BFH Urteil v. - VI R 125/01 BStBl 2004 II S. 72

Leitsatz

1. Nutzt ein Steuerpflichtiger, der in einem Mehrfamilienhaus wohnt, eine zusätzliche Wohnung als Arbeitszimmer, so fällt diese jedenfalls dann noch unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG, wenn sie der Privatwohnung auf derselben Etage unmittelbar gegenüberliegt.

2. Die unmittelbare räumliche Nähe der zusätzlichen Wohnung begründet in einem solchen Fall die notwendige innere Verbindung mit der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen.

Gesetze: EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b

Instanzenzug: (EFG 2002, 809) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Streitig ist, ob ein Arbeitszimmer in einer zusätzlich angemieteten und allein zu Erwerbszwecken genutzten Zweitwohnung, die auf der gleichen Etage wie die Privatwohnung des Steuerpflichtigen und seiner Familie liegt, unter die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) fällt.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin war im Streitjahr (1996) nicht berufstätig. Der Kläger war als Studienrat an einem Gymnasium tätig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem erzielten beide Eheleute erhebliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen; diese Einkünfte entfielen jeweils zum ganz überwiegenden Teil auf den Kläger. Darüber hinaus erzielte der Kläger gewerbliche Verluste aus der Beteiligung an einer Grundstücks-Verwaltungsgesellschaft.

Die Kläger leben zusammen mit ihren drei Kindern in einem Mehrfamilienhaus in einer gemieteten Fünf-Zimmer-Wohnung. Auf derselben Etage, dieser Wohnung unmittelbar gegenüber, befindet sich eine weitere Wohnung, die die Kläger ebenfalls angemietet haben. Die zweite Wohnung verfügt ausweislich des einschlägigen Mietvertrags über zwei Zimmer, die ausschließlich zu Erwerbszwecken genutzt werden. Die Kosten eines dieser Zimmer hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) bereits bei der Einkommensteuer-Veranlagung des Streitjahres antragsgemäß wegen der Verwaltungsarbeiten in Bezug auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen in vollem Umfang anerkannt. Nach den Angaben der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren verwaltete die Klägerin das Immobilien- und Kapitalvermögen der Familie.

Den Angaben der Kläger zufolge dient das andere, streitbefangene Zimmer obendrein der Tätigkeit des Klägers als Lehrer. Für dieses Zimmer machten die Kläger weitere Aufwendungen in Höhe von 9 217 DM geltend. Das FA berücksichtigte insoweit nur noch einen Betrag von 2 400 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 809 veröffentlichten Gründen statt. Das streitige Arbeitszimmer falle nicht unter die Abzugsbeschränkung. Es fehle am Merkmal der Häuslichkeit, wenn ein Steuerpflichtiger einen innerhalb desselben Mehrfamilienhauses gelegenen, von seiner Mietwohnung getrennten Raum mit einem eigenen Mietvertrag anmiete. Im Übrigen bilde das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG unzutreffend ausgelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beziehe die Abzugsbeschränkung ihre Rechtfertigung aus der Zuordnung des Arbeitszimmers zum privaten Wohnbereich des Steuerpflichtigen. Es gehe darum, die steuerliche Anerkennung der Aufwendungen an Voraussetzungen zu knüpfen, die die Möglichkeit des Missbrauchs und der Verlagerung von Kosten der privaten Lebensführung in den betrieblichen oder beruflichen Bereich erheblich einschränkten. Der Begriff der Häuslichkeit erstrecke sich damit gerade nicht von vornherein nur auf solche Räumlichkeiten, die in den eigentlichen Wohnbereich des Steuerpflichtigen integriert seien, sondern sei vielmehr dahin gehend zu verstehen, dass auch sonstige, in der Nähe der Wohnung liegende Räumlichkeiten unter die Abzugsbeschränkung fallen könnten. Im Streitfall müsse die Häuslichkeit bejaht werden. Angesichts der räumlichen Gegebenheiten sei der Unterschied zu einem Steuerpflichtigen, der sein Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung habe, unwesentlich. Darüber hinaus bilde das Arbeitszimmer auch nicht den Betätigungsmittelpunkt des Klägers. Da der Kläger hauptberuflich Lehrer sei, liege sein Betätigungsmittelpunkt in der Schule.

Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger treten der Revision entgegen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der letztgenannten Vorschrift u.a. dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (Satz 3 Halbsatz 2 der Vorschrift).

2. Eine als Arbeitszimmer genutzte zusätzliche Wohnung ist jedenfalls dann noch der häuslichen Sphäre zuzurechnen, wenn sie in einem Mehrfamilienhaus unmittelbar an die Privatwohnung des Steuerpflichtigen angrenzt bzw. dieser unmittelbar gegenüberliegt.

a) Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Der Rechtsprechung des BFH zufolge erfasst die Abzugsbeschränkung das häusliche Büro, d.h. einen Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient (, BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139; vom XI R 89/00, BStBl II 2003, 185; vom VI R 164/00, BFH/NV 2003, 550).

b) In die häusliche Sphäre eingebunden ist ein Arbeitszimmer regelmäßig dann, wenn es sich in einem Raum befindet, der zur privat genutzten Wohnung bzw. zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehört (, BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7, 8; in BStBl II 2003, 185, und in BFH/NV 2003, 550). Dies betrifft nicht nur die eigentlichen Wohnräume, sondern ebenso Zubehörräume (Abstell-, Keller- und Speicherräume etc.). Kann hingegen ein als Arbeitszimmer genutzter Raum nicht der privaten Wohnung bzw. dem Wohnhaus des Steuerpflichtigen zugerechnet werden, so ist er in der Regel auch kein ”häusliches” Arbeitszimmer.

In diesem Sinne hat der Senat die ”Häuslichkeit” eines Arbeitszimmers im Keller des von einem Steuerpflichtigen und seiner Familie bewohnten Einfamilienhauses grundsätzlich bejaht (BFH-Urteil in BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139). Das Gleiche gilt für ein Arbeitszimmer in einem Anbau zum Einfamilienhaus, der nur vom straßenabgewandten Garten aus betreten werden kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 550), und für ein Arbeitszimmer im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses (, zur Veröffentlichung bestimmt).

c) Wohnt der Steuerpflichtige in einem Mehrfamilienhaus und nutzt er eine zusätzliche Wohnung, die an die Privatwohnung angrenzt bzw. dieser auf derselben Etage unmittelbar gegenüberliegt, als Arbeitszimmer, so wird durch die unmittelbare räumliche Nähe eine innere, ”häusliche” Verbindung mit der privaten Lebenssphäre begründet.

aa) Zwar erschöpft sich der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG verwendete Begriff ”häuslich” dem allgemeinen Wortsinn nach nicht in Formulierungen wie ”räumlicher Zusammenhang”, ”bauliche Einheit” oder ”in demselben Gebäude”. Er setzt vielmehr eine innere Verbindung mit der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen voraus. Eine solche innere Verbindung liegt bei einem Mehrfamilienhaus nicht allein deshalb vor, weil sich eine als Arbeitszimmer genutzte Wohnung in demselben Haus und unter demselben Dach wie die Privatwohnung des Steuerpflichtigen befindet.

Grenzt jedoch die zusätzliche Wohnung direkt an die Privatwohnung an bzw. liegen beide auf derselben Etage einander unmittelbar gegenüber, ist der sich hieraus ergebende Unterschied zu einem in der Wohnung befindlichen Arbeitszimmer nur geringfügig. Aufgrund der unmittelbaren räumlichen Nähe ist in diesem Fall auch die notwendige innere Verbindung mit der Privatwohnung zu bejahen. Die als Arbeitszimmer genutzte Wohnung ist daher der häuslichen Sphäre zuzurechnen.

bb) Sinn und Zweck der Abzugsbeschränkung bestätigen diese Auslegung des Begriffs ”häuslich”.

Die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG dient der typisierenden Begrenzung von Aufwendungen, die eine Berührung mit dem privaten Lebensbereich des Steuerpflichtigen aufweisen und damit in einer Sphäre anfallen, die einer sicheren Nachprüfung durch Finanzverwaltung und Finanzgerichte entzogen ist (, BFHE 181, 305, BStBl II 1997, 68, 70; vom VI R 4/97, BFHE 184, 532, BStBl II 1998, 351, 353; in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7, 8; in BFH/NV 2003, 550). Es handelt sich hierbei (auch) um eine Regelung zur Missbrauchsabwehr (BFH-Urteile in BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139; in BFH/NV 2003, 550).

Aus diesem Grund werden ein Raum bzw. eine Wohnung, die der Steuerpflichtige als Arbeitszimmer nutzt, jedenfalls dann von der Typisierung (noch) erfasst, wenn sie an die Privatwohnung unmittelbar angrenzen. Denn die Möglichkeit, Kosten der privaten Lebensführung in den beruflichen oder betrieblichen Bereich zu verlagern, ist in diesem Fall nur unwesentlich geringer als bei einem Arbeitszimmer, das sich in der Wohnung des Steuerpflichtigen befindet (so auch Söhn in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. Lb 68; Meurer in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. 713; Blümich/Thürmer, Einkommensteuergesetz, § 9 Rz. 567 j; Urban, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1996, 229, 230; teilweise a.A.: Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 392; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 19 Rz. 60, Stichwort Arbeitszimmer; Hartz/Meeßen/Wolf, Lohnsteuer, Stichwort Arbeitszimmer, Tz. 56).

cc) Dieses Verständnis stellt keine, wie das FG meint, steuerverschärfende Analogie dar, sondern eine am Wortlaut sowie am Sinn und Zweck der Abzugsbeschränkung orientierte Auslegung des Begriffs ”häuslich”.

3. Unzutreffend ist das vorinstanzliche Urteil darüber hinaus auch in Bezug auf die Auslegung des Mittelpunktbegriffs in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG.

Den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung eines Steuerpflichtigen bildet das häusliche Arbeitszimmer dann, wenn dort die für den ausgeübten Beruf wesentlichen und prägenden Handlungen vorgenommen und Leistungen erbracht werden (”qualitativer” Mittelpunkt - , Deutsches Steuerrecht —DStR— 2003, 586; VI R 104/01, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst —DStRE— 2003, 520; VI R 28/02, DStRE 2003, 517).

4. Das vorinstanzliche Urteil war aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist.

a) Unter Würdigung aller Gesamtumstände des Streitfalles stellt das Arbeitszimmer des Klägers in der zusätzlich angemieteten Wohnung ein ”häusliches” Arbeitszimmer im Sinne der Abzugsbeschränkung dar. Es befindet sich in einer Wohnung, die der Privatwohnung unmittelbar gegenüberliegt, und ist daher der häuslichen Sphäre zuzurechnen.

b) Das Arbeitszimmer bildet auch nicht den Betätigungsmittelpunkt des Klägers als Lehrer. Die für diesen Beruf wesentlichen und prägenden Leistungen werden regelmäßig in der Schule erbracht (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 184, 532, BStBl II 1998, 351). Dass dies im Fall des Klägers aufgrund besonderer Umstände anders wäre, hat das FG nicht festgestellt. Insbesondere handelt es sich hierbei auch nicht um eine geringfügige Nebentätigkeit (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 72
BB 2003 S. 1270 Nr. 24
BB 2003 S. 1367 Nr. 26
BFH/NV 2003 S. 988
BFH/NV 2003 S. 988 Nr. 7
BStBl II 2004 S. 72 Nr. 2
DB 2003 S. 1257 Nr. 23
DStR 2003 S. 974 Nr. 24
DStRE 2003 S. 831 Nr. 13
FR 2003 S. 786 Nr. 15
KÖSDI 2003 S. 13750 Nr. 6
PAAAA-71918