BGH Urteil v. - 2 StR 150/15

Vorsätzliches Tötungsdelikt: Strafschärfende Berücksichtigung des Handelns des Täters mit Tötungsabsicht; Anforderungen an die Entscheidung des Tatgerichts; Ergebnis der Senatsanfrage

Leitsatz

1. Der Umstand, dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, kann beim vorsätzlichen Tötungsdelikt strafschärfend berücksichtigt werden. Hierin liegt grundsätzlich kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB).

2. Die Entscheidung darüber, ob das Handeln des Täters mit Tötungsabsicht im Einzelfall als ein Strafschärfungsgrund anzusehen ist, obliegt dem Tatgericht. Es ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung auch gegenläufig wirkende strafmildernde Gesichtspunkte, die sich aus den Vorstellungen, Zielen und Absichten des Täters ergeben können, zu berücksichtigen.

Gesetze: § 46 Abs 2 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 132 Abs 2 GVG

Instanzenzug: Az: 5 ARs 57/16 Beschlussvorgehend Az: 1 ARs 20/16 Beschlussvorgehend Az: 3 ARs 21/16 Beschlussvorgehend Az: 4 ARs 22/16 Beschlussvorgehend Az: 2 StR 150/15 Beschlussvorgehend Az: 2 StR 150/15 Beschlussvorgehend Az: 105 Ks 6/14 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.

A.

2Nach den Feststellungen des Schwurgerichts beschloss der 74 Jahre alte Angeklagte     R.   am , seine erheblich jüngere und Trennungsabsichten hegende Ehefrau    Rü.   zu töten. In Ausführung dieses Tatentschlusses griff er sie auf der Kellertreppe des gemeinsamen Wohnanwesens an und schlug ihr einen Gegenstand gegen den Kopf, wodurch sie zu Fall kam und die Kellertreppe hinabstürzte. Nunmehr ergriff der Angeklagte einen etwa 2,8 Kilogramm schweren Feuerlöscher und schlug damit in Tötungsabsicht mindestens fünf Mal wuchtig auf den Kopf seiner am Boden liegenden Ehefrau ein. Sie erlitt durch diese mehrfachen, massiven Gewalteinwirkungen multiple offene Schädel-Hirn-Verletzungen. Weitere stumpfe Gewalteinwirkungen gegen den Oberkörper des Tatopfers führten zu zahlreichen Rippenbrüchen, die zu einer mehrfachen Durchsetzung der Brusthöhle und zu Einblutungen in die Lunge führten. Die Ehefrau des Angeklagten verstarb aufgrund der erlittenen massiven Verletzungen innerhalb weniger Minuten.

3Das Schwurgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob die Tat als ein (sonst) minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB anzusehen ist, zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „den Tod seiner Ehefrau absichtlich und zielgerichtet herbeiführen wollte“. Auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Schwurgericht neben der brutalen Tatausführung strafschärfend „die Tatsache“ berücksichtigt, dass der Angeklagte seine Ehefrau „absichtlich getötet hat“.

B.

4Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Der Schuldspruch ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Strafausspruch ist frei von Rechtsfehlern. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

I.

51. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde es überwiegend als ein Verstoß gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen und damit als rechtsfehlerhaft angesehen, wenn der Tatrichter das subjektive Tatbestandsmerkmal direkten Tötungsvorsatzes strafschärfend berücksichtigt (vgl. , NStZ-RR 2015, 171 (Ls.); Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 83/15, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 7, vom – 2 StR 449/03, vom – 2 StR 483/92, StV 1993, 72 und vom – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 369/77, vom – 3 StR 425/77 und vom – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; ; Beschlüsse vom – 4 StR 457/86, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1, vom – 4 StR 157/88, NStE Nr. 41 zu § 46 StGB, vom – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23, vom – 4 StR 403/03 und vom – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8). Der Tatbestand des Totschlags setze vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren „Regelfall“ die Tötung mit direktem Vorsatz sei (Senat, Beschluss vom – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; , juris Rn. 6; , NStZ 2008, 624). Dem Handeln mit direktem Tötungsvorsatz komme kein für sich genommen gesteigerter Unrechtsgehalt zu, während die Tötung mit bedingtem Tötungsvorsatz eine geringere Tatschwere aufweise (, NStZ 2009, 564).

6Abweichende Entscheidungen sind – soweit ersichtlich – vereinzelt geblieben. Der 3. Strafsenat hat jedoch in seinem Beschluss vom (3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4) darauf hingewiesen, dass die strafschärfende Wertung direkten Vorsatzes im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Angeklagten sich nicht in jedem Fall als rechtsfehlerhaft erweisen müsse. Mit Beschluss vom (2 StR 61/12, NStZ 2012, 689) hat der Senat entschieden, dass es zwar „in der Regel“ gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoße, wenn der Tatrichter das Vorliegen direkten Tötungsvorsatzes straferschwerend bewerte, dies jedoch nicht für die Tötungsabsicht gelte.

72. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine isolierte strafschärfende Berücksichtigung der Vorsatzform als rechtsfehlerhaft einstufte, hat überwiegend Zustimmung erfahren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 618; LK StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 212 Rn. 45; LK StGB/Theune, 12. Aufl. § 46 Rn. 77; ders. StV 1985, 205, 206; MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl. § 46 Rn. 194; MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 212, Rn. 79; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 212 Rn. 71; Streng, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 5. Aufl., StGB § 46 Rn. 55; ders., StV 2017, 526 ff. SSW/Momsen, 3. Aufl., § 212 Rn. 27; Matt/Renzikowski/Safferling § 212 Rn. 91; Saliger, ZStW 109 (1997), S. 302, 322 f.; Lackner/Kühl StGB, 28. Aufl. § 46 Rn. 33). Kritische Stimmen (vgl. Jescheck/Weigend Strafrecht AT, 5. Aufl. S. 887; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl. § 46 Rn. 93, 185; Frisch, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Band IV, S. 269, 290 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, 1999, S. 260, 263; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, 2010, S. 148 ff.; Foth, JR 1985, 397, 398; Bruns, JR 1981, 512, 513; Müller, NStZ 1985, 158, 161) haben darauf hingewiesen, dass die Auffassung, wonach die Vorsatzform als eine eigenständige Strafzumessungstatsache ausscheide, den aus dem besonderen Teil des Strafgesetzbuchs ersichtlichen gesetzgeberischen Wertungen widerspreche (vgl. Foth, JR 1985, 398; Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, Diss. 1996, S. 154). Ihr ist außerdem entgegen gehalten worden, dass der Tatbestand des § 212 StGB bereits bei Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes erfüllt sei und die Feststellung direkten Tötungsvorsatzes in Form von Tötungsabsicht deshalb als eine Schuldsteigerung anzusehen sei, welche die Tatschuld regelmäßig erhöhe (vgl. Bruns, JR 1981, 513; Fahl, aaO, S. 153 ff.; ders. JR 2017, 391, 393). Die strafschärfende Berücksichtigung der hierin liegenden Schuldsteigerung gerate weder mit dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen (SSW-StGB/Eschelbach, aaO, § 46 Rn. 93, 185; von Heintschel-Heinegg, Streng-FS 2017 S. 229, 239) noch mit dem Gedanken in Konflikt, dass es sich um das Regeltatbild des Totschlags handele (Fahl, JR 2017, 391, 393; MüKo/Schneider, aaO, § 212 Rn. 82; Tomiak, HRRS 2017, 225 ff.).

II.

8Der Senat hat mit Beschluss vom (NStZ 2017, 216) ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG eingeleitet, weil er von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen beabsichtigt. Er ist der Ansicht, dass beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden kann, und hat bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie dem zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.

91. Der Senat hat seine Rechtsauffassung, wonach die Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten im Einzelfall strafschärfend berücksichtigt werden könne, in seinem Anfragebeschluss vom (zustimmend Fahl, JR 2017, 301 ff. und Tomiak, HRRS 2017, 225 ff.: ablehnend Streng StV 2017, 526 ff.) im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB sei die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Zur Ermittlung der für die Straffrage maßgeblichen Strafzumessungsschuld seien alle Umstände heranzuziehen, die den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat im Einzelfall kennzeichneten. § 46 Abs. 2 StGB benenne beispielhaft und nicht abschließend einige Bereiche derjenigen Umstände, die für die Strafzumessung aussagekräftig seien. Bewertungsrichtung und Gewicht dieser Strafzumessungstatsachen bestimmten in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet sei.

11Zu den Tatsachen, die für die Strafzumessung relevant sein könnten, zählten auch die „Beweggründe und die Ziele des Täters“. Der damit angesprochene subjektive Bereich, die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat und die mit ihr verfolgten Absichten, seien damit grundsätzlich für die Strafzumessung bedeutsam.

12a) Nach herrschender, terminologisch nicht in jeder Hinsicht einheitlicher Auffassung seien im Bereich des Vorsatzes drei Vorsatzformen zu unterscheiden, die vom bedingten Vorsatz über den „dolus directus 2. Grades“ bis zum „dolus directus 1. Grades“, also der Absicht, reichten. Darin komme eine Schuldschwereskala zum Ausdruck, die – wie der Senat in seinem Anfragebeschluss im Einzelnen dargelegt hat – grundsätzlich auch durch den Gesetzgeber anerkannt sei. Sie gelte auch und gerade im Bereich der Tötungsdelikte.

13Der mit Tötungsabsicht handelnde Täter setze sich nicht nur über die durch § 212 StGB strafbewehrte Verhaltensnorm, Handlungen zu unterlassen, durch die eine andere Person zu Tode kommen kann, hinweg und nehme dabei den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges in Kauf. Es komme ihm vielmehr auf die Herbeiführung dieses tatbestandlichen Erfolges an. Sein Handeln ziele im Wortsinne auf die Herbeiführung des Todes einer anderen Person ab, diese sei nicht nur billigend in Kauf genommene oder wissentlich herbeigeführte Folge, sondern Ziel seines Handelns. Dieses Streben sei in besonderem Maße mit einem sozialen Unwerturteil belegt. Dass der auf die Rechtsgutsverletzung gerichtete Wille eine höhere Gefahr für das geschützte Rechtsgut darstelle, weil der mit dolus directus 1. Grades handelnde Täter sein Handlungsziel zielstrebig verfolge, liege auf der Hand.

14Gleichwohl lasse sich nicht feststellen, dass ein Handeln mit direktem Tötungsvorsatz stets und schlechthin auf eine besonders verwerfliche Gesinnung oder auf eine besondere Stärke des verbrecherischen Willens eines Täters hindeute. Eine mit bedingtem Tötungsvorsatz begangene Tat könne – je nach den Umständen des Einzelfalls – sogar eine höhere Tatschuld aufweisen als eine mit direktem Tötungsvorsatz begangene Tat. Deshalb könne der (isolierte) Hinweis auf die Vorsatzform im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld zu kurz greifen.

15b) Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstoße nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.

16Nach dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten „Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen“ dürften Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, im Rahmen der Strafzumessung nicht noch einmal berücksichtigt werden. Das Doppelverwertungsverbot hindere den Tatrichter jedoch nicht daran, im Rahmen der Strafzumessung zugunsten oder zum Nachteil eines Angeklagten den Ausprägungsgrad oder die konkrete Modalität eines – objektiven oder subjektiven – Merkmals des gesetzlichen Tatbestands zu berücksichtigen. Seien Tatbestandmerkmale steigerungsfähig, so könne die Form ihrer Verwirklichung im Einzelfall im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 StGB) berücksichtigt werden. Darüber hinaus greife das Doppelverwertungsverbot auch dann nicht ein, wenn ein Straftatbestand zwei unterschiedlich schwer wiegende Alternativen zur Verfügung stelle.

17Jedenfalls bei Tötungsabsicht handele es sich um gegenüber dem zur Tatbestandserfüllung hinreichenden bedingten Tötungsvorsatz um eine Steigerung der Vorsatzform, die den Unrechtsgehalt der Tat grundsätzlich erhöhen könne. Sie könne daher strafschärfend berücksichtigt werden. Es handele sich bei der Tötung eines Menschen mit dolus directus 1. Grades oder mit Absicht auch nicht um den normativen Regelfall des § 212 Abs. 1 StGB, der eine strafschärfende Berücksichtigung des zielgerichteten Vorgehens ausschlösse (vgl. zur Begründung im Einzelnen den Beschluss des Senats vom – 2 StR 150/15, NStZ 2017, 216).

182. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben in ihren Antwortbeschlüssen mitgeteilt, dass sie der durch den Senat formulierten Anfrage, dass beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden könne, grundsätzlich zustimmen und entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgeben.

19a) Der 5. Strafsenat ist in seiner Antwort vom (5 ARs 57/16, JR 2017, 391) der Rechtsauffassung des anfragenden Senats beigetreten und hat eigene entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben.

20b) Der 3. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom (3 ARs 21/16, NStZ-RR 2017, 237) dem im Tenor des Anfragebeschlusses formulierten Rechtssatz unter Aufgabe eigener entgegenstehender Rechtsprechung zugestimmt. Er ist der Auffassung, dass Tötungsabsicht ein taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein könne, wobei dies der Bewertung des Tatgerichts unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls obliege. Die Festlegung, welche Bewertungsrichtung einzelnen Umständen zukomme, sei Teil der dem Tatgericht aufgegebenen Strafzumessung, die nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Der Senat teile die Auffassung des anfragenden Senats, dass das unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet sei, die individuelle Tatschuld zu erhöhen. Nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers, wie sie in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs sichtbar werde, komme den drei Vorsatzformen prinzipiell ein unterschiedlicher Schuldgehalt zu. Die Schuldschwere steigere sich im Grundsatz vom dolus eventualis über den dolus directus 2. Grades (Wissentlichkeit) hin zum dolus directus 1. Grades (Absicht). Die kriminelle Intensität des Täterwillens sei beim dolus directus 1. Grades in der Regel am stärksten ausgeprägt. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass das außertatbestandliche Ziel des „nur“ wissentlich Tötenden ebenso verwerflich wie das tatbestandliche Ziel des absichtlich Tötenden sein könne. Nehme das Tatgericht einzelfallbezogen eine solche Verwerflichkeit an, so werde es das außertatbestandliche Ziel im Rahmen der Strafzumessung ohne weiteres zum Nachteil des wissentlich Tötenden werten; dadurch stünde dieser sogar schlechter als der absichtlich Tötende, wenn die Tötungsabsicht nicht strafschärfend berücksichtigt werden könne. Der Senat hat offen gelassen, ob die strafschärfende Berücksichtigung des dolus directus 2. Grades (Wissentlichkeit) unter dem Gesichtspunkt des „normativen Regelfalls“ gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoße.

21c) Der 4. Strafsenat hat in seiner Antwort vom (4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238) mitgeteilt, dass er der Rechtsauffassung des 2. Strafsenats beitrete und seine frühere Rechtsprechung, wonach die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht bei Verurteilung wegen Totschlags gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen verstoße, aufgebe.

22Der 4. Strafsenat ist jedoch der Auffassung des vorlegenden Senats entgegengetreten, „dass im Bereich des subjektiven Tatbestands eine vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schuldschwereskala“ gelte und „deshalb das Vorliegen von Tötungsabsicht schon für sich genommen regelmäßig einen Straferschwernisgrund“ darstelle. Es komme vielmehr jeweils auf die Umstände des Einzelfalls an. Die in § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Beweggründe und Ziele des Täters seien „Leitpunkte für die Bestimmung des subjektiven Handlungsunrechts“. Die einzelnen Vorsatzformen träfen dazu – für sich genommen – keine unmittelbare Aussage und bedürften deshalb stets einer Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters. Dies gelte auch für die Tötungsabsicht. Diese liege vor, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes ankomme. Dabei sei es gleichgültig, ob die Erreichung des Todeserfolgs für sicher oder nur für möglich gehalten werde. Gleichgültig sei außerdem, ob die Herbeiführung des Todes dem Täter erwünscht sei oder von ihm bedauert werde. Mit Tötungsabsicht handele deshalb auch, wer den Tod eines anderen nicht um seiner selbst willen herbeiführen wolle, in ihm aber ein notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zu dem eigentlich angestrebten Ziel sehe. Zwar spreche es für eine besonders starke Abweichung von den Maßstäben der Rechtsordnung, dass der Täter den Tod des Opfers als (Zwischen-) Ziel seiner Handlung anstrebe; dies belege jedoch für sich genommen noch nicht das Vorliegen einer besonders verwerflichen Gesinnung oder eine besondere Stärke des verbrecherischen Willens. Dies zeige sich beispielhaft in Fällen der Mitleidstötung. Wer einem moribunden Angehörigen das Leben nehme, um ihn von schwerem Leiden zu befreien, töte zwar absichtlich. Der Tod des Angehörigen werde aber nur deshalb angestrebt, um ein „fraglos strafmildernd zu bewertendes Handlungsziel“ – den Angehörigen von schwerem Leiden zu befreien – zu erreichen. Ähnlich liege es, wenn ein Täter – wie beispielsweise in den so genannten „Haustyrannen-Fällen“ – aus einer notstandsähnlichen Situation heraus absichtlich töte.

23Eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht am Maßstab einer generellen Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands bei gleichzeitiger Positivbewertung des nur durch eine Tötung erreichbaren Handlungszieles würde zu einer Aufspaltung der Bewertung des „an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führen“. Es bestünde außerdem die Gefahr, dass es zu einer dem Strafzumessungsrecht wesensfremden Schematisierung komme.

24Tötungsabsicht könne aber für sich genommen dann als ein selbstständiger Straferschwernisgrund herangezogen werden, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes „um seiner selbst willen“ ankomme und keine weiteren relevanten Handlungsziele festzustellen seien. In Fällen der genannten Art nähere sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust an.

25d) Der 1. Strafsenat hat in seinem Antwortbeschluss vom (1 ARs 20/16) der Rechtsauffassung des anfragenden Senats grundsätzlich zugestimmt, jedoch darauf hingewiesen, dass entscheidend für eine strafschärfende Berücksichtigung der Tötungsabsicht sei, ob dem Täter angesichts seiner Handlungsweise eine höhere Tatschuld vorzuwerfen sei. Das Tatgericht habe sich daher in den Urteilsgründen stets mit den Vorstellungen und Zielen des Täters auseinander zu setzen und vor diesem Hintergrund zu bewerten, ob danach eine höhere Tatschuld gegeben sei. Sei dies der Fall, stünde § 46 Abs. 3 StGB einer strafschärfenden Berücksichtigung der Vorsatzform nicht entgegen. Unter dieser Maßgabe hat der 1. Strafsenat etwa entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgegeben.

263. Nach dem Ergebnis des Anfrageverfahrens besteht unter den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs Einigkeit darüber, dass der Tatrichter den Umstand, dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, strafschärfend berücksichtigen kann. Die früher vertretene Rechtsansicht, wonach in der strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht ungeachtet der konkreten Umstände des Einzelfalls regelmäßig ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) liegt, ist danach aufgegeben.

27Keine vollständige Einigkeit wurde darüber erzielt, in welcher Weise der Tatrichter die Tötungsabsicht rechtsfehlerfrei berücksichtigen kann. Während der 3. und 5. Strafsenat mit dem anfragenden Senat ungeachtet des Umstands, dass der isolierte Hinweis auf die Vorsatzform im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld auch zu kurz greifen könne, der Auffassung sind, dass eine vom Tatrichter vorgenommene isolierte Negativbewertung von Tötungsabsicht rechtlich unbedenklich sei, stehen der 1. und der 4. Strafsenat einer solchen isolierten Negativbewertung der Vorsatzform ablehnend gegenüber. Der 4. Strafsenat wendet sich gegen eine isolierte Negativbewertung am Maßstab einer generellen Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands, weil dies zu einer Aufspaltung der Bewertung des an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führe. Er hält daher eine Gesamtbewertung des subjektiven Handlungsunrechts unter strafschärfender Bewertung der Tötungsabsicht bei gleichzeitiger Einbeziehung der konkreten Handlungsmotive, der Beweggründe und der Ziele des Täters für erforderlich. Eine Ausnahme hiervon will der 4. Strafsenat in Fällen anerkennen, in denen es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes des Opfers „um seiner selbst willen“ ankomme und keine weiteren relevanten Handlungsziele festgestellt werden könnten; in Fällen der genannten Art, in denen sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust annähere, könne die Tötungsabsicht isoliert strafschärfend herangezogen werden. Nach Auffassung des 1. Strafsenats ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller das subjektive Handlungsunrecht kennzeichnenden Umstände darzulegen, dass und aus welchen Gründen der festgestellten Tötungsabsicht im konkreten Einzelfall ein die Tatschuld erhöhendes Gewicht beigemessen werde. Das Tatgericht hat sich daher in den Urteilsgründen mit den Vorstellungen und Zielen des Täters auseinanderzusetzen und zu bewerten, ob ihm wegen des Handelns mit Tötungsabsicht eine höhere Tatschuld vorzuwerfen ist.

28Als Ergebnis des Anfrageverfahrens ist mithin – ungeachtet gewisser Unterschiede im Einzelnen – festzuhalten, dass die Tötungsabsicht nach Auffassung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein kann. Die Frage, ob in der festgestellten Tötungsabsicht ein die Strafhöhe beeinflussender, bestimmender Strafschärfungsgrund zu sehen ist, kann aber nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls getroffen werden. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Tatrichter, der hier – wie stets im Rahmen der Strafzumessung – gehalten ist, gegenläufig wirkende strafmildernde Umstände im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen.

29Während der 1. und der 4. Strafsenat annehmen, dass die Tötungsabsicht in den gesamten Bereich des subjektiven Handlungsunrechts eingeordnet werden müsse und eine strafschärfende Würdigung nur in Betracht komme, wenn den Vorstellungen, Zielen und Absichten des Täters unter Einschluss der Tötungsabsicht im Einzelfall ein negatives Gewicht beizumessen sei, ist der anfragende Senat mit dem 3. und dem 5. Strafsenat der Auffassung, dass eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht rechtlich unbedenklich sei, wenngleich dies nicht zu einer schematischen Betrachtungsweise führen dürfe; der Tatrichter habe deshalb je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls auch die das Handlungsunrecht mildernden Umstände in den Blick zu nehmen.

30Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstößt damit grundsätzlich nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB). Mit der Tötungsabsicht verbindet sich regelmäßig – ergibt sich nicht aus gegenläufig zu gewichtenden Umständen eine andere Beurteilung des Handlungsunrechts – eine erhöhte Tatschuld des absichtsvoll Tötenden.

III.

31Gemessen hieran begegnen die tatrichterlichen Ausführungen zur strafschärfenden Berücksichtigung der Tötungsabsicht weder unter Berücksichtigung der Auffassung des 2., 3. und 5. Strafsenats noch unter Berücksichtigung des – abweichenden – Maßstabs des 1. und des 4. Strafsenats durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat im Rahmen der Prüfung, ob sich die Tat als ein sonst minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB darstellt, zwar zu Lasten des Angeklagten eingestellt, dass „die Tat mit erheblicher Brutalität begangen wurde und der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau absichtlich und zielgerichtet herbeiführen wollte“. Auch hat es im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau „absichtlich und zielgerichtet herbeigeführt hat“. Das Tatgericht hat sich jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung sowie der rechtlichen Würdigung bei Abhandlung der Mordmerkmale (Habgier, Heimtücke, niedrige Beweggründe) ausführlich mit den Vorstellungen, Zielen sowie den handlungsleitenden Motiven des Angeklagten auseinandergesetzt. Dabei hat es zwar Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Angeklagte, der gegenüber seiner Ehefrau – nicht zuletzt aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge – eine abwertende Haltung eingenommen habe, über ihre Trennungsabsichten frustriert und zornig gewesen sei und Motive der Rache für die erlittene Kränkung bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnten. Sichere Feststellungen zur eigentlichen Tatmotivation hat das Schwurgericht aber nicht zu treffen vermocht. Anhaltspunkte, die das Handeln des Angeklagten, in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind insgesamt nicht zutage getreten. Das Schwurgericht hat im Übrigen nicht übersehen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat eine „große Enttäuschung, Frustration und Wut“ angesichts der Trennungsabsicht entstanden war.

32Vor diesem Hintergrund ist nicht zu besorgen, dass das Tatgericht der Vorsatzform isoliert und undifferenziert strafschärfende Wirkung beigemessen und das subjektive Handlungsunrecht nicht – wie dies nach Auffassung des 1. und des 4. Strafsenats regelmäßig erforderlich und in den Urteilsgründen auch darzulegen ist – insgesamt in den Blick genommen hat.

33Die tatgerichtliche Wertung, dass der rechtsfehlerfrei festgestellten Tötungsabsicht strafschärfendes Gewicht beizumessen sei, hält sich sonach im Rahmen des tatrichterlichen Wertungsspielraums und ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

IV.

34Anlass für eine Kompensationsentscheidung bestand nicht.

35Zwar hat das Revisionsverfahren, das am beim Bundesgerichtshof eingegangen ist, lange gedauert. Die Verfahrensdauer ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass die Revisionshauptverhandlung am zur Durchführung des Anfrageverfahrens ausgesetzt worden ist. Nach Eingang der letzten Antwort auf den Anfragebeschluss am wurde mit Verfügung vom neuer Hauptverhandlungstermin auf den bestimmt. Eine frühere Terminierung war in Ansehung der Terminslage des Senats nicht möglich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:100118U2STR150.15.0

Fundstelle(n):
IAAAG-85422