BAG Urteil v. - 5 AZR 161/10

Instanzenzug: Az: 3 Ca 7928/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 9 Sa 595/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte - Kirchliche Fassung (TV-Ärzte-KF) beanspruchen kann.

2Der beklagte Verein ist Träger des F in D. Der Kläger ist dort seit dem als leitender Abteilungsarzt der Abteilung Allgemein- und Thorax-Chirurgie tätig.

Im Dienstvertrag vom vereinbarten die Parteien ua.:

Der Bundes-Angestelltentarifvertrag in kirchlicher Fassung (BAT-KF) ist das kirchliche Regelungswerk, das mit Angestellten der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche sowie deren Diakonischen Werke vereinbart ist. Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission beschloss am über die Gestaltung des BAT-KF wie folgt:

Der BAT-KF in der seit dem geltenden Fassung (BAT-KF nF) bestimmt ua.:

In der Arbeitsrechtsregelung zu Übergangsregelungen im Zuge der Neufassung des BAT-KF und MTArb-KF vom 22. Oktober/ (im Folgenden: Arbeitsrechtsregelung) heißt es ua.:

7Nach der Anlage 1 der Arbeitsrechtsregelung ist die VergGr. I der (neuen) Entgeltgruppe 15Ü zugeordnet.

Der TV-Ärzte-KF als Anlage 6 zum BAT-KF nF bestimmt ua.:

In dem Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte in den TV-Ärzte-KF (TVÜ-Ärzte-KF) als Anlage 7 zum BAT-KF nF heißt es ua.:

10Der Beklagte vergütete den Kläger ab dem nach der Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF.

11Der Kläger hat geltend gemacht, ab dem Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä4, Stufe 3 TV-Ärzte-KF zu haben. Das ergebe sich zumindest aus einer ergänzenden Auslegung der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung.

Der Kläger hat beantragt

13Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Nach der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung könne der Kläger Vergütung (nur) nach Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF beanspruchen. Eine ergänzende Vertragsauslegung komme schon mangels einer Regelungslücke nicht in Betracht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

15Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe Ä4 TV-Ärzte-KF.

16I. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltgruppe Ä4 TV-Ärzte-KF ergibt sich nicht aus dem Dienstvertrag.

17Gemäß § 5 Abs. 1 des Dienstvertrags erhält der Kläger für seine dienstliche Tätigkeit eine Vergütung nach Vergütungsstufe (= Vergütungsgruppe) BAT I KF. Diese Vereinbarung enthält eine kleine dynamische Bezugnahme.

181. Bei § 5 Abs. 1 des Dienstvertrags handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten ( - Rn. 24 mwN, BAGE 126, 198). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist durch das Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ( - Rn. 13, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13). Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien auf kirchlich-diakonische Arbeitsbedingungen und ihre Änderungen und Ergänzungen und damit auch auf ein von ihnen selbst nicht abzuänderndes externes Regelwerk Bezug nehmen ( - Rn. 12, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 15).

192. Danach enthält § 5 Abs. 1 des Dienstvertrags eine kleine dynamische Bezugnahme. In § 5 Abs. 1 vereinbarten die Parteien eine Grundvergütung, die, obwohl leitende Ärzte (Chefärzte) bei einzelvertraglicher besonderer Vereinbarung ihrer Arbeitsbedingungen nach § 3 Abs. 1 Buchst. i BAT-KF aF von dessen Geltungsbereich ausgenommen waren und dementsprechend die Vergütungsgruppenpläne zum BAT-KF aF keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte enthielten, der VergGr. I des Vergütungsgruppenplans zum BAT-KF aF einschließlich der im BAT-KF aF vorgesehenen Struktur einer Gesamtvergütung bestehend aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag entsprach, und gestalteten sie dynamisch. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Der Beklagte stellt die Vereinbarung einer Dynamik auch nicht in Abrede.

203. Bei dem BAT-KF handelt es sich entgegen der Bezeichnung in der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht um einen Tarifvertrag im Sinne des TVG, weil er nicht nach dessen Maßgaben, insbesondere nicht unter Beteiligung von Gewerkschaften (§ 2 Abs. 1 TVG), zustande gekommen ist. Der BAT-KF ist vielmehr eine im sog. Dritten Weg beschlossene kirchliche Arbeitsrechtsregelung. Es handelt sich um eine Kollektivvereinbarung besonderer Art, in der allgemeine Bedingungen für die Vertragsverhältnisse der kirchlichen Arbeitnehmer durch eine paritätisch zusammengesetzte Arbeitsrechtliche Kommission festgelegt werden. Den Regelungen kommt keine normative Wirkung zu. Sie finden auf das Arbeitsverhältnis - wie vorliegend - nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung (st. Rspr., vgl. zB  - zu III 2 b aa der Gründe, BAGE 101, 9; - 6 AZR 430/03 - AP AVR § 1a Caritasverband Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 4; - 4 AZR 412/04 - mwN, AP MitarbeitervertretungG-EK Rheinland-Westfalen § 42 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 6; - 4 AZR 424/04 -).

214. Der BAT-KF in der ab dem geltenden Fassung hat den BAT-KF in der vorherigen Fassung nicht „ersetzt“. Das ergibt sich bereits aus der unveränderten Bezeichnung des Regelungswerks „BAT-KF“, die lediglich mit dem Zusatz „neue Fassung“ versehen wurde, und aus dem Umstand, dass der BAT-KF konstant weiterentwickelt wurde und wird. So gab es in den Jahren 2007 bis 2010 zahlreiche Änderungen aufgrund von Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission. Zwar wurden inhaltlich ab dem insbesondere die Entgelte neu strukturiert, zugleich wurden jedoch - anders als im Bereich des öffentlichen Dienstes - die für Arbeiter und Angestellte unterschiedlichen Regelungswerke beibehalten (BAT-KF für die Angestellten und Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter in kirchlicher Fassung - MTArb-KF). Auch nach dem Beschluss der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission vom wurde der BAT-KF lediglich „geändert“. Damit ist die Rechtslage nicht mit der Tarifsukzession im öffentlichen Dienst vergleichbar. Dort wurde der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) für den Bereich des Bundes und der Kommunen zum durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom ersetzt, für den Bereich der Länder zum durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom . Bei der im öffentlichen Dienst erfolgten Ablösung des BAT durch den TVöD und den TV-L ersetzten Gewerkschaft und Arbeitgeberseite damit übereinstimmend und ausdrücklich ein Tarifwerk durch ein anderes Tarifwerk ( -; - 5 AZR 888/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44; - 5 AZR 633/09 - ZTR 2011, 150).

225. Damit verbleibt es im Streitfall bei der in § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags getroffenen Vergütungsvereinbarung, wonach der Kläger Anspruch auf eine Vergütung entsprechend der VergGr. I BAT-KF der Anlage 1a zum BAT-KF hat. Die gültige Fassung der früheren VergGr. I BAT-KF ab ist nach der einzelvertraglichen Vergütungsabrede des Klägers die Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF und nicht die von ihm beanspruchte Entgeltgruppe Ä4 TV-Ärzte-KF.

23a) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Arbeitsrechtsregelung iVm. der Anlage 1 wurde die VergGr. I BAT-KF ab der Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF zugeordnet. Das „ist“ die vereinbarte Vergütung nach VergGr. I BAT-KF. Die VergGr. I BAT-KF ist nicht ersatzlos „entfallen“, sondern vielmehr gemäß § 2 Abs. 1 der Arbeitsrechtsregelung in die neue Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF übergeleitet worden. Diese Überleitung wird vom Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 des Dienstvertrags erfasst. Die Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF ist auch dynamisch. Ihre Tabellenwerte wurden zum , zum , zum und werden zum erhöht. Sie betrugen in Stufe 6 bis 5.625,00 Euro, vom bis 5.765,80 Euro, vom bis 6.014,76 Euro, vom bis 6.086,94 Euro und werden ab auf 6.154,08 Euro erhöht.

24b) Einer Überleitung der von den Parteien gewählten VergGr. I BAT-KF in die Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF nF steht nicht entgegen, dass nach § 3 Abs. 1 Satz 4 der Anlage 7 zum BAT-KF nF Ärzte der VergGr. I BAT-KF in die Entgeltgruppe 4 (= Ä4 TV-Ärzte-KF) überzuleiten waren. Diese Überleitungsvorschriften gelten nur für die von § 1 Abs. 1 TVÜ-Ärzte-KF erfassten Ärzte, dh. für diejenigen, die am unter den Geltungsbereich des BAT-KF fielen. Dies war bei Chefärzten nicht der Fall, § 3 Abs. 1 Buchst. i BAT-KF aF, wie es auch dem heutigen Rechtszustand entspricht (§ 1 Abs. 2 TV-Ärzte-KF). Der TV-Ärzte-KF ist über seinen persönlichen Geltungsbereich hinaus deshalb auch nicht als speziellere Regelung für Ärzte anzusehen (vgl. für den Bereich des öffentlichen Dienstes,  - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 80 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 50). § 11 TV-Ärzte-KF enthält genau wie Fallgruppe 18 der Berufsgruppe 3.1 des bis zum gültigen Vergütungsgruppenplans zum BAT-KF aF auch keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte, sondern nur für Chefarztvertreter und zudem ein gegenüber dem früheren BAT-KF vollständig neues Eingruppierungssystem für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte. Der Arbeitsvertrag enthält auch keine Hinweise, dass der Kläger eine monatliche Grundvergütung wie ein Chefarztvertreter erhalten sollte oder dass sich die Parteien bei der Wahl der in Bezug genommenen Vergütungsgruppe überhaupt an die Vergütung anderer Ärzte angelehnt haben. Der gewählten Formulierung lässt sich schlicht eine Dynamisierungsabsicht der Parteien entnehmen, die auch bei der Überführung der VergGr. I BAT-KF in die allgemeine Entgeltgruppe 15Ü BAT-KF zum Tragen kommt. Der Hinweis auf eine angebliche Lebensfremdheit einer solchen Auslegung ersetzt jedenfalls nicht die notwendige schlüssige Darlegung eines über den Vertragswortlaut hinausgehenden Vertragsinhalts, wie er vom Kläger behauptet wird. Gerade im Hinblick auf das zugleich vereinbarte Recht des Klägers zur Privatliquidation als zweiter Säule der Vergütung erscheint eine Auslegung im Sinne des Beklagten auch nicht lebensfremd oder absurd. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet hat, es sei Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen, dass er eine monatliche Grundvergütung wie ein Arzt bzw. mindestens wie ein Chefarztvertreter erhalten müsse, kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen vom Senat schon im Hinblick auf § 559 Abs. 1 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Jedenfalls reicht dieser Vortrag für die schlüssige Darlegung übereinstimmender Willenserklärungen oder einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage nicht aus.

25II. Ein Anspruch des Klägers auf eine Anpassung der Vergütungsvereinbarung ab dem folgt auch nicht aus einer Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 BGB. Wie ausgeführt, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine für andere Ärzte geltende Entgeltregelung Grundlage des Dienstvertrags der beiden Parteien war. Zudem haben sich die Umstände durch das Inkrafttreten des TV-Ärzte-KF nicht so schwerwiegend geändert, dass dem Kläger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, wozu auch die variablen Einnahmen aus Privatliquidationen gehören, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Eine Anpassung der Vergütung kommt nach der Rechtsprechung des Senats jedenfalls nicht schon deshalb in Betracht, weil Chefärzte stets mehr verdienen müssten als ihre in Entgeltgruppe Ä4 TV-Ärzte-KF eingruppierten Vertreter. Einen allgemeinen Grundsatz, ein Vorgesetzter sei stets höher zu vergüten als seine ihm unterstellten Mitarbeiter, gibt es im Arbeitsrecht ebenso wenig wie ein „Abstandsgebot“ ( - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 80 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 50; vgl. für tarifliche Vergütungsregelungen - 6 AZR 665/08 - AP TVÜ § 4 Nr. 1).

26III. Es bestand keine Veranlassung für die Gewährung eines Schriftsatznachlasses im Hinblick auf den von dem Beklagten am Vorabend vor der mündlichen Verhandlung des Senats um 22:25 Uhr eingereichten Schriftsatz. Der Senat hat den Inhalt des Schriftsatzes nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
UAAAH-02551