Online-Nachricht - Donnerstag, 02.08.2018

Zivilrecht | Beratungspflicht des Sozialhilfeträgers (BGH)

Der BGH hat sich mit der Frage befasst, welche Anforderungen an die Beratungspflicht des Trägers der Sozialhilfe gemäß § 14 Satz 1 SGB I zu stellen sind, wenn bei Beantragung von laufenden Leistungen der Grundsicherung wegen Erwerbsminderung (§§ 41 ff SGB XII) ein dringender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf erkennbar ist ().

Sachverhalt: Der schwerbehinderte Kläger nimmt den beklagten Landkreis als Sozialhilfeträger unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) wegen fehlerhafter Beratung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der 1984 geborene Kläger besuchte vom bis zum eine Förderschule für geistig Behinderte. Anschließend nahm er vom bis zum in einer Werkstatt für behinderte Menschen an berufsbildenden Maßnahmen teil. Da es ihm in der Folgezeit nicht möglich war, ein seinen Lebensbedarf deckendes Erwerbseinkommen zu erzielen, beantragte seine zur Betreuerin bestellte Mutter im Dezember 2004 bei dem Landratsamt laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (gültig bis zum ) beziehungsweise nach §§ 41 ff SGB XII (gültig ab dem ).

Nachdem die Mutter des Klägers im Jahr 2011 von einer (neuen) Sachbearbeiterin des Landratsamts des Beklagten erstmals darüber informiert worden war, dass der Kläger einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen voller Erwerbsminderung habe, bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund auf entsprechenden Antrag des Klägers eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung ab . In dem Rentenbescheid wurde unter anderem festgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen bereits seit dem erfüllt seien.

Der Kläger verlangt Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen der vom bis gewährten Grundsicherung und der ihm in diesem Zeitraum bei rechtzeitiger Antragstellung zustehenden Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der geltend gemachte Differenzschaden wäre nicht eingetreten, wenn die Bediensteten des Beklagten ihn beziehungsweise seine Betreuerin bereits im Jahr 2004 auf die Möglichkeit des Rentenbezugs hingewiesen hätte.

Hierzu führten die Richter des BGH u.a. weiter aus:

  • Ist anlässlich eines Kontakts des Bürgers mit einem anderen Sozialleistungsträger für diesen ein zwingender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf eindeutig erkennbar, so besteht für den aktuell angegangenen Leistungsträger auch ohne ein entsprechendes Beratungsbegehren zumindest die Pflicht, dem Bürger nahezulegen, sich (auch) von dem Rentenversicherungsträger beraten zu lassen (vgl. § 2 Abs. 2 Halbsatz 2, § 17 Abs. 1 SGB I).

  • Auf der Grundlage der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen bestand im vorliegenden Fall ein dringender Beratungsbedarf in einer wichtigen rentenversicherungsrechtlichen Frage. Dies war für die Grundsicherungsbehörde beziehungsweise das Sozialamt des Beklagten ohne weitere Ermittlungen eindeutig erkennbar.

  • Der zu 100 % schwerbehinderte Kläger hatte nach dem Besuch einer Förderschule für geistig Behinderte berufsbildende Maßnahmen erfolgreich absolviert und war anschließend in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig (versicherungspflichtige Beschäftigung). Er war jedoch auf Grund seiner Behinderung außerstande, seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln (Einkommen, Vermögen) zu bestreiten.

  • In einer solchen Situation musste ein mit Fragen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung befasster Sachbearbeiter des Sozialamts mit Blick auf die Verzahnung und Verknüpfung der Sozialleistungssysteme in Erwägung ziehen, dass bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze ein gesetzlicher Rentenanspruch wegen Erwerbsunfähigkeit bestehen konnte. Es war deshalb ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer Beratung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geboten.

Hinweis:

Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe für den geltend gemachten Zeitraum ein Rentenanspruch tatsächlich begründet war, so dass insoweit ergänzende Feststellungen zu treffen sind.

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 02.08.2018 (il)

Fundstelle(n):
NWB DAAAG-90427