BGH Beschluss v. - I ZB 68/17

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs bei von Parteivortrag abweichenden Schlüssen des Gerichts

Gesetze: § 83 Abs 3 Nr 3 MarkenG, § 83 Abs 3 Nr 6 MarkenG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: 26 W (pat) 63/14 Beschlussnachgehend Az: I ZB 68/17 Beschluss

Gründe

1I. Für die Markeninhaberin ist am die dreidimensionale Marke Nr. 395 08 178

für Waren der

Klasse 32: alkoholfreie Getränke, Fruchtgetränke, Fruchtsäfte und Fruchtnektare

eingetragen worden.

2Die Antragstellerin hat am die Löschung der Marke beantragt. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die Marke mit Beschluss vom gelöscht. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Markeninhaberin hat das Bundespatentgericht zurückgewiesen ( 26 W [pat] 63/14, juris).

3Hiergegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde, mit der sie die Versagung rechtlichen Gehörs und eine mangelnde Begründung der Entscheidung rügt.

4II. Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, der Marke stehe das Schutzhindernis der technisch bedingten Form entgegen. Allen wesentlichen Merkmalen der angegriffenen Verpackungsform,

1. aufrecht stehender Beutel,

2. mit flachen Kanten an den Seiten und am oberen Rand,

3. mit einem oval aufgefalteten Boden,

4. mit bauchiger Wölbung, nach unten leicht verjüngend,

5. mit in der Seitenansicht keilförmig nach oben spitz zulaufenden Seiten,

6. aus flexiblem, undurchsichtigen Material,

seien technische Wirkungen zuzuschreiben. Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin stellten die geraden Seitenränder kein wesentliches Gestaltungsmerkmal der Marke dar. Selbst wenn diese ein wesentliches Merkmal und nichtfunktional wären, handelte es sich nicht um ein dekoratives oder phantasievolles Element, das für die Form der Verpackungsformmarke von Bedeutung wäre. Wegen der Offenkundigkeit der dargestellten technischen Sachverhalte habe keine Veranlassung für eine Beweiserhebung durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bestanden. Der Senat habe die fraglichen Merkmale aus eigener Sachkunde beurteilen können.

5III. Die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin hat keinen Erfolg.

61. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig (§§ 83, 85 MarkenG). Ihre Statthaftigkeit folgt daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die Rechtsbeschwerde beruft sich auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG) und auf einen Begründungsmangel (§ 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG). Diese Rügen hat die Rechtsbeschwerde im Einzelnen begründet. Auf die Frage, ob die erhobenen Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels nicht an (st. Rspr.; vgl. nur , GRUR 2014, 1232 Rn. 6 = WRP 2015, 53 - S-Bahn, mwN; Beschluss vom - I ZB 17/17, juris Rn. 7).

72. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Weder ist der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt noch leidet die angegriffene Entscheidung an einem Begründungsmangel.

8a) Der Markeninhaberin wurde nicht das rechtliche Gehör im Sinne von § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG versagt.

9aa) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommt deshalb erst in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass tatsächliches Vorbringen von Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht eingeht, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1584 f. mwN). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs ist hingegen nicht verletzt, wenn das Gericht den Parteivortrag zwar zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, jedoch andere rechtliche Schlüsse daraus gezogen hat als die vortragende Partei (vgl. BVerfG, FamRZ 2013, 1953 Rn. 14). Das Verfahren der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde dient nicht der Überprüfung, ob die Entscheidung des Bundespatentgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlerfrei ist (vgl. , GRUR 1999, 500, 501 [juris Rn. 11] - DILZEM; Beschluss vom - I ZB 48/96, GRUR 2000, 53, 54 [juris Rn. 31] - SLICK 50; Beschluss vom - I ZB 53/08, GRUR 2009, 992 Rn. 17, 23 = WRP 2009, 1104 - Schuhverzierung; Beschluss vom - I ZB 68/10, GRUR 2012, 314 Rn. 14 - Medicus.log; Beschluss vom - I ZB 17/17, juris Rn. 9). Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung.

10bb) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Bundespatentgericht habe Sachvortrag der Markeninhaberin zum Gestaltungsmerkmal der geraden Seitenkanten unberücksichtigt gelassen. Die Markeninhaberin habe belegt, dass durch einen unterschiedlichen Verlauf der Kanten auch der Gesamteindruck der Verpackungsform entscheidend verändert werde. Die Kontur der dreidimensionalen Form werde durch die gerade umlaufenden Seitenkanten bestimmt. Sie habe ferner darauf hingewiesen, dass die geraden Seitenkanten die Form der Marke wesentlich beeinflusse, weil sich durch die Veränderung des Verlaufs der Seitenkanten auch die Form der Marke verändere. Die Gehörsverletzung sei entscheidungserheblich. Die Erwägungen des Bundespatentgerichts zur Gestaltung der gerade umlaufenden Seitenkanten seien tragend, weil es selbst klargestellt habe, dass es seine Entscheidung nicht auf den Gesichtspunkt der Vorteile bei der Herstellung im Rahmen der technischen Bedingtheit stütze. Damit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

11Das Bundespatentgericht hat den Vortrag der Markeninhaberin zu den geraden Seitenkanten im Tatbestand wiedergegeben, sich damit in den Entscheidungsgründen explizit und unter Bezugnahme auf die von der Markeninhaberin zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (, GRUR 2010, 1008 = WRP 2010, 1359 - Lego) auseinandergesetzt und das Merkmal der geraden Kanten im Ergebnis als nicht für die Form von Bedeutung angesehen. Das Bundespatentgericht hat danach den Vortrag der Markeninhaberin gewürdigt, ihn im Ergebnis aber nicht als durchgreifend angesehen. Dem Gebot der Wahrung rechtlichen Gehörs ist damit Genüge getan. Überdies wäre die gerügte Gehörsverletzung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht entscheidungserheblich; die Ausführungen zum mangelnden ästhetischen Überschuss der geraden Seitenkanten sind nur hilfsweise erfolgt. Das Bundespatentgericht hat festgestellt, dass schon gar nicht erkannt werden kann, ob der abgebildete Beutel tatsächlich gerade Seitenkanten aufweist. Es hat deshalb dieses Merkmal als nicht wesentlich eingestuft. Diese Beurteilung alleine trägt die Entscheidung, dass auf einen geraden Verlauf der Seitenkanten nicht abzustellen ist.

12cc) Ebenfalls ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Bundespatentgericht übergehe den insbesondere auf die Kontur der dreidimensionalen Marke gerichteten Sachvortrag der Markeninhaberin bei seiner Annahme, die viereckige Form sei kein wesentliches Merkmal. Unabhängig davon, ob die Rechtsbeschwerde damit übergangenen Sachvortrag zur viereckigen Form hinreichend darlegt, führt diese Rüge nicht zum Erfolg. Das Bundespatentgericht hat sich mit der Frage der viereckigen Form auseinandergesetzt. Der Umstand, dass es zu einem von der Auffassung der Markeninhaberin abweichenden rechtlichen Ergebnis kommt, begründet keine Gehörsverletzung.

13dd) Die Rechtsbeschwerde rügt eine weitere Gehörsverletzung dadurch, dass das Bundespatentgericht den Antrag der Markeninhaberin, ein Sachverständigengutachten zur Frage der technischen Bedingtheit der geraden Seitenkanten einzuholen, abgelehnt habe. Das Bundespatentgericht habe nicht dargetan, dass seine Mitglieder über besondere technische Qualifikationen verfügten. Es habe zudem technische Fakten unzutreffend bewertet und die herangezogenen Druckschriften falsch verstanden. Das Bundespatentgericht sei zu Unrecht von einer hinreichenden eigenen Sachkunde ausgegangen.

14(1) Mit dieser Rüge kann die Rechtsbeschwerde schon mangels Entscheidungserheblichkeit keinen Erfolg haben. Auf die Frage der technischen Bedingtheit der geraden Seitenkanten, auf die der Beweisantrag gerichtet war, kam es nicht an. Die geraden Seitenkanten bildeten nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts bereits kein wesentliches Merkmal der Streitmarke.

15(2) Überdies bietet der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird; die Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1655 [juris Rn. 15]). Das Prozessrecht gebot hier aber nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Entscheidung über die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Danach bedarf es eines Sachverständigen nicht, wenn das Gericht aufgrund der Vorbereitung des Prozessstoffs durch die Parteien und seiner eigenen langjährigen Erfahrung mit entsprechenden Verfahren selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt (vgl. , GRUR 2002, 957 [juris Rn. 13] = WRP 2002, 1184 - Zahnstruktur, mwN; Beschluss vom - I ZB 12/04, GRUR Int. 2006, 765 Rn. 21 = WRP 2006, 900 - Rasierer mit drei Scherköpfen; BeckOK.Markenrecht/Koch, Stand: , § 83 MarkenG Rn. 46; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 44 Rn. 24, 28).

16Danach ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ersichtlich. Das Bundespatentgericht ist in den Gründen seiner Entscheidung auf das Vorbringen der Markeninhaberin eingegangen. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen hat es erörtert, aufgrund des Umstands, dass es sich bei der Streitmarke um einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs handelt, sowie der überschaubaren technischen Fakten aber für entbehrlich gehalten. Dass das Bundespatentgericht dabei die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, überschritten hat, weil es sich eine Sachkunde zutraute, über die es nicht verfügen konnte, ist nicht ersichtlich. Soweit die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang die Sachkunde des Markenbeschwerdesenats in Zweifel zieht, setzt sie im Ergebnis lediglich ihre eigene rechtliche und technische Bewertung an die Stelle des Bundespatentgerichts.

17b) Die angegriffene Entscheidung leidet auch nicht unter einem Begründungsmangel im Sinne von § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG.

18aa) Die Vorschrift des § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG soll allein den Anspruch der Beteiligten auf Mitteilung der Gründe sichern, aus denen ihr Rechtsbegehren keinen Erfolg hat. Es kommt deshalb nur darauf an, ob erkennbar ist, welcher Grund für die Entscheidung maßgebend gewesen ist; dies kann auch bei lückenhafter und unvollständiger Begründung der Fall sein. Nicht entscheidend ist, ob die Beurteilung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht fehlerfrei ist (vgl. BGH, GRUR 2000, 53, 54 [juris Rn. 19, 21] - SLICK 50, mwN; GRUR 2009, 992 Rn. 25 - Schuhverzierung). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Entscheidungsgründe nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG in Verbindung mit § 313 Abs. 3 ZPO nur eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen enthalten müssen (vgl. , GRUR 2005, 258, 259 [juris Rn. 15] = WRP 2005, 99 - Roximycin). Dem Erfordernis einer Begründung ist daher schon dann genügt, wenn die Entscheidung zu jedem selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittel Stellung nimmt (BGH, GRUR 2009, 992 Rn. 25 - Schuhverzierung, mwN).

19bb) Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss.

20Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Begründung zur technischen Bedingtheit von Merkmal 2 hinreichend nachvollziehbar. Das Bundespatengericht hat ausgeführt, die flachen Kanten an den Seiten und am oberen Rand dienten dem sicheren Verschluss und seien mithin technisch bedingt. Soweit die Markeninhaberin darauf abstelle, dass nicht die Kanten, sondern die Schweißnähte das Austreten der Flüssigkeit verhinderten, seien aber nur Kanten, keine Schweißnähte als wesentliche Merkmale erkennbar. Diese Ausführungen sind unschwer dahingehend zu verstehen, dass die vom Bundespatentgericht als "flache Kanten" qualifizierten Abschlüsse des Getränkebeutels tatsächlich die Schweißnähte sind, mithin deren technische Funktion erfüllen. Bei der visuellen Darstellung der dreidimensionalen Marke sind die Schweißnähte allerdings nicht als solche, sondern nur als "flache Kanten" erkennbar. Darauf, ob diese Begründung richtig ist, kommt es im Rahmen des § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG nicht an. Der Markeninhaberin ist es auch verwehrt, auf diesem Weg eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG zu rügen. Die in § 83 Abs. 3 MarkenG aufgeführten Verfahrensmängel, die die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde begründen, sind abschließend (, GRUR 2008, 1027 Rn. 24 = WRP 2008, 1438 - Cigarettenpackung).

21Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde einen Begründungsmangel in Bezug auf das Merkmal 5, wonach in der Seitenansicht die Seiten des Beutels keilförmig nach oben spitz zulaufen. Nach der Auffassung des Bundespatentgerichts ergibt sich dieses Merkmal zwangsläufig durch die flache Kante im oberen Bereich und den ovalen Boden im unteren Bereich nach Einfüllen der Flüssigkeit. In Kombination mit der im befüllten Zustand des Beutels entfalteten Standfläche entstehe notwendigerweise eine dreieckige Silhouette. Mit der Behauptung, diese Begründung lasse nicht erkennen, warum das Merkmal zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei, rügt die Rechtsbeschwerde nur vordergründig eine mangelnde Begründung. Im Kern greift sie damit in unzulässiger Weise die rechtliche Würdigung des Bundespatentgerichts an.

22Die von der Rechtsbeschwerde gerügte Erörterung eingetragener Drittmarken lässt keinen Begründungsmangel im Sinne von § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG erkennen, zumal bei Voreintragungen weder eine Bindungswirkung noch eine Indizwirkung gegeben ist (vgl. , GRUR 2008, 1093 Rn. 18 = WRP 2008, 1428 - Marlene-Dietrich-Bildnis I; vgl. zu § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG , GRUR 2011, 230 Rn. 12 = WRP 2011, 347 - SUPERgirl).

23IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Abs. 2 Satz 1 MarkenG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:090518BIZB68.17.0

Fundstelle(n):
XAAAG-93812