Online-Nachricht - Dienstag, 05.06.2018

Aufenthaltsfreiheit | Ehegatten gleichen Geschlechts (EuGH)

Der Begriff "Ehegatte" im Sinne der unionsrechtlichen Bestimmungen über die Aufenthaltsfreiheit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen umfasst Ehegatten gleichen Geschlechts. Den Mitgliedstaaten steht es zwar frei, die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts zu erlauben oder nicht zu erlauben, jedoch dürfen sie die Aufenthaltsfreiheit eines Unionsbürgers nicht dadurch beeinträchtigen, dass sie seinem gleichgeschlechtlichen Ehegatten, der Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes ist, ein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet verweigern ().

Sachverhalt: Herr Relu Adrian Coman, der rumänischer Staatsangehöriger ist, und Herr Robert Clabourn Hamilton, der amerikanischer Staatsangehöriger ist, lebten in den Vereinigten Staaten vier Jahre zusammen, bevor sie 2010 in Brüssel heirateten. Im Dezember 2012 wandten sich Herr Coman und sein Ehemann an die rumänischen Behörden mit der Bitte um Mitteilung, nach welchem Verfahren und unter welchen Voraussetzungen Herr Hamilton als Familienangehöriger von Herrn Coman das Recht erlangen könne, sich für eine Dauer von mehr als drei Monaten rechtmäßig in Rumänien aufzuhalten. Diese Anfrage beruhte auf der Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit, die es dem Ehegatten eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, erlaubt, seinem Ehegatten in den Mitgliedstaat nachzuziehen, in dem dieser sich aufhält. Auf diese Anfrage teilten die rumänischen Behörden Herrn Coman und Herrn Hamilton mit, dass Letzterer nur ein Recht zum Aufenthalt für drei Monate habe, insbesondere weil er in Rumänien nicht als „Ehegatte“ eines Unionsbürgers angesehen werden könne, da dieser Mitgliedstaat Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts („Homo-Ehen“) nicht anerkenne. Daraufhin erhoben Herr Coman und Herr Hamilton vor den rumänischen Gerichten Klage auf Feststellung einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung im Hinblick auf die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit in der Union. Die im Rahmen dieses Rechtsstreits mit einem Einwand der Verfassungswidrigkeit befasste Curtea Constituţională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob Herr Hamilton unter den Begriff „Ehegatte“ eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, fällt und ihm daher ein Recht auf Daueraufenthalt in Rumänien zu gewähren ist.

Der EuGH führte hierzu u.a. aus:

  • Die Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit regelt allein die Voraussetzungen, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf, und auf sie kein abgeleitetes Recht von Nicht-EU-Staatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, gestützt werden kann. Demnach kann die Richtlinie zugunsten von Herrn Hamilton kein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit Herr Coman besitzt, d. h. Rumänien, begründen.

  • Nicht-EU-Staatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind und aus den Bestimmungen der Richtlinie kein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Unionsbürger besitzt, herleiten können, können in bestimmten Fällen auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Anerkennung eines solchen Rechts erreichen (diese Bestimmung verleiht den Unionsbürgern unmittelbar das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten).

  • Die Voraussetzungen für die Gewährung dieses abgeleiteten Aufenthaltsrechts dürfen nicht strenger sein als diejenigen, die die Richtlinie für einen Nicht-EU-Staatsangehörigen vorsieht, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

  • Im Rahmen der Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit ist der Begriff „Ehegatte“ – der eine Person bezeichnet, die mit einer anderen durch den Bund der Ehe vereint ist – geschlechtsneutral und kann somit den gleichgeschlechtlichen Ehegatten eines Unionsbürgers einschließen. Allerdings fällt das Personenstandsrecht, zu dem die Regelungen über die Ehe gehören, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und das Unionsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt. Den Mitgliedstaaten steht es daher frei, für Personen gleichen Geschlechts die Ehe vorzusehen oder nicht vorzusehen. Zudem achtet die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt.

  • Die Weigerung eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig geschlossene Ehe eines Nicht-EU-Staatsangehörigen mit einem gleichgeschlechtlichen Unionsbürger allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten dieses Nicht-EU-Staatsangehörigen anzuerkennen, ist geeignet, die Ausübung des Rechts dieses Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu beschränken. Die Zulässigkeit einer solchen Weigerung hätte zur Folge, dass das Freizügigkeitsrecht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgestaltet wäre, je nachdem, ob die nationalen Rechtsvorschriften die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts vorsehen oder nicht.

  • Die Personenfreizügigkeit kann zwar Beschränkungen unterliegen, die von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängig sind, sofern sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeinwohls beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck stehen.

  • Insoweit ist aber die öffentliche Ordnung, die im vorliegenden Fall als Rechtfertigung für die Beschränkung der Freizügigkeit angeführt wird, eng zu verstehen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Unionsorgane bestimmt werden darf. Die Pflicht eines Mitgliedstaats, eine zwischen Personen gleichen Geschlechts in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht geschlossene Ehe allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten eines Nicht-EU-Staatsangehörigen anzuerkennen, beeinträchtigt nicht das Institut der Ehe im erstgenannten Mitgliedstaat. Insbesondere verpflichtet sie diesen Mitgliedstaat nicht dazu, in seinem nationalen Recht das Institut der Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts vorzusehen. Somit widerspricht eine solche Pflicht zur Anerkennung allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten eines Nicht-EU-Staatsangehörigen weder der nationalen Identität noch der öffentlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedstaats.

  • Eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Personenfreizügigkeit zu beschränken, kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie mit den durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Grundrechten vereinbar ist.

Hinweis:

Hinsichtlich des in Art. 7 der Charta verbürgten Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens weist der Gerichtshof darauf hin, dass auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die von einem homosexuellen Paar geführte Beziehung genauso unter die Begriffe „Privatleben“ und „Familienleben“ fallen kann wie die Beziehung eines in derselben Situation befindlichen verschiedengeschlechtlichen Paares.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 80/18 (Ls)

Fundstelle(n):
NWB JAAAG-85157