Online-Nachricht - Mittwoch, 11.07.2018

Kindergeld | Kein Ermessen bei § 70 Abs. 3 Satz 1 EStG (BFH)

Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 EStG, nach der materielle Fehler der letzten Kindergeldfestsetzung durch Neufestsetzung oder durch Aufhebung der Festsetzung beseitigt werden können, räumt der Familienkasse kein Ermessen ein, sondern regelt die Aufhebung oder Neufestsetzung als gebundene Entscheidung (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt und Prozessverlauf: Nachdem S das 25. Lebensjahr bereits vollendet hatte, bewilligte die Familienkasse der Mutter des S wegen dessen Behinderung Kindergeld. Zugleich verfügte sie ab Januar 2013 die Abzweigung des Kindergeldes an den Kläger. Mit Bescheid v. hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab Februar 2014 auf. Zur Begründung führte sie aus, dass die Behinderung nicht vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sei. Da sich die Sachlage und die Erkenntnisse der Familienkasse nicht geändert hatten, stützte sie den Aufhebungsbescheid auf § 70 Abs. 3 EStG und verfügte auch die Aufhebung der Abzweigung.

Das gab der hiergegen gerichteten Klage insoweit statt, als die Weitergewährung und Abzweigung des Kindergeldes bis August 2014 begehrt wurde. § 70 Abs. 3 EStG sei eine Ermessensvorschrift, die Familienkasse hätte daher entsprechende Ermessenserwägungen bei der aufhebenden Entscheidung anstellen müssen.

Die Richter des BFH führten hierzu u.a. Folgendes aus:

  • § 70 Abs. 3 Satz 1 EStG räumt der Familienkasse bei der Entscheidung über die Fehlerkorrektur kein Ermessen ein. § 70 Abs. 3 Satz 1 regelt die Aufhebung oder Neufestsetzung vielmehr als gebundene Entscheidung. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ist sie vorzunehmen.

  • Zwar wird der im Wortlaut des § 70 Abs. 3 Satz 1 EStG enthaltene Begriff "können" auch für die Einräumung eines Ermessensspielraums genutzt. Dies ist jedoch nicht zwingend. Vielmehr kann dieser Begriff auch im Sinne eines sogenannten "Kompetenz-Kann" verstanden werden. Davon ist im Fall des § 70 Abs. 3 Satz 1 EStG auszugehen. Der Begriff "können" bestimmt lediglich die beiden Änderungsmöglichkeiten Neufestsetzung oder Aufhebung.

  • Für eine gebundene Entscheidung spricht auch der systematische Zusammenhang des § 70 Abs. 3 EStG zu § 70 Abs. 2 EStG. Denn § 70 Abs. 2 EStG sieht ausdrücklich vor, dass bei Änderung der Verhältnisse die Festsetzung aufzuheben oder zu ändern "ist".

  • Gründe, warum bei Änderung der Verhältnisse zwingend zu ändern ist, hingegen bei Annahme eines Rechtsfehlers oder eines unzutreffenden Sachverhalts, der Behörde über die bereits gesetzlich normierte zeitliche Beschränkung, eine Änderung nur für die Zukunft vorzunehmen zusätzlich auch ein Ermessensspielraum einzuräumen ist, sind nicht erkennbar.

  • Für dieses Normverständnis sprechen insbesondere auch die Gesetzesmaterialien. So sollte nach der Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 13/3084, S. 21) der neugeschaffene § 70 Abs. 3 EStG "sicherstellen", dass die Familienkassen materielle Fehler der Kindergeldfestsetzung, z.B. Rechtsfehler, mit Wirkung für die Zukunft beseitigen können. Von einem Ermessen ist dort keine Rede.

Hinweis:

Der BFH hat die Sache an das FG zurückverwiesen, um diesem Gelegenheit zu weiteren Feststellungen zu geben, insbesondere zu der Frage, ob bei S eine Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

Quelle: ; NWB Datenbank (Ls)

Fundstelle(n):
NWB LAAAG-88509