BFH Beschluss v. - V B 226/02

Besitz der Originalrechnung als Voraussetzung des Vorsteuerabzugs oder späterer Nachweis mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln; Rüge unterlassener Zeugenvernehmung

Gesetze: UStG § 15; FGO § 115

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen auf dem Gebiet der Fleischzerlegung sowie der Umpack- und Verladearbeiten von Fleisch und anderen Lebensmitteln.

Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, dass sich unter den vorgelegten Sachkonten ein Konto ”Fremdleistungen” befand; hierunter waren Leistungen von Subunternehmern gebucht worden, deren sich die Klägerin zur Erledigung und Durchführung ihrer Aufträge bedient hatte. Die diesbezüglichen Abrechnungsunterlagen einschließlich der Rechnungen dieser Subunternehmer (Fa. A, B und C) sind der Klägerin nach Auskunft ihres Geschäftsführers infolge eines Einbruchs in die Geschäftsräume am 17./ abhanden gekommen. Das von der Staatsanwaltschaft diesbezüglich eingeleitete Strafverfahren ist inzwischen eingestellt worden.

Bei der Veranlagung der Klägerin zur Umsatzsteuer für die Jahre 1997 bis 1999 versagte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Subunternehmer.

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Vor dem Finanzgericht (FG) trug sie vor, für den sei ein Besprechungstermin mit dem FA anberaumt gewesen; hierfür hätte man die Geschäftsunterlagen einschließlich der Rechnungen vorgehalten. Von Seiten des FA sei dann um eine Verlegung des Gesprächstermins auf Montag, den gebeten worden. Am sei die Herausgabe der Rechnungen wegen des Diebstahls nicht mehr möglich gewesen. Dieser Umstand könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, da das FA es selbst versäumt habe, die angebotenen Unterlagen am einzusehen. Da sie (die Klägerin) den ”Zahlungsverkehr” mit ihren Subunternehmern ausschließlich gegen Barzahlung abgewickelt habe, habe sie auch keine Kenntnis von den Anschriften der Subunternehmer, um Zweitrechnungen erstellen zu lassen. Für die ”Abwicklung” der Leistungen der Subunternehmer sei bei ihr der Mitarbeiter S zuständig gewesen, der sich infolge einer Gedächtnisschwäche wegen drei Schlaganfällen nicht mehr an die Identität der Subunternehmer erinnern könne; die diesbezüglichen schriftlichen Unterlagen seien sämtlich bei dem Einbruch abhanden gekommen. Die Steuerberaterin G könne jedoch als Zeugin bekunden, dass die Originalunterlagen für die kontierten ”Fremdleistungen” und damit auch die Originalrechnungen der Subunternehmer bei Erstellung der Bilanzen 1997 bis 1999 vorgelegen hätten.

Die Klägerin hatte mit ihrem Vorbringen keinen Erfolg; das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte das FG aus: Die Vorlage der Rechnung sei materiell-rechtliche Voraussetzung für die Vorsteuerabzugsberechtigung. Die Klägerin habe die Rechnungen für die behaupteten Subunternehmerleistungen nicht vorgelegt. Aus dem Umstand, dass das FA um Verlegung des zunächst anberaumten Termins vom auf den gebeten habe, ergebe sich nichts Gegenteiliges. Es gebe insoweit keine Umkehr der Beweislast; die zivilrechtlichen Regelungen des ”Annahmeverzugs” könnten im Umsatzsteuerrecht nicht entsprechend angewendet werden. Vielmehr sei die Klägerin nach wie vor darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des § 15 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG). Es obliege der Klägerin, sich im Falle des Verlustes der Originalrechnungen Zweitschriften der Rechnungen zu besorgen. Sofern sie dazu nicht in der Lage sei, gehe dies zu ihren Lasten. Ob der angebotene Zeugenbeweis (Steuerberaterin G) ein zulässiges Beweismittel sei, könne dahinstehen. Jedenfalls sei das Gericht an der Vernehmung der Zeugin gehindert gewesen, da die Klägerin deren ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt habe.

Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde.

Die Beschwerde hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am , nach Ablauf der Begründungsfrist () begründet. Nachdem er von der Geschäftsstelle des Senats auf die Verspätung aufmerksam gemacht worden ist, beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, er sei am plötzlich und unvorhersehbar an einem akuten Magen- und Darmkatarr erkrankt und habe deshalb die von ihm notierte Begründungsfrist versäumt. Sachlich begründet er die Beschwerde wie folgt:

"1. Die streitbefangene Sache hat grundsätzliche Bedeutung.

Es bedarf höchstrichterlicher Entscheidung darüber, dass im Umsatzsteuerrecht die zivilrechtlichen Regelungen des Annahmeverzugs mit der Folge der Umkehr der Beweislast analoge Anwendung bei der Darlegungs- und Beweispflicht für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 UStG finden.

2. Die streitbefangene Sache bedarf höchstrichterlicher Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung darüber, dass im Rahmen erteilter Werkverträge der vom Unternehmer an den Subunternehmer gezahlte Werklohn nicht nach Lohnsteuergesichtspunkten zu bewerten ist, sondern ”Betriebsausgaben” darstellt und somit der Körperschaftsteuer unterliegt.

3. In der streitbefangenen Sache bedarf es höchstrichterlicher Feststellung, dass das Erstgericht verfahrensfehlerhaft entschieden hat, indem es im schriftlichen Verfahren entscheidet und sich in seiner Entscheidung darauf beruft, an der Vernehmung der Zeugin gehindert worden zu sein, obwohl das Erstgericht den gerichtlichen Hinweis über das Fehlen der Zeugenanschrift nicht erteilt hat.”

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde ist zu begründen; in der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).

a) Entgegen der Ansicht der Klägerin bedarf es keiner höchstrichterlichen Entscheidung darüber, dass im Umsatzsteuerrecht die zivilrechtlichen Regelungen des Annahmeverzugs mit der Folge der Umkehr der Beweislast analoge Anwendung bei der Darlegungs- und Beweispflicht für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 UStG finden. Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass der Steuerpflichtige bei Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Besitz der Originalrechnung gewesen sein muss und dass er den Nachweis, dass diese Voraussetzung erfüllt war, durch Vorlage der Originalrechnung oder mit allen sonstigen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen kann; die objektive Beweislast trägt der Steuerpflichtige (, BFHE 182, 440, BStBl II 1997, 582). Die verfahrensrechtlich zulässigen Beweismittel ergeben sich aus der FGO und nicht aus den ”zivilrechtlichen Regelungen des Annahmeverzugs”.

b) Im Streitfall bedarf es auch keiner höchstrichterlichen Entscheidung darüber, dass im Rahmen erteilter Werkverträge der vom Unternehmer an den Subunternehmer gezahlte Werklohn nicht nach Lohnsteuergesichtspunkten zu bewerten ist, sondern ”Betriebsausgaben” darstellt und somit der Körperschaftsteuer unterliegt. Im Streitfall sind nur Fragen zum Vorsteuerabzug im Umsatzsteuerrecht klärbar und keine körperschaftsteuerrechtlichen oder lohnsteuerrechtlichen Fragen.

c) Die Revision ist auch nicht wegen des von der Klägerin gerügten Verfahrensmangels zuzulassen.

Wird als Verfahrensmangel gerügt, dass das FG einen angebotenen Zeugenbeweis nicht erhoben hat, so setzt die schlüssige Darlegung dieses Verfahrensmangels u.a. den Vortrag voraus, dass die Nichterhebung der Beweise —sofern der Beschwerdeführer im finanzgerichtlichen Verfahren sachkundig vertreten war— rechtzeitig gerügt worden ist oder auf Grund des Verhaltens des FG nicht mehr rechtzeitig gerügt werden konnte; bei der Übergehung eines Beweisantrags handelt es sich nämlich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 32/00, BFH/NV 2001, 202, und vom III B 74/00, BFH/NV 2001, 1593). An diesem Vortrag fehlt es im Streitfall. Wie sich aus den Akten ergibt, hatte der Berichterstatter dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am geschrieben, die Vernehmung der Steuerberaterin G ergebe seines Erachtens keinen Sinn, da dieser sicherlich nicht mehr erinnerlich sei, welche Rechnungen ihr seinerzeit bei Erstellung der Bilanzen vorgelegen hätten. Danach (mit Schreiben vom ) hat der Prozessbevollmächtigte auf mündliche Verhandlung verzichtet und beantragt, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Prozessbevollmächtigte die Nichterhebung des Zeugenbeweises nach dem Schreiben des Berichterstatters vom gerügt hat und deshalb bei seinem Verzicht auf mündliche Verhandlung noch von einer Zeugenvernehmung ausgehen durfte.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1226
BFH/NV 2003 S. 1226 Nr. 9
KAAAA-70618