BFH Beschluss v. - XI B 115/00

Gründe

1. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) schätzte die Besteuerungsgrundlagen. Die Umsätze setzte das FA mit 100 000 DM um rd. 1/3 höher an als die mit 76 603 DM vorangemeldeten; die angegebene Vorsteuer von 15 076 DM übernahm es unverändert. Den Gewinn schätzte es ohne nähere Begründung auf 48 000 DM. Bei der Geschäftsaufnahme am Jahresanfang hatte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Umsatz in Höhe von 80 000 DM und einen Gewinn von 10 000 DM als Planwerte genannt. Die Schätzungsbescheide wurden bestandskräftig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zwar enthalte der Einkommensteuerbescheid einen groben Schätzungsfehler und der Umsatzsteuerbescheid sei hinsichtlich der Höhe des Sicherheitszuschlags zu beanstanden. Sie seien damit aber allenfalls rechtswidrig und nicht nichtig, denn die in den Schätzungsbescheiden enthaltenen Mängel beruhten nach Aktenlage jedenfalls nicht auf einer nachweisbaren Willkürmaßnahme des FA.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargetan sind, nicht vor.

Nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I 2000, 1757) richtet sich die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs nach den bis zum geltenden Vorschriften der FGO. Gemäß § 115 Abs. 2 FGO a.F. ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F.) oder das Urteil von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F.) oder bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf diesem Mangel beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.). In der Beschwerdeschrift muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.).

a) Die Rüge, das Urteil sei unter Verstoß gegen den Inhalt der Akten (dazu vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 96 Rz. 8) zustande gekommen, ist zumindest unbegründet.

§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nur dann verletzt, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt blieb (vgl. , BFH/NV 2002, 947, m.w.N.).

aa) Soweit der Kläger rügt, das FG habe die festgestellten groben Fehler des FA auch nicht ansatzweise auf die Frage hin geprüft, ob und inwieweit diesen Umständen ein bewusst willkürliches Verhalten des FA zu entnehmen sei, wendet er sich gegen die Sachverhaltswürdigung des FG. Die Grundsätze der Tatsachen- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen. Die damit erhobene Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag nach § 115 Abs. 2 FGO die Zulassung der Revision nicht zu begründen (BFH-Beschlüsse vom XI B 69/95, BFH/NV 1996, 421; vom XI B 71/96, BFH/NV 1997, 505, jeweils m.w.N.).

Mit seinem Vortrag, der klare Inhalt der Akten zeuge durchgehend für ein bewusst willkürliches Schätzungsverhalten des FA, das alle Anzeichen für eine sog. Strafschätzung enthalte, die nichtig sei, bringt der Kläger lediglich seine Würdigung des Sachverhalts zum Ausdruck; er belegt damit nicht, welche aus dem Inhalt der Akten zu entnehmenden einzelnen Umstände das FG nicht berücksichtigt hat.

bb) Entsprechendes gilt für den Vortrag des Klägers, das FG habe ”für die Beurteilung der eigentlich entscheidenden Tat- und Rechtsfrage, ob und inwieweit nach dem klaren Inhalt der Akten davon auszugehen ist, das FA habe bewusst willkürlich zu Lasten des Klägers geschätzt”, unberücksichtigt gelassen, dass das FA einen Zuschlag nur bei den Umsätzen, nicht aber bei den Vorsteuern vorgenommen habe. Tatsächlich hat das FG im Tatbestand des Urteils dargestellt, dass der Kläger Umsätze in Höhe von 76 603 DM und Vorsteuern in Höhe von 15 076 DM vorangemeldet habe und das FA in seiner Schätzung von einem Umsatz in Höhe von 100 000 DM und von Vorsteuern in Höhe von 15 076 DM ausgegangen sei. Das entspricht dem Inhalt der Akten. Daraus, dass das FG nicht auf die Frage einer Hinzuschätzung auch bei den Vorsteuern eingegangen ist, wird nicht erkennbar, weshalb es insoweit den diesbezüglichen Inhalt der Akten unberücksichtigt gelassen hätte.

Im Übrigen hat der Kläger nicht —wie erforderlich (vgl. , BFH/NV 2002, 944) dargelegt, dass die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der dort vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden wäre, wenn das FG auch die unterlassene Hinzuschätzung von Vorsteuern als Schätzungsfehler des FA beurteilt hätte.

cc) Das FG hat in dem Tatbestand des Urteils aufgeführt, dass der Kläger bei seiner Gewerbeanmeldung den erwarteten Umsatz mit 80 000 DM und den Gewinn mit 10 000 DM angegeben habe und der später ermittelte Verlust 7 951 DM betragen habe. Wenn der Kläger rügt, das FG habe seiner Entscheidung offensichtlich weitere wesentliche Begleitumstände, wie das Hinwegsetzen des FA über die von ihm genannten Planangaben und über die Tatsache, dass es sich um das erste Geschäftsjahr gehandelt habe, nicht zu Grunde gelegt, so wendet er sich auch hiermit im Kern gegen die tatsächliche Würdigung des Gerichts.

Das FG ist zu der Auffassung gelangt, die in den Schätzungsbescheiden enthaltenen Mängel beruhten nach Aktenlage jedenfalls nicht auf einer nachweisbaren Willkürmaßnahme des FA, die ggf. zur Nichtigkeit der Bescheide führen könnte. Da die Bescheide mit den darin enthaltenen Mängeln einen wesentlichen Bestandteil der Akten darstellen, hat das FG damit zugleich festgestellt, dass auch aus den benannten Mängeln nicht auf eine Willkürabsicht geschlossen werden kann. Im Übrigen würde es sich auch nicht um einen Fehler im Verfahren handeln, wenn das FG nicht der Frage nachgegangen sein sollte, ob eine solche Willkürmaßnahme ggf. aus den Schätzungsfehlern selbst abzuleiten sei. Insoweit würde es sich um eine fehlerhafte, weil unzureichende Sachverhaltswürdigung handeln, die gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht zur Zulassung der Revision führt.

b) Soweit der Kläger vorträgt, das FG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es die Vernehmung des Sachbearbeiters des FA unterlassen habe, der die Schätzung vorgenommen hatte, ist die Rüge nicht ordnungsgemäß erhoben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (z.B. BFH-Beschlüsse vom I B 195/93, BFH/NV 1995, 188; vom X B 255/96, BFH/NV 1997, 785; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 48 f., § 120 Rz. 70, m.w.N.) hätte der Kläger hierfür insbesondere auch dartun müssen, warum sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung dem FG auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen und warum der Kläger —insbesondere dann, wenn er wie im Streitfall durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war— nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.

Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird abgesehen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 490
BFH/NV 2003 S. 490 Nr. 4
GAAAA-69686