BGH Urteil v. - 1 StR 79/18

Besonders schwerer Fall des Diebstahls: Begriff der Schutzvorrichtung gegen Wegnahme; Sicherung von Waren in Kaufhäusern durch Sicherheitsetiketten und Sicherungsspinnen

Gesetze: § 242 Abs 1 StGB, § 243 Abs 1 S 2 Nr 2 StGB

Instanzenzug: LG Tübingen Az: 25 Ss 31/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision, mit der sie eine deutlich höhere Strafe erstrebt. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass die Strafkammer die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB verneint und sodann auch einen unbenannten besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB abgelehnt hat.

2Ihr Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3Nach den Urteilsfeststellungen beschlossen der Angeklagte und der Mitangeklagte Al.    , im Elektronikfachmarkt von der Aktionsware ein Tablet der Marke Samsung Galaxy Tab 6 zu entwenden. Um die ca. 18 × 30 cm große Verpackung waren Elektrodrähte angebracht (sog. Sicherungsspinne). Bei Durchtrennen der Drähte oder Passieren des Kassenbereichs löst die Sicherungsvorrichtung ein Alarmsignal aus.

4Der Angeklagte entfernte mit einer von ihm gewohnheitsmäßig als Drogenutensil verwendeten 3,2 cm langen und in einem Bereich von 2 cm scharfgeschliffenen Skalpellklinge die Sicherungsspinne an der Verpackung des Tablets. Anschließend entnahm der Mitangeklagte Al.      das Tablet aus der Verpackung und steckte es unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er in einem Gang des Marktes ab.

5Der Angeklagte wollte nun auch ein Tablet für sich haben. Deshalb begaben sich beide erneut zu der Aktionsware. Der Mitangeklagte Al.    nahm ein weiteres Tablet desselben Modells, bei dem sich allerdings die Sicherungsspinne ohne Werkzeugeinsatz entfernen ließ. Zusammen mit dem verpackten Tablet gingen die Angeklagten in die DVD-Abteilung. Absprachegemäß deckte der Angeklagte den Mitangeklagten Al.     ab, während dieser versuchte, die Verpackung zu öffnen. Da er das Siegel nicht entfernen konnte, nahm er sein Taschenmesser, von dem der Angeklagte keine Kenntnis hatte, aus der Hosentasche, schnitt das Siegel auf, riss die Verpackung auf und steckte das Tablet ebenfalls unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er zu den DVDs. Anschließend gingen beide in Richtung Ausgang und verließen ohne zu bezahlen den Markt.

6Die Strafkammer hat das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB nicht für gegeben erachtet, weil die Sicherungsspinne in ihrer Funktionsweise den an Kleidungsstücken verwendeten Sicherungsetiketten gleiche, also nicht den Gewahrsam des Berechtigten gegen den Bruch durch einen Unbefugten sichern solle, sondern der Wiedererlangung des Gewahrsams diene, der bereits an den Täter verloren gegangenen war.

7Einen unbenannten besonders schweren Fall i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB hat die Strafkammer nach einer umfassenden Gesamtabwägung der zu Gunsten und zulasten des Angeklagten sprechenden Umstände abgelehnt.

II.

8Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der Strafzumessung ist möglich, ohne dass der Schuldspruch hiervon berührt wird.

III.

9Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

10Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen dem Revisionsgericht keine Prüfung ermöglichen, ob die Strafkammer das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall des Diebstahls in der Regel dann vor, wenn der Täter eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist. Die Schutzvorrichtung muss tatsächlich funktionsfähig und aktiviert sein. Deshalb ist ein offenes Schloss oder ein geöffneter Tresor keine Schutzvorrichtung gegen Wegnahme (z.B. ; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 243 Rn. 16a; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 243 Rn. 29).

11Schutzvorrichtungen i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB sind - wie das als Beispiel erwähnte Behältnis - solche, die nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Nicht ausreichend ist es, wenn die Schutzvorrichtung erst wirksam wird, wenn der Gewahrsam bereits gebrochen ist. Deshalb sind Sicherheitsetiketten an Waren in Kaufhäusern, die akustischen oder optischen Alarm erst auslösen, wenn der Täter das Kaufhaus verlässt, keine Schutzvorrichtungen. Sie sind nicht dazu geeignet und bestimmt, den Gewahrsamsbruch, der bei handlichen und leicht beweglichen Sachen in der Regel mit dem Verbergen des Diebesguts in der Kleidung des Täters oder in einem von diesem mitgeführten Behältnis innerhalb des Kaufhauses vollendet ist (vgl. hierzu z.B. , Vollendung des Diebstahls durch Einstecken des Notebooks in den mitgeführten Jute-Beutel; Urteil vom - 3 StR 200/74, BGHSt 26, 24, 25 f.; Fischer, aaO, Rn. 16 und § 242 Rn. 18 mwN; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 29. Aufl., § 243 Rn. 25), zu verhindern, sondern sie dienen der Wiederbeschaffung des bereits an den Täter verlorenen Gewahrsams ( - 98/97 II, NJW 1998, 1002; , NStZ 1985, 76; OLG Frankfurt, Beschluss vom - 3 Ss 396/92, MDR 1993, 671, 672).

12Hat die Sicherungsspinne bei Durchtrennen mit dem Skalpell keinen Alarm ausgelöst, weil sie defekt oder nicht aktiviert war, handelt es sich nicht um eine Schutzvorrichtung i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Ob dies der Fall war oder die Sicherungsspinne ohnehin erst beim Verlassen des Elektronikfachmarkts Alarm ausgelöst hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Hätte sie erst beim Verlassen des Markts Alarm ausgelöst, ist sie in der Funktionsweise den Sicherungsetiketten vergleichbar. Hat sie aber bereits beim Durchtrennen der Drähte Alarm ausgelöst, ist zu prüfen, ob diese Funktion bereits den Bruch des Gewahrsams erschwert. So sind Einbruchsmelder an Gebäuden oder Autoalarmanlagen Schutzvorrichtungen, da sie dazu dienen, den Gewahrsamswechsel durch Alarmierung hilfsbereiter Dritter zu erschweren (Vogel, aaO, § 243 Rn. 30). Allerdings kann bei kleineren Gegenständen im Kaufhaus der Gewahrsamsbruch bei Ertönen des Alarmsignals bereits vollzogen sein oder noch vollzogen werden; denn es macht das Personal nur auf eine stattgefundene Manipulation oder einen erfolgten Gewahrsamsbruch aufmerksam. Das Personal kann, wenn es ihm gelingt, den Täter rechtzeitig zu erkennen und zugriffsbereite Personen vorhanden sind, Maßnahmen zu dessen Ergreifung und Wiedererlangung des Gegenstands einleiten.

13Der Senat hebt auch die Feststellungen zum Strafausspruch insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

IV.

14Der neue Tatrichter wird, soweit erneut die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht kommen sollte, zu bedenken haben, dass zunächst unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters das Nettoeinkommen zu bestimmen ist, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB). Zum Einkommen gehört auch die vom Jobcenter bezahlte Miete als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten (vgl. MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 100). Von den anzurechnenden Einkünften sind jedenfalls damit zusammenhängende Ausgaben (wie z.B. Werbungskosten und Betriebsausgaben, Sozialversicherungsbeiträge) abzuziehen; außergewöhnliche Belastungen sind in der Regel ebenfalls zu berücksichtigen (Radtke, aaO, § 40 Rn. 65 ff.), nicht aber Stromkosten als allgemeine Lebenshaltungskosten. Ratenzahlungen für Rechtsanwaltskosten und Verurteilungen zu Geldstrafen sind Anlass dafür, Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu prüfen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:260618U1STR79.18.0

Fundstelle(n):
HAAAG-95514