläufige Arztbrief des V. H.-Klinikums vom berichtet über einen dortigen stationären Aufenthalt des Klägers vom bis und seine Entlassung an diesem Tag in einem asymptomatischen Zustand. Ferner enthält der vorläufige Arztbrief den Hinweis, dass wegen des stattgefundenen akut symptomatischen epileptischen Anfalls für die Dauer von drei Monaten keine Eignung für das Führen von Kraftfahrzeugen in der Gruppe 1 im öffentlichen motorisierten Straßenverkehr bestünde. Eine Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit für den lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen. Das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom enthält keinerlei Angaben zu Erkrankungen des Klägers.

10Gleichwohl durfte das LSG im Termin vom nicht in Abwesenheit des Klägers entscheiden.

11Der anwaltlich nicht vertretene Kläger hatte mit Überreichung der genannten Unterlagen aus seiner Sicht alles getan, um das LSG von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu vertagen, um ihm eine Teilnahme hieran zu ermöglichen, zumal das Gericht die Anordnung seines persönlichen Erscheinens nicht aufgehoben hat. Nach dem Hinweis in dem gerichtlichen Schreiben vom ist für den Fall einer krankheitsbedingten Verhinderung eine ärztliche Bescheinigung zu übersenden. Diesem Hinweis hat der Kläger Folge geleistet. Dass die ärztliche Bescheinigung jedenfalls bei einem kurzfristig gestellten Antrag auf Terminverlegung einen Inhalt aufweisen muss, der das Gericht in die Lage versetzt, die Verhandlungs- und Reisefähigkeit der betreffenden Person selbst beurteilen zu können, ist dem Schreiben vom nicht zu entnehmen. Dies musste der rechtskundig nicht vertretene Kläger auch nicht wissen.

12Auf Grund seiner Zweifel an einer krankheitsbedingten Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit des Klägers hätte das LSG bzw der Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur (weiteren) Glaubhaftmachung seines Vortrags durch Vorlage eines aussagekräftigen Attestes auffordern (vgl § 202 S 1 SGG iVm § 227 Abs 2 ZPO) oder selbst eine nähere Stellungnahme des Privatdozenten Dr. S. über das Ausmaß der Erkrankung des Klägers einholen müssen (vgl - Juris RdNr 17; vgl auch - Juris RdNr 5). Letzteres wäre auch kurzfristig - zwei Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung - schon deshalb möglich gewesen, weil sich aus dem Attest vom die Kontaktdaten des Privatdozenten Dr. S. einschließlich seiner Telefonnummer ergeben. Der Kläger hat sich mit Erklärung vom unter Entbindung dieses Arztes von der ärztlichen Schweigepflicht ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass die vom Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich gehaltenen Unterlagen und Auskünfte beigezogen werden.

13Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; eine Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, ist nicht erforderlich (vgl - Juris RdNr 18 mwN; - Juris RdNr 5 mwN).

14Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

15Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:131218BB5R19218B0

Fundstelle(n):
EAAAH-05909