BAG Beschluss v. - 1 ABR 53/16

Mitbestimmung bei der betrieblichen Entgeltgestaltung - Tarifvorbehalt

Gesetze: § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG

Instanzenzug: ArbG Magdeburg Az: 5 BV 5/14 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 5 TaBV 7/15 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats.

2Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen der „AMEOS-Gruppe“, betreibt seit dem Jahr 2006 in H, Kstraße 4, ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie (Fachkrankenhaus). Sie schloss - damals unter der Firma AMEOS K GmbH - mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am einen „Haustarifvertrag“ (HTV), der auszugsweise wie folgt lautet:

3Ebenfalls in H, Kstraße 27, unterhielt die S GmbH seit dem Jahr 2007 ein Allgemeinkrankenhaus. Ein zwischen dieser mit ver.di vereinbarter Haustarifvertrag (S-HTV) regelt die Geltung der Konzerntarifverträge der S AG, die auch Entgeltbestimmungen enthalten.

4Die Arbeitgeberin - mittlerweile unter anderem Namen firmierend - schloss mit ver.di am einen „Änderungstarifvertrag (Bereich ‚Klinikum‘)“ (Ä-TV) zum HTV, in dem es ua. heißt:

5Zum erwarb die Arbeitgeberin im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von der S GmbH das Allgemeinkrankenhaus. In diesem war ein Betriebsrat gewählt. Auf die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Arbeitnehmer - mit Ausnahme des ärztlichen Personals - wendet sie seither die Entgeltbestimmungen des HTV idF des ÄTV an.

6Der für das Allgemeinkrankenhaus bestehende Betriebsrat leitete im Januar 2014 das vorliegende Beschlussverfahren ein. Zum damaligen Zeitpunkt in beiden Krankenhäusern jeweils getrennt eingeleitete Betriebsratswahlen wurden abgebrochen. Nachfolgend wurde für beide Krankenhäuser ein Betriebsrat gewählt. Dieser macht - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - geltend, die Arbeitgeberin habe durch die Anwendung der Vergütungsgrundsätze des HTV idF des ÄTV sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt. Maßgebend seien die Entgeltgrundsätze des S-HTV. Der HTV idF des ÄTV habe diese Vergütungsgrundsätze auch nicht ablösen können. Dessen Geltungsbereich beschränke sich auf das Fachkrankenhaus.

7Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,

8Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Diese seien, weil auf „nichtärztliche Arbeitnehmer“ bezogen, zu unbestimmt und damit unzulässig. Jedenfalls seien sie mangels Verletzung eines Mitbestimmungsrechts unbegründet. Der Geltungsbereich des HTV idF des ÄTV erfasse auch das Allgemeinkrankenhaus und sei das dort geltende Entgeltschema.

9Das Arbeitsgericht hat die Anträge zu 2. a) und 2. b) abgewiesen. Die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Rechtsbeschwerde. In der Rechtsbeschwerdeinstanz hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom geltend gemacht, innerhalb der „AMEOS-Gruppe“ seien Regionalstrukturen gebildet worden. „Verwaltungsaufgaben (Einkauf, Finanzen, Controlling, Personal)“ seien bei Regionalgesellschaften angesiedelt worden. Für die Arbeitgeberin würden diese durch die AMEOS S mbH erbracht. Diese führe mit ihr einen Gemeinschaftsbetrieb mittels einer einheitlichen Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten. Hierzu habe sie mit der AMEOS S mbH im Februar 2017 eine Führungsvereinbarung geschlossen. Über das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs sei der Betriebsrat bereits am informiert worden. Sein danach entstandenes Übergangsmandat habe mittlerweile geendet. Damit sei seine Beteiligtenfähigkeit entfallen.

10B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

11I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Rechtsbeschwerdebefugnis des Betriebsrats kann nicht mit der Begründung verneint werden, dieser sei aufgrund der Beendigung eines etwaigen Übergangsmandats nach § 21a BetrVG nicht mehr existent. Zwar führt der Verlust der Beteiligtenbefugnis zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels ( - zu B I der Gründe mwN). Ein solcher ist aber nicht dargetan. Das Vorbringen der Arbeitgeberin lässt nicht auf das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs schließen. Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Das verlangt nach einem arbeitgeberübergreifenden Betriebsmittel- wie Personaleinsatz, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (vgl.  - Rn. 28 ff.). Der bloße Abschluss einer Führungsvereinbarung genügt nicht. Demzufolge reicht es nicht aus, dass sich die Arbeitgeberin für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs von ihr und der AMEOS S mbH auf den Abschluss einer Führungsvereinbarung beruft. Zudem werden keine Tatsachen vorgetragen, aus denen ein wechselseitiger Personal- und Betriebsmitteleinsatz folgt. Fehlt es an einem Gemeinschaftsbetrieb, besteht für die Annahme, die Beteiligtenstellung des antragstellenden Betriebsrats sei mit dem Ende eines Übergangsmandats entfallen, kein Raum.

12II. Der für die beiden Krankenhäuser - Allgemeinkrankenhaus und Fachkrankenhaus - im Verlauf des Beschlussverfahrens gewählte Betriebsrat ist nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge für den vormals allein für das Allgemeinkrankenhaus gebildeten Betriebsrat in dessen Beteiligtenstellung nach § 83 Abs. 3 ArbGG eingetreten.

13III. Der Antrag zu 2. a) ist zulässig, aber unbegründet. In der Folge fällt der Hilfsantrag zu 2. b), der ersichtlich nur für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrags mangels ausreichender Bestimmtheit iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gestellt wurde, nicht an.

141. Der Antrag zu 2. a) ist, wie die gebotene Auslegung ergibt, zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

15a) Das Unterlassungsbegehren bezieht sich nur auf diejenigen Arbeitnehmer, die im Allgemeinkrankenhaus beschäftigt sind. Das Vorbringen des Betriebsrats in den Tatsacheninstanzen bezog sich stets nur auf diesen Arbeitnehmerkreis und nicht auf die Beschäftigten des Fachkrankenhauses.

16b) Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann erkennen, welches Verhalten sie wem gegenüber unterlassen soll. Der Begriff „nichtärztliche Arbeitnehmer“ bezeichnet diejenigen Beschäftigten, die keine ärztliche Tätigkeit bei der Arbeitgeberin als geschuldete Arbeitsleistung ausüben. Ärztliche Tätigkeiten sind solche, für die nach einschlägigem Medizinalrecht eine Approbation als Arzt erforderlich ist (vgl.  - Rn. 16, BAGE 132, 162). Daraus ergibt sich, welche Arbeitnehmer von einem Unterlassungsgebot erfasst sein sollen. Mit den „Vergütungsgrundsätzen“ des HTV idF des ÄTV sind diejenigen betrieblichen Entlohnungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG beschrieben, die sich aus den Verteilungsrelationen der einzelnen Vergütungsgruppen und den diesen zugeordneten Tabellenwerten der einzelnen Vergütungsbestandteile ergeben (vgl.  - Rn. 23 mwN). Die Arbeitgeberin kann sie dem von ihr geschlossenen Haustarifvertrag entnehmen.

172. Der Antrag ist unbegründet. Der Betriebsrat kann sich für sein Unterlassungsbegehren nicht auf eine Verletzung eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG stützen.

18a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich der Betriebsrat gegen zu erwartende weitere Verstöße des Arbeitgebers gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs wehren ( - Rn. 16 mwN).

19b) Durch die Anwendung der Vergütungsgrundsätze des HTV idF des ÄTV auf die „nichtärztlichen Arbeitnehmer“ des Allgemeinkrankenhauses verletzt die Arbeitgeberin nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

20aa) Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Dieser Arbeitgeber ist betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. Das Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Änderung eines betrieblichen Vergütungssystems kann aber durch den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht, die eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit zwingend und abschließend inhaltlich regelt und damit dem Schutzzweck des verdrängten Mitbestimmungsrechts genügt. Für das Eingreifen des Tarifvorbehalts des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG und dem damit einhergehenden Ausschluss des Mitbestimmungsrechts ist bereits die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ausreichend, ohne dass es einer solchen bei den betriebszugehörigen Arbeitnehmern (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) bedarf. Das gilt auch, wenn es sich bei der das Mitbestimmungsrecht verdrängenden tariflichen Regelung um Inhaltsnormen handelt. Das entspricht dem Zweck des Eingangshalbsatzes. Dieser geht davon aus, dass eine bestehende tarifliche Regelung dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer ausreichend Rechnung trägt und daher Mitbestimmungsrechte entbehrlich macht (ausf.  - Rn. 16 ff., BAGE 139, 332).

21bb) Danach ist durch die Anwendung der Vergütungsgrundsätze des HTV idF des ÄTV auf die „nichtärztlichen Arbeitnehmer“ des Allgemeinkrankenhauses das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht verletzt worden. Diese haustarifvertraglichen Regelungen und nicht die des S-HTV bilden für den im Antrag genannten Arbeitnehmerkreis die maßgebenden Vergütungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

22(1) Ein Betriebserwerber, der durch Rechtsgeschäft einen Betrieb unter Wahrung dessen Identität erwirbt, tritt zwar betriebsverfassungsrechtlich an die Stelle des früheren Betriebsinhabers. Er ist daher grundsätzlich zur Fortführung der im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet ( - Rn. 23, BAGE 132, 314). Ist der Arbeitgeber aber an einen von ihm geschlossenen Haustarifvertrag unmittelbar und zwingend gebunden, der nach seinem Geltungsbereich auch den erworbenen Betrieb erfasst, bilden kollektivrechtlich gesehen diese haustariflichen Regelungen die maßgebende mitbestimmungsgemäß eingeführte Vergütungsordnung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

23(2) Der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unmittelbar und zwingend für die Arbeitgeberin geltende HTV idF des ÄTV erfasst nach seinem betrieblichen Geltungsbereich auch die im Allgemeinkrankenhaus bestehenden Arbeitsverhältnisse.

24(a) Grundsätzlich werden Haustarifverträge, soweit nichts anderes bestimmt ist, in der Regel für alle Arbeitsverhältnisse des tarifschließenden Unternehmens vereinbart. Soweit der Geltungsbereich sich ausdrücklich und ohne Einschränkung auf die Arbeitnehmer dieses Arbeitgebers erstreckt, erfasst er nicht nur die aktuellen - tarifgebundenen - Arbeitsverhältnisse, sondern - neben danach begründeten Arbeitsverhältnissen - auch die Arbeitnehmer später hinzukommender Betriebe des Arbeitgebers. Dies gilt selbst bei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorhersehbaren Entwicklungen ( - Rn. 40 mwN, BAGE 155, 280).

25(b) Nach diesen Maßstäben erfasst der hier zuletzt geschlossene und daher maßgebende HTV idF des ÄTV den Betrieb des Allgemeinkrankenhauses.

26(aa) Durch den ÄTV haben die Tarifvertragsparteien den Geltungsbereich des Haustarifvertrags neu festlegt. Er erfasst nicht mehr das „Fachkrankenhaus H“ (§ 1 Abs. 1 HTV), sondern erstreckt sich auf die „im Bereich ‚Klinikum‘ beschäftigten Mitarbeiter“. Hierdurch haben die tarifschließenden Parteien - trotz des Einleitungssatzes zum ÄTV „unter Abänderung der bestehenden Entgeltregelungen“ - auch den Geltungsbereich des HTV anders bestimmt. Erfasst werden alle Arbeitnehmer, die in einem Bereich „Klinikum“ beschäftigt werden. Anhaltspunkte dafür, es handele sich mit Blick auf den Einleitungssatz zum ÄTV um eine rein deklaratorische Bestimmung, sind nicht erkennbar.

27(bb) Der Begriff „Klinikum“ bezeichnet ein (Groß-)Krankenhaus, in dem mehrere Kliniken (unter einheitlicher Leitung) zusammengefasst sind oder die Krankenhausabteilung einer bestimmten Fachrichtung („Klinik für …“). Für sich betrachtet trägt dieser Begriff nicht die Annahme, der Geltungsbereich solle auf ein bestehendes Fachkrankenhaus beschränkt werden. Vielmehr erfasst der Wortlaut allgemein Krankenhausbetriebe und kann mangels Anhaltspunkten nicht dahin verstanden werden, der Geltungsbereich erstrecke sich lediglich auf eine Abteilung einer bestimmten Fachrichtung innerhalb eines Krankenhauses.

28(cc) Diesem Verständnis des tariflichen Geltungsbereichs steht nicht entgegen, dass im Rubrum des ÄTV als Adresse der Arbeitgeberin „Kstr. 4, H“ genannt ist. Dabei handelt es sich um die Geschäftsanschrift der Arbeitgeberin, welche zuvor und auch nach dem Betriebserwerb bestanden hat und noch besteht. Der Geltungsbereich nach § 1 ÄTV enthält eine solche Beschränkung nicht.

29(dd) Schließlich weist der HTV idF des ÄTV, der sich in weiten Teilen - ausdrücklich - am BAT-O orientiert, in der Sache nach keine Regelungen auf, die ausschließlich auf die Verhältnisse des Fachkrankenhauses zugeschnitten wären. Vielmehr können die tarifvertraglichen Vereinbarungen - wie es das Landesarbeitsgericht zu Recht annimmt - ohne Weiteres in anderen Betrieben der Arbeitgeberin wie dem Allgemeinkrankenhaus herangezogen werden. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde auch nicht.

30c) Die nach § 3 ÄTV auf den begrenzte Laufzeit dieses Tarifvertrags ist für das vorliegende Ergebnis ohne Bedeutung. Selbst wenn dadurch der gesamte HTV idF des ÄTV und nicht nur die Regelungsgegenstände des ÄTV endeten, blieben die danach geregelten tariflichen Vergütungsgrundsätze auch nach Eintritt der Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG das im Betrieb maßgebende kollektive Entgeltschema und sind bis zu dessen Änderung unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts grundsätzlich betriebsverfassungsrechtlich verbindlich ( - Rn. 23 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:200218.B.1ABR53.16.0

Fundstelle(n):
KAAAG-87089