NWB Nr. 19 vom Seite 1353

Eine zweifelhafte Korrektur gesetzgeberischen Unterlassens

Professor Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt und Steuerberater | Mitherausgeber der NWB

Beredtes Schweigen des Gesetzgebers zum Sanierungserlass für Altfälle

Bekanntlich löst Schweigen im Rechtsverkehr nur ausnahmsweise Rechtsfolgen aus. Bei der Auslegung von Gesetzen aber kann das sog. beredte Schweigen des Gesetzgebers dem Richter eine wertvolle Hilfe sein. Mit dieser Rechtsfigur muss er eine legislatorische Zurückhaltung nicht als Gesetzeslücke interpretieren, sondern kann das Recht anwenden, ohne zu angreifbaren Analogieschlüssen Zuflucht zu nehmen. Inzwischen hat der Begriff des „beredten Schweigens“ Hochkonjunktur, fällt er doch im Jahr 2017 in 46 allein in Juris aufgeführten Entscheidungen.

Nun hat sich sogar die Exekutive in Gestalt des BMF dieser Rechtsfigur angenommen. Nach dem Nichtanwendungsschreiben vom (BStBl 2018 I S. 588) sind die beiden (BStBl 2018 II S. 232) und X R 38/15 (BStBl 2018 II S. 236), die die Vertrauensschutzregelung des BMF für Altsanierungsfälle verworfen hatten, über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht anwendbar. Zur Begründung dieser Maßnahme hat sich das BMF auf das beredte Schweigen des Gesetzgebers berufen und mitgeteilt, der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags habe „im Rahmen seines Berichtes die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Vertrauensschutzregelung der Verwaltung mittels sog. beredtem Schweigens des Gesetzgebers akzeptiert“. Tatsächlich findet sich in der Entwurfsbegründung zum Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom (BT-Drucks 18/12128 S. 33) ein Hinweis auf die Vertrauensschutzregelung des BMF. Der Gesetzgeber aber hätte gewarnt sein können. Denn auch vor dem Beschluss des Großen Senats zur Verfassungswidrigkeit des Sanierungserlasses hatte es Äußerungen in Entwurfsbegründungen gegeben, die auf den Sanierungserlass hinwiesen, um den Verzicht auf gesetzliche Regelungen zu rechtfertigen. Der Große Senat hat diese Argumentation ausdrücklich verworfen (, BStBl 2017 II S. 393, Rz. 141 ff.).

Zum Zeitpunkt der Verkündung seines Lizenzschrankengesetzes mag der Gesetzgeber zur zutreffenden Behandlung der Sanierungsaltfälle vielleicht tatsächlich beredt geschwiegen haben. Dieses Schweigen aber, das einmal den Verzicht auf eine rückwirkende gesetzliche Regelung legitimiert haben mag, war nach den beiden o. g. Urteilen des BFH jedoch nicht mehr aufrechtzuerhalten. Einmal abgesehen davon, dass sich mit dieser Begründung jedes auch nur versehentliche Unterlassen des Gesetzgebers durch die Verwaltung reparieren ließe. Dass eine solche Verfahrensweise dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widerspräche, liegt auf der Hand. Dabei soll nicht verkannt werden, dass sich das BMF ebenso wie viele betroffene Unternehmen in einer äußerst misslichen Lage befinden. Diesen unhaltbaren Zustand aber hat allein der Gesetzgeber zu verantworten, der die Neuregelung des § 3a EStG nicht rückwirkend eingeführt hat und sich offenbar außerstande sieht, dies nachzuholen.

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2018 Seite 1353
NWB SAAAG-82173