BFH Beschluss v. - III B 123/02

Erhöhte InvZ für einen im August 1988 aus der DDR geflohenen Investor

Gesetze: InvZulG 1993 § 5 Abs. 2, § 7; AO § 8

Gründe

Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.

Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO).

Der Senat kann offen lassen, ob die grundsätzliche Bedeutung, insbesondere das erforderliche Allgemeininteresse an der Klärung der aufgeworfenen, bereits ausgelaufenes Recht betreffenden Rechtsfrage überhaupt entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden ist (vgl. dazu Beschlüsse vom III B 39/99, BFH/NV 2000, 1140, und vom III B 42/99, BFH/NV 2000, 1139).

Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) unterbreitete Frage, ob ein bedingter Rückkehrwille für die Beibehaltung eines Wohnsitzes illegal ausgereister DDR-Bürger in der ehemaligen DDR ausreiche, lässt sich anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung klären. Die Frage wäre überdies in einem künftigen Revisionsverfahren auch nicht klärbar.

1. a) Der Begriff des Wohnsitzes richtet sich auch für das Zulagenrecht nach § 8 der AbgabenordnungAO 1977— (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes —InvZulG— 1993; ferner , BFHE 198, 325, BStBl II 2002, 512, unter II. 1. der Gründe, betreffend den Begriff der Betriebsstätte i.S. von § 12 AO 1977).

Nach § 8 AO 1977 kommt es darauf an, ob der Betroffene im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Es muss sich um zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten handeln, die eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen entsprechende Bleibe darstellen. Entscheidend ist, ob objektiv erkennbare Umstände dafür sprechen, dass der Betroffene die Wohnung für Zwecke des eigenen Wohnens beibehält. Für die Beurteilung dieser Frage können alle Umstände des Einzelfalles herangezogen werden. Sie müssen nur nach der Lebenserfahrung den Schluss erlauben, dass der Betroffene die Wohnung hält, um sie als solche zu nutzen. Bei Auslandsaufenthalten kann der Umstand bedeutsam sein, ob der Betroffene nach Beendigung des Aufenthalts mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wohnung wieder ständig nutzen wird.

Die Beurteilung der Begleitumstände des Innehabens einer Wohnung liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet, so dass das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO an eine mögliche Würdigung gebunden ist, sofern nicht zulässige und begründete Verfahrensrügen dagegen erhoben worden sind (vgl. , BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447; vom VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, unter II. 4. der Gründe, und vom I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411). Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit, wann immer er es wünscht, als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. Entscheidend für die Begründung eines Wohnsitzes ist, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Wohnsitzbegriffes erfüllt sind; der bloße Wille des Betroffenen ist hingegen nicht entscheidend (, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182; Beschluss vom VI B 219/00, BFH/NV 2002, 311, 312; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 8 AO 1977 Tz. 12). Gleiches gilt hinsichtlich der Aufgabe des Wohnsitzes; auch insoweit ist ein entgegenstehender Wille unbeachtlich (Tipke/Kruse, a.a.O., § 8 AO 1977 Tz. 16; Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 8 AO 1977 Rz. 42; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 8 AO 1977 Rz. 38). Der Betroffene muss die Wohnung unter Umständen inne haben, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung in § 8 AO 1977 geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (Prognoseentscheidung). Eine nur vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Deshalb behält z.B. ein Auszubildender, der zu Studienzwecken auswärts untergebracht wird, seinen Wohnsitz im Elternhaus bei, soweit Bindung daran fortbesteht.

Ist ein Auslandsaufenthalt von vornherein zeitlich beschränkt und hat der Betroffene die Absicht, danach wieder an den bisherigen Wohnort zurückzukehren, so reicht dies allein nicht aus, um das Fortbestehen des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthaltes anzunehmen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt nämlich grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird (BFH-Urteile in BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182, und in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Der Inlandswohnsitz wird in derartigen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat, also am Ort des Auslandsaufenthaltes keinen Wohnsitz begründet, oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er jedoch nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt (BFH-Urteile in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; vom VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, unter II. 3. der Gründe).

Wer dauernd und langfristig im Ausland wohnt und sich nur gelegentlich im Urlaub oder zu Besuch in einer von Dritten (Eltern) unentgeltlich zur Verfügung gestellten Wohnung aufhält, hat keinen Wohnsitz mehr im Inland (, BFH/NV 2001, 1231, 1232).

b) Die Finanzgerichte (FG) haben den im Zulagenrecht nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a InvZulG 1993 maßgebenden Begriff des Wohnsitzes ebenfalls nach den oben dargestellten Grundsätzen ausgelegt und angewendet (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1996, 672, rkr., betreffend Ausweisung von ehemaligen DDR-Bürgern im Mai 1989; 4015/96, EFG 1999, 450, rkr., Republikflucht im Oktober 1989; , EFG 2000, 191, rkr., betreffend legale Ausreise unter Aufgabe der Staatsbürgerschaft der DDR und Verkauf eines Miteigentumsanteils an einem bislang eigengenutzten Zweifamilienhaus). Lediglich das FG Brandenburg hat im Urteil vom 3 K 1163/94 I (EFG 1996, 191, rkr.) gegenteilig entschieden. Es hat dabei auf Indizien abgehoben, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als unerheblich angesehen werden, so auf die Bereithaltung des früheren, mit dem Bruder geteilten Zimmers durch die Eltern und auf den Rückkehrwillen. Zusätzlich hat es aber auf die besonderen Umstände in jenem Fall abgestellt, dass nämlich der Vater des illegal ausgereisten Sohnes bereits kurz danach die Möglichkeiten einer Rückkehr bei verschiedenen staatlichen Stellen der DDR erfragt hat.

2. Das FG ist im Übrigen im angefochtenen Urteil nach dem unter Ziff. 1 dargestellten Maßstab unter Würdigung aller im konkreten Fall danach bedeutsamen Umstände zu dem vertretbaren Schluss gelangt, dass der Mitgesellschafter L mit seiner Flucht aus der DDR im August 1988 seinen Wohnsitz in der ehemaligen DDR endgültig aufgegeben hatte. Zu Recht hat das FG hervorgehoben, dass insbesondere die politischen Verhältnisse im Zeitpunkt der Flucht sowohl gegen eine Rückkehrmöglichkeit als auch eine Rückkehrabsicht in absehbarer Zeit sprachen. Sog. Republikflucht war strafbar. Sog. Flüchtlingsvermögen wurde unter staatliche Verwaltung gestellt und bewegliche Vermögenswerte wurden regelmäßig veräußert unter Abführung des Erlöses an die Staatskasse (vgl. DDR-Handbuch, herausgegeben vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 3. Aufl., 1985, Stichworte ”Republikflucht” und ”Flüchtlingsvermögen”).

Von dieser Würdigung wäre mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen in einem künftigen Revisionsverfahren auszugehen. Selbst wenn die aufgeworfene Frage im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, dass nämlich im Hinblick auf die besonderen politischen Verhältnisse in der ehemaligen DDR und den erwarteten oder voraussehbaren politischen Wandel ein zumindest bedingter Rückkehrwille illegal ausgereister Personen als weiterer Umstand im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung Bedeutung erlangen könnte, bliebe die Schlussfolgerung des FG zumindest vertretbar und möglich.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 944
BFH/NV 2003 S. 944 Nr. 7
VAAAA-70208