BFH Urteil v. - V R 56/01 BStBl 2002 II S. 705

Leitsatz

1. Voraussetzung für einen Anspruch auf Rückerstattung von Vorauszahlungen ist, dass die Jahressteuer niedriger ist als die Summe der —an das FA abgeführten— Vorauszahlungen.

2. Zu diesen Vorauszahlungen gehört auch eine Sondervorauszahlung nach § 47 UStDV 1993. Nach Festsetzung der Jahressteuer kommt die Erstattung der Sondervorauszahlung nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nur in Betracht, soweit sie nicht zur Tilgung der Jahressteuer benötigt wird.

3. Der Erstattungsanspruch ist nach Konkurseröffnung in dem an den Konkursverwalter gerichteten Abrechnungsbescheid zur Jahresumsatzsteuer zu berücksichtigen.

Gesetze: UStG 1993 § 16 Abs. 1 Satz 2UStG 1993 § 18UStDV 1993 §§ 46 ff.AO 1977 § 37 Abs. 2 Satz 2

Instanzenzug: (EFG 2001, 1005)

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der D (Gemeinschuldnerin).

Die nachmalige Gemeinschuldnerin war vor Konkurseröffnung zur monatlichen Abgabe von Umsatzsteuer-Vorauszahlungen verpflichtet. Sie hatte schon vor Beginn des Streitjahres 1998 eine Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Voranmeldungen beantragt und die erforderliche Sondervorauszahlung für das Jahr 1998 in Höhe von 11 480 DM an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) geleistet.

Zum wurde über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt. Mit Schreiben vom beantragte der Kläger beim FA, den Abgabezeitraum auf vierteljährlich umzustellen. Dementsprechend reichte der Kläger Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das dritte und vierte Kalendervierteljahr ein. In der letzten Umsatzsteuer-Voranmeldung trug er die Sondervorauszahlung an der dafür vorgesehenen Stelle des Voranmeldungsformulars ein; dadurch ergab sich ein ”verbleibender Überschuß” von ./. 13 054,55 DM.

Das FA setzte die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für IV/1998 erklärungsgemäß fest, rechnete die Sondervorauszahlung aber nicht an (Bescheid vom ); erläuternd teilte es dem Kläger mit, dass die Sondervorauszahlung in einem Bescheid für Juli 1998 unter der vorkonkurslichen Steuernummer angerechnet werde. Tatsächlich erfolgte eine nachrichtliche Mitteilung über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Juni 1998 vom , bei der auf eine Umsatzsteuer von 0 DM die Sondervorauszahlung von 11 480 DM ”angerechnet” wurde.

Einspruch und Klage ”gegen den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung” für das vierte Kalendervierteljahr vom hatten keinen Erfolg.

Während des Klageverfahrens reichte der Kläger die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für die Zeit vom 1. Juli bis ein, in der er einen Überschuss (negative Umsatzsteuer) von ./. 2 852,26 DM erklärte. Dieser stimmte das FA zu und erließ einen Abrechungsbescheid vom , in dem die Sondervorauszahlung nicht berücksichtigt wurde.

Der Kläger erklärte, diesen Abrechnungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Auf den Hinweis des Finanzgerichts (FG), es halte es verfahrensrechtlich für nicht zulässig, einen Abrechnungsbescheid zum Gegenstand eines Verfahrens zu machen, dessen Ausgangspunkt die Anfechtung einer Umsatzsteuerfestsetzung sei, beantragte der Kläger dann, ”unter Änderung des Bescheides vom betreffend die Umsatzsteuervorauszahlung für das vierte Kalendervierteljahr 1998 sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom die Sondervorauszahlung 1998 in Höhe von 11 480,00 DM anzurechnen.”

Das FG wies die Klage ab; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1005 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Vorschriften des § 18 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) und des § 48 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1993).

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Das FG hat bereits den Verwaltungsakt, der Gegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage ist (vgl. § 40 FGO), unzutreffend bestimmt.

a) Die Klage richtete sich —bei verständiger Auslegung des Klageantrags— ursprünglich nicht gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das IV. Quartal 1998 im Bescheid vom , sondern gegen die damit verbundene Abrechnung. Dabei kann dahinstehen, ob es sich um eine Anrechnungsverfügung oder um einen Abrechnungsbescheid handelt.

Es ist zu unterscheiden zwischen

- der Steuerfestsetzung (§ 155 der AbgabenordnungAO 1997—),

- der damit verbundenen Anrechnungsverfügung, aus der sich ergibt, inwieweit die festgesetzte Steuer bereits durch Zahlungen erloschen ist oder inwieweit ein Steuerpflichtiger einen Anspruch auf Erstattung von Überzahlungen hat, und

- dem sog. Abrechnungsbescheid.

Die Abrechnung von Steuern ist ein eigenständiger Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO 1977, der unabhängig von der Steuerfestsetzung mit eigenen Rechtsmitteln angegriffen werden kann und muss (vgl. , BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787). Dies gilt sowohl für die Anrechnungsverfügung als auch für den Abrechnungsbescheid. Dieser kann denselben Inhalt wie die Anrechnungsverfügung haben, ergeht aber gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 bei Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen.

Durch den Vorauszahlungsbescheid vom wurde die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das vierte Kalendervierteljahr 1998 auf ./. 1 575 DM festgesetzt. Diese Steuerfestsetzung ist unstreitig. Streitig war allein die damit verbundene Ablehnung, die Sondervorauszahlung von 11 480 DM ”anzurechnen” (zu erstatten).

Dieser Verwaltungsakt (Anrechnungsverfügung oder Abrechnungsbescheid) war bei verständiger Würdigung Gegenstand des Einspruchsverfahrens und des nachfolgenden Klageverfahrens.

b) Durch den ”Abrechnungsbescheid über Umsatzsteuer 1998 (Rumpfwirtschaftsjahr 01.07.-31.12.)” vom ist die ursprünglich angefochtene Abrechnung ersetzt worden. Der Kläger hat deshalb den Abrechungsbescheid zu Recht gemäß § 68 FGO a.F. zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

2. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da der Abrechnungsbescheid vom möglicherweise wegen Nichtberücksichtigung der Sondervorauszahlung rechtswidrig ist.

a) Der Kläger begehrt nicht die ”Anrechnung” der Sondervorauszahlung auf eine positive Steuer, sondern ihre Rückerstattung. Dieser Rückerstattungsanspruch richtet sich —nach Festsetzung der Jahressteuer— nicht nach § 48 Abs. 4 UStDV 1993, sondern nach § 37 Abs. 2 AO 1977 (vgl. unten unter c).

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 hat derjenige, auf dessen Rechnung eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Er hat auch dann einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). So ist es, wenn das FA die Jahressteuer abweichend von der Summe der Vorauszahlungen festsetzt oder zur Konkurstabelle anmeldet und sich dabei ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Unternehmens ergibt (vgl. z.B. Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 37 Anm. 7).

b) Ein derartiger Unterschiedsbetrag zugunsten des Unternehmers kann sich ergeben, wenn der Unternehmer die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss (negative Steuer) in der Steueranmeldung für das Kalenderjahr abweichend von der Summe der Vorauszahlungen erklärt (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG 1993) oder das FA die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss abweichend von der Steueranmeldung für das Kalenderjahr festsetzt (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG 1993). Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist also, dass die Jahressteuer niedriger ist als die Summe der —an das FA abgeführten— Vorauszahlungen.

c) Dies gilt auch für die Sondervorauszahlung i.S. des § 47 UStDV 1993.

Nach § 46 UStDV 1993 hat das FA dem Unternehmer auf Antrag die Fristen für die Abgabe der Voranmeldungen und für die Entrichtung der Vorauszahlungen (§ 18 Abs. 1, 2 und 2 a des Gesetzes) um einen Monat zu verlängern. Die Fristverlängerung ist bei einem Unternehmer, der die Voranmeldungen monatlich abzugeben hat, unter der Auflage zu gewähren, dass dieser eine Sondervorauszahlung auf die Steuer eines jeden Kalenderjahres entrichtet (§ 47 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1993). Die Sondervorauszahlung beträgt ein Elftel der Summe der Vorauszahlungen für das vorangegangene Kalenderjahr (§ 47 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993). Der Unternehmer hat die Fristverlängerung für die Abgabe der Voranmeldungen bis zu dem Zeitpunkt zu beantragen, an dem die Voranmeldung, für die die Fristverlängerung erstmals gelten soll, nach § 18 Abs. 1, 2 und 2 a des Gesetzes abzugeben ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1993). In dem Antrag hat der Unternehmer, der die Voranmeldungen monatlich abzugeben hat, die Sondervorauszahlung selbst zu berechnen und anzumelden; gleichzeitig hat er die angemeldete Sondervorauszahlung zu entrichten (§ 48 Abs. 1 Satz 3 und 4 UStDV 1993). Nach § 48 Abs. 4 UStDV 1993 ist die festgesetzte Sondervorauszahlung bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums anzurechnen. Besteuerungszeitraum ist das Kalenderjahr (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG 1993).

Ist die Sondervorauszahlung höher als die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, auf die sie gemäß § 48 Abs. 4 UStDV 1993 anzurechnen ist, kommt zwar ein Erstattungsanspruch in Betracht. Da die Sondervorauszahlung ”für das jeweilige Kalenderjahr” erfolgt (§ 48 Abs. 2 Satz 1 UStDV 1993), kann der Unternehmer die Erstattung allerdings nur verlangen, soweit er die übrigen Vorauszahlungen für das Kalenderjahr gezahlt hat und nicht schuldig geblieben ist.

Nach Festsetzung der Jahressteuer richtet sich die Erstattung nur noch nach der festgesetzten (und zur Konkurstabelle angemeldeten) Jahressteuer; der Erstattungsanspruch kann nicht mehr auf § 48 Abs. 4 UStDV 1993 gestützt werden.

Da die Vorauszahlungen auf die Jahressteuer anzurechnen sind, kommt eine Erstattung nur in Betracht, soweit sie nicht zur Tilgung der Jahressteuer benötigt werden. Das gilt auch für die Sondervorauszahlung nach § 47 UStDV 1993. Der Rechtsgrund für ihre Zahlung fällt nicht bereits mit der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums weg; vielmehr kommt auch eine Erstattung der Sondervorauszahlung nur in Betracht, soweit sie nicht zur Tilgung der Jahressteuer benötigt wird.

d) Dem Senat ist die Höhe der Jahressteuer nicht bekannt; er kann deshalb auch nicht beurteilen, ob ein Anspruch auf Erstattung der Sondervorauszahlung besteht.

Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang die Höhe der Jahressteuer feststellen müssen. Dabei ist Folgendes zu beachten:

aa) Die Konkurseröffnung (heute: Eröffnung des Insolvenzverfahrens) hat auf die Unternehmereigenschaft des Gemeinschuldners (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG) keinen Einfluss; sie ändert auch nichts daran, dass das Unternehmen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG die gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers erfasst (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639). Dementsprechend bestimmt sich die Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen des Gemeinschuldners zunächst ohne Rücksicht auf die Vorschriften des Konkursrechts ausschließlich nach dem Umsatzsteuerrecht.

bb) Gleichwohl ist die Umsatzsteuer nicht gegenüber dem Gemeinschuldner, sondern gegenüber dem Konkursverwalter festzusetzen, soweit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Konkursverwalters reicht. Nach § 6 Abs. 2 der Konkursordnung wird nämlich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Konkursmasse gehörige Vermögen durch den Konkursverwalter ausgeübt. In diesem Umfang hat er die steuerlichen Pflichten für den Gemeinschuldner zu erfüllen (§ 34 Abs. 3 AO 1977). Insoweit ist auch ihm gegenüber die Umsatzsteuer festzusetzen (BFH in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639).

Im Streitfall betrug dieser Teil der Jahressteuer laut Mitteilung vom ./. 2 852,26 DM.

cc) Soweit die Umsatzsteuer vor Konkurseröffnung begründet war, war sie als Konkursforderung geltend zu machen (§ 251 Abs. 3 AO 1977 a.F.).

Dieser Teil der Jahresteuer kann der Vorentscheidung nicht entnommen werden.

dd) Soweit der Gemeinschuldner sein Unternehmen mit Mitteln weiterbetrieb, die nicht dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Konkursverwalters unterlagen, war die Umsatzsteuer in einem an den Gemeinschuldner zu richtenden Steuerbescheid festzusetzen (BFH in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639).

Dieser Sonderfall spielt im Streitfall keine Rolle, da das Unternehmen der Gemeinschuldnerin nur vom Konkursverwalter weiter betrieben wurde.

e) Falls die Jahressteuer hinter der Summe der Vorauszahlungen zurückblieb und sich deshalb ein Unterschiedsbetrag (Erstattungsanspruch) zugunsten der Gemeinschuldnerin ergibt, war dieser auch im angefochtenen Abrechnungsbescheid vom zu berücksichtigen.

Der (mögliche) Erstattungsanspruch ist nämlich erst nach Ablauf des Streitjahres 1998 und nicht bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums Juni 1998 entstanden, wie das FA irrtümlich angenommen hat.

Nach § 38 AO 1977 entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die Erstattungsansprüche nach § 37 Abs. 2 AO 1977 entstehen demnach in dem Zeitpunkt, in dem die zu erstattende Leistung (hier: die Sondervorauszahlung) erbracht wurde und ein rechtlicher Grund für die Zahlung nicht mehr vorliegt. Der rechtliche Grund für die Sondervorauszahlung ist aber frühestens mit Ablauf des Jahres 1998, möglicherweise aber auch erst mit Festsetzung der Jahressteuer für das Jahr 1998 weggefallen (vgl. Hein, Deutsches Steuerrecht 1990, 301). Nach der Eröffnung des Konkursverfahrens entstandene Ansprüche auf Erstattung von vor Konkurseröffnung geleisteten Vorauszahlungen gehören zur Konkursmasse (vgl. , BFH/NV 1994, 287). Sie sind deshalb in dem an den Konkursverwalter gerichteten Abrechnungsbescheid zur Jahresumsatzsteuer zu berücksichtigen.

Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 705
BB 2002 S. 2006 Nr. 39
BFH/NV 2002 S. 1403 Nr. 10
BFHE S. 71 Nr. 199
BStBl II 2002 S. 705 Nr. 18
DB 2002 S. 2252 Nr. 43
DStRE 2002 S. 1203 Nr. 19
KÖSDI 2002 S. 13458 Nr. 10
UR 2003 S. 29 Nr. 1
TAAAA-69258